Charles Henry Mackintosh
Schriften von Charles Henry Mackintosh
1 Sa 22 - Kapitel 3 - Die Höhle Adullam1 Sa 22 - Kapitel 3 - Die Höhle Adullam
25. VII. Nach dem siegreichen Kampfe im Terebinthental kehrte David in das Haus Sauls zurück, wo als einzige Antwort auf die besänftigenden Töne seiner Harfe und die herrlichen Taten seiner Schleuder und seines Schwertes neidische Blicke und unaufhörliche Angriffe auf sein Leben seiner warteten. Saul verdankte die Fortdauer seines Königtums nächst Gott dem David, und er wußte dies; aber zum Dank dafür warf er mit seinem Speere nach ihm. Doch der Herr in Seiner Gnade behütete Seinen geliebten Knecht inmitten all der Schwierigkeiten seiner keineswegs leichten Stellung. „Und es gelang David auf allen seinen Wegen, und Jehova war mit ihm. Und als Saul sah, daß es ihm wohl gelang, scheute er sich vor ihm. Aber ganz Israel und Juda hatten David lieb, denn er zog aus und ein vor ihnen her“ (1Sam 18,14-16).
26. VII. So mußte denn David, während er schon der gesalbte König Israels war, den Haß und die Nachstellungen der regierenden Macht erdulden, obgleich er von allen, die seinen Wert zu erkennen vermochten, geliebt wurde. Es war unmöglich, daß Saul und David lange beieinander wohnen konnten. Sie waren Männer von so völlig entgegengesetzten Grundsätzen, daß eine Trennung notwendig erfolgen mußte. David wußte, daß er der gesalbte König war, aber da Saul noch auf dem Throne saß, war er völlig bereit, Gottes Zeit abzuwarten. Bis dahin leitete ihn der Geist Christi, seinen Platz außerhalb des Glanzes des königlichen Palastes einzunehmen. Der Pfad eines Fremdlings und Pilgrims, eines heimatlosen Wanderers, lag vor ihm und er betrat ihn, ohne sich einen Augenblick zu weigern. Sein Weg zu dem Throne führte durch mancherlei Kümmernisse und Schwierigkeiten. Gleich seinem hochgelobten Meister und Gegenbilde, wurde er zuerst zum Leiden und dann erst zur Herrlichkeit berufen.
27. VII. David würde Saul ohne Zweifel bis zum Ende hin willig gedient haben; wenn dieser ihn nicht aus seinem Hause vertrieben hätte; denn er ehrte in ihm den Gesalbten Jehovas. Und wenn es seinerseits nur des Rührens eines Fingers bedurft hätte, um Saul zu stürzen und sich auf den Thron zu setzen, so würde er doch nimmermehr Vorteil daraus gezogen haben. Wir ersehen dies aufs deutlichste aus der Tatsache, daß er zweimal das Leben Sauls schonte, als allem Anschein nach der Herr Selbst ihn in seine Hände gegeben hatte. David wartete einfältig auf Gott. Hierin lag das Geheimnis seiner Kraft und seiner Erhabenheit über alle menschlichen Beweggründe und Leidenschaften. Er konnte sagen: „Nur auf Gott vertraue still meine Seele! denn von Ihm kommt meine Erwartung“ (Ps 62,5). Auf diesem Wege wurde David sicher und glücklich durch alle Gefahren und Fallstricke hindurchgeführt. Der Herr erlöste ihn von allem bösen Werk und bewahrte ihn für das Reich, welches Er für ihn bereitet hatte, und in welchem er nach dem göttlichen Ratschluß herrschen sollte, „nachdem er zuvor eine kleine Weile gelitten hatte“.
