Schriften von Charles Henry Mackintosh
2Sa 22; 23 - Kapitel 9 - Das Lied und die letzten Worte Davids2Sa 22; 23 - Kapitel 9 - Das Lied und die letzten Worte Davids
13. XII. Das 22. Kapitel des 2. Buches Samuel enthält das herrliche Lied Davids (vergl. Ps 18). Es ist der Ausdruck des Geistes Christi in David, verbunden mit Seinem Triumph über den Tod durch die mächtige Wirkung der Kraft Gottes (Eph 1,19). Wie die inspirierte Überschrift uns belehrt, preist David Jehova für seine Errettung aus der Hand aller seiner Feinde und vornehmlich aus der Hand Sauls. Er zählt mit dankbarem Herzen die herrlichen Taten Gottes auf, jedoch in einer Sprache, welche uns von David und allen seinen Kämpfen unmittelbar zu jenem schrecklichen Kampfe hinüberleitet, der ausgestritten wurde, als alle Mächte der Finsternis sich in grimmiger Wut gegen Gott und Seinen Christus zusamengeschart hatten. Furchtbar war das Schauspiel! Nie vorher und nachher ist solch ein Kampf ausgefochten oder solch ein Sieg erstritten worden. Nie haben solche Mächte miteinander gerungen, und nie sind ähnliche Ergebnisse erzielt worden. Der Himmel stand auf der einen, die Hölle auf der anderen Seite. Und was die Ergebnisse des Kampfes betrifft, wer könnte sie aufzählen, wer sie würdig beschreiben? Da ist zunächst die Verherrlichung Gottes und Seines Christus, dann die Erlösung der Kirche, die Wiederherstellung und Segnung der Stämme Israels, und endlich die völlige Befreiung des weiten Bereichs der Schöpfung von der Herrschaft Satans, dem Fluche der Sünde und der Knechtschaft des Verderbnisses. Das sind einige der herrlichen Ergebnisse jenes Kampfes, der mit teuflischer Wut geführt wurde von seiten des großen Feindes Gottes und des Menschen; gewaltig waren die Anstrengungen des Starken, um die Wegnahme seiner Waffenrüstung zu verhindern und nicht zu erlauben,, daß sein Haus beraubt werde. Aber alles war vergeblich; Jesus triumphierte.
„Denn mich umfingen die Wogen des Todes, die Ströme Belials erschreckten mich, es ereilten mich die Fallstricke des Todes. In meiner Bedrängnis rief ich zu Jehova, und ich rief zu meinem Gott; und Er hörte aus Seinem Tempel meine Stimme, und mein Schrei kam in Seine Ohren“ (V. 5—7). Hier begegnen wir scheinbarer Schwachheit, aber tatsächlicher Kraft. Der anscheinend Besiegte wurde der Sieger. Jesus ist „in Schwachheit gekreuzigt worden“, aber „Er lebt durch Gottes Kraft“ (2Kor 13,4). Nachdem Er Sein Blut vergossen und Sich Selbst durch den ewigen Geist ohne Flecken Gott geopfert hatte, übergab Er Sich den Händen des Vaters, der Ihn aus den Toten wiederbrachte. Er widerstand nicht, sondern ließ Sich willig schlagen und martern; Er bot Seinen Rücken den Schlagenden und Seine Wangen den Raufenden, und so zerbrach Er die Macht des Feindes. Satan ließ Ihn durch die Hand seiner willigen Werkzeuge ans Kreuz nageln, und als Er im Grabe lag, ließ Er ein Siegel darauf setzen, damit Er nicht auferstehen möchte. Aber alles war umsonst; Jesus stand siegreich auf, „nachdem Er die Fürstentümer und die Gewalten ausgezogen hatte“. Er begab Sich gleichsam mitten in das Reich des Feindes hinein, um ihn öffentlich zur Schau stellen zu können.
