11. V. Ehe wir die Geschichte Davids, des Mannes nach dem Herzen Gottes, miteinander betrachten und seinen Weg verfolgen von den Schafhürden Bethlehems bis zu dem Glanze des Königtums in Jerusalem, wird es für den Leser von Interesse sein, einen Blick auf die Zustände zu werfen, welche in den Tagen Samuels, des Propheten, des Vorläufers des gesalbten Königs, inmitten des irdischen Volkes Gottes herrschten, und an der Hand des 1. Buches Samuel kurz den Gang der Ereignisse zu verfolgen, welche zu der Errichtung des Königtums in Israel führten.
In den ersten Kapiteln des genannten Buches entwirft der Geist Gottes ein höchst belehrendes und ernstes Gemälde von dem damaligen Zustande des Volkes. Das Haus Elkanas bietet dem geweihten Schreiber Gelegenheit, uns eine treffende biblische Darstellung Israels nach dem Fleische und Israels nach dem Geiste vor Augen zu führen. Elkana „hatte zwei Weiber; der Name der einen war Hanna und der Name der anderen Peninna; und Peninna hatte Kinder, aber Hanna hatte keine Kinder“.
12. V. So spielte sich in dem häuslichen Kreise dieses Ephratiters die Geschichte der Sarah und der Hagar gleichsam noch einmal ab. Hanna war das unfruchtbare Weib, und sie mußte dies tief fühlen; denn „ihre Widersacherin kränkte sie mit vieler Kränkung, um sie aufzubringen, weil Jehova ihren Mutterleib verschlossen hatte“. Das unfruchtbare Weib wird in der Schrift stets als ein Bild des verderbten und hilflosen Zustandes der Natur dargestellt. Die menschliche Natur ist unfähig, etwas für Gott zu tun; sie hat keine Kraft, Ihm irgendwelche Frucht zu bringen; alles ist Tod und Unfruchtbarkeit. Das ist der Zustand eines jeden Kindes Adams; es kann weder etwas für Gott, noch für sich selbst tun, wenn seine ewige Bestimmung in Frage kommt. Der Mensch ist durchaus ohne Kraft; er ist ein „dürrer Baum“, ein „Strauch in der Wüste“.
13. V. Der Herr aber ließ Seine Gnade die Schwachheit Hannas überströmen und legte ein Loblied in ihren Mund. Er setzte sie in den Stand zu sagen: „Mein Horn ist erhöht in Jehova; mein Mund ist weit aufgetan über meine Feinde; denn ich freue mich in deiner Rettung“. Es ist das besondere Vorrecht Jehovas und Sein gnadenreiches Tun, die Unfruchtbare zu erfreuen und zum Frohlocken zu bringen. Er allein kann sagen: „Jubele, du Unfruchtbare, die nicht geboren, brich in Jubel aus und jauchze, die keine Wehen gehabt hat! denn der Kinder der Vereinsamten sind mehr als der Kinder der Vermählten“ (Jes 54,1).
Hanna erfuhr die Wahrheit dieser Worte, und das verwitwete Israel wird sie binnen kurzem auch erfahren; „denn der es gemacht hat ist sein Mann, — Jehova der Heerscharen ist sein Name, — und der Heilige Israels ist sein Erlöser“. Der herrliche Gesang Hannas stellt in prophetischer Weise die dankbare Anerkennung der Wege Gottes mit Israel dar: „Jehova tötet und macht lebendig; Er führt in den Scheol hinab und führt herauf. Jehova macht arm und macht reich; Er erniedrigt und erhöht auch. Er hebt aus dem Staube empor den Geringen, aus dem Kote erhöht Er den Armen, um sie sitzen zu lassen bei den Edlen; und den Thron der Ehre gibt Er ihnen als Erbteil.“ Alles dies wird sich in den letzten Tagen im Blick auf Israel bewahrheiten, und schon heute erfährt es jede Seele, welche durch die Gnade ihrem verderbten natürlichen Zustande entrissen und zu dem Segen und Frieden in Jesu geführt wird.
14. V. In jenen Tagen seufzte wohl jeder treue, gottesfürchtige Israelit unter dem traurigen Zustand, in welchem sich das Volk und vor allem die priesterliche Famüie befand. Denn die Interessen des Hauses Jehovas wurden mißachtet, Seine Opfer entweiht und Seine heiligen Gebote von den gottlosen Söhnen Elis mit Füßen getreten. In dem Verlangen Hannas nach einem „männlichen“ Kinde gaben sich daher nicht nur die Gefühle eines Mutter herzens kund, sondern auch diejenigen einer gottesfürchtigen Israelitin. Sie hatte ohne Zweifel den Verfall von allem, was mit dem Hause Jehovas in Verbindung stand, gesehen und darüber getrauert. Das blöde Auge Elis, die sündigen Taten seiner Söhne Hophni und Pinehas, der entweihte Tempel, das verachtete Opfer — alles das sagte der Hanna, daß ein tiefes, dringendes Bedürfnis vorlag, welches allein durch die kostbare Gabe eines Sohnes von seiten des Herrn befriedigt werden konnte. Deshalb sagte sie zu ihrem Manne: „Bis der Knabe entwöhnt ist, dann will ich ihn bringen, daß er vor Jehova erscheine und dort bleibe auf immer“.
„Bleibe auf immer“ — nichts Geringeres als das konnte die verlangende Seele Hannas befriedigen. Es war nicht nur das Hinwegtun ihrer eigenen Schmach, was Samuel so kostbar in ihren Augen machte. Nein, sie verlangte danach, „einen treuen Priester“ vor Jehova stehen zu sehen; und im Glauben ruhte ihr Auge auf einem, der auf immer dort bleiben sollte. Kostbarer, herzerquickender Glaube! Er erhebt die Seele über den niederdrückenden Einfluß der sichtbaren und zeitlichen Dinge und versetzt sie in das Licht der unsichtbaren und ewigen.
15. V. In Kapitel 3 finden wir die Ankündigung des schreckliehen Zusammenbruchs des Hauses Elis. „Und es geschah in selbiger Zeit, als Eli an seinem Orte lag, — seine Augen aber hatten begonnen, blöde zu werden, er konnte nicht sehen, — und die Lampe Gottes war noch nicht erloschen, und Samuel lag im Tempel Jehovas, woselbst die Lade Gottes war, da rief Jehova den Samuel.“ Wie ausdrucksvoll ist alles in dieser Szene! Elis Augen sind blöde geworden und Jehova ruft den Samuel. Mit anderen Worten: Elis Haus steht im Begriff zu verschwinden, und der treue Priester tritt in den Vordergrund. Samuel läuft zu Eli; aber ach; alles was dieser ihm sagen konnte, war:
„Lege dich wieder“. E r hatte keine Botschaft für den Knaben. Er konnte seine Zeit mit Schlafen zubringen, während die Stimme des Herrn in seiner nächsten Nähe ertönte.
