Schriften von Charles Henry Mackintosh
2Chr 34-35 - Josia und seine Zeit
2Chr 30,6-9 - Teil 52Chr 30,6-9 - Teil 5
Es ist von größter Wichtigkeit, auf diesem Vorsatz zu beharren, weil dies der einzige Grund ist, auf den unser Glaube bezüglich jeder im Wort Gottes offenbarten Lehre sich stützen kann. Auf diese Weise glauben wir alle die erhabenen Wahrheiten des Christenglaubens. Wir wissen nichts und können nichts Geistliches, Himmlisches und Göttliches glauben, wenn wir es nicht im Wort Gottes offenbart finden. Woher weiß ich, dass ich ein Sünder bin? Weil die Schrift erklärt hat, dass wir alle gesündigt haben. Ohne Zweifel fühle ich, dass ich ein Sünder bin, aber ich glaube es nicht, weil ich es fühle, sondern ich fühle es, weil ich es glaube; und ich glaube es, weil Gott es gesagt hat. Der Glaube ruht auf göttlicher Offenbarung, nicht auf menschlichen Gefühlen oder Schlussfolgerungen. „Es steht geschrieben“ – das ist völlig ausreichend für den Glauben. Nichts weniger genügt und nichts mehr ist notwendig. Gott spricht es und der Gläubige glaubt es; er glaubt einfach, weil Gott spricht. Er beurteilt das Wort Gottes nicht nach dem äußeren Anschein, sondern er beurteilt den äußeren Anschein nach dem Wort Gottes.
So ist es mit allen Hauptwahrheiten des Christentums, sei es die Lehre von der Dreieinheit, der Gottheit unseres Herrn Jesus Christus, seines Versöhnungswerkes, seines Priestertums, seiner Wiederkunft, oder die Lehre von dem Sündenfall des Menschen, von der Rechtfertigung, dem künftigen Gericht, der ewigen Verdammnis. Wir glauben diese erhabenen und ernsten Wahrheiten nicht aufgrund des Gefühls, sondern einfach aufgrund der göttlichen Offenbarung.
Wenn nun gefragt wird, auf welchem Grund unser Glaube an die Lehre von der Einheit des Leibes ruht, so weisen wir auf denselben Grund hin, auf dem unser Glaube an die Lehre von der Dreieinheit, der Gottheit Christi und der Versöhnung ruht. Wir glauben diese Wahrheit, weil sie an mehreren Stellen des Neuen Testaments offenbart ist. So zum Beispiel in Kapitel 12 des ersten Korintherbriefes, wo wir lesen: „So der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: so auch der Christus, denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt worden“ [1Kor 12,12-14]. Ferner: „Gott hat den Leib zusammengefügt, indem er dem Mangelhafteren reichlichere Ehre gegeben hat, damit keine Spaltung in dem Leib sei … Ihr aber seid Christi Leib und Glieder im Einzelnen“ [1Kor 12,24-27].
Hier haben wir die vollkommene und unauflösliche Einheit der Kirche genau dargestellt, und zwar durch dieselbe Autorität wie jede andere Wahrheit, die wir alle glauben, so dass ebenso viel Grund vorhanden ist, die Gottheit Christi in Frage zu stellen, wie die Einheit des Leibes zu beanstanden. Das eine ist so wahr wie das andere, und beides ist göttlich wahr, weil es göttlich offenbart ist. Wir glauben, dass Jesus Christus Gott über alles ist, gepriesen in Ewigkeit, weil die Schrift es uns sagt, und wir glauben, dass ein Leib besteht, ebenfalls weil die Schrift es uns sagt. Wir schalten im ersten Fall nicht unseren Verstand ein, sondern glauben und beugen uns, und wir sollen auch im anderen Fall nicht unseren Verstand einschalten, sondern glauben und uns beugen. „Da ist ein Leib und ein Geist.“
Beachten wir nun aber, dass diese Einheit des Leibes nicht ein abstrakter Gegenstand, eine nutzlose Ansicht oder ein kraftloser Glaubenssatz ist. Es ist eine praktische, wesentliche, einflussreiche Wahrheit, in deren Licht wir zu wandeln berufen sind und nach der wir uns und alles um uns her zu richten haben. So war es bei den Gläubigen in Israel. Die Einheit des Volkes war ihnen etwas Wesentliches und nicht nur eine Lehre, die man nach Belieben annehmen oder verwerfen kann. Es war eine erhabene, wichtige, kraftvolle Wahrheit. In den Gedanken Gottes war das Volk eins, und wenn diese Einheit nicht verwirklicht