ALLGEMEINES
In der hebräischen Bibel gehört das Buch zu den «Megilloth»; es ist die dritte der fünf Festrollen. Zur Erinnerung an die Zerstörung des Tempels wurden die Klagelieder alljährlich am neunten Tag des Monats Ab (Mitte Juli bis Mitte August) vorgelesen.
ZEITABSCHNITT
Die Klagelieder fallen in die Zeit der Gefangenschaft nach dem Fall Jerusalems im Jahre 587 v. Chr. Es war eine Zeit trostlosen Elends. Alles war zerstört und vernichtet, und der Hunger trieb die Menschen soweit, dass Mütter ihr Kindlein verzehrten
(Klgl 2,20; 4,10). Aus dieser Not heraus entstanden die Trauerlieder des Propheten.
VERFASSER
Die jüdische wie die christliche Überlieferung hat die Klagelieder als das Werk Jeremias anerkannt. In der griechischen Übersetzung der Septuaginta steht in der kleinen Einleitung am Anfang des Buches folgender Satz: «Und es geschah, nachdem Israel in die Gefangenschaft geführt und Jerusalem verwüstet war, dass der Prophet Jeremia sass und weinte und dieses Klagelied über Jerusalem anstimmte.» Die beiden Bücher Jeremia und Klagelieder sind von derselben feurigen Vaterlandsliebe beseelt, verbunden mit einer bescheidenen Zurückhaltung in bezug auf die Person des Schreibers. Der Unterschied im Stil, den gewisse Kritiker hervorgehoben haben, lässt sich leicht erklären durch die poetische Form, die dem Buch der Klagelieder sein eigenes Gepräge gibt.
BOTSCHAFT
Der beklagenswerte Zustand der Stadt Jerusalem ist die bittere Frucht der Sünde, des Ungehorsams. Die dringenden Rufe zu Busse und Umkehr sind unbeachtet verklungen; so ist das Unabwendbare hereingebrochen. Jeremia klagt Gott nicht an, als habe er Israel in blindem Zorn geschlagen; im Gegenteil, er anerkennt Gottes Gerechtigkeit im Gericht. In dieser gerechten Strafe verbirgt Gott aber auch seine erbarmende Liebe, und diese Liebe lässt sein Herz bluten ob dem Anblick des abgrundtiefen Elends. Gottes Barmherzigkeit tut sich kund in seinen gnädigen Verheissungen
(Klgl 3,22-24).
EINTEILUNG
1. Zions kläglicher Zustand Klgl 1
Des Propheten Schilderung Klgl 1,1-11
Des Volkes Klage Klgl 1,12-22
2. Die Ursache von Zions Elend Klgl 2
Wie der Herr Zion heimsuchte Klgl 2,1-10
Warum der Herr Zion heimsuchte Klgl 2,11-22
3. Der Zweck der Heimsuchung Zions Klgl 3
Leiden und Trost Klgl 3,1-39
Bekenntnis und Vertrauen Klgl 3,40-66
4. Zions Erinnerung an frühere Zeiten Klgl 4
Der Gegensatz zwischen einst und jetzt Klgl 4,1-15
Auftreten und Schicksal der Feinde Klgl 4,16-22
5. Zions Flehen zu Gott Klgl 5
Schilderung der Lage Klgl 5,1-18
Letzter Hilfeschrei Klgl 5,19-22
Schlüsselwort: Verwüstung
SYMBOLIK
Christologie
«Schauet doch und sehet, ob irgendein Schmerz sei wie mein Schmerz!» (Klgl 1,12; Jes 53,3).
«Alle, die vorübergehen, klatschen mit Händen, pfeifen dich an und schütteln den Kopf» (Klgl 2,15-16; Mt 27,39).
«Alle deine Feinde sperren ihr Maul auf wider dich»
(Klgl 2,16; Ps 22,14).
«Und ob ich gleich schreie und rufe, so stopft er die Ohren zu vor meinem Gebet» (Klgl 3,8; Mt 27,46).
«Ich bin ein Spott allem meinem Volk und täglich ihr Liedlein»
(Klgl 3,14; Ps 69,12).
«Gedenke, wie ich so elend und verlassen, mit Wermut und Galle getränkt bin» (Klgl 3,19; Ps 69,22; Mt 27,34).
Jerusalem
Der Prophet vergleicht Jerusalem mit einer einsamen Witwe
(Klgl 1,1), die ihre Ehre und ihren Schmuck verloren hat (Klgl 1,6). Dieses Bild lässt sich anwenden auf die Seele irgendeines Menschen, der von Gott abgefallen ist.
BESONDERES MERKMAL
Der literarische Aufbau des Buches
Die fünf Trauergesänge, aus denen sich das Buch der Klagelieder zusammensetzt, sind im Original alphabetisch aufgebaut. Die ersten zwei und das vierte Gedicht zählen je 22 Verse, beginnend mit den
22 Buchstaben des hebräischen Alphabets. Das dritte Trauergedicht hat 66 Verse, die in Strophen von je drei Versen mit dem gleichen Anfangsbuchstaben eingeteilt sind. Der fünfte Gesang ist nicht alphabetisch aufgebaut, sondern hat nur die gleiche Anzahl Verse (22).
VERSCHIEDENES
Gegensätze zwischen einst und jetzt
Stadt voll Volks | wüste Stadt | Klgl 1,1 |
regierende Stadt | unterworfene Stadt | Klgl 1,1 |
geehrte Stadt | verachtete Stadt | Klgl 1,8 |
Stadt des Überflusses | ausgehungerte Stadt | Klgl 1,7 |
reiche Stadt | beraubte Stadt | Klgl 1,10 |
Stadt der Freude | Stadt der Tränen | Klgl 2,18 |
Stadt der Schönheit | Stadt der Verwüstung | Klgl 2,15 |
Praktische Lehren
Mit-Leiden, Teilnahme am Leiden der andern; weinen mit den Weinenden (Röm 12,15); die Lasten der andern tragen (Gal 6,2); sich unter die Sündenlast seines Volkes stellen. Hatte Jeremia nicht all dieses Unglück vorausgesagt? Hatte er nicht alles aufgewendet, alles gelitten, um das Ärgste zu verhüten? Jetzt, wo die Stadt infolge ihrer Sünden verwüstet liegt, hätte der Prophet sich da nicht von ihr lossagen und ihr aus selbstgerechter Entfernung die wohlverdiente Vergeltung gönnen können? Er hatte ja seine Pflicht getan! Nein, er stellt sich in Not und Leid zu seinem Volk und macht dessen Schmerz zu seinem eigenen Schmerz.
Sich nicht niederschmettem lassen durch einen grossen Schmerz, sondern wie Jeremia sein weinendes Herz vor dem Gott der Barmherzigkeit ausschütten. Es gibt eine fruchtlose Teilnahme am Leid der Menschheit, nämlich jene, die nur einem rein menschlichen Mitgefühl entspringt. Aber es gibt auch eine wirksame Teilnahme, nämlich jene, die aus einem mit Gottes Liebe erfüllten Herzen quillt.