Welch eine ernste Warnung! Eli war ein Priester des Herrn, aber er unterließ es, in Wachsamkeit zu wandeln, sein Haus nach den Gedanken Gottes zu ordnen, seine Söhne zu strafen; und so sehen wir das traurige Ende, zu welchem er kam. „Jehova sprach zu Samuel: Siehe, ich will eine Sache tun in Israel, daß jedem, der sie hört, seine beiden Ohren gellen sollen. An selbigem Tage werde ich wider Eli alles ausführen, was ich über sein Haus geredet habe: ich werde beginnen und vollenden. Denn ich habe ihm kundgetan, daß ich sein Haus richten wül ewiglich, um der Ungerechtigkeit willen, die er gewußt hat, daß seine Söhne sich den Fluch zuzogen, und er ihnen nicht gewehrt hat“ (V. 11—13).
16. V. „Was irgend ein Mensch sät“, sagt der Apostel, „das wird er auch ernten.“ Wie bewahrheitet sich dieses Wort in der Geschichte eines jeden Kindes Adams, und wie augenscheinlich bewahrheitet es sich in der Geschichte eines jeden Kindes Gottes! Wie wir säen, so werden wir ernten. Eli mußte das fühlen, und auch wir, Schreiber wie Leser dieser Zeilen, müssen es fühlen. Wenn wir in Gedanken, Worten und Werken eine verkehrte Richtung einschlagen, so müssen wir früher oder später unvermeidlich die Früchte davon ernten.1) Möchte diese Erwägung uns zu einer heüigeren Wachsamkeit in all unserem Wandel anspornen! Laßt uns Sorge tragen, daß wir „für den Geist säen“, damit wir „von dem Geiste ewiges Leben ernten“.
18. V. Das 4. Kapitel gibt uns eine demütigende Schilderung von dem Zustand Israels in Verbindung mit dem traurigen Hause Elis. „Und Israel zog aus, den Philistern entgegen zum Streit; und sie lagerten sich bei Eben-Eser, und die Philister lagerten zu Aphek. Und die Philister stellten sich auf, Israel gegenüber; und der Streit breitete sich aus, und Israel wurde vor den Philistern geschlagen; und sie erschlugen in der Schlachtordnung auf dem Felde bei viertausend Mann“ (V. 1. 2). Israel mußte hier den Fluch eines gebrochenen Gesetzes an sich erfahren (5. Mose 28,25).
Sie konnten vor ihren Feinden nicht standhalten, da sie infolge ihres Ungehorsams schwach und kraftlos waren.
19. V. Beachten wir ferner die Grundlage ihres Vertrauens in dieser Zeit der Drangsal und Not. „Und als das Volk ins Lager zurückkam, da sprachen die Ältesten von Israel: Warum hat uns Jehova heute vor den Philistern geschlagen?
Laßt uns von Silo die Lade des Bundes Jehovas zu uns holen, daß s i e in unsere Mitte komme und uns rette aus der Hand unserer Feinde.“ Ach, welch eine armselige Grundlage des Vertrauens! Sie redeten kein Wort von dem Herrn Selbst. Sie dachten gar nicht an Ihn; sie machten nicht Ihn zu ihrem Schirm und Schild. Sie vertrauten auf die Bundeslade und bildeten sich ein, daß diese sie retten könne. Welch eine Torheit! Wie konnte die Lade ihnen irgendwie nützen, wenn nicht Jehova der Heerscharen, der Gott der Schlachtreihen Israels, sie begleitete: Unmöglich!
Und: Er war nicht mehr in ihrer Mitte. Sie hatten Ihn durch ihre ungerichtete Sünde betrübt und vertrieben; und kein gottesdienstliches Gerät, keine noch so feierliche Zeremonie konnte an Seine Stelle treten.
20. V. Israel meinte indes, die Lade würde alles für sie ausrichten; und groß war die Freude im Lager, als die Bundeslade erschien, begleitet nicht von Jehova, sondern von den. bösen Priestern Hophni und Pinehas. „Und es geschah, als die Lade des Bundes Jehovas ins Lager kam, da jauchzte ganz Israel mit großem Jauchzen, daß die Erde erdröhnte“ (V. 5). In der Tat, diese lärmende Freude war geeignet, einen tiefen Eindruck auf die Beschauer zu machen; aber ach, es war nichts als leerer Schein, nichts als eine hohle Form. Israels Jauchzen war ebenso grandios wie unzeitig und ungeziemend. Wahrlich, sie hätten etwas anderes tun sollen, als ein solch leeres, eitles Gepränge zu machen. Aber ihr Triumphgeschrei stand in trauriger Übereinstimmung mit ihrem niedrigen Zustand in den Augen Gottes. Denn immer wieder wird man die Erfahrung machen, daß solche, die sich selbst am wenigsten kennen, in anmaßendster Weise von sich reden und das erhabenste Bekenntnis im Munde führen. Der Pharisäer im Evangelium schaute mit stolzer Verachtung auf die Zöllner herab; er bildete sich ein, sehr hoch zu stehen, während er dem Zöllner einen gar niedrigen Platz anwies; doch wie ganz anders waren Gottes Gedanken über diese beiden Männer! Ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz ist die Wohnstätte Gottes, und Er weiß ein solches Herz aufzurichten und zu trösten, wie niemand anders es kann.
21. V. Die Menschen dieser Welt jedoch werden stolzen Anmaßungen stets viel Wert und Wichtigkeit beimessen. Sie lieben sie, und räumen im, allgemeinen denen, die da vorgeben, etwas zu sein, einen hohen Platz ein, während sie den wirklich demütigen Mann noch tiefer herabzusetzen suchen. So legten auch in der höchst belehrenden Szene in unserem Kapitel die Philister dem Jauchzen und Triumphieren der Männer von Israel eine hohe Bedeutung bei. Es glich ihnen selbst, und darum konnten sie es auch verstehen und ihm Wert beimessen. „Und die Philister hörten den Schall des Jauchzens und sprachen: Was bedeutet der Schall dieses großen Jauchzens im Lager der Plebräer? Und sie erkannten, daß die Lade Jehovas ins Lager gekommen war. Da fürchteten sich die Philister, denn sie sprachen: Gott ist ins Lager gekommen“ (V. 6. 7)! Sie dachten natürlich, daß das Triumphgeschrei wirklich begründet sei. Sie sahen nicht unter die Oberfläche; sie wußten nicht, was ein verunreinigtes Priestertum, ein verachtetes Opfer und ein entweihter Tempel bedeuteten. Sie schauten nur auf das sichtbare Zeichen der Gegenwart und meinten, daß Gottes Macht dasselbe begleite. Daher ihre Furcht. Sie wußten nicht und konnten es nicht wissen, daß ihre Furcht gerade so unbegründet war wie das Jauchzen Israels. „Fasset Mut“, sagten sie, „und seid Männer, ihr Philister, daß ihr nicht den Hebräern dienen müsset, wie sie euch gedient haben; so seid denn Männer und streitet!“ Hierin lag die einzige Hilfsquelle für die Philister: „Seid Männer!“ Israel konnte nicht so reden. Wenn die Sünde sie verhinderte, die göttlichen Hilfsquellen sich in ihren Umständen zu nutze zu machen, so waren sie schwächer als andere Menschen. Israels einzige Hoffnung lag in Gott; und wenn Gott nicht mit ihnen war, wenn es sich um einen bloßen Kampf zwischen Mensch und Mensch handelte, dann war ein Israelit einem Philister nicht gewachsen. Dies bewahrheitete sich bei der vorliegenden Gelegenheit in schlagender Weise. „Und die Philister stritten, und Israel wurde geschlagen.“ Sie wurden vollständig besiegt, die Herrlichkeit wich von ihnen, die Bundeslade wurde genommen, und ihr Triumphgeschrei verwandelte sich in Jammern und Wehklagen. Ihr Teil war Niederlage und Schande, und der greise Eli, den wir als den Stellvertreter des damals bestehenden Systems betrachten können, fiel mit demselben und wurde unter seinen Trümmern begraben.