wurde, dann hatten die Gläubigen nur den Platz des Selbstgerichts, des zerschlagenen und betrübten Herzens einzunehmen. Wir sehen dies bei Hiskia, Josia, Daniel, Esra und Nehemia. Es fiel diesen Gläubigen nicht ein, die Wahrheit von der Einheit Israels aufzugeben, weil Israel im Festhalten daran gefehlt hatte. Sie maßen die Wahrheit Gottes nicht an den Handlungen der Menschen, sondern sie beurteilten die Taten der Menschen und sich selbst an Hand der Wahrheit Gottes. Das war der einzig richtige Weg. Wenn die verwirklichte Einheit Israels durch die Sünde und Torheit des Menschen zerstört war, dann bekannten die wahrhaftigen Glieder des Volkes Gottes die Sünde und trugen Leid darüber; sie bekannten sie als ihre eigene Sünde und blickten auf Gott. Zudem aber fühlten sie ihre Verantwortung, nach der Wahrheit Gottes zu handeln, was auch der äußere Zustand sein mochte.
Wir wiederholen, dass dieses die Bedeutung des aus zwölf Steinen errichteten Altars Elias war angesichts der 450 falschen Propheten der Isebel und trotz der Trennung des Volkes nach menschlicher Anschauung (1Kön 18). Das war auch die Bedeutung der Briefe, die Hiskia an das ganze Volk Israel sandte, um sie einzuladen, „um dem HERRN, dem Gott Israels, in Jerusalem Passah zu feiern“ [2Chr 30,5]. Nichts ist rührender als der Inhalt dieser Briefe. „Kinder Israel! Kehrt um zu dem HERRN, dem Gott Abrahams, Isaaks und Israels, so wird er umkehren zu den Entronnenen, die euch aus der Hand der Könige von Assyrien übriggeblieben sind! Und seid nicht wie eure Väter und wie eure Brüder, die treulos gehandelt haben gegen den HERRN, den Gott ihrer Väter, so dass er sie der Verwüstung hingegeben hat, wie ihr es seht. Nun verhärtet euren Nacken nicht wie eure Väter; gebt dem HERRN die Hand und kommt zu seinem Heiligtum, das er geheiligt hat auf ewig, und dient dem HERRN, eurem Gott, damit die Glut seines Zorns sich von euch abwende!Denn wenn ihr zu dem HERRN umkehrt, so werden eure Brüder und eure Kinder Barmherzigkeit finden vor denen, die sie gefangen weggeführt haben, und in dieses Land zurückkehren. Denn gnädig und barmherzig ist der HERR, euer Gott, und er wird das Angesicht nicht von euch abwenden, wenn ihr zu ihm umkehrt“ (2Chr 30,6-9).
Hier handelt der Glaube gemäß der großen, ewigen, unveränderlichen Wahrheit der Einheit des Volkes Israel. Das Volk war nach dem Vorsatz Gottes eins, und Hiskia blickte, wie es der Glaube immer tut, auf das Volk von diesem göttlichen Gesichtspunkt aus, und er handelte dementsprechend. „Und die Läufer zogen von Stadt zu Stadt durch das Land Ephraim und Manasse und bis nach Sebulon; aber man lachte sie aus und verspottete sie“ [2Chr 30,10]. Wie traurig, und dennoch haben wir nichts anderes zu erwarten. Es ist sicher, dass die Handlungen des Glaubens den Spott und die Verachtung derer herausfordern, die nicht auf dem Standpunkt der Gedanken Gottes stehen. Ohne Zweifel betrachteten die Männer von Ephraim und Manasse die Botschaft Hiskias als Anmaßung oder eitle Schwärmerei. Vielleicht war die große Wahrheit, die mit solcher Kraft auf seine Seele wirkte, seinen Charakter formte und sein Verhalten regelte, nach ihrer Ansicht eine Fabel, eine wertlose Lehre, ein Rest aus der Vergangenheit, eine Einrichtung früherer Zeiten, die auf die Gegenwart keine Anwendung fände. Aber der Glaube wird immer durch die Gedanken der Menschen in Tätigkeit gesetzt, und darum fuhr Hiskia mit seinem Werk fort, und Gott bekannte sich zu ihm und segnete ihn. Es mochte wohl ein Grund zum Spott sein, als man sah, dass „einige Männer von Aser und Manasse und von Sebulon sich demütigten und nach Jerusalem kamen“ [2Chr 30,11]. Aber Hiskia und alle, die sich so unter die mächtige Hand Gottes demütigten, ernteten eine reiche Segensernte, während die Spötter und Verächter in der Unfruchtbarkeit und Erstarrung gelassen wurden, in die ihr eigener Unglaube sie versetzt hatte.