28. VII. David verließ nur für einen Augenblick den Ort der verborgenen Erziehung seitens des Herrn, um sein Werk auf dem Schlachtfelde zu tun, und dann mußte er sofort wieder seinen Platz auf der Bank einnehmen, um in der Schule Christi noch einige schwerere und tiefere Lektionen zu lernen. Die Unterweisungen des Herrn sind oft schmerzlich und schwierig wegen der Verkehrtheit und Trägheit unserer Herzen; aber jede neue Lektion, die wir lernen, macht uns passender und geschickter für alles das, was vor uns liegt. Es ist in der Tat gesegnet, ein Schüler Christi zu sein und sich Seiner gnädigen Zucht und Erziehung zu überlassen. Der Ausgang wird stets beweisen, wie gut ein solcher Platz ist. Aber wir brauchen nicht einmal auf den Ausgang zu warten; schon inmitten der Schwierigkeit oder der Trübsal erfährt die Seele, wie selig es ist,' in allen Dingen dem Meister unterwürfig zu sein, „Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht“ (Mt 11,28-30). Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, daß in der Schrift von drei Arten von Ruhe die Rede ist: 1. von der Ruhe, welche wir als Sünder in dem vollbrachten Werke Christi finden, von der Ruhe des Gewissens; 2. von der gegenwärtigen Ruhe, der Ruhe des Herzens, die wir als Gläubige in der völligen Unterwerfung unter den Willen Gottes und in der Nachfolge Christi finden; und 3. von der Ruhe, die dem Volke Gottes noch bleibt, der ewigen Sabbathruhe droben.
29. VII. Nun, David kannte und genoß viel von dem Segen dieser zweiten Art von Ruhe, indem er den Ratschlüssen und dem Willen Gottes bezüglich seiner Person völlig unterworfen war. Wie begehrenswert ist ein solcher Geist demütiger Unterwürfigkeit! Er bewahrt das Herz vor allem ruhelosen und ängstlichen Sorgen. Wenn man in der tiefen, aufrichtigen Überzeugung einhergeht, daß „alles zum Guten mitwirken muß“, so ist der Geist ruhig und das Herz still. Man überlegt und plant nicht, da man weiß, daß Gott alle Fäden in Seiner Hand hält und nach Seiner Liebe und Weisheit für uns plant. Aber ach! wie oft steht es anders mit uns! Wie oft bilden wir uns ein, die Dinge besser ordnen zu können als Gott! Wir sagen das vielleicht nicht, aber wir handeln so, als wenn es so wäre. In Bezug auf das kommende Reich unseres Herrn und Heilandes sollten die Jünger bitten: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden!“ Diese Bitte wird ihre Erfüllung finden im Tausendjährigen Reiche; der Wille des Geschöpfes wird dann in den Willen Gottes aufgehen. Aber wir sind berufen, uns jetzt schon durch den Willen Gottes leiten zu lassen in allen Dingen.
30. VII. Diese Unterwürfigkeit des Herzens brachte David dahin, seine Rechte als gesalbter König nicht geltend zu machen, sondern in der einsamen Höhle Adullam eine Zufluchtsstätte vor dem Grimme Sauls zu suchen. Er überließ Saul, das Königtum, samt allen seinen eigenen Plänen und Aussichten, den Händen Gottes, in der vollen Gewißheit, daß alles zu einem guten Ende kommen müsse. Und welch eine Erleichterung für ihn, die ungesunde Luft des Hauses Sauls nicht länger einatmen zu müssen und den neidischen Blicken des Königs entronnen zu sein! Er konnte in der Höhle Adullam, so elend und jämmerlich sie den Menschen erscheinen mochte, freier atmen als in dem königlichen Palaste. So ist es stets; der Platz der Absonderung ist der freieste und glücklichste. Der Geist des Herrn war von Saul gewichen; das war die Bürgschaft für den Glauben, daß es an der Zeit war, sich von seiner Person abzusondern, während Sauls Macht als König Israels nach wie vor rückhaltlos anerkannt wurde. Dem einsichtsvollen Leser wird es nicht schwerfallen, diese beiden Dinge voneinander zu unterscheiden. Die Absonderung und die Unterwerfung sollen beide vollständig sein.2)
31. VII. Wir müssen jedoch Saul nicht nur von einem weltlichen, sondern auch von einem religiösen Gesichtspunkt aus betrachten; denn gerade im Blick auf das religiöse Element in seinem Charakter und Verhalten lag die dringendste Notwendigkeit einer entschiedenen und bestimmten Trennung von ihm. Saul hatte von jeher die Neigung geoffenbart, die Gewissen in religiösen Dingen zu beherrschen. Betrachten wir nur den Inhalt von 1Sam 14, wo Saul durch die von ihm aufgestellte Regel jede geistliche Energie hemmte und lahm legte. Nun, wenn eine solche Regel aufgestellt wird, so gibt es für den Treuen keinen anderen Ausweg als Trennung. Wenn eine Form der Gottseligkeit ohne Kraft vorherrscht, so lautet das ernste Gebot des Heiligen Geistes: „Von diesen wende dich weg!“ Der Glaube fragt nicht: „Wohin soll ich mich wenden?“ Nein, er gehorcht einfach dem Worte Gottes und wendet sich ab, und er darf sicher darauf rechnen, daß Gott ihn bezüglich des Weiteren nicht im Unklaren lassen wird.