22. V. Die Kapitel 5 und 6 umfassen den Zeitabschnitt, während dessen „Ikabod“ (Nicht-Herrlichkeit) auf das Volk Israel geschrieben war. Während dieser Zeit trat Gott nicht öffentlich für Sein Volk ein, und die Lade Seiner Gegenwart wandert« von Stadt zu Stadt unter den Unbeschnittenen. „Und die Philister hatten die Lade Gottes genommen und brachten sie von Eben-Eser nach Asdod. Und die Philister nahmen die Lade Gottes und brachten sie in das Haus Dagons und stellten sie neben Dagon.“ Trauriges und demütigendes Ergebnis der Untreue Israels! Mit welch sorgloser Hand und treulosem Herzen mußte es die Bundeslade bewahrt haben, daß sie jemals eine Stätte in dem Götzentempel der Philister finden konnte! Wahrlich, Israel hatte schwer gefehlt; es hatte alles seinen Händen entgehen lassen, ja, es hatte das Heiligste aufgegeben, sodaß es von den Unbeschnittenen entweiht werden konnte.
23. V. Nach den Gedanken der Philister war das Haus Dagons heilig genug für die Lade Jehovas, deren Platz im Allerheiligsten sein sollte. Der Schatten Dagons trat an die Stelle der Strahlen der göttlichen Herrlichkeit. Aber Gott dachte anders als die Fürsten der Philister. Mochten auch die Israeliten sich treulos erwiesen haben, und die Philister in vermessenem Übermut den Gott Israels ihrem Götzen Dagon gleichstellen, so konnte Gott doch nicht anders, als Sich Selbst und Seiner Herrlichkeit treu bleiben, und Dagon mußte auf sein Angesicht fallen vor der Lade Seiner Gegenwart. „Und als die Asdoditer am anderen Tage früh aufstanden, siehe, da lag Dagon auf seinem Angesicht auf der Erde vor der Lade Jehovas; und sie nahmen Dagon und stellten ihn wieder an seinen Ort. Und als sie am anderen Tage des morgens früh aufstanden, siehe, da lag Dagon auf seinem Angesicht auf der Erde vor der Lade Jehovas; und zwar lagen das Haupt Dagons und seine beiden Hände abgehauen auf der Schwelle, nur der Fischrumpf war an ihm übriggeblieben.“
24. V. Es ließe sich kaum etwas Niederdrückenderes oder Demütigenderes denken als der Zustand der Dinge, wie er damals in Israel vorlag. Die Bundeslade war aus ihrer Mitte weggeführt, sie selbst hatten sich vor den Augen der umwohnenden Völker als unfähig erwiesen, Gottes Zeugen hienieden zu sein, und die Feinde der Wahrheit triumphierten; „die Bundeslade war im Hause Dagons“. Es ist in der Tat ein schrecklicher Zustand, von seiten der Menschen aus betrachtet; aber Gott sei Dank! es gab auch noch eine andere Seite. Zwar hatte Israel sich schwer versündigt und den Feinden erlaubt, seine Ehre in den Staub zu treten; alles war ihm genommen; aber Einer blieb, trotz aller Fehler und Untreue, und dieser Eine stand über allem und konnte in unumschränkter Gnade und Macht handeln. Welch eine Quelle des Trostes für jedes treue Herz, das sich noch in der Mitte' des abtrünnigen Volkes befand! Ja, Gott blieb treu, und Er offenbarte Sich in wunderbarer Macht und Herrlichkeit. Wenn Israel es unterließ, für die Wahrheit Gottes zu streiten, so mußte Er Selbst auf den Schauplatz treten; und Er tat es. Die Fürsten der Philister hatten Israel besiegt, aber die Götter der Philister mußten auf ihr Angesicht niederfallen vor derselben Lade, welche einst die Wasser des Jordan zurückgetrieben hatte. In der Stille und Einsamkeit des Hauses Dagons, wo kein Auge es sah und kein Ohr es hörte, trat der Gott Israels zur Aufrechterhaltung jener großen Grundsätze der Wahrheit ein, welche Israel so schmählich aufgegeben hatte. Dagon fiel und verkündigte in seinem Falle laut die Ehre des Gottes Israels. Die Finsternis jener Stunde gab der göttlichen Herrlichkeit nur eine Gelegenheit, in all ihrem Glanze hervorzustrahlen. Der Schauplatz war so völlig von dem Geschöpf gesäubert, daß der Schöpfer Sich Selbst in Seinem majestätischen Charakter zeigen konnte. So ist es immer. Die Not und Hilflosigkeit des Menschen gibt Gott Gelegenheit, Seine Macht zu zeigen. Die Untreue des Menschen macht Raum für die Entfaltung der Treue Gottes. Die Philister hatten sich stärker erwiesen als die Israeliten; aber Jehova war stärker als Dagon.
25. V. Alles dies ist höchst belehrend und ermunternd in einer Zeit wie der gegenwärtigen, wo das Volk Gottes im allgemeinen so wenig jene innige Hingebung und heilige Absonderung offenbart, welche es kennzeichnen sollten. Wahrlich, wir haben Ursache, dem Herrn für die Gewißheit zu danken, daß Er treu bleibt. „Der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt, die Sein sind; und:
Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!“ Gott wird in den finstersten Zeiten Seine Wahrheit aufrecht halten und ein Zeugnis für sich erwekken, selbst wenn es in dem Hause Dagons sein sollte. Die Christen mögen von den Grundsätzen Gottes abweichen, aber die Grundsätze bleiben dieselben; ihre Reinheit, Kraft und himmlische Schönheit werden in keiner Weise durch die Unbeständigkeit und den Wankelmut untreuer Bekenner beeinträchtigt, und schließlich wird die Wahrheit triumphieren.