14. XII. In den Versen 8—20 wird uns die Dazwischenkunft Jehovas zu Gunsten Seines gerechten Knechtes in erhabener, gewaltig ergreifender Sprache geschildert. Die von dem Psalmisten gebrauchten Bilder sind über alle Beschreibung ernst und ausdrucksvoll. „Da wankte und bebte die Erde; die Grundfesten des Himmels zitterten und wankten, weil Er entbrannt war . . Und Er neigte die Himmel und fuhr hernieder, und Dunkel war unter Seinen Füßen. Und Er fuhr auf einem Cherub und flog daher, und Er erschien auf den Fittichen des Windes. Und Finsternis machte Er rings um Sich her zum Gezelt, Sammlung der Wasser, dichtes Himmelsgewölk ... Es donnerte Jehova vom Himmel her, und der Höchste ließ Seine Stimme erschallen. Und Er schoß Pfeile und zerstreute sie, Seinen Blitz, und verwirrte sie. Da wurden gesehen die Betten des Meeres, aufgedeckt die Grundfesten des Erdkreises durch das Schelten Jehovas, vor dem Schnauben des Hauches Seiner Nase. Er streckte Seine Hand aus von der Höhe, Er nahm mich, Er zog mich aus großen Wassern; Er errettete mich von meinem starken Feinde, von meinen Hassern.“ — Welch eine Sprache! Wo könnten wir etwas Ähnliches finden? Der Zorn des Allmächtigen, der Donner Seiner gewaltigen Stimme, das Schnauben des Hauches Seiner Nase, die Erschütterung des ganzen Gebäudes der Schöpfung — alle diese Gedanken, in die glühende Sprache des Propheten gekleidet, übersteigen weit jede menschliche Vorstellung. Das Kreuz und das Grab Christi bildeten den Mittelpunkt, um welchen der Kampf in all seiner Wut tobte; denn in diesem Grabe lag der Fürst des Lebens. Satan tat sein Äußerstes; er führte die ganze „Macht der Finsternis“ ins Feld, aber er konnte seinen Gefangenen nicht behalten, er konnte das Feld nicht behaupten. Der Herr Jesus triumphierte über Satan, Tod und Hölle, und Er tat dies (obwohl das nicht der Gegenstand unseres Psalmes ist) in vollkommener Erfüllung aller Ansprüche der göttlichen Gerechtigkeit. Und das ist die Freude und der Friede des glaubenden Sünders. Es würde uns nichts helfen, zu wissen, daß der Gott über alles, gepriesen in Ewigkeit, den Satan, ein Geschöpf Seiner Eigenen Hand, überwunden habe. Aber zu hören, daß Er als der Stellvertreter des Menschen, des Sünders, als der Bürge der Kirche, den Sieg errungen hat, das gibt der glaubenden Seele süßen, unaussprechlichen Frieden. Und gerade das ist es, was das Evangelium uns mitteilt; das ist die Botschaft, die in des Sünders Ohr hineintönt. Der Apostel sagt uns, daß „Er (Christus) unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist“. Nachdem Er unsere Sünden auf Sich genommen und das Gericht, den göttlichen Zorn, dafür erduldet hatte, war die Auferstehung notwendig als Beweis der vollkommenen Verherrlichung Gottes und der ewig gültigen Vollendung Seines Versöhnungswerkes. Der Heilige Geist stellt uns Jesum vor Augen als auferstanden, gen Himmel gefahren und nun sitzend zur Rechten der Majestät in der Höhe, und verbannt so jeden Zweifel, jede Furcht, jede Besorgnis aus dem Herzen des Gläubigen. „Der Herr ist wirklich auferweckt worden und dem Simon erschienen“ (Lk 24,34).
15. XII. Die Beweisführung des Apostels in 1Kor 15 gründet sich auf diese große Tatsache. Die Vergebung der Sünden ist bewiesen durch die Auferstehung Christi. „Wenn Christus nicht auferweckt ist, so ist euer Glaube eitel; ihr seid noch in euren Sünden.“ Die Auferstehung Christi und die Vergebung der Sünden des Gläubigen stehen und fallen miteinander. Und wie lautet der triumphierende Schluß der Beweisführung des Apostels? „Nun aber ist Christus aus den Toten auferweckt, der Erstling der Entschlafenen.“ Das ordnet alles. Solange du ein Auge von einem auferstandenen Christus abwendest, verlierst du das tiefe, göttliche, friedengebende Bewußtsein der Vergebung deiner Sünden. Die reichste Erfahrung und die tiefste Erkenntnis reichen nicht aus als Grundlage deines Vertrauens. Nichts als der gekreuzigte und auf erstandene Jesus kann dir Frieden und Ruhe geben.
