ALLGEMEINES
Eine Gruppe von sieben neutestamentlichen Schriften: die zwei Petrusbriefe, die drei Johannesbriefe, den Jakobus- und Judasbrief, nennt man die «Katholischen Briefe». Das hat nichts mit der Römisch-katholischen Kirche zu tun, sondern bedeutet lediglich «allgemein». Es soll damit gesagt sein, dass die Briefe nicht an eine bestimmte Gemeinde gerichtet, sondern der ganzen Kirche Jesu Christi gewidmet sind.
Der erste Brief des Petrus zeichnet sich durch seinen Gedankenreichtum aus. Er ist ein rechter Trost- und Mahnbrief an die Gemeinde Jesu. Luther sagt von ihm:
«Wer nun die Epistel fasset, der hatt on zweyfel gnug, das er nit mer bedarff, on dz gott auss Überfluss eben das in andern büchern auch reichlich leeret. Es ist aber über das nichts anders, dann hie hat der Apostel nichts vergessen, was not ist eim Christen zuwissen.»
Er ist der Brief von der Fremdlingschaft der Kirche.
VERFASSER
Der Verfasser des Briefes nennt sich selbst: «Petrus, ein Apostel Jesu Christi» (1Pet 1,1). Er zählt sich zu den Wiedergeborenen (1Pet 1,3) und ist «Mitältester und Zeuge der Leiden Christi» (1Pet 5,1). Der Brief wurde aber nicht eigenhändig von Petrus geschrieben, sondern, wie er selbst sagt, von seinem Mitarbeiter Silvanus: «Durch euren treuen Bruder Silvanus habe ich euch ein wenig geschrieben» (1Pet 5,12). Das ist sicher auch eine Erklärung dafür, dass die Schrift in einem auffallend guten Griechisch geschrieben ist, das die Forschung dem einfachen galiläischen Fischer Simon abspricht.
Über die Person und den Dienst des Petrus geben uns die Evangelien und die Apostelgeschichte ein ziemlich vollständiges Bild. Nur über das Lebensende des Apostels berichtet uns die Bibel nichts, ausser der Weissagung in Joh 21,18, wo von einem Märtyrertod die Rede ist. Die Überlieferung bezeugt, dass Petrus bei der Verfolgung unter Nero im Jahr 65 in Rom als Märtyrer umgekommen sei. Clemens von Rom erinnert in seinem Brief an die Korinther (zirka 94 n. Chr.) an den Tod des Apostels. Andere Kirchenväter, wie Ignatius von Antiochien, Papias, Clemens von Alexandrien, überliefern denselben Bericht. Merkwürdigerweise erwähnt aber keiner von ihnen Petrus als Bischof von Rom. Nach Irenäus wäre Linus der erste Bischof von Rom gewesen. Erst im 3. Jahrhundert begann man auf das römische Bischofsamt des Apostels zu pochen.
Die biblischen und kirchlichen Zeugnisse lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Apostel Petrus der Verfasser dieses Briefes ist.
EMPFÄNGER
Der Verfasser nennt sie in der Anrede (1Pet 1,1): «De» erwählten Fremdlingen in der Zerstreuung» (= Diaspora, Luther übersetzt mit «hin und her»). Das griechische Wort «Diaspora» könnte uns verleiten zu denken, es handle sich um Christen jüdischer Herkunft, die zu den zahlreichen jüdischen Kolonien des Altertums gehörten. Prof. Dr. Ed. Schweizer bemerkt dazu:
«Gemeint sein kann damit nicht eine jüdische Diasporakirche, sondern nur die .DiasporaExistenz’ der christlichen Kirche, die in dieser Welt keine bleibende Heimat hat (1Pet 2,11). Denn nach 1Pet 1,18; 2,9-10; 4,3 sind die Leser Heiden-, nicht Judenchristen.»
Die Namenliste der Provinzen (1Pet 1,1) schliesst fast ganz Kleinasien ein. Der Brief war demnach als Rundschreiben gedacht, das von Gemeinde zu Gemeinde weitergeleitet werden sollte. Er ist im wahren Sinn ein «katholischer Brief».