26. V. Die Bemühungen der Philister, die Bundeslade bei sich zu behalten, erwiesen sich als völlig nutzlos. Sie konnten nicht Dagon und Jehova beieinander wohnen lassen. Ein jeder solcher Versuch ist böse, ja lästerlich. „Welche Gemeinschaft hat Licht mit Finsternis? und welche Übereinstimmung Christus mit Belial“ (2Kor 6)? Keine irgendwelcher Art! Der Maßstab Gottes kann niemals herabgestimmt werden, um so allmählich den Grundsätzen, welche die Menschen dieser Welt regieren, sich anzupassen. Jeder Versuch, Christum mit der einen und die Welt mit der anderen Hand festzuhalten, muß in Verwirrung und Beschämung enden. Und doch, wie manche machen diesen Versuch! Wie viele gibt es, die sich unaufhörlich mit der Frage zu beschäftigen scheinen, wieviel sie von der Welt behalten können, ohne den Namen und die Vorrechte eines Christen völlig aufgeben zu müssen! Das ist ein tödliches Übel, eine schreckliche und verhängnisvolle Schlinge Satans; ja, es ist im Grunde nichts anderes als Selbstsucht in ihrer entwickeltsten Form. Es ist traurig genug, wenn Mensehen in der Gesetzlosigkeit und dem Verderben ihrer Herzen wandeln; aber den eigenen Willen und die Begierden der Natur mit dem heiligen Namen Christi verbinden, ist der Gipfelpunkt der Bosheit. „So spricht Jehova der Heerscharen, der Gott Israels: Machet gut eure Wege und eure Handlungen . . . Siehe, ihr verlasset euch auf Worte der Lüge, die nichts nützen. Wie? stehlen, morden und Ehebruch treiben und falsch schwören, und dem Baal räuchern und anderen Göttern nachwandeln, die ihr nicht kennet! und dann kommet ihr und tretet vor mein Angesicht in diesem Hause, welches nach meinem Namen genannt ist, und sprechet: Wir sind errettet, — damit ihr alle diese Greuel verübet“ (Jer 7,3-10)! Auch wird uns als einer der besonderen Charakterzüge der letzten Tage angegeben, daß die Menschen „eine Form der Gottseligkeit haben, ihre Kraft aber verleugnen werden“. Die äußere Form gefällt dem Menschen, weil sie dazu dient, das Gewissen zu beruhigen, während das arme, begehrliche Herz die Welt und ihre Freuden genießt. Welch ein Betrug! Wie nötig ist daher die Ermahnung des Apostels: „von diesen wende dich weg!“ Satans Meisterstück ist die Vermengung des anscheinend Christlichen mit dem Unheiligen; er betrügt und verführt hierdurch weit mehr Seelen als durch offenbare Sünden und Laster, und es ist weit mehr geistliches Verständnis nötig, um dieses Übel in seinen schrecklichen Folgen zu entdecken. Der Herr gebe uns ein solches Verständnis!
27. V. Wir kommen jetzt zu der glücklichen Wiederherstellung Israels in Verbindung mit dem Dienst des „treuen Priesters“. Das Volk hatte unter der Zulassung Gottes manchen Tag über die Abwesenheit der Bundeslade trauern müssen; ihr Geist welkte hin unter dem ausdörrenden Einfluß des Götzendienstes, aber endlich begannen ihre Zuneigungen sich wieder Jehova zuzuwenden. Wir lesen: „Und das ganze Haus Israel wehklagte Jehova nach“ (1Sam 7. 2). Die Lade war zurückgekehrt, aber zwanzig Jahre lang blieb sie in dem Hause Abinadabs zu Kirjath-Jearim. Dann erst kam es den Israeliten zum Bewußtsein, wieviel sie durch ihre Untreue verloren hatten.
Aber gerade dieses geistliche Aufwachen zeigte, wie weit sie abgeirrt und wie tief sie gesunken waren. So wird es immer sein. Ehe Jakob von alters berufen wurde, aus den Befleckungen Sichems heraus nach Bethel hinaufzuziehen, hatte er wenig Verständnis darüber, wie tief er mit seiner Famüie bereits in die Netze des Götzendienstes geraten war. Aber der Ruf: „Ziehe hinauf nach Bethel!“ weckte sein schlafendes Gewissen auf, öffnete sein Auge und rief die geziemenden Gefühle in seinem Innern wach. „Jakob sprach zu seinem Hause und zu allen, die bei ihm waren: „Tut die fremden Götter hinweg, die in eurer Mitte sind, und reinigt euch, und wechselt eure Kleider“ (1. Mose 35,2). Die bloße Erinnerung an Bethel übte einen belebenden, erweckenden Einfluß aus und zeigte Jakob mit einem Schlage den Zustand seines Hauses in Sichern. Und nachdem er selbst wieder aufgewacht war, vermochte er auch andere auf den richtigen Weg zurückzuführen.
28. V. Gerade so ist es mit den Nachkommen Jakobs in unserem Kapitel. „Samuel sprach zu dem ganzen Hause Israel und sagte: Wenn ihr mit eurem ganzen Herzen zu Jehova umkehret, so tut die fremden Götter und die Astaroth aus eurer Mitte hinweg, und richtet euer Herz auf Jehova und dienet Ihm allein; und Er wird euch aus der Hand der Philister erretten“ (V. 3). Aus diesen Worten geht hervor, welch eine abschüssige Bahn Israel in Verbindung mit dem treulosen Hause Elis verfolgt hatte. Der erste Schritt zum Bösen in religiöser Beziehung besteht darin, das Wesen der Wahrheit aufzugeben und auf eine äußere Form Vertrauen zu setzen — auf eine Form ohne Leben, ohne Gott, ja, unter Aufgebung aller jener Grundsätze, welche die Form schätzenswert machen. Der zweite Schritt ist: selbst diese Form des wahren Gottesdienstes aufzugeben und sich ein Götzenbild zu machen. Den ersten Schritt hatte Israel längst getan; darum hatten sie gesagt: „Laßt uns von Silo die Lade des Bundes Jehovas zu uns holen, daß s ie in unsere Mitte komme und uns rette aus der Hand unserer Feinde“. Dem ersten Schritt war der zweite bald gefolgt, sodaß Somuel sie auffordern mußte: „Tut die fremden Götter und die Astaroth aus eurer Mitte hinweg“.
29. V. Mein Leser! liegt nicht in allem diesem eine ernste Mahnung für die bekennende Kirche von heute? Unsere Zeit wird in hervorragender Weise durch eine Form der Gottseligkeit ohne wahres Leben und innere Kraft gekennzeichnet. Der Geist eines kalten, herz- und gefühllosen Formenwesens macht sich immer mehr geltend; die wahren Gläubigen scharen sich zusammen, und das Übrige versinkt in die totenähnliche Ruhe eines leeren Bekenntnisses oder in den Fanatismus einer falschen Religion.