16. XII. Die Verse 21—25 enthalten den Grund der Dazwischenkunft Jehovas zu Gunsten Seines Knechtes. Sie beweisen auch hinlänglich, daß ein Größerer als David in diesem Liede vor uns steht. David konnte nicht sagen: „Jehova vergalt mir nach meiner Gerechtigkeit, nach der Reinheit meiner Hände erstattete Er mir. Denn ich habe bewahrt die Wege Jehovas, und bin von meinem Gott nicht frevelhaft abgewichen. Denn alle Seine Rechte waren vor mir, und Seine Satzungen — ich bin nicht davon gewichen; und ich war vollkommen gegen Ihn und hütete mich vor meiner Ungerechtigkeit. Und Jehova erstattete mir nach meiner Gerechtigkeit, nach meiner Reinheit vor Seinen Augen.“ Ach! David hatte Ursache, ganz anders zu reden. Seine Gerechtigkeit war wie ein unflätiges Kleid, und wenn eine gerechte Vergeltung seines Tuns in Frage gekommen wäre, so hätte er die ewige Verdammnis verdient gehabt. Der Feuersee mit seinen Schrecken war alles, was er auf Grund dessen, was e r war, gerechterweise beanspruchen konnte.
17. XII. Die Sprache in unserem Psalme ist deshalb die Sprache Christi. Er allein konnte so reden. Er konnte Gott erinnern an Seine Gerechtigkeit, an Seine Lauterkeit und Vollkommenheit und an die Reinheit Seiner Hände. Und auf Grund dieser Dinge, auf Grund Seines vollkommenen Gehorsams und Seiner Abhängigkeit von Jehova, wurden Ihm die Rettung und der Sieg zuteil. Zugleich aber werden wir hier an die wunderbare Gnade erinnert, welche uns aus dem Erlösungswerk entgegenleuchtet. Der einzig Reine und Gerechte nahm den Platz des Unreinen und Ungerechten ein. „Den, der Sünde nicht kannte, hat Er (Gott) für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm“ (2Kor 5,21). Hier ist der ewige Ruheort des Sünders. Er sieht das fleckenlose Opfer an das Fluchholz genagelt für sich, den feindseligen Sünder; er sieht das vollkommene Werk des Lammes Gottes und in demselben eine volle, bedingungslose Erlösung und er sieht auch, wie Gott zu Gunsten seines erhabenen Stellvertreters, und deshalb auch zu seinen Gunsten, ins Mittel tritt, und dies auf durchaus gerechter Grundlage. Welch einen tiefen Frieden verleiht das dem sündenbeladenen Herzen, das sich im Glauben zu Jesu wendet!
18. XII. Davids Lied schließt mit einem schönen Hinweis auf die Herrlichkeit der letzten Tage; und dies verleiht ihm eine Vollständigkeit und einen Umfang, die überraschend sind. „Die Söhne der Fremde unterwarfen sich mir mit Schmeichelei; beim Hören des Ohres gehorchten sie mir . . . Darum, Jehova, will ich dich preisen unter den Nationen und Psalmen singen deinem Namen“. So werden wir in diesem Liede einen wunderbaren Pfad geführt, der an dem Kreuze beginnt und in dem Tausendjährigen Reiche endigt. Er, der einst im Grabe lag, wird bald auf dem Throne sitzen; in denselben Händen, welche einst von den grausamen Nägeln durchbohrt wurden, wird bald das königliche Szepter ruhen; und dieselbe Stirn, welche mit einer schimpflichen Dornenkrone verunziert war, wird das glänzende Diadem der Herrlichkeit schmücken. Alle Nationen werden sich Ihm unterwerfen, und Sein Name wird bekannt werden bis zu den Enden der Erde. Und nicht eher wird der Schlußstein in das Gebäude eingefügt sein, welches die erlösende Liebe zu errichten begonnen hat, bis der verachtete Jesus von Nazareth den Thron Davids bestiegen hat und in Frieden über das Haus Jakob herrschen wird. Dann werden die Herrlichkeiten der Erlösung ohne Aufhören gepriesen werden im Himmel und auf Erden; denn der Erlöser wird erhaben sein und die Erlösten vollkommen glücklich. Dann werden wir, aus dem Glanze dieses herrlichen und seligen Tages heraus, unseren Blick rückwärts wandern lassen zu dem Kreuze hin, als der Grundlage des ganzen herrlichen Gebäudes; und die Erinnerung an die Liebe, die dort für uns .litt und starb, wird dem neuen Liede Wärme und Kraft verleihen: „Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft, durch dein Blut, aus jedem Stamm und Sprache und Volk und Nation“; und: „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu empfangen die Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung“ (Off 5).