1. VIII. Dieser Grundsatz wird uns noch in weit hellerem Lichte erscheinen, wenn wir David in seinem vorbildlichen Charakter betrachten. David wurde tatsächlich in die Stellung der Absonderung hineingedrängt, und wir erblicken in ihm, dem vom Menschen Verworfenen, aber von Gott Gesalbten, ein Bild von Christo in Seiner gegenwärtigen Verwerfung. David war, dem Grundsatz nach, Gottes König und erfuhr als solcher die Feindschaft des Menschen, indem er, um dem Tode zu entrinnen, in die Verbannung getrieben wurde. Die Höhle Adullam wurde der Sammelpunkt für alle, welche David liebten und über die ungerechte Regierung Sauls beschwert waren. So lange David im Hause des Königs blieb, trat an niemanden der Ruf heran, sich abzusondern; sobald aber der verworfene David seinen Platz „außerhalb“ eingenommen hatte, konnte niemand mehr neutral bleiben. Wir lesen deshalb auch: „Und es versammelten sich zu ihm jeder Bedrängte, und jeder, der einen Gläubiger hatte, und jeder, der erbitterten Gemütes war, und er wurde ihr Oberster; und es waren bei ihm an vierhundert Mann“ (1Sam 22,2). Die Grenzlinie war jetzt scharf und klar gezogen. David oder Saul, so lautete fortan die Losung. Alle, die eine bloße Form, einen leeren Namen und den eitlen Glanz eines kraftlosen Königtums liebten, blieben bei Saul; alle aber, welche von diesen Dingen nicht befriedigt waren und die Person des von Gott erwählten und von Samuel gesalbten Königs liebten, scharten sich um David in der Höhle. Hier war der Prophet, der Priester und König; hier waren, wenn wir so reden dürfen, die Gedanken und Sympathieen Gottes; und obgleich die hier versammelte Schar nach menschlichem Dafürhalten einen sonderbaren Anblick gewährt haben muß, so war es doch eine Schar, die um David versammelt war und mit seinen Schicksalen in Verbindung stand. Sie war aus Männern zusammengesetzt, die zum größten Teil, was ihren natürlichen Zustand betraf, auf einer tiefen Stufe standen, die aber jetzt Charakter und Auszeichnung durch ihre Nähe und Hingebung der Person des Geliebten gegenüber erlangten. Fern von Saul, fern von allem, was die Zeit seiner Herrschaft kennzeichnete, konnten sie eine ungehinderte Gemeinschaft mit der Person dessen genießen, der augenblicklich, zwar verworfen war, aber binnen kurzem den Thron besteigen und das königliche Szepter zur Verherrlichung Gottes und zur Freude Seines Volkes tragen sollte.
2. VIII. Mein Leser! sieh hier in David und seiner verachteten Schar ein kostbares Bild von dem wahren David und von denen, welche die Gemeinschaft mit Ihm allen Freuden, Ehren und Vorteilen der Erde vorziehen. Was hatten diejenigen, welche das Schicksal Davids zu dem ihren machten, mit den Interessen Sauls gemein? Nicht das Geringste. Sie hatten einen neuen Gegenstand, einen neuen Mittelpunkt gefunden, und die Gemeinschaft mit demselben trennte sie von allem anderen. Auch war ihr Platz bei David in keiner Weise abhängig von dem, was sie früher gewesen waren. In welch einer Stellung sie sich vorher auch befunden haben mochten, sie waren jetzt die Knechte Davids und er war ihr Oberster. Das verlieh ihnen einen ganz neuen Charakter. Sie hatten sich mit dem Verbannten Gottes einsgemacht; seine und ihre Interessen waren die gleichen geworden. Glückliche Leute! Entflohen der Herrschaft und dem Einflüsse Sauls, befanden sie sich in Gemeinschaft mit dem Propheten, Priester und König Gottes. Ihre Bedrängnis, ihre Schuld, ihre Erbitterung — alles war vergessen. Die Gunst Davids war ihr gegenwärtiges Teil, und die Herrlichkeit Davids ihre Hoffnung.