30. V. Das Verhalten Israels im vorliegenden Kapitel steht indes in völligem Gegensatz zu ihrem früheren Tun. „Und Samuel sprach: Versammelt ganz Israel nach Mizpa, und ich will Jehova für euch bitten. Und sie versammelten sich nach Mizpa, und schöpften Wasser und gossen es aus vor Jehova; und sie fasteten an selbigem Tage und sprachen daselbst: Wir haben gegen Jehova gesündigt!“ Hier begegnen wir in der Tat einem echten, wirklichen Werke, und wir dürfen wohl sagen: Gott ist hier. Von einem Vertrauen auf ein bloßes Symbol oder eine leblose Form ist keine Rede mehr; auch findet sich keine leere Anmaßung, kein eitles Jauchzen und grundloses Rühmen — nein, alles ist tiefe, ernste Wirklichkeit. Das Ausgießen des Wassers, das Fasten, das Bekennen, das Rufen zum Herrn — alles redet von der mächtigen Veränderung, welche in dem inneren Zustande Israels vorgegangen war. Sie nahmen jetzt ihre Zuflucht zu dem treuen Priester, imd durch ihn zu Jehova Selbst. Sie redeten nicht mehr davon, die Bundeslade herbeizuholen, sondern sprachen zu Samuel: „Laß nicht ab, für uns zu Jehova, unserem Gott, zu schreien, daß E r uns von der Hand der Philister rette! Und Samuel nahm ein Milchlamm und opferte es ganz als Brandopfer dem Jehova; und Samuel schrie zu Jehova für Israel, und Jehova erhörte ihn.“ Endlich hatte Israel die wahre Quelle seiner Kraft wiedergefunden: die Götzen waren aus seiner Mitte hinweggetan, und es schrie zu Jehova, seinem Gott. Das ausgegossene Wasser war ein Zeichen seiner Buße und Zerknirschung (vergl. 2Sam 14,14); das Müchlamm, welches als Brandopfer Jehova dargebracht wurde, ein Zeichen (obwohl ein schwaches Zeichen) seiner wiederhergestellten Gemeinschaft mit Gott. Infolge dieses Bekenntnisses und der Opferung des Lammes gewannen ihre Umstände sofort ein anderes Aussehen. Wir stehen bei dieser Gelegenheit an einem Wendepunkt in der Geschichte des Volkes.
31. V. Doch wenn Israel sich versammelt, selbst wenn Demütigung und Selbstgericht der Zweck ihres Zusammenkommens ist, offenbart der Feind sofort seinen Widerstand. Er kann nicht ertragen, daß das Volk Gottes eine Stellung einnehme, welche Jehova als den alleinigen Gott anerkennt. So lange es den Götzen dient, läßt er es in Ruhe; sobald es aber zu Jehova umkehrt, zeigt sich seine Feindschaft. „Und die Philister hörten, daß die Kinder Israel sich nach Mizpa versammelt hatten, und die Fürsten der Philister zogen wider Israel herauf.“ Diese Fürsten handelten unbewußt als Werkzeuge Satans. Sie selbst waren ohne Zweifel völlig unwissend über das, was zwischen Jehova und Seinem Volke vorging. Da sie kein Triumphgeschrei hörten, wie ehedem, mögen sie wohl gedacht haben, daß Israel sich in einem noch armseligeren Zustande befinde, als je zuvor. Da war kein Jauchzen unter dem Volke, daß die Erde erdröhnte, wie in Kap. 4; statt dessen ging im Stillen ein Werk vor sich, welches das Auge eines Philisters nicht sehen, und von welchem das Herz eines Philisters keine Ahnung haben konnte. Was verstand ein Philister von dem Ausgießen des Wassers vor Jehova oder von dem Opfern eines Milchlammes auf dem Altar Gottes? Nichts. Die Menschen dieser Welt können nur von dem Kenntnis nehmen, was sich dem natürlichen Auge zeigt. Äußerer Glanz und Schimmer, fleischliche Kraft und Größe — das sind Dinge, die von der Welt verstanden und geschätzt werden; aber von den tiefen Erfahrungen einer vor Gott geübten Seele weiß sie nichts. Und doch ist gerade das letztere eine Sache, nach welcher der Christ ernstlich trachten sollte. Eine geübte Seele ist überaus kostbar in den Augen Gottes; Er kann bei einer solchen Seele wohnen zu aller Zeit
1. VI. „Es geschah, während Samuel das Brandopfer opferte, da rückten die Philister heran zum Streit wider Israel. Und Jehova donnerte mit starkem Donner an selbigem Tage über den Philistern und verwirrte sie, und sie wurden vor Israel geschlagen“ (V. 10). Das war das Ergebnis der einfältigen Abhängigkeit von dem Gott der Heerscharen Israels. Wenn Israel seinem Jehova zuließ, für sie zu streiten, so erschien Er mit dem gezückten Schwert in Seiner Hand; aber die Ehre muß auch Ihm allein bleiben. Israels Triumphgeschrei mußte verstummen und einem stillen Warten auf Gott Platz machen, ehe das Rollen des Donners Jehovas gehört werden konnte. Und, mein Leser, wie gesegnet ist es, stille zu sein und Jehova reden zu lassen! Welch eine wunderbare Kraft liegt in Seiner Stimme! eine Kraft, welche Frieden, tiefen Frieden in die Herzen Seines Volkes senkt, aber Schrecken und Entsetzen unter Seinen Feinden verbreitet.
2. VI. In Kapitel 8 kommen wir der Aufrichtung des Königtums in Israel einen bedeutenden Schritt näher. „Und es geschah, als Samuel alt geworden war, da setzte er seine Söhne als Richter ein über Israel . . . Aber seine Söhne wandelten nicht in seinen Wegen; und sie neigten sich dem Gewinne nach und nahmen Geschenke und beugten das Recht.“ Welch ein trauriges Gemälde! Ach! der Mensch ist immer derselbe, wo wir ihn auch erblicken mögen. „Ich weiß, daß nach meinem Abschiede verderbliche Wölfe zu euch hereinkommen werden, die der Herde nicht schonen“ (Apg 20,29). Kaum hatte sich Israel von den Wirkungen des sittenlosen Lebenswandels der Söhne Elis erholt, da mußte es den schrecklichen Einfluß der Habsucht der Söhne Samuels erfahren, und so wurde es auf dem Pfade vorwärts getrieben, welcher in der Verwerfung Jehovas und in der Erhebung Sauls zum König endete. „Als Samuel alt geworden war, setzte er seine Söhne als Richter ein über Israel.“ In der Tat, das war sehr verschieden von der Einsetzung von seiten Gottes. Die Treue Samuels bot keine Gewähr für das Verhalten seiner Söhne. Wir finden dasselbe, wenn wir an die sogenannte apostolische Nachfolge denken. Was für Nachfolger haben wir gesehen! Wie wenig waren sie ihren Vorgängern ähnlich! Paulus konnte sagen: „Ich habe niemandes Süber oder Gold oder Kleidung begehrt“. Können die sogenannten Nachfolger der Apostel dasselbe sagen? Samuel konnte auch sagen: „Hier bin ich, zeuget wider mich vor Jehova und vor Seinem Gesalbten! Wessen Rind habe ich genommen? oder wessen Esel habe ich genommen? oder wen habe ich übervorteilt? wem habe ich Gewalt angetan? oder aus wessen Hand habe ich Lösegeld genommen, daß ich dadurch meine Augen verhüllt hätte“ (Kap. 12, 3)? Aber ach! Samuels Söhne und Nachfolger konnten das nicht sagen; „schmutziger Gewinn“ war die Triebfeder ihres Handelns.