19. XII. In den letzten Worten Davids lernen wir eine ähnliche Lektion. Es ist in der Tat interessant, in der Geschichte aller wahren Knechte Gottes dieselbe Erscheinung wiederzufinden; nachdem sie die völlige Leere und Unzulänglichkeit aller menschlichen und irdischen Hilfsquellen erfahren haben, bleibt Gott allein übrig als ihr unfehlbares Teil und ihre sichere Zuflucht. So war es auch mit David. Während seines ganzen langen Lebens hatte er an der Wahrheit zu lernen, daß die göttliche Gnade allein seinen Bedürfnissen zu begegnen vermochte; und am Schlüsse seiner Laufbahn gibt er dieser köstlichen Erfahrung Ausdruck. Hier in seinen „letzten Worten“, wie vorhin in seinem „Liede“, ist der leitende, alles beherrschende Gedanke die Genügsamkeit der göttlichen Gnade.
20. XII. „Es spricht David, der Sohn Isais, und es spricht der hochgestellte Mann, der Gesalbte des Gottes Jakobs und der Liebliche in Gesängen Israels: der Geist Jehovas hat durch mich geredet, und Sein Wort war auf meiner Zunge. Es hat gesprochen der Gott Israels, der Fels Israels zu mir geredet: Ein Herrscher unter den Menschen, gerecht, ein Herrscher in Gottesfurcht“ (Kap. 23, 1—3). Das ist der Maßstab, den Gott an einen Herrscher legt. Aber wo werden wir in den Reihen menschlicher Herrscher einen finden, der diesem Maßstabe entspräche oder entsprochen hätte? Wir mögen die alte und neue Geschichte durchforschen und die hervorragendsten Fürsten, die je auf einem Thron gesessen haben, an unserem Geistesauge vorüberziehen lassen, aber wir werden nicht einen Einzigen finden, der wirklich den beiden großen Charakterzügen entspräche, welche nach unserem Verse einen Herrscher kennzeichnen sollten. Er muß gerecht sein und in Gottesfurcht herrschen. Aber wo gibt es einen solchen, selbst unter den Besten der Menschen?
21. XII. Wer ist denn dieser Gerechte, dieser Herrscher in Gottesfurcht, von welchem David redet? Es ist der wahre David, unser geliebter Herr und Heiland; Er, von dem es heißt: „Ein Szepter der Aufrichtigkeit ist das Szepter deines Reiches. Gerechtigkeit hast du geliebt und Gesetzlosigkeit gehaßt“; und an einer anderen Stelle: „Er wird Recht schaffen den Elenden des Volkes; Er wird retten die Kinder des Armen, und den Bedrücker wird Er zertreten ... Er wird herabkommen wie ein Regen auf die gemähte Flur, wie Regenschauer, Regengüsse auf das Land“ (Ps 45; 72). Ja, „Er wird sein wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufgeht, ein Morgen ohne Wolken: von ihrem Glanze nach dem Regen sproßt das Grün aus der Erde“ (V. 4). In allen diesen Stellen ist in prophetischer Weise die Rede von dem Kommen des Sohnes des Menschen und von der Herrlichkeit Seines Reiches hienieden. Mit welch inniger Freude wendet sich das Herz von dem finstern, sünde- und schmerzerfüllten Schauplatz, den wir durchschreiten, zu jenem „Morgen ohne Wolken“, der einmal über dieser Erde anbrecihen wird! Jetzt gibt es keinen Morgen ohne Wolken. Wie wäre es auch möglich? Wie könnte ein gefallenes Geschlecht, eine seufzende Schöpfung sich eines wolkenlosen Himmels, eines reinen, unvermischten Glückes erfreuen? Das ist unmöglich, so lange nicht die sühnende Wirkung des Kreuzes auf alle Dinge Anwendung gefunden hat und die ganze Schöpfung in ihre volle Ruhe eingegangen ist unter dem Schatten der Flügel Immanuels.
