ALLGEMEINES
Wenn man vom ersten Korintherbrief behaupten kann, er sei «ein kirchliches Dokument», weil Paulus darin die Regeln für die harmonische Entwicklung der Gemeinde festlegt, so kann man mit ebensoviel Recht vom zweiten Brief behaupten, er sei «ein Dokument des Apostelamtes». Ausserdem bringt uns dieser Brief mehr denn irgendein anderer die Persönlichkeit des Apostels Paulus nahe. Godet sagt:
«Um seinen Dienst, sein Apostelamt und seinen Charakter gegen die hässlichsten Angriffe zu verteidigen, sieht sich Paulus gezwungen, seine Tätigkeit, seine Kämpfe, seine Gefühle, ja sein verborgenstes Innenleben zu enthüllen.»
VERFASSER
Der Verfasser nennt sich selbst am Anfang des Briefes (2Kor 1,1): «Paulus», ein Apostel Jesu Christi». Er macht häufige Anspielungen auf seine Person und Erfahrungen, die den Korinthern bekannt sein müssen (2Kor 1,23-24; 2,12-13; 10,1; 12,1-2; 13,1 usw.). Auch ist er der Initiant der grossen Geldsammlung für die Gemeinde zu Jerusalem (2Kor 8 und 9). Es kommt also einzig der Apostel Paulus in Frage.
EMPFÄNGER
Nach den Eingangsworten (2Kor 1,1) gilt der Brief «der Gemeinde Gottes zu Korinth, samt allen Heiligen in ganz Achaja» (siehe erster Korintherbrief, Empfänger). Ausser an die Gemeinde zu Korinth wendet sich der Apostel demnach an alle Heiligen in ganz Achaja, das heisst an die Christen Griechenlands, die rings um Korinth zerstreut lebten. In Korinth bestand jedenfalls die einzige wirklich organisierte Gemeinde der Gegend; diese bildete den Mittelpunkt kleinerer Versammlungen.
ABFASSUNG
Die Umstände, die den Apostel zum Schreiben veranlassen, sind in den grossen Linien ziemlich klar ersichtlich.
Timotheus hat unseren ersten Brief nach Korinth getragen
(1Kor 16,10) und ist dann, nach 2Kor 1,1, zum Apostel zurückgekehrt, wo er sich zur Zeit der Abfassung unseres zweiten Korintherbriefes befindet. Weder der erste Brief des Paulus noch die Vermittlung des Timotheus scheinen jedoch den vom Apostel gewünschten Erfolg gehabt zu haben. Daraufhin begibt sich Paulus selbst nach Korinth, wie er es in seinem Brief versprochen hatte (1Kor 4,19); dieser Besuch soll aber, wie einige Exegeten denken, im letzten Augenblick verhindert worden sein. Wir haben allerdings den Eindruck, Paulus sei auf dem Seeweg (drei bis vier Tage) doch bis nach Korinth gelangt, dieser Zwischenbesuch habe aber so unheilvolle Folgen gehabt, dass er sofort wieder abreiste
(2Kor 2,5-11; 7,12). Diese These wird dadurch bestätigt, dass Paulus den Korinthern schreibt (2Kor 12,14; 13,1-2): «Zum drittenmal komme ich zu euch.» Der erste Besuch führte zur Gründung der Gemeinde (Apg 18), der zweite war der «Zwischenbesuch», und der dritte fand nach unserem Brief
(Apg 20,3-5) statt.
Nach dem Zwischenbesuch also beeilt sich Paulus, nach Ephesus zurückzukehren, von wo er den widerspenstigen Korinthern einen sehr scharfen Brief schreibt, der ihn Angst und Tränen kostet
(2Kor 2,1-4.9), der aber seine Früchte zeitigt (2Kor 7,8 ff). Dieser Brief ist uns nicht erhalten geblieben. Er wurde sehr wahrscheinlich durch Titus überbracht (2Kor 12,18), der auch den Auftrag hatte, mit zwei anderen Delegierten die Sammlung zu organisieren
(2Kor 8,16-24).