3. VI. Nach der Aussage der Israeliten in unserem Kapitel bot das böse Verhalten der Söhne Samuels die unmittelbare Veranlassung zu der Forderung eines Königs. „Siehe, du bist alt geworden, und deine Söhne wandeln nicht in deinen Wegen; nun setze einen König über uns ein, daß er uns richte, gleich allen Nationen.“ Welch ein beklagenswerter Niedergang! Israel ist bereit, sich auf einen und denselben Boden mit den Völkern um sie her zu stellen, und zwar nur deshalb, weil Samuel alt geworden war und seine Söhne der Habsucht frönten. Der Herr wird ganz und gar ausgeschlossen. An Seine Bereitwilligkeit, sie zu leiten und zu bewahren, dachten sie nicht. Sie vermögen nicht über Samuel und seine Söhne hinauszublicken. Im 7. Kapitel hörten wir nichts von einem König. Dort war Gott alles für Israel, aber hier ist es nicht mehr so. Gott wird ausgeschlossen, und das einzige Begehren ist auf einen König gerichtet. Die traurigen Folgen davon werden wir bald sehen. Nicht Samuel war verworfen, sondern Gott Selbst.
4. VI. Die Kapitel 11—13 schildern den Charakter Sauls und berichten von seiner Salbung und dem Beginn seiner Herrschaft. Saul war in ganz besonderem Sinne der Mann nach dem Herzen des Menschen. Er besaß alles, was das Fleisch wünschen konnte; er war „jung und schön, und kein Mann von den Kindern Israel war schöner als er; von seiner Schulter an aufwärts war er höher als alles Volk“. Welch einen Eindruck mußte seine Erscheinung auf alle machen, die nur auf das Äußere blickten! Aber ach! welch ein Herz lag unter diesem anziehenden Äußern! Sauls ganzes Verhalten ist durch Selbstsucht, Unaufrichtigkeit und Stolz gekennzeichnet, die sich unter dem Mantel einer äußerlichen Demut verbargen. Wenn Saul sich versteckt, so geschieht es nur, um die allgemeine Aufmerksamkeit umsomehr auf sich zu lenken. Ja, bei jeder Gelegenheit erkennen wir in ihm einen Mann von selbstsüchtiger, ungebrochener Gesinnung. Wohl kam der Geist zeitweilig auf ihn, weil er mit einem Amte unter dem Volke Gottes betraut war; aber er suchte in allem sich selbst und benutzte den Namen und die Dinge Gottes nur als die Unterlage, auf welcher er seine eigene Ehre aufbauen konnte. Zwischen Saul in seiner amtlichen Würde und Saul als Mensch besteht ein großer Unterschied. Wohl mochte er zeitweilig mit den Propheten weissagen, weil der Geist Gottes über ihn geraten war; aber niemals hat er die wiedergebärende Kraft des Heiligen Geistes an sich erfahren. Er war ein eigenwilliger, ungläubiger und unaufrichtiger Mann. Die Szene in Gilgal ist durchaus charakteristisch für ihn. Unfähig, auf Gott zu vertrauen und Seine Zeit abzuwarten, unternahm er es selbst, das Brandopfer zu opfern und mußte infolge dessen von Samuels Lippen die ernsten Worte vernehmen: „Du hast töricht gehandelt, du hast nicht beobachtet das Gebot Jehovas, deines Gottes, das Er dir geboten hat; denn jetzt hätte Jehova dein Königtum über Israel bestätigt auf ewig; nun aber wird dein Königtum nicht bestehen. Jehova hat sich einen Mann gesucht nach Seinem Herzen“ (Kap. 13, 13. 14).
5. VI. Das war in der Tat die Summe der Sache, soweit es Saul betraf: „Du hast töricht gehandelt — du hast nicht beobachtet das Gebot Jehovas, deines Gottes — dein Königreich wird nicht bestehen“. Welch ernste Wahrheiten! Saul, der Mann nach dem Herzen des Menschen, wird beiseite gesetzt, um für den Mann nach dem Herzen Gottes Platz zu machen. Den Kindern Israel wurde Gelegenheit genug geboten, um den Charakter des Mannes zu erproben, welchen sie sich erwählt hatten, damit er vor ihnen herziehe und ihre Kriege führe. Das Rohr, auf welches sie sich so gern gestützt hätten, war bereits zerbrochen und sollte bald ihre Hand durchbohren.
6. VI. Im 14. Kapitel wird uns der Gegensatz zwischen menschlichen Auskunftsmitteln und dem einfältigen Vertrauen auf Gott lebendig vor Augen geführt. Saul sitzt unter einem Granatbaum, und sechshundert Mann sind bei ihm — eine leere Entfaltung königlichen Glanzes ohne eine Spur von wirklicher Kraft. Während er dort untätig sitzt, wird sein Sohn Jonathan, in dem Geiste eines ungekünstelten Glaubens, in der Hand Gottes das glückliche Werkzeug zur Befreiung Israels. Das Volk hatte im Unglauben nach einem König verlangt und hatte ohne Zweifel gedacht, unter der Führung eines Mannes wie Saul würde kein Feind vor ihm standhalten können. Aber war es so? Eine einzige Zeile aus dem 13. Kapitel beantwortet diese Frage. Sie lautet: „Und das ganze Volk zitterte hinter ihm her“. Ach! ihr lange ersehnter König war da und zog vor ihnen her, und doch zitterten sie. Warum? Weil Gott nicht mit ihnen war. Wie ganz anders war es einst gewesen, als Josua die Heerscharen Jehovas gegen die mächtigen und zahlreichen Völker Kanaans geführt hatte! Damals gab es Feinde ringsum, aber keiner vermochte den Siegeslauf Israels einzuhalten. Heute war nur ein Volk vor ihnen, und doch erfüllten Angst und Schrecken ihre Seelen. So ist der Mensch. Wahrlich, „es ist besser, auf Jehova zu vertrauen, als zu vertrauen auf Fürsten“. Jonathan erprobte dies in gesegneter Weise. Er trat den Philistern entgegen in der Kraft jenes Wortes: „Für Jehova gibt es kein Hindernis, durch viele zu retten oder durch wenige“. Jehova füllte den ganzen Gesichtskreis seiner Seele aus, und wenn naan Ihn zur Seite hat, so macht es nichts aus, ob „viele oder wenige“ mit uns sind.