Man achte auf die Kraft der Worte Hiskias: „Wenn ihr zu dem HERRN umkehrt, so werden eure Brüder und eure Kinder Barmherzigkeit finden vor denen, die sie gefangen weggeführt haben“ [2Chr 30,9]. – Wie nahe kommt dies der Wahrheit des Neuen Testaments! Wir sind Glieder voneinander, und das Verhalten eines Gliedes berührt alle übrigen. Der Unglaube fragt, wie dies möglich sei und wie das Verhalten des einen auf entfernt wohnende andere Einfluss haben könne. Aber wie einst in Israel, so ist es jetzt in der Versammlung Gottes.
Siehe den Fall Achans in Josua 7. Dort sündigt ein Mann, während die ganze Versammlung, wie uns das Wort sagt, nichts von dem Vorgang wusste; und dennoch lesen wir: „Und die Kinder Israel begingen Untreue an dem Verbannten“ [Jos 7,1], und: „Israel hat gesündigt“ [Jos 7,11]. Wie war dies möglich? Einfach, weil das Volk eins war und Gott in seiner Mitte wohnte. Das war offenbar der Grund einer doppelten Verantwortung gegen Gott und gegen die Versammlung als Ganzes und gegen jedes Glied insbesondere. Kein Glied dieses Volkes konnte diese hohe und heilige Verantwortung der Versammlung von sich abschütteln. Ein in Dan wohnender Mann hätte fragen können, inwiefern sein Verhalten eine in Beerseba lebende Person berühren könnte. Dennoch war es so, und der Grund dafür lag in der ewigen Wahrheit der unauflöslichen Einheit Israels und des Wohnens des HERRNS in der Mitte seiner erlösten Versammlung (s. 2Mo 15,21 und die vielen Stellen, die von dem Wohnen des HERRN in der Mitte Israels reden).
Wir wollen indes bei den zahllosen Schriftstellen, die von der Gegenwart Gottes in der Versammlung Israels, von seiner Wohnung in ihrer Mitte reden, nicht länger verweilen. Wir lenken nur die Aufmerksamkeit des Lesers auf die wichtige Tatsache, dass die Reihe dieser Schriftstellen mit 2. Mose 15 beginnt. Als Israel als ein völlig erlöstes Volk auf der kanaanitischen Seite des Roten Meeres stand, war es erst fähig, zu sagen: „Meine Stärke und mein Gesang ist Jah, denn er ist mir zur Rettung geworden; dieser ist mein Gott, und ich will ihn verherrlichen“ [2Mo 15,2]. Die Erlösung bildete den Grund für das Wohnen Gottes unter seinem Volk und sicherte ihre vollkommene Einheit. Daher konnte kein einziges Glied dieser Versammlung sich als einen einzelnen, unabhängigen Teil betrachten. Jeder war berufen, sich als einen Teil des Ganzen zu betrachten und sein Verhalten mit Rücksicht auf alle, die wie er einen solchen Teil bildeten, passend einzurichten.
