Schriften von Charles Henry Mackintosh
Mt 11 - Enttäuschungen im Dienst für den Herrn
Tätigkeit im DienstTätigkeit im Dienst
Zum Schluss erblicken wir, wie der Herr sich in gnadenreicher Tätigkeit aufs Neue den Menschen widmet.
Mt 11,28-30: 2Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.
Diese Worte vervollständigen das in unserem Kapitel dargestellte liebliche Gemälde. Die neu beginnende gnadenreiche Wirksamkeit enthält eine bewundernswerte Belehrung für uns. Der Herr hat sich von dem Schauplatz enttäuschter Erwartungen zurückgezogen und in Gott gestärkt, dann aber wendet Er sich dahin zurück, wo Er abgewiesen ist, und nimmt seine gnadenreiche Arbeit in vollkommener, untrüglicher Gnade, in unerschöpflicher Barmherzigkeit, in unermüdlicher Geduld wieder auf. Wohl hatte Er eine zurechtweisende Antwort an Johannes den Täufer gesandt, die Menschen jenes Geschlechts treu geschildert und ein feierliches Wehe über die unbußfertigen Städte ausgesprochen; aber das hindert Ihn nicht, von neuem in der ganzen Frische und Fülle der Gnade, die in Ihm war, aufzutreten und allen mühseligen und beladenen Seelen zuzurufen: „Kommt her zu mir!“
Das ist wahrhaft göttlich. Es beugt unsere Herzen zur Anbetung und Danksagung. Wenn die Wahrheit im Blick auf die zunehmende Verstocktheit gezwungen ist, ein „Wehe dir!“ auszurufen, so kann sich die Gnade an jedes mühselige und beladene Herz mit der rührenden Einladung wenden: „Kommt her zu mir!“ Beides ist vollkommen. Der Herr Jesus fühlte die Hindernisse. Er wäre kein Mensch gewesen, wenn Er sie nicht gefühlt hätte. Er konnte sagen: „Ich habe auf Mitleiden gewartet, aber da war keins, und auf Tröster, aber ich habe keine gefunden.“ Man beachte es wohl: Sein liebendes, so oft enttäuschtes Herz wartete auf Mitleiden und fand keins. Er wartete auf „Tröster“ und wartete vergebens. Es gab kein Mitleiden für Jesus, es gab keine Tröster für Ihn. Er war allein gelassen. Einsamkeit, Betrübnis, Hunger, Durst, Schande und Tod waren das Teil des Sohnes Gottes und des Sohnes des Menschen. „Der Hohn hat mein Herz gebrochen“, sagt Er. Es ist ein höchst verwerflicher Irrtum, anzunehmen, dass der Herr Jesus die vielfachen Übungen, die Er durchzumachen hatte, nicht in jeder Beziehung in der gleichen Weise gefühlt habe, wie der Mensch sie empfindet. Mit Ausnahme der Sünde empfand Er alles so, wie es der Mensch zu fühlen imstande war; die Sünde aber trug und sühnte Er am Kreuz. Gelobt sei sein Name!
Das ist nicht nur eine Hauptlehre des christlichen Glaubens, sondern auch eine Wahrheit von unendlicher Lieblichkeit für das Herz jedes wahren Gläubigen. Der Herr Jesus fühlte als Mensch, was es war, verachtet, enttäuscht, verwundet und verhöhnt zu sein. Herr Jesus, Du fühltest jeden Schmerz, jeden Kummer, jedes Weh inmitten einer gefühllosen und herzlosen Welt! Dein liebendes Herz suchte Mitleiden und fand keins! Während Du nach Gemeinschaft verlangtest, gab es für Dich die Einsamkeit! Die Welt hatte kein Mitleiden, keinen Trost für Dich!
Und doch, welch eine Gnade strahlt uns aus den Worten entgegen: „Kommt her zu mir.“ Und wie beschämen sie uns! Wenn wir, die wir diese Gnade in unseren Wegen tagtäglich erfahren, auf Hindernisse und enttäuschte Erwartungen stoßen, was ist dann oft die Folge? Findet man uns dann auch schnell wieder in jener gnädigen Tätigkeit, die unermüdlich mühselige und beladene Seelen sucht, um sie Ihm zuzuführen, der stets mit demselben Erbarmen sagt: „Kommt her zu mir“? Ist unser Herz nicht oft mit Kummer, Verdruss und bitteren Klagen erfüllt? Und warum das? Der Einwand, wir seien nicht vollkommen, ist sicher wahr. Wir sind in uns selbst durchaus unvollkommen; aber es geht hier um die Übung, sich von den Hindernissen der Welt oder der bekennenden Kirche zurückzuziehen und zu den Quellen in Gott Zuflucht zu nehmen, wenn wir fähig sein wollen, aufs Neue eine Tätigkeit auf dem Wirkungsfeld zu beginnen, auf dem wir vorher abgewiesen worden sind. Aber wie oft waren wir, anstatt uns auf Gott zu werfen, mit uns selbst beschäftigt! Dann aber bleibt es nicht aus, dass wir der Bitterkeit das Herz öffnen, anstatt in Gnade tätig zu sein. Es ist unmöglich, Seelen zu dem Herrn Jesus zu führen, wenn wir uns nicht zuvor an den Quellen erfrischt haben.
Oh, möchten wir doch von Jesus lernen und sein Joch auf uns nehmen! Möchten wir zu den Füßen dessen sitzen, der sanftmütig und von Herzen demütig ist! Welche Worte: „sanftmütig und von Herzen demütig“. Wie unähnlich unserer Natur! Wie unähnlich der Welt! Wie unähnlich unserem Verhalten! Wie viel Stolz, Hochmut und Selbstüberhebung zeigen sich in uns! Möchten wir uns sehen, wie der Herr uns sieht, damit wir uns zu seinen Füßen setzen und immer demütig vor Ihm wandeln! Möge Er uns befähigen, in diesen Tagen des Eigendünkels und des Hochmuts die moralische Sicherheit eines sanftmütigen Geistes und eines demütigen Herzens zu zeigen! Es ist bewunderungswürdig, zum Tragen desselben Jochs berufen zu sein, das Jesus trug – das Joch der völligen Unterwerfung unter den Willen des Vaters in allen Dingen. Das ist das Geheimnis wahren Friedens und wahrer Kraft. Wir können die wahre Ruhe des Herzens nur genießen, wenn der eigene Wille unterworfen ist. Diese Ruhe werden wir haben, wenn wir jede Fügung der Hand unseres Vaters mit einem „Ja, Vater“ annehmen. Die Tätigkeit des eigenen Willens schließt die Ruhe aus. Um Ruhe des Gewissens zu erlangen, muss man zu Jesus kommen; um Ruhe des Herzens zu finden, müssen wir sein Joch auf uns nehmen und von Ihm lernen. Oh, möchte unser Herz in der rastlosen Tätigkeit unserer Tage diese Ruhe immer mehr erkennen und genießen!