3. VIII. Gerade so sollte es mit den Gläubigen heutigen Tages sein. Wir haben alle, durch die Gnade und die freundlichen Führungen unseres Gottes und Vaters, den Weg zu Jesu gefunden, zu Ihm, dem Gesalbten und Verworfenen und jetzt bei Gott Verborgenen. Wir alle hatten in den Tagen unserer Schuld und Torheit zweifellos unsere besonderen Charakter-Eigentümlichkeiten — die einen waren unzufrieden und erbitterten Gemüts, die anderen bedrängt, alle mit schwerer Schuld beladen, arm und elend, schuldig und verderbt, alles entbehrend, was die Zuneigungen Christi uns hätte zuwenden können. Aber der Gott aller Gnade hat uns zu den Füßen Seines geliebten Sohnes geführt, wo wir Frieden und Vergebung gefunden haben durch Sein kostbares Blut. Jesus hat unsere Unzufriedenheit und Erbitterung entfernt, unserer Bedrängnis ein Ende gemacht, die schwere Schuld bezahlt und uns nahe zu sich gezogen. Was tun wir angesichts all dieser Gnade? Scharen wir uns in herzlicher Liebe und Dankbarkeit um „den Anführer unserer Errettung“? Haben wir uns abgewandt von dem Zustand der Dinge unter Saul? Leben wir wie solche, die mit Verlangen auf den Augenblick warten, da unser David den Thron besteigen wird? Trachten wir nach den Dingen, die droben sind? „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt worden seid“, sagt der Apostel, „so suchet was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnet auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist; denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott. Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart wird, dann werdet auch ihr mit Ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit“ (Kol 3,1-4).
4. VIII. Es ist sehr zu befürchten, daß nur wenige Gläubige die Natur ihrer Stellung, als verbunden mit dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus, wirklich erkennen und die praktischen Folgen daraus ziehen. Nur wenige dringen in die Tiefe der Worte unseres Herrn ein, wenn Er sagt: „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin“; oder der Worte des Geistes durch den Apostel: „Der, welcher heiligt, und die, welche geheiligt werden, sind alle von einem“. Das Maß der Absonderung des Gläubigen von der Welt ist kein geringeres als dasjenige Christi selbst, wenigstens dem Grundsatz nach; in der praktischen Ausführung dieser Absonderung besteht sicher ein großer, großer Unterschied, grundsätzlich aber keiner. Es ist wichtig, dies gerade in unseren Tagen festzuhalten. Die Stellung, die Berufung und Hoffnung der Kirche werden nur unvollkommen verstanden und noch unvollkommener verwirklicht. Der schwächste Gläubige ist nach Gottes Gedanken geradeso von allem zu dieser Welt Gehörenden abgesondert wie Jesus Selbst. Es ist dies nicht eine Sache mühevollen, allmählichen Erringens, sondern eine bestimmte, bedingungslose Stellung; nicht ein Ziel, nach welchem wir zu trachten haben, sondern ein Ausgangspunkt, von welchem aus wir unseren Lauf beginnen müssen. Viele sind durch den Gedanken irrgeleitet worden, daß wir uns durch ein Ablegen und Abschütteln der irdischen Dinge allmählich zu einer himmlischen Stellung emporarbeiten müßten. Das aber heißt am verkehrten Ende beginnen. Es ist derselbe Irrtum, obschon im Blick auf einen anderen Teil der Wahrheit, als wenn man behauptet, wir müßten uns durch das Töten der Sünden des Fleisches zu einem Zustand der Rechtfertigung emporarbeiten. Nun, wir töten nicht „die Glieder, die auf der Erde sind“, u m gerechtfertigt zu werden, sondern weil wir gerechtfertigt, ja gestorben und auferstanden sind mit Christo. Und ebenso legen wir nicht die Dinge dieser Erde beiseite, um himmlisch zu werden, sondern weil wir himmlische Fremdlinge sind. Wir besitzen die himmlische Berufung unabhängig von allem und jedem, und in demselben Maße, wie wir diese Berufung verstehen und verwirklichen, werden wir tatsächlich von der Erde und ihren Dingen abgesondert sein. „Wir sind gestorben, und unser Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott.“ Der Apostel nennt uns „heilige Brüder, Genossen der himmlischen Berufung“. Wir sind „nicht von der Welt“, gleichwie Christus nicht von der Welt ist. Sieh, mein Leser, das ist der Grund, weshalb der Gläubige sich von der Welt abzusondern hat. Dabei macht es nichts aus, ob die Welt gottlos oder religiös ist; er ist nicht von der Welt, obwohl er noch i n 'ihr ist und täglich zu kämpfen und zu lernen hat.