Kurz nach der Abreise des Titus bricht in Ephesus der Aufstand des Demetrius aus (Apg 19,23 - 20,1), der Paulus zwingt, dieses fruchtbare Arbeitsfeld zu verlassen und seine Pläne zu ändern. Er verreist nach Troas; als er aber Titus dort nicht antrifft, hat er keine Ruhe mehr und schifft sich ein, um ihm nach Mazedonien entgegenzufahren (2Kor 2,12.13; 7,5-7). Gross ist seine Freude, Titus wiederzusehen und zu vernehmen, dass dieser seinen heiklen Auftrag mit vollem Erfolg ausgeführt hat und dass die Korinther Gemeinde ihr Unrecht endlich einsieht (2Kor 7,4-16). Zwar besteht immer noch ein Kern von Widerspenstigen, wahrscheinlich die Partei, die sich «Christi» nennt (2Kor 10,7).
Die guten Nachrichten veranlassen Paulus, sogleich einen neuen Brief zu schreiben, in dem er sozusagen einen Friedensvertrag mit der Gemeinde schliesst. Er macht sich den guten Willen und das Taktgefühl des Titus zunutze und beauftragt ihn mit der Übermittlung seines neuen Briefes, unseres zweiten Korintberbriefes
(2Kor 8,16-18), in dem er seinen dritten Besuch anzeigt.
Der Ort der Abfassung ist bestimmt Mazedonien; das geht aus dem Gesagten hervor sowie aus folgenden Stellen:
2Kor 2,13; 7,5; 8,1; 9,2-4.
Die Abfassung fällt jedenfalls in den Herbst des Jahres 55, das heisst in die Zeit vor dem letzten Besuch des Paulus in Korinth (Apg 20,2), der im Winter 55—56 stattfand, gegen das Ende der dritten Missionsreise des Apostels.
ECHTHEIT
Es ist sicher dem sehr persönlichen Charakter dieses Briefes zuzuschreiben, dass ihn die Kirchenväter nur ganz wenig anführen. Dennoch besteht in der Urgemeinde kein Zweifel über seine Echtheit.
Wir finden Anspielungen darauf in den Schriften von Clemens von Rom, Ignatius und Polykarp und im Brief an Diognetes. Der Brief ist auch im Muratorischen Fragment und in der Syrischen und Lateinischen Version zu finden.
Die Echtheit des Briefes ist nie angegriffen worden, zu allen Zeiten wurde er als das Werk des Apostels Paulus anerkannt. Die einzigen Bedenken kommen von seiten einiger Theologen unter Hausrath, welche meinen, der «verloren gegangene Zwischenbrief» sei in unserem zweiten Brief mitenthalten. Diese Hypothese stützt sich auf den Ton des Briefes, der in den ersten neun Kapiteln freundlich und liebevoll ist, in den letzten vier Kapiteln dagegen eher erregt und scharf. Diese letzten Kapitel werden deshalb bisweilen der Vierkapitelbrief genannt.
Der Unterschied erklärt sich natürlich voll und ganz aus dem Inhalt heraus. Im ersten Teil erkennen wir, dass die Beziehungen des Apostels zur Gemeinde als solcher wieder hergestellt sind, und Paulus freut sich über diesen Sieg. Im zweiten Teil aber verteidigt er sein Apostelamt gegen die kleine, immer noch widerspenstige Minderheit.