7. VI. Und beachten wir die Veränderung, welche in der äußeren Lage Israels vor sich ging, sobald der Glaube unter ihnen zu wirken begann. Das Zittern übertrug sich von den Israeliten auf die Philister: „Und ein Schrecken entstand im Lager, auf dem Felde und unter dem ganzen Volke; die Aufstellung und der Verheerungszug, auch sie erschraken; und das Land erbebte, und es ward zu einem Schrecken Gottes“ (V. 15). Israels Stern war jetzt entschieden im Steigen begriffen, und zwar einfach deshalb, weil einer aus ihrer Mitte nach den Grundsätzen des Glaubens handelte. Jonathan erwartete die Befreiung nicht von seinem Vater Saul, sondern von Jehova; er wußte, daß Jehova ein Kriegsmann war, und auf Ihn stützte er sich an dem Tage der Bedrängnis. Wie schön ist eine solche Abhängigkeit und ein solches Vertrauen! Nichts kommt ihnen gleich. Menschliche Einrichtungen und Hilfsmittel verschwinden, menschliche Hilfsquellen trocknen aus; aber „dis auf Jehova vertrauen, sind gleich dem Berge Zion, der nicht wankt, der ewiglich bleibt“ (Ps 125,1).
8. VI. „Es ward zu einem Schrecken Gottes“; ja, Gott Selbst legte Seinen Schrecken in die Herzen de'r Feinde und gab Israel Freude und Triumph. Jonathans Glaube wurde von Gott auch darin anerkannt, daß diejenigen, welche mit den Philistern gezogen oder aus Furcht vor ihnen von dem Schlachtfelde in die Berge geflohen waren, nunmehr Mut faßten und ebenfalls den Philistern nachsetzten im Streit. So ist es immer. Wir können nicht in der Kraft des Glaubens wandeln, ohne anderen ein Antrieb und eine Ermunterung zu sein; und andererseits ist oft ein furchtsames Herz genügend, um viele schlaff und ängstlich zu machen. Überdies treibt der Unglaube uns stets von dem Schauplatz des Dienstes oder des Kampfes weg, während der Glaube uns gerade dahinführt.
9. VI. Doch wie stand es um Saul bei dieser Gelegenheit? Handelte er in Gemeinschaft mit dem Manne des Glaubens? Ach nein; er war völlig unfähig dazu. Er saß unter dem Granatbaum, aber er vermochte den Herzen der Männer, die ihn zu ihrem Anführer gewählt hatten, keinen Mut einzuflößen; und wenn er es endlich wagte handelnd aufzutreten, so konnte er nur durch seine Übereilung und Torheit den kostbaren Ergebnissen des Glaubens hinderlich sein.
10. VI. In Kapitel 15 finden wir die letzte Probe, auf welche der König nach dem Herzen der Menschen gestellt wurde, und dann seine völlige Beiseitesetzung. „Ziehe hin und schlage. A malek!“ Das war die Probe, welche den Zustand des Herzens Sauls völlig offenbar machte. Wäre er in einer richtigen Stellung vor Gott gewesen, so würde er sein Schwert nicht eher in die Scheide gesteckt haben, als bis die Amalekiter völlig ausgerottet waren. Aber der Ausgang des Kampfes bewies, daß Saul viel zu viel mit Amalek gemein hatte, um den göttlichen Willen voll und ganz ausführen zu können. Was hatte Amalek getan? „So spricht Jehova der Heerscharen: Ich habe angesehen, was Amalek Israel getan, wie er sich ihm in den Weg gestellt hat, als es aus Ägypten heraufzog“ (V. 2). Amalek hatte einst das erste große Hindernis gebildet auf der Reise Israels nach Kanaan; und wir wissen, was heute einen ähnlichen Platz ausfüllt im Blick auf diejenigen, welche aufrichtig dem Herrn nachzufolgen begehren.
11. VI. Wie hätte nun Saul, der sich eben als ein Hindernis in dem Wege des Mannes des Glaubens erwiesen hatte, ja, dessen ganzes Verhalten mit den göttlichen Grundsätzen im Widerspruch stand, — wie hätte er Amalek vernichten können? Unmöglich. „Und Saul und das Volk verschonten Agag und das Beste vom Klein- und Rindvieh“ (V. 9). Recht so. Saul und Agag paßten zu gut zueinander, als daß Saul Kraft gehabt hätte, das Strafgericht Gottes an diesem unversöhnlichen Feinde seines Volkes zu Vollstreckern Und beachten wir hier die Unaufrichtigkeit und Selbstgefälligkeit dieses unglücklichen Mannes: „Und Samuel kam zu Saul; und Saul sprach zu ihm: Gesegnet seiest du von Jehova! Ich habe das Wort Jehovas erfüllt“ (V. 13). Das Wort Jehovas erfüllt? Und doch lebte Agag, der König der Amalekiter, noch, und mit ihm das Beste, vom Vieh! Ach, zu welch eitler Selbsttäuschung kann es bei einem Menschen kommen, der nicht aufrichtig vor Gott wandelt! „Und Samuel sprach: Was ist denn das für ein Blöken von Kleinvieh in meinen Ohren?“ Ernste, erforschende Frage! Vergebens sucht Saul Schutz hinter dem so annehmbar klingenden Vorwand, das Volk habe das Vorzüglichste vom Klein- und Rindvieh verschont, „um es Jehova zu opfern“. Als wenn der Herr ein Opfer annehmen könnte von solchen, die in unmittelbarer Auflehnung gegen Sein Gebot wandeln! Aber wie viele haben seit den Tagen Sauls den Versuch gemacht, einen ungehorsamen Geist mit dem schönen Mantel eines „Opfers für Jehova“ zu bedecken! Die Antwort Samuels läßt die ganze Armseligkeit einer solchen Ausflucht ans Licht treten. „Und Samuel sprach zu Saul: Hat Jehova Lust an Brandopfern und Schlachtopfern, wie daran, daß man der Stimme Jehovas gehorcht? Siehe, Gehorchen ist besser als Schlachtopfer, Aufmerken besser als das Fett der Widder. Denn wie Sünde der Wahrsagerei ist Widerspenstigkeit, und der Eigenwille wie Abgötterei und Götzendienst“ (V. 22. 23). Es macht nichts aus, wie kostbar das Opfer ist; eine einzige Handlung des Gehorsams ist unendlich kostbarer als das reichste Opfer. Der Herr sucht nicht Opfer, sondern Gehorsam; ein unterwürfiges Herz und ein williger Geist verherrlichen Ihn mehr, als das Vieh von tausend Bergen.
12. VI. Wie nötig ist es, uns diesen ernsten Grundsatz immer wieder ins Gedächtnis zu rufen! „Gehorchen ist besser als Schlachtopfer.“ Es ist weit besser, den eigenen Willen unter Gott zu beugen und einfältig seinem Worte zu folgen, als die kostbarsten Opfer auf Seinen Altar zu legen. Wenn der Wille unterworfen ist, wird alles andere von selbst an seinen richtigen Platz kommen; aber von Opfern zu reden, während das Herz sich in Auflehnung gegen Gott befindet, ist nichts als Täuschung. Gott schaut nicht auf die Größe des Opfers, sondern auf den Geist, aus welchem es hervorgeht.