5. VIII. Die himmlische Berufung allein befähigt einen Menschen, seine völige Absonderung von der Welt zu erkennen, und zwar auf Grund dessen, was Christus ist und w o Er ist. Ein durch den Heiligen Geist über die Bedeutung von Heb 2,11 belehrtes Herz kennt das Geheimnis seiner Befreiung von den Grundsätzen, Gewohnheiten und Zielen des gegenwärtigen Zeitlaufs. Der Herr Jesus hat, als Haupt Seines Leibes, Seinen Platz in der Höhe eingenommen, und der Heilige Geist ist herniedergekommen, um alle die zuvorerkannten und zuvorbestimmten Glieder des Leibes in lebendige Gemeinschaft mit dem Haupte zu bringen, welches von der Erde verworfen und in Gott verborgen ist. In dem Evangelium, wie es von Paulus gepredigt wurde, ist daher die Vergebung der Sünden unzertrennlich mit der himmlischen Berufung des Gläubigen verbunden; er verkündigte die Einheit des einen Leibes auf der Erde, dessen Haupt im Himmel ist. Er predigte das Evangelium in all der Fülle, Tiefe und Kraft, welche die Lehre von der Kirche ihm verleiht.
6. VIII. Der Brief an die Epheser belehrt uns nicht nur, daß Gott Sünden vergeben kann, sondern teilt uns auch die wunderbare Tatsache mit, daß die Gläubigen Glieder des Leibes Christi sind. „Denn wir“, sagt der Apostel, „sind Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleisch und Seinen Gebeinen“; und an einer anderen Stelle: „Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, . . . und hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christo.“ Auch lesen wir von Christo, daß Er „die Versammlung geliebt und Sich Selbst für sie hingegeben hat, . . . auf daß Er die Versammlung Sich Selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern daß sie heilig und tadellos sei“. — Gott hat uns nicht nur berufen, um hienieden in dem vollen Bewußtsein der Vergebung unserer Sünden zu wandeln, sondern auch um die Liebe Christi zu Seinem Leibe zu kennen, sowie die hohe und heilige Würde dieses Leibes, der Versammlung, als sitzend in den himmlischen Örtern in Ihm.
7. VIII. Doch der Leser wird fragen: Was hat denn die Höhle Adullam mit dem himmlischen Platze der Versammlung zu tun? Sie steht insofern damit in Verbindung, als sie uns den Platz der Verwerfung zeigt, auf welchem Christus heute steht, und den alle mit Ihm teilen müssen, welche Gemeinschaft mit Ihm haben wollen. Nicht als ob die Männer Davids irgend etwas von der himmlischen Berufung der Gläubigen verstanden hätten. Keineswegs. Aber wir können heute in dem Verhalten und den Umständen mancher hervorragender alttestamentlicher Charaktere Schatten und Vorbilder neutestamentlicher Wahrheiten entdecken, ohne daß die betreffenden Personen eine Ahnung davon. hatten, daß sie solche Vorbilder waren. Die himmlische Berufung, von welcher wir oben geredet haben, war im eigentlichen Sinne nicht eher bekannt, als bis der Herr Seinen Platz zur Rechten Gottes eingenommen hatte und der Heilige Geist herabkam, um Gläubige aus Juden und Heiden zu einem Leibe zu taufen. Sie bildete, wie bemerkt, einen wesentlichen Teil des dem Apostel Paulus anvertrauten Geheimnisses und war schon in der Frage enthalten, welche der Herr auf dem Wege nach Damaskus an den zitternden Säul richtete: „Was verfolgst du mich?“ Saul verfolgte die Jünger Jesu, und nun erschien ihm der Herr in himmlischer Herrlichkeit, um ihm zu sagen, daß diese armen Verfolgten einen Teil von Ihm Selbst bildeten.