ABFASSUNG
Ort der Abfassung
Um die Zeit der Abfassung des Briefes festzulegen, muss zuerst die Frage gelöst werden: Wo wurde er geschrieben? Nach 1Pet 5,13 schrieb der Apostel aus Babylon. Es handelt sich hier aber kaum um das alte Babylon in Mesopotamien. Der Name Babylon scheint eher der apokalyptische Name für Rom zu sein (Off 14,8; 16,19; 17,5; 18,2.10.21) oder aber ein Deckname, was nach Eusebius schon die Meinung des Papias war. Ein weiterer Hinweis auf Rom ist, dass bei der Abfassung Markus als geistiger Sohn des Petrus genannt wird (1Pet 5,13). Nach 2Tim 4,11 aber bittet Paulus, der 63 / 64 von Rom aus an Timotheus schreibt, den Markus dorthin mitzubringen.
Zeit der Abfassung
Der Brief setzt eine ziemlich weite Verbreitung des Evangeliums in Kleinasien (1Pet 1,1) und bereits eine gewisse Beständigkeit der Gemeinden (1Pet 5,1-5) voraus. Dies war sehr wahrscheinlich nach den Missionsreisen des Paulus, der als der geistliche Vater dieser Gemeinden gelten muss, der Fall. Die späteste Zeitgrenze bildet die blutige Christenverfolgung unter Nero, die im Jahr 64 begann. Diese schreckliche Verfolgung erwähnt der Brief nicht. Nach diesen biblischen und kirchlichen Hinweisen muss der Brief in den Jahren
61—62 n. Chr. in Rom abgefasst worden sein.
ECHTHEIT
In den frühesten Zeiten wurde die Echtheit dieses Briefes von der Kirche der ganzen damaligen Welt allgemein anerkannt. Erst die neuere Forschung hat Einwände erhoben, stösst sie sich doch an der Ähnlichkeit mit anderen neutestamentlichen Briefen. Besonders der paulinische Einfluss wird stark betont, sowie gewisse Ausdrücke, die dem Jakobusbrief eigen sind. Es wird daher vermutet, ein Schüler des Paulus habe in der Verfolgungszeit unter Domitian (81—96) oder Trajan (98—117) den Brief geschrieben, mit der Absicht, die Lehre des Paulus durch den Judenapostel Petrus zu bestätigen. Prof. F. Barth widerlegt diese Kritik in feiner Art:
«Erstlich beruhen solche Übereinstimmungen nicht notwendig auf bewusster Entlehnung; sie können vielmehr gemeinsame Erinnerungen an alttestamentliche Worte oder an Worte Jesu, die uns sonst nicht erhalten sind, zur Ursache haben, oder aus dem starken Einfluss des Einen Geistes stammen, der diese Männer beseelte und sie treffende Ausdrücke aufs unbefangenste voneinander annehmen liess. Welche Rolle spielen noch heute in allen Lagern der Kirche die religiösen Leitmotive, in denen das Denken und Verlangen einer Zeit sich einen prägnanten Ausdruck gibt!»
Zahlreiche Kirchenväter führen den Brief an. In seinem Schreiben an die Philipper beruft sich Polykarp auf die Worte des Petrus. Papias, so weiss Eusebius zu berichten, «machte Gebrauch von den Zeugnissen des Petrusund des Johannesbriefes». Irenaus, Tertullian, Clemens von Alexandrien bekräftigen die Echtheit des Briefes, indem sie ihn anführen. Eusebius zählt ihn zu den allgemein anerkannten heiligen Schriften. Eine einzige Lücke besteht in diesem einstimmigen Zeugnis: der Brief fehlt im Muratorischen Kanon; dagegen finden wir ihn in der Peschitta und in allen ältesten Übersetzungen.
ZWECK UND ZIEL
Den Anlass zu diesem Brief gab die bedrängte und gefahrvolle Lage, in die sich die Christus gemeinden von Kleinasien durch die Feindschaft der heidnischen Umgebung versetzt sahen (1Pet 2,12-20; 3,14-17; 4,4.12). Infolge dieser Verhältnisse standen die Christen in grosser Gefahr, entweder sich gewaltsam gegen die Heiden aufzulehnen oder aber sich der Mutlosigkeit hinzugeben und mit der Welt Kompromisse zu schliessen. Der Zweck des Briefes ist deshalb, die Unterdrückten zu trösten und aufzurichten, ihren Glauben zu stärken, ihre Hoffnung neu anzufachen und sie zu Gehorsam und Geduld anzuhalten. Der Apostel tut dies auf sehr eindrückliche Art, indem er nachweist, dass der Christ zum Heil berufen ist
(1Pet 1,3 - 2,10), dass sein Lebenswandel in jeder Hinsicht durch Untertänigkeit gekennzeichnet sein soll (1Pet 2,11 - 3,12) und dass er durch Leiden zur Vollkommenheit gelangt (1Pet 3,13 - 5,11). Im übrigen ist auf der ganzen Linie Christus als der mächtige Erlöser und siegreiche Überwinder im Leiden dargestellt. Wenige Briefe wirken in unseren Tagen so tröstlich und ermutigend.
