Jak 2,24: Ihr seht also, dass ein Mensch aus Werken gerechtfertigt wird und nicht aus Glauben allein.
Wenn zum Beispiel jemand Jakobus 2,24 anführen wollte, um die Rechtfertigung aus Werken zu beweisen, so wäre es vielleicht möglich, dass ich mich außerstande fühle, ihm die richtige Antwort zu geben. Es ist sehr wohl möglich, dass Tausende, wie Luther, durch diese Stelle in die Enge getrieben worden sind. Ich kann die vollkommenste Sicherheit bezüglich meiner Rechtfertigung besitzen, ich kann völlig überzeugt sein, dass nicht irgendein Werk, das ich getan habe, sondern einfach der Glaube an Jesus Christus die Ursache meiner Errettung ist, und kann doch vielleicht nicht imstande sein, die Worte des Jakobus: „Ihr seht also, dass ein Mensch aus Werken gerechtfertigt wird und nicht aus Glauben allein“, zu erklären. Vielleicht verstehe ich den Apostel Jakobus nicht und finde mich daher wegen der scheinbaren Widersprüche, die zwischen Jakobus und Paulus bestehen, sehr in Verlegenheit. Was ist zu tun? Nichts anderes, als jenen Grundsatz anzuwenden, den ich oben angeführt habe: „Keine Schriftstelle kann mit einer anderen im Widerspruch sein.“ Man könnte ebenso gut den Zusammenstoß zweier Himmelskörper, die sich in der ihnen vom Schöpfer vorgeschriebenen Bahn bewegen, befürchten, als dass zwei durch göttliche Eingebung redende Schriftsteller einander widersprechen sollten.
Jetzt lese ich im Römerbrief die folgenden sehr deutlichen Worte:
Röm 4,5: Dem aber, der nicht wirkt, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet.
Hier ist das Selbstwirken, als rechtfertigender Grundsatz, ganz und gar ausgeschlossen, und nur der Glaube wird als solcher anerkannt.
Röm 3,28: Wir urteilen, dass ein Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke.
Röm 5,1: Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.
Dasselbe finden wir im Brief an die Galater, denn dort lesen wir:
Gal 2,16: Wir wissen, dass der Mensch nicht aus Gesetzeswerken gerechtfertigt wird, sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus, auch haben wir an Christus Jesus geglaubt, auf dass wir aus Glauben an Christus gerechtfertigt würden, und nicht aus Gesetzeswerken, weil aus Gesetzeswerken kein Fleisch gerechtfertigt werden wird.
In all diesen und vielen anderen Stellen werden, wie bereits erwähnt, die Werke als rechtfertigender Grundsatz gänzlich ausgeschlossen, und die Sprache dieser Stellen ist so einfach, dass jeder Mensch, wie ungebildet er auch sein mag, sie verstehen kann. Wenn wir daher Jakobus 2,24 nicht erklären können, müssen wir entweder diese Stelle leugnen oder unsere Zuflucht zu dem oben genannten Grundsatz nehmen, dass keine Schriftstelle mit einer anderen im Widerspruch sein kann. Im letzteren Fall werden wir mit einem unwandelbaren Vertrauen und in vollkommener Ruhe unseren Weg weitergehen und mit Freuden festhalten an der Hauptlehre des Evangeliums, der „Rechtfertigung durch den Glauben ohne Gesetzeswerke“.
Da wir indessen nun einmal unsere Aufmerksamkeit auf Jakobus 2,24 gerichtet haben, ist es wohl am Platz, im Vorübergehen einige Bemerkungen, die zur Förderung eines richtigen Verständnisses beitragen können, über diese Stelle zu machen. In Vers 14 finden wir ein kleines, unscheinbares Wort, das sozusagen der Schlüssel ist zu der Stelle, die wir vor uns haben. Dort fragt der Apostel:
Jak 2,14: Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben, hat aber nicht Werke?
Wenn er gefragt hätte: „Was nützt es, wenn jemand Glauben hat?“, dann wäre die Schwierigkeit unüberwindlich. Aber das Wörtchen „sagt“ nimmt alle Schwierigkeit weg und zeigt uns in deutlicher Weise, worüber uns der Apostel belehren will. Wir könnten mit demselben Recht fragen: „Was nützt es, wenn jemand sagt, dass er hunderttausend Euro besitzt, wenn er sie nicht hat?“ Es hat sicher keinen Nutzen für jemand, wenn er nur sagt, dass er Glauben habe; sondern nur dann, wenn er ihn wirklich besitzt, hat er sowohl für die Gegenwart als auch für die Ewigkeit „Nutzen“ davon, indem der Glaube ihn mit Christus einsmacht und ihn in den vollen und ungeschmälerten Besitz alles dessen stellt, was Christus für uns getan hat und was Er für uns vor Gott ist.
Dies gibt mir Veranlassung, den vorliegenden Gegenstand noch von einem anderen Gesichtspunkt zu betrachten, wodurch die scheinbaren Widersprüche zwischen den Briefen des Paulus und des Jakobus vollends beseitigt werden. Es besteht ein großer Unterschied zwischen den Werken des Gesetzes und den Werken des Glaubens. Paulus schließt die ersten aus, während er die anderen gebietet. Doch wir wiederholen mit allem Nachdruck, dass es nur die Werke des Gesetzes sind, die Paulus ausschließt, und dass Jakobus nur die Werke des Glaubens gebietet. Die Werke Abrahams und Rahabs waren keine Gesetzeswerke, sondern Werke des Glaubens. Sie waren die natürlichen Früchte des Glaubens, ohne die sie jeder rechtfertigenden Kraft ermangelt haben würden. Und fragt jemand nach dem Unterschied zwischen den Werken des Gesetzes und den Werken des Glaubens, so lautet die Antwort, dass die Werke des Gesetzes solche sind, die man verrichtet, um das Leben zu erlangen, während man in den Werken des Glaubens die natürlichen Früchte des Lebens erblickt, das man bereits besitzt. Und was muss man tun, um das Leben zu erlangen? Man muss glauben an den Sohn Gottes:
Joh 5,24: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben.
Bevor wir das Geringste tun können, müssen wir das Leben haben, und nicht dadurch, dass wir sagen: „Ich habe Glauben“, sondern dadurch, dass wir wirklich glauben, erlangen wir das Leben. Und wenn wir das Leben besitzen, so werden wir auch Früchte des Lebens hervorbringen.
Nachdem ich nun versucht habe, meinen Grundsatz durch Beispiele klarzumachen, überlasse ich es fernerhin Ihrer Sorge, ihn auf die verschiedenen Schwierigkeiten und scheinbaren Widersprüche anzuwenden, die Ihnen bei der Betrachtung des Wortes Gottes auffallen mögen, während ich mich jetzt mit der Hilfe des Herrn bemühen werde, die wichtigen Schriftstellen, die Sie mir angeführt haben, zu erklären.