8. VIII. Der Leser wolle auch beachten, daß es sich nicht etwa um eine Einführung des Heiden in den jüdischen Schafhof handelte.3) Nein, Jude und Heide wurden vielmehr beide aus ihren natürlichen Umständen herausgenommen und in ganz neue versetzt — neu für beide Teile. Das Werk des Kreuzes war notwendig, um die Zwischenwand der Umzäunung abzubrechen und aus den zweien einen Menschen zu schaffen, einen neuen, himmlischen Menschen, der völlig von der Erde und. ihren Dingen getrennt ist Der Gegenwärtige Platz Christi steht in Verbindung mit der Verwerfung Israels, des irdischen Volkes. Gott hat jetzt kein irdisches Volk mehr (Er wird später wieder mit Israel anknüpfen); dies zeigt uns wiederum deutlich den himmlischen Charakter der Kirche Gottes. Sie hat nichts mit dem gegenwärtigen Zeitlauf zu tun; sie gehört ganz und gar dem Himmel an, obwohl sie berufen ist, auf Erden die Kraft des in ihr wohnenden Heiligen Geistes zu offenbaren.
9. VIII. Gerade so also, wie die Männer Davids durch ihre Vereinigung mit ihm, von aller Verbindung mit Saul und seiner Umgebung abgeschnitten waren, so müssen auch alle, die durch den Geist Gottes ihre Einheit mit dem abwesenden und verworfenen Christus kennen gelernt haben, eben infolge dieser Einheit sich getrennt fühlen von allem Gegenwärtigen und Irdischen. Wenn du daher einen wirklich himmlisch gesinnten Menschen fragst, weshalb er sich nicht mit den Plänen und Zielen des gegenwärtigen Zeitlaufs vermenge, so wird er dir antworten: Weil Christus zur Rechten Gottes weilt und ich mit Ihm einsgemacht bin. Alle, welche die Natur der himmlischen Berufung verstehen, werden in Absonderung von. der Welt wandeln; wer diese Berufung nicht kennt, wird sein Teil hienieden suchen und leben, wie andere Menschen.
Viele Gläubige begnügen sich leider mit dem Bewußtsein der Vergebung, ihrer Sünden und kommen nie weiter. Sie haben vielleicht das Rote Meer durchschritten, aber sie denken nicht daran, auch durch den Jordan zu gehen und von dem Ertrage des Landes der Verheißung zu essen. Gerade so' war es in den Tagen der Verwerfung Davids. Nur ein ganz kleiner Teil des Volkes machte sich mit ihm eins, obwohl alle Israeliten waren. Selbst Jonathan war nicht da; er hing noch dem alten System an. Obgleich er David liebte wie seine eigene Seele, lebte und starb er doch in Gemeinschaft mit Saul. Allerdings wagte er es, zu Zeiten für David einzutreten, ja, er suchte hie und da seine Gesellschaft auf und hatte sich selbst um Davids willen ausgezogen; aber er verband sich nicht mit David. Wenn deshalb die Namen und Taten der Helden Davids durch den Heiligen Geist aufgezählt werden, suchen wir vergeblich nach dem Namen Jonathans; und als später die ergebenen Gefährten des verbannten David um seinen Thron geschart standen und von dem Glanze seiner königlichen Herrlichkeit bestrahlt wurden, lag der arme Jonathan im Staube, unrühmlich gefallen im Kampfe mit den Unbeschnittenen auf dem Gebirge Gilboa.
10. VIII. O möchten doch alle, welche den Herrn Jesum zu lieben bekennen, nach einer entschiedeneren Einsmachung mit Ihm in der gegenwärtigen Zeit Seiner Verwerfung trachten! Die Bürger des Landes haben eine Gesandtschaft hinter Ihm her gesandt mit der Botschaft: „Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche!“ Sollten wir uns nun mit diesen Bürgern verbinden und ihre Christo feindlichen Pläne fördern helfen? Gott bewahre uns davor! Möchten unsere Herzen mit Ihm verbunden und auf Ihn gerichtet sein, da wo Er jetzt ist! Möchten wir mehr von der heiligen Gemeinschaft in der Höhle Adullam kennen, wo der Prophet, Priester und König in der geliebten Person Dessen vor uns steht, der uns geliebt und uns gewaschen hat von allen unseren Sünden in Seinem kostbaren Blute!