INHALT UND EINTEILUNG
Trotzdem der Brief nicht nach einem in die Augen fallenden Plan abgefasst ist, lässt sich doch folgender Gedankengang erkennen:
Einleitung: Segenswunsch 1Pet 1,1-2
1. Die Hoffnung des Christen 1Pet 1,3-12
Die Herrlichkeit der Heilshoffnung 1Pet 1,3-5
Die Prüfung der Glaubenshoffnung 1Pet 1,6-9
Das Zeugnis der Propheten 1Pet 1,10-12
2. Die Berufung des Christen 1Pet 1,13 - 2,10
Wandelt in der Heiligung 1Pet 1,13-16
Haltet fest an der Erlösung 1Pet 1,17-21
Bleibet in der Bruderliebe 1Pet 1,22-25
Werdet lebendige Bausteine 1Pet 2,1-10
3. Das Verhalten des Christen 1Pet 2,11 - 3,22
gegen die Heiden 1Pet 2,11-12
gegen die Obrigkeit 1Pet 2,13-17
gegen die Vorgesetzten 1Pet 2,18-25
gegen den Ehegatten 1Pet 3,1-7
gegen alle Gläubigen, nach dem Vorbild Christi 1Pet 3,8-22
4. Die Gemeinde Jesu Christi 1Pet 4,1 - 5,11
Gemeinschaft der Glieder untereinander 1Pet 4,1-11
Gemeinschaft im Leiden 1Pet 4,12-19
Ermahnung an die Ältesten 1Pet 5,1-4
Ermahnung an die Jüngeren und an 1Pet 5,5-11
alle Gemeindeglieder
Schluss: Grosse und Wünsche 1Pet 5,12-14
Schlüsselwort: Leiden
Schlüsselvers: «Freuet euch, dass ihr mit Christo leidet, auf dass ihr auch zur Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben möget!» (1Pet 4,13).
VERSCHIEDENES
Jesus Christus im 1. Petrusbrief
Seine Vollkommenheit 1Pet 1,19; 2,22
Seine ewige Bestimmung 1Pet 1,20; vgl. Eph 3,11
Seine «Offenbarung» (erstes Kommen) 1Pet 1,20; vgl. 2Tim 1,10
Sein Tod 1Pet 2,24
Seine Auferstehung 1Pet 1,3.21; 3,18.21
Sein Abstieg ins Totenreich 1Pet 3,19-20
Seine Himmelfahrt 1Pet 3,22
Seine Wiederkunft 1Pet 1,7.13; 4,13; 5,4
Sein Gericht 1Pet 4,5
Bildhafte Bezeichnungen Jesu
Ein unschuldiges und unbeflecktes Lamm 1Pet 1,19
Der lebendige Stein 1Pet 2,4
Der Eckstein, Stein des Anstosses und Fels 1Pet 2,7-8
des Ärgernisses
Der Hirte und Bischof unserer Seelen 1Pet 2,25
Der Oberhirte 1Pet 5,4
Benennungen Gottes
Der Vater unseres Herrn Jesu Christi 1Pet 1,3
Der Herr 1Pet 1,25
Der treue Schöpfer 1Pet 4,19
Der Gott aller Gnade 1Pet 5,10
Bildhafte Bezeichnungen der Christen
Gehorsame und neugeborene Kinder 1Pet 1,14; 2,2
Lebendige Steine 1Pet 2,5
Fremdlinge und Pilger 1Pet 2,11
Freie und zugleich Knechte Gottes 1Pet 2,16
Haushalter der Gnade Gottes 1Pet 4,10
Bildhafte Bezeichnungen der Gemeinde
Ein geistliches Haus 1Pet 2,5
Ein heiliges, königliches Priestertum 1Pet 2,5.9
Ein auserwähltes Geschlecht 1Pet 2,9
Ein heiliges Volk des Eigentums 1Pet 2,9
Gottes Volk 1Pet 2,10
Die Herde Christi 1Pet 5,2