ZWECK UND ZIEL
Der Zweck des Briefes ist aus dem Inhalt klar ersichtlich. Er ist vierfach:
-
Endgültige Erledigung der früheren Fehler. Paulus gibt seiner Freude über die Reue der Korinther Ausdruck: 2Kor 1,6-7; 7,2-16
-
Vorbereitung der grossen Kollekte für die Armen der Gemeinde zu Jerusalem: 2Kor 8,6; 9,1-15
-
Verteidigung des Apostelamts, das von Gegnern des Paulus angegriffen wird: 2Kor 10-12
-
Anzeige seines bevorstehenden (dritten) Besuchs: 2Kor 13,1-10
INHALT UND EINTEILUNG
Einleitung 2Kor 1,1-11
Anschrift und Segensgruss 2Kor 1,1-3
Danksagung für Trost 2Kor 1,4-7
Danksagung für Errettung 2Kor 1,8-11
Der getröstete Apostel (Klärung von Missverständnissen)
2Kor 1,12 - 7,16
Änderung der Reisepläne 2Kor 1,12 - 2,4
Kirchenzucht: liebevolle Rücksicht 2Kor 2,5-11
Kraft und Herrlichkeit des Dienstes 2Kor 2,12 - 4,6
Leiden und Belohnungen des Dienstes 2Kor 4,7 - 5,10
Uneigennützigkeit und Lauterkeit 2Kor 5,11 - 6,10
Ermahnung zur Heiligung 2Kor 6,11-18
Freude über die gegenseitige Aussöhnung 2Kor 7,1-16
Der besorgte Apostel (Hilfeleistung an die Urgemeinde) 2Kor 8-9
Vorbild der mazedonischen Christengemeinden 2Kor 8,1-15
Empfehlung der Mitarbeiter an dieser Aufgabe 2Kor 8,16 - 9,5
Ermahnung zur christlichen Freigebigkeit 2Kor 9,6-15
Der abrechnende Apostel (mit den judaistischen Gegnern)
2Kor 10,1 - 12,18
Paulus gerät in Versuchung, sich zu rühmen 2Kor 10,1-18
Paulus sträubt sich gegen den Selbstruhm 2Kor 11,1-20
Paulus rühmt sich doch, aber 2Kor 11,21 - 12,10
seiner Schwachheit
Paulus macht Schluss mit seinem Selbstruhm 2Kor 12,11-18
Schluss 2Kor 12,19 - 13,13
Gewisse Befürchtungen 2Kor 12,19-21
Ankündigung des dritten Besuchs 2Kor 13,1-10
Wünsche, Grüsse und Segen 2Kor 13,11-13
Schlüsselwort: Dienst
Schlüsselvers: «Deshalb werden wir, weil wir diesen Dienst haben gemäss der Barmherzigkeit, die uns widerfahren ist, nicht mutlos...» (2Kor 4,1).
VERSCHIEDENES
Der göttliche Trost 2Kor 1,3-7
Seine Quelle: die Barmherzigkeit des Vaters 2Kor 1,3
Sein Vermittler: Jesus Christus 2Kor 1,5
Sein Mass: reichlich 2Kor 1,5
Sein Bereich: in allen Lagen 2Kor 1,4a
Seine Frucht: Geduld im Leiden 2Kor 1,6
Seine Wirkung: dass wir auch trösten 2Kor 1,4
Namen der Diener Gottes
Knechte um Christi willen 2Kor 4,5
Träger der Herrlichkeit Gottes 2Kor 4,6
Botschafter an Christi Statt 2Kor 5,20
Mitarbeiter Gottes 2Kor 6,1
Diener Gottes 2Kor 6,4
Paulus, der wahre Diener Christi
Seine Berufung
durch den Willen Gottes 2Kor 1,1
dank der Barmherzigkeit Gottes 2Kor 4,1
Seine Eignung
Persönliche Heilserfahrung (Apg 9) 2Kor 4,6 - 7,13
Würdiger Wandel 2Kor 6,3
Reine Lehre 2Kor 2,17; 4,2
Leidensmut und Freudigkeit 2Kor 6,4-10
Heiligungsleben 2Kor 7,1
Seine Tüchtigkeit
Erkenntnis seiner Untüchtigkeit 2Kor 2,16
Tüchtig gemacht von Gott 2Kor 3,5-6
Die drängende Liebe Christi 2Kor 5,14
Seine Botschaft
Jesus Christus als der Herr 2Kor 4,5
Das Wort der Versöhnung 2Kor 5,18-20
Seine Feinde
Satan als Überlistet 2Kor 2,11
Satan als Gott dieser Welt 2Kor 4,4
Satan als Engel des Lichts 2Kor 11,14
Satansdiener (falsche Apostel) 2Kor 11,13
Seine Waffen
Das Gebet (Fürbitte) 2Kor 1,11
Die Waffen der Gerechtigkeit 2Kor 6,7
Die Waffen der Ritterschaft 2Kor 10,4
Seine Leiden
Seine Todesbereitschaft 2Kor 4,7-12
Trübsale und Nöte 2Kor 4,8; 6,4
Verfolgung 2Kor 4,9; 6,5
Entbehrungen 2Kor 6,5b
Seine Hoffnung
Die Auferstehung 2Kor 4,14
Die himmlische Leiblichkeit 2Kor 5,1-4
Die himmlische Heimat 2Kor 5,6-9
Die Herrlichkeit 2Kor 4,17-18