Möchten doch alle, welche diese Zeilen lesen, danach trachten, den
Segen eines Gott völlig unterworfenen Willens kennen zu lernen! Denn nur
so werden sie jene selige Ruhe finden, welche der sanftmütige und von
Herzen demütige Jesus einst allen denen verhieß, die Sein Joch auf sich
nehmen und von Ihm lernen würden, — die Ruhe, welche Er selbst darin
fand, daß Er sagen konnte: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und
der Erde . . . denn also war es wohlgefällig vor dir“ (
13. VI. Der Schluß unseres Kapitels zeigt nur zu deutlich, worauf Sauls Gedanken und Wünsche gerichtet waren. Er erscheint hier in seinem wahren Licht. Er hatte die ernsten Worte Samuels gehört und die Anklagen Gottes gegen sich vernommen, welche mit dem feierlichen Urteil schlossen: „Weil du das Wort Jehovas verworfen hast, so hat Er dich verworfen, daß du nicht mehr König seiest . . . Jehova hat heute das Königtum Israels von dir abgerissen und es deinem Nächsten gegeben, der besser ist als du“ (V. 23. 28). Diese niederschmetternden Worte hatten sein Ohr erreicht; aber er war so voll von seinem eigenen Ich, so verblendet von eitler, törichter Ehrsucht, daß er in diesem ernsten Augenblick fähig war zu sagen: „Nun ehre mich doch vor den Ältesten meines Volkes und vor Israel, und kehre mit mir um!“ Ja, das war Saul. „Das Volk“, hatte er gesagt, „hat von der Beute genommen.“ Das Volk trug Schuld an dem Geschehenen, nicht er, der König und Anführer. Mochte er auch sagen: „Ich habe gesündigt“, so war das doch ein eitles, leeres Bekenntnis und wohl nur darauf berechnet, Samuel zur Umkehr mit ihm zu bewegen. „Ehre mich doch vor den Ältesten meines Volkes und vor Israel!“ Ach, welch eine Torheit! Ein Herz, beladen mit Ungerechtigkeit, verlangt nach Ehrung vor den Augen der Mitmenschen. Von Gott verworfen als der Träger der königlichen Würde, klammert er sich an die Möglichkeit, von den Menschen seine Ehre und sein Ansehen noch ein wenig aufrecht halten zu können. Ihm lag wenig daran, was Gott von ihm dachte, wenn er nur in den Augen des Volkes seinen geehrten Platz behielt. Aber er wurde von Gott verworfen, und das Königtum wurde von ihm abgerissen; auch nutzte es nicht viel, daß Samuel endlich mit ihm umkehrte und dabeistand, als Saul vor Gott anbetete. Diese Anbetung war nur die Erfüllung einer äußeren Form, um so den Einfluß unter dem Volke nicht zu verlieren.
14. VI. „Und Samuel sprach: Bringet Agag, den König der Amalekiter, zu mir her. Und Agag kam lustig zu ihm; und Agag sprach: Fürwahr, die Bitterkeit des Todes ist gewichen! Aber Samuel sprach: Wie dein Schwert Weiber kinderlos gemacht hat, so sei kinderlos unter Weibern deine Mutter! Und Samuel hieb Agag in Stücke vor Jehova zu Gilgal“ (V. 32. 33). Wie bemerkenswert ist es, daß dies gerade in Gilgal geschah! Gilgal war der Ort, wo die Schande Ägyptens von Israel abgewälzt worden war, und wenn wir die Geschichte des Volkes verfolgen, so finden wir in Verbindung mit Gilgal immer eine besondere Kraft dem Bösen gegenüber. Hier nun fand jener Amalekiter sein Ende durch die Hand des gerechten Samuel. Das ist höchst belehrend. Wenn die Seele in dem Bewußtsein steht, völlig von Ägypten befreit zu sein infolge des Todes und der Auferstehung, so ist sie in der passenden Lage, das Böse besiegen zu können. Hätte Saul etwas von der Bedeutung und den Grundsätzen Gilgals verstanden, so würde er Agag nicht verschont haben. Aber er verstand nichts davon. Er war völlig bereit, nach Gilgal zu gehen, „um das Königtum zu erneuern“, aber keineswegs bereit, das, was von dem Fleische war, hinwegzutun und zu vernichten. Samuel aber handelte mit Agag in der Kraft des Geistes Gottes, nach den Grundsätzen der Wahrheit und nach den Gedanken Gottes. Denn es steht geschrieben: „Die Hand ist am Throne Jahs: Krieg hat Jehova wider Amalek von Geschlecht zu Geschlecht“ (2. Mose 17,16; vergl. 5. Mose 25,17-19). Der König von Israel hätte das wissen sollen; aber sein Herz war gefühllos und sein Auge verfinstert.
1 17. V. Ich brauche kaum zu sagen, daß dies nichts mit der ewigen Beständigkeit der göttlichen Gnade oder mit der vollkommenen Annahme des Gläubigen in Christo zu tun hat. Christus ist das Leben und die Gerechtigkeit des Gläubigen, und deshalb kann der Grund seines Friedens nie angetastet werden. Gott Selbst hat diesen Frieden auf einer unerschütterlichen Grundlage errichtet, und ehe dieser angegriffen werden kann, müßte die Tatsache der Auferstehung Christi in Zweifel gezogen werden; denn offenbar könnte Christus nicht da sein, wo Er ist, wenn nicht der Friede zwischen Gott und dem Gläubigen vollkommen gemacht wäre. Der Gläubige besitzt einen vollkommenen Frieden. Warum? Weil er weiß, daß er vollkommen gerechtfertigt ist. Und woher weiß er das? Weil er durch den Glauben an das Wort Gottes weiß, daß eine vollkommene Sühnung für ihn geschehen ist. Das ist die göttliche Ordnung: ein vollkommenes Versöhnungswerk ist die Grundlage meiner vollkommenen Rechtfertigung; und meine vollkommene Rechtfertigung ist die Grundlage meines vollkommenen Friedens. Gott hat diese drei Dinge unauflöslich miteinander verbunden, und das ungläubige Herz des Menschen bemüht sich vergebens, sie auseinander zu reißen.
Aber so wahr das alles ist, kann der Gläubige doch sehr leicht den Genuß dieser kostbaren Dinge verlieren, und er wird es tun, sobald er in seiner Wachsamkeit nachläßt oder ungehorsam ist. Wenn mein Kind trotz meines Verbotes ans Feuer geht, wird es sich verbrennen und sich vielleicht heftige Schmerzen zuziehen. Nichtsdestoweniger ist und bleibt es mein Kind, so sehr mich sein Verhalten auch betrübt.
Die Worte des Apostels sind so umfassend wie möglich: „Was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten“. Er redet nicht von „bekehrt“ oder „unbekehrt“; die Stelle bezieht sich auf a l le ohne Ausnahme und Unterschied.↩︎