11. VIII. Wir können nicht zu gleicher Zeit mit Saul und mit David gehen; wir können nicht Christum und die Welt genießen. Wir müssen unsere Wahl treffen, und der Herr gebe uns Gnade, daß wir das Böse verwerfen und das Gute erwählen, eingedenk der ernsten Worte des Apostels: „Das Wort ist gewiß; denn wenn wir mit gestorben sind, so werden wir auch mitleben; wenn wir ausharren, so werden wir auch mit herrschen; wenn wir verleugnen, so wird auch Er uns verleugnen“ (2Tim 2,11.12)! Jetzt ist die Zeit des Leidens, die Zeit der Trübsal und des Ausharrens; wir warten auf die Zeit der Ruhe. Die Männer Davids mußten infolge ihrer Vereinigung mit ihm viele Mühsale, Leiden und Entbehrungen ertragen, aber die Liebe machte ihnen alles leicht; und als David später in Ruhe auf seinem Throne saß, da wurden alle ihre Namen und Taten in Erinnerung gebracht und sorgfältig aufgezeichnet. Das 23. Kapitel des 2. Buches Samuel gibt uns das kostbare Verzeichnis ihrer Namen und ihrer Taten und leitet unsere Gedanken unwillkürlich auf die Zeit hin, wo der Herr Jesus Seine treuen Knechte belohnen wird, sie, die aus Liebe zu Seiner Person und durch Seinen Geist geleitet, Ihm in der Zeit Seiner Verwerfung gedient, für Ihn gelebt und gestritten haben. Ihre Dienste mögen den Augen der Menschen im allgemeinen verborgen geblieben sein; aber Jesus kennt sie, und von dem Throne Seiner Herrlichkeit herab wird Er sie verkünden und belohnen.
12. VIII. Wer würde etwas von den Taten der Helden Davids wissen, wenn der Heilige Geist sie nicht aufgezeichnet hätte? Wer würde Kenntnis haben von den Dreien, die Wasser aus der Zisterne von Bethlehem schöpften und es David brachten? Wer würde von dem Erschlagen des Löwen in der Grube an einem Schneetage wissen? — Gerade so ist es jetzt. Manches Herz schlägt in Liebe für die Person des Heilandes, ohne daß irgend jemand etwas davon weiß; manche Hand ist im Dienste für Ihn tätig, ohne daß ein menschliches Auge es sieht. Es ist lieblich, daran zu denken, vor allem in einer Zeit kalten Formenwesens und großer Gleichgültigkeit, — lieblich, an solche zu denken, die unseren Herrn Jesum Christum lieben in Aufrichtigkeit und Wahrheit. Jene drei Helden setzten ihr Leben aufs Spiel, um das Herz ihres Obersten zu erfreuen. Es war genügend für sie, zu wissen, daß David nach einem Trunk aus der Zisterne von Bethlehem verlangt hatte. „Da brachen die drei Helden durch das Lager der Philister und schöpften Wasser aus der Zisterne von Bethlehem, die am Tore ist, und trugen und brachten es zu David. Aber er wollte es nicht trinken und goß es aus als Trankopfer dem Jehova“ (2. Sam. 23,16).
13. VIII. Welch eine liebliche Szene! Es ist ein schönes Bild von
dem, was die Kirche sein und tun sollte für ihren Herrn — ihr Leben nicht lieben bis zum Tode um Christi willen! O möchte der Heilige Geist in unseren Herzen ein Feuer brennender Liebe zu der Person Jesu anzünden! Möchte Er unseren Seelen die göttlichen Herrlichkeiten Seiner Person mehr zu erkennen geben, damit wir auch mit der Braut im Hohen-liede zu sagen vermögen: „Mein Geliebter ist ausgezeichnet vor Zehntausenden ... alles an Ihm ist lieblich“; oder mit einem der Helden Jesu: „Ja, wahrlich, ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck achte, auf daß ich Christum gewinne“ (Phil 3,8)!