Wie hätte die Vernunft eine solche Wahrheit fassen können, die ganz außerhalb des Bereichs aller menschlichen Erkenntnis lag! Nur der Glaube konnte sie annehmen und danach handeln. Der Gläubige in Israel erkannte sie und handelte danach. Warum sandte Hiskia Briefe an ganz Israel? Warum befahl er, ohne sich um den Spott des Unglaubens zu kümmern, dass das Brand- und Sündopfer für ganz Israel dargebracht werde? Warum dehnte Josia seine reformatorischen Bestrebungen über alle Länder der Kinder Israel aus? Weil diese Männer Gottes die göttliche Wahrheit von der Einheit Israels anerkannten und sie nicht darum unbeachtet ließen, weil sie so wenig verwirklicht war. „Das Volk wird allein wohnen“ und „ich, der HERR, will unter den Kindern Israels wohnen“. – Diese Wahrheit leuchtet wie kostbare Edelsteine vom himmlischen Glanz aus den Blättern des Alten Testaments, und wir finden immer, dass, je mehr jemand in der Nähe Gottes, in der Nähe der lebendigen und immer strömenden Quelle lebte, er auch in die Gedanken, Ratschlüsse, Gefühle und Absichten Gottes einging, sie kennenlernte und das auszuführen versuchte, was Gott von seinem Volk gesagt hatte, wie untreu dieses sich auch gegen Ihn erweisen mochte.
Erkennst du, mein Leser, in der Einheit des israelitischen Volkes nicht das Vorbild einer höheren Einheit in dem einen Leib, von dem Christus das Haupt ist? Wir setzen es voraus. Wir hoffen von Herzen, dass dein ganzes sittliches Wesen sich in ehrfurchtsvoller Unterwerfung unter die mächtige Wahrheit beugen möchte: „Da ist ein Leib.“ Du wirst allerdings erstaunt sein, dass sich in der bekennenden Kirche nirgends ein Ausdruck dieser Einheit zeigt. Du siehst die Christen zertreut und getrennt, du siehst unzählige Sekten und Parteien, ja, du siehst vielleicht sogar unter denen, die bekennen, die Wahrheit von der Einheit des Leibes zu glauben, nicht das wahre Bild dieser Einheit. Sicher ist alles dies sehr verwirrend für jemand, der es vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet. Dennoch aber steht der Grund Gottes unbeweglich fest. Seine Wahrheit ist unzerstörbar. Und wenn wir mit Bewunderung auf ein vergangenes Zeitalter blicken, das die Einheit Israels zu einer Zeit, in der das menschliche Auge keine Spur dieser Einheit entdeckte, glaubte und bekannte, warum sollten wir nicht die höhere Einheit des einen Leibes von Herzen glauben und verwirklichen? „Da istein Leib und ein Geist“ – darin liegt das Fundament unserer Verantwortung gegeneinander und gegen Gott. Wollen wir diese Einheit aufgeben, weil die Christen zerstreut und getrennt sind? Gott verhüte es. Sie ist so wahr und kostbar wie eh und je, und sie sollte verwirklicht werden und einen Einfluss ausüben. Wir haben nach der Wahrheit Gottes zu handeln, ohne auf das Sichtbare Rücksicht zu nehmen. Wir sollen nicht wie viele sagen: „Es ist unmöglich, die Wahrheit Gottes in dem uns umgebenden Verfall auszuführen; diese Einheit mag eine Sache der Vergangenheit gewesen sein, sie mag in der Zukunft ausgeführt werden können, aber unmöglich kann sie eine Sache der Gegenwart sein und angesichts der vielen Sekten und Parteien aufrechterhalten werden. Jetzt bleibt für den Einzelnen nichts übrig, als für sich selbst auf den Herrn zu blicken und seinen persönlichen Wirkungskreis nach den Eingebungen seines Gewissens und Urteils einzurichten.“
Das ist im Wesentlichen die Sprache von Hunderten unter dem Volk Gottes, und wie ihre Sprache ist, so ist ihr Verhalten. Aber diese Sprache verrät den Unglauben an jene große Hauptwahrheit von der Einheit des Leibes Christi. Wir haben sicher ebenso viel Recht, die kostbare Lehre von der Gottheit Christi, seiner vollkommenen Menschheit oder seines stellvertretenden Opfers zu verwerfen, wie die Wahrheit von der vollkommenen Einheit seines Leibes in Frage zu stellen; denn alle diese Wahrheiten ruhen auf dem Grund der ewigen, in der Heiligen Schrift dargestellten Wahrheit Gottes. Dürfen wir irgendeine Wahrheit göttlicher Offenbarung beiseitesetzen? Dürfen wir einer von ihnen ihre Anwendung versagen? Sind wir nicht vielmehr verpflichtet, jede Wahrheit anzunehmen und unsere Seelen ihrer Macht zu unterwerfen? Es ist äußerst gefährlich, auch nur für einen Augenblick der Meinung Raum zu geben, irgendeine Wahrheit Gottes beiseitesetzen zu dürfen unter dem Vorwand, dass sie nicht verwirklicht werden könne. Die Heilige Schrift hat sie offenbart; das ist genug, und wir haben zu glauben und zu gehorchen. Wir sind verpflichtet, jede Wahrheit um jeden Preis festzuhalten aus Gehorsam, den wir Christus, dem Haupt schulden, praktisch gegen alles zu zeugen, was gegen die Wahrheit der unauflöslichen Einheit der Versammlung Gottes ist, und ernstlich und beständig eine treue Verwirklichung dieser Einheit zu suchen.