14. VIII. Ich kann diese Betrachtungen nicht schließen, ohne noch einen Augenblick bei der eben besprochenen Szene zu verweilen. Sie ist lieblich und ergreifend zugleich, sowohl im Blick auf das, was die drei Helden für ihren Obersten taten, als auch hinsichtlich dessen, was David tat, indem er das Wasser als Trankopfer vor Jehova ausgoß. „Fern sei es mir,“ sagte er, „daß ich solches tue! Sollte ich das Blut der Männer trinken, die mit Gefahr ihres Lebens hingegangen sind?“ Er unterschied in diesem Beweise einer ungewöhnlichen Liebe und Ergebung sehr wohl ein Opfer, welches nur der Herr genügend zu würdigen vermochte. Der Wohlgeruch eines solchen Opfers war viel zu herrlich, als daß er in seinem Hinaufsteigen zu dem Throne des Gottes Israels hätte aufgehalten werden dürfen. So goß er das Wasser vor Dem aus, der allein würdig war, ein solches Opfer entgegen zu nehmen, und allein imstande, es nach Gebühr zu schätzen. Dies erinnert uns mit Macht an den herrlichen Beweis christlicher Hingebung, wie ihn uns der Apostel Paulus in Phil 2,17.18 gibt, wenn er sagt: „Wenn ich aber auch als Trankopfer über das Opfer und den Dienst eures Glaubens gesprengt werde, so freue ich mich und freue mich mit euch allen. Gleicherweise aber freuet auch ihr euch und freuet euch mit mir.“ Mit diesen Worten stellt der Apostel die Philippen in ihrem Charakter als Priester vor unsere Augen, die Gott ein „Opfer“ und einen priesterlichen Dienst darbringen; und so groß war seine selbstvergessene Hingebung an Christum, daß er sich an dem Gedanken erfreuen konnte, selbst als ein Trankopfer ausgegossen zu werden (d. h. um Jesu willen zu sterben) über ihr Opfer, damit so alles als ein duftender Wohlgeruch zu Gott emporsteigen möchte. Die Philipper legten ein Opfer auf den Altar Gottes, und der Apostel wünschte, als ein Trankopfer darüber gesprengt zu werden. Es war für ihn nicht wichtig, wer das Opfer auf den Altar legte und wer darüber ausgegossen wurde, wenn nur Gott das Ihm so Wohlgefällige empfing. Wahrlich, das ist ein göttliches Muster christlicher Hingebung. Möchten wir Gnade haben, unser Verhalten nach diesem Muster zu bilden!
2 Das Neue Testament fordert den Christen auf, sich willig den obrigkeitlichen Gewalten zu unterwerfen; niemals aber setzt es den Gedanken voraus, daß er selbst einen solchen Platz der Autorität oder Gewalt einnehme. Es gibt eingehende Anweisungen für einen Christen in der Stellung eines Gatten, eines Vaters, eines Herrn oder Knechtes, aber gar keine für einen christlichen König oder eine christliche Obrigkeit. Das ist sehr beachtenswert.↩︎
3 Im Anfang des 10. Kapitels des Evangeliums Johannes stellt sich der Herr gleichsam an die Tür des jüdischen Schafhofes und, nachdem der Türhüter Ihm aufgetan hat, ruft Er Seine eigenen Schafe heraus. Dann sagt Er: „Ich habe andere Schafe, die nicht aus diesem Hofe sind; auch diese muß ich bringen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde, ein Hirte sein“. Der Leser wolle beachten, daß es nicht heißt: ein „Hof“, sondern eine „Herde“. Ein „Hof“ erweckt den Gedanken an gewisse Einrichtungen, die getroffen sind, um die Schafe zusammen zu halten und zu bewahren; das Wort paßte daher sehr gut auf die jüdische Haushaltung. Allein es handelt sich jetzt nicht länger um einen Hof, um eine Anordnung für diese Erde, ein Einschließen der Schafe in eine Umzäunung hienieden. Der himmlische Hirte hat Seine jüdischen Schafe aus dem Hofe herausgeholt und sammelt Seine heidnischen Schafe von den finsteren Bergen dieser Welt; und nachdem Er aus beiden eine neue „Herde“ gemacht hat, befiehlt Er sie in Seines Vaters Hand. Es besteht also ein großer Unterschied zwischen den beiden Worten „Hof“ und „Herde“, der leider von vielen Gläubigen nicht gemacht wird, wodurch dann alles in Verwirrung gerät.↩︎