Geschieht dies mit einem demütigen Herzen, dann wird der Herr uns auf diesem Pfad aufrechterhalten, wie groß auch die Schwierigkeiten sein mögen. Sicher gibt es auf diesem Weg ernste Schwierigkeiten, mit denen wir in eigener Kraft nicht kämpfen können. Schon die Mahnung „Befleißigt euch, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“ [Eph 4,3] erinnert uns an diese Schwierigkeiten; aber die Gnade unseres Herrn Jesus Christus reicht für alle Anforderungen völlig aus, die an uns gestellt werden können, wenn wir nach dieser kostbaren Wahrheit zu handeln suchen.
Wenn wir den gegenwärtigen Zustand der bekennenden Kirche betrachten, dann können wir zwei sehr verschiedene Klassen unterscheiden: In der einen befinden sich diejenigen, die die Einheit auf falschen Grundlagen suchen, in der anderen diejenigen, die sie auf dem im Neuen Testament niedergelegten Grund suchen. Die letztere Einheit ist geistlich lebendig, göttlich und steht in entscheidendem Gegensatz zu allen Formen der Einheit, die der Mensch auf nationalem, kirchlichem, zeremoniellem oder dogmatischem Weg versucht hat. Kirche Gottes ist kein nationales, kirchliches oder politisches System. Sie ist ein durch die Gegenwart des Heiligen Geistes für ihr Haupt im Himmel gereinigter Leib. So war es und so ist es. „Da ist ein Leib und ein Geist.“ Das bleibt unveränderlich wahr. Diese Wahrheit zu schwächen und zu verwirren, ist ein Werk des Feindes, und wir sind verpflichtet, dagegen Zeugnis abzulegen. Der Versuch, die Christen auf einem anderen Grund als dem der Einheit des Leibes zu vereinigen, ist ein Handeln gegen den uns offenbarten Willen Gottes. Es mag sehr anziehend, sehr wünschenswert, sehr vernünftig und sehr zweckmäßig erscheinen, aber es ist Gott zuwider, und das sollte uns genügen. Gottes Wort spricht nur von der Einheit des Leibes und von der Einheit des Geistes. Es erkennt keine andere Einheit an, daher sollen auch wir es nicht tun.
Obwohl die Versammlung Gottes aus vielen Gliedern besteht, ist sie eins; sie bildet eine Körperschaft. Alle Glieder haben doppelte Verantwortung; sie sind dem Haupt verantwortlich. Diese Verantwortung beiseitezuschieben, ist unmöglich. Die Menschen mögen sie leugnen, sie mögen ihre persönlichen Rechte behaupten und nach ihrer eigenen Vernunft, nach ihrem eigenen Urteil und Willen handeln, aber sie können sich nicht der Verantwortung entziehen, die sich auf die Tatsache des einen zusammengehörenden Leibes gründet. Sie haben es mit dem Haupt im Himmel und mit den Gliedern auf der Erde zu tun. Sie befinden sich in dieser doppelten Beziehung und sind ihr durch den Heiligen Geist einverleibt worden. Hier gibt es keine Unabhängigkeit. Christen können sich nicht als bloße Personen, als vereinzelt stehende Wesen betrachten. „Wir sind Glieder voneinander“ [Eph 4,25]. Das ist ebenso wahr, wie wir aus Glauben gerechtfertigt sind. Allerdings stehen wir in einem Sinn als Personen da: Wir sind Einzelwesen im Hinblick auf unsere Buße, unseren Glauben, unsere Rechtfertigung, unseren Wandel mit Gott, unseren Dienst und unsere Belohnung für den treuen Dienst; denn jeder Einzelne wird einen weißen Stein mit einem neuen Namen darauf erhalten, der nur ihm allein bekannt ist. Dies alles ist wahr, aber es berührt in keiner Weise die andere große praktische Wahrheit unserer Vereinigung mit dem Haupt droben und mit den Gliedern auf der Erde.
Beachten wir hier jedoch zwei ganz verschiedene Punkte der Wahrheit, die aus zwei verschiedenen Titeln unseres hochgelobten Herrn hervorgehen. Er ist das Haupt, und Er ist der Herr. Er ist das Haupt seines Leibes, der Versammlung, und Er ist aller Herr, der Herr jedes Einzelnen. Wenn wir nun an Christus als den Herrn denken, werden wir an unsere persönliche Verantwortung gegen Ihn erinnert, und zwar in dem ganzen Umfang des Dienstes, zu dem Er uns in seiner Autorität gnädig berufen hat. Unsere Ehrfurcht gebührt Ihm in allen Dingen. Alle unsere Handlungen, alle unsere Ermahnungen müssen unter den gebietenden Einfluss des gewichtigen, leider oft leichtfertig ausgesprochenen Wortes „So der Herr will“ gestellt werden. Zudem hat niemand das Recht, sich zwischen das Gewissen eines Dieners und das Gebot seines Herrn zu werfen. Dies alles ist göttlich wahr und von großer Bedeutung. Die Herrschaft Christi ist eine Wahrheit, deren Wert unmöglich überschätzt werden kann.
Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Christus sowohl das Haupt als auch der Herr ist. Er ist sowohl das Haupt seines Leibes als auch der Herr der einzelnen Personen. Diese Dinge dürfen nicht vermengt werden. Wir dürfen die Wahrheit von der Herrschaft Christi nicht auf eine solche Art festhalten, dass sie mit der Wahrheit von seinem Titel als Haupt vermengt wird. Wenn wir nur an Christus als den Herrn und an uns als Ihm persönlich verantwortlich denken, dann werden unsere Gedanken nicht auf seine Stellung als Haupt gerichtet sein, und wir verlieren unsere Verantwortung gegen jedes Glied, dessen Haupt Er ist, aus dem Auge. Wir müssen sehr dagegen wachen. Wir dürfen uns nicht als einzelne, unabhängige Wesen betrachten; wenn wir an Christus als Haupt denken, dann müssen unsere Gedanken alle seine Glieder umfassen, und dies öffnet uns einen weiten Kreis praktischer Wahrheit. Wir haben heilige Pflichten gegenüber unseren Mit-Gliedern zu erfüllen sowie auch gegenüber unserem Herrn und Meister. Sicher wird niemand, der in Gemeinschaft mit Christus wandelt, die Beziehung zu jedem Glied seines Leibes je aus den Augen verlieren, sondern stets daran denken, dass sein Wandel und seine Wege einen Einfluss auf die Christen ausüben werden. Es ist ein wunderbares, aber göttlich wahres Geheimnis: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit“ (1Kor 12,26). Man kann den Leib Christi nicht zu einer örtlich begrenzten Sache herabwürdigen. Der Leib ist einer, und wir sind berufen, dies praktisch auf jede mögliche Weise festzuhalten und ein entschiedenes Zeugnis gegen alles abzulegen, was die Verantwortung der vollkommenen Einheit des Leibes beeinträchtigen könnte. Der Feind sucht die Christen auf einem falschen Boden zu vereinigen und sie um einen falschen Mittelpunkt zu versammeln. Der einzige Schutz gegen diese Gefahr ist der göttlich gewirkte Glaube an die große Grundwahrheit der Einheit des Leibes Christi.
Anm. d. Red.: „Meine Stärke und mein Gesang ist Jah, denn er ist mir zur Rettung geworden; dieser ist mein Gott, und ich will ihn verherrlichen“ (2Mo 15,2). In der CSV-Elberfelder lautet die Anmerkung zu „verherrlichen“: „Vielleicht: ihm eine Wohnung machen.“