22. XII. Schaue um dich her, mein Leser, richte dein Auge wohin du willst, überall begegnen Wolken und Finsternis deinen Blicken. Eine seufzende Kreatur, ein zerstreutes Israel, eine verfallene Kirche, verderbte Grundsätze, ein leeres Bekenntnis, Parteiungen. Unglaube, Krankheit und Tod — alles, alles dient dazu, gleich „dem Rauche aus dem Schlunde des Abgrundes“, den Gesichtskreis um uns her zu verdunkeln und unseren Blick zu trüben. Wie klammert sich da das Herz an die Aussicht auf einen Morgen ohne Wolken; wie sehnlich wünscht es ihn herbei! Wohl mochte David diesen Morgen mit „einem Glanz nach dem Regen“ vergleichen. Die Kinder Gottes haben immer gefühlt, daß diese Welt eine Stätte der Wolken und des Regens, ein Tal der Tränen ist; aber der Morgen des Tausendjährigen Reiches wird allem diesem ein Ende machen: die Sonne dieses Morgens wird bei ihrem Aufgange alle Wolken zerstreuen, und Gott Selbst wird alle Tränen abwischen von den Augen der Seinigen. Welch eine herrliche, beglückende Aussicht! Dank, ewig Dank sei der göttlichen Gnade, die uns eine solche Aussicht geschenkt, und der versöhnenden Liebe, die uns ein unumstößliches Anrecht darauf gegeben hat!
23. XII. Wir haben bereits bemerkt, daß kein menschlicher Herrscher jemals dem göttlichen Maßstabe entsprochen hat, welchen David hier in seinen letzten Worten aufstellt. David selbst fühlte das; und darum hören wir ihn auch weiter sagen: „Obwohl mein Haus nicht also ist bei Gott“. Wir haben schon früher gesehen, wie tief und gründlich sein Bewußtsein war bezüglich des weiten Abstandes zwischen dem, was er persönlich war, und den gerechten Anforderungen Gottes. Damals rief er aus: „Ich bin in Ungerechtigkeit geboren“, und: „D u hast Lust an der Wahrheit im Innern“. Wenn er sich jetzt in seiner Eigenschaft als Herrscher betrachtet, so ist seine Erfahrung dieselbe: „Mein Haus ist nicht also bei Gott“. Weder als Mensch noch als König war er, was er hätte sein sollen; und darum war die Gnade seinem Herzen so köstlich. Wenn er in den Spiegel des vollkommenen Gesetzes Gottes hineinschaute, so sah er nur seine Unvollkommenheit und Mangelhaftigkeit; aber dann wandte er sich von diesem häßlichen Bilde zu dem „ewigen Bunde“ Gottes, „geordnet in allem und verwahrt“, und darin ruhte er mit nicht zweifelnder Glaubenseinfalt. Obwohl Davids Haus nicht geordnet war in allem, so war es doch der Bund Gottes; und David konnte sagen: „Dies ist all meine Rettung und all mein Begehr“. Er hatte gelernt, von sich und seinem Hause abzublicken und sein Auge auf Gott und Seinen ewigen Bund zu richten. Und wir dürfen hinzufügen: Gerade so wirklich und tief er sein Nichts als Mensch und König erkannte, gerade so wirklich und tief war sein Bewußtsein von dem, was die Gnade für ihn getan hatte. Die Erkenntnis dessen, was Gott war, hatte ihn gedemütigt, aber dieselbe Erkenntnis hatte ihn auch erhoben. Es war seine Freude, als er sein Ende herannahen fühlte, in dem Bunde seines Gottes zu ruhen, in welchem er all sein Heil und all sein Begehr eingeschlossen und verwahrt fand.
24. XII. Wie gesegnet ist es, geliebter Leser, so unser Alles in Gott zu finden! nicht nur Ihn als Den zu kennen, der all unseren Mangel oder die Unzulänglichkeit alles Irdischen und Menschlichen ausfüllt, sondern als Den, der in unseren Augen alles, Menschen und Dinge, unendlich übertrifft. Das ist es, was wir bedürfen. Gott muß den ersten Platz haben, über allem stehen, nicht nur im Blick auf die Vergebung unserer Sünden, sondern auch hinsichtlich aller unserer Bedürfnisse. „Ich bin Gott, und keiner sonst.“ „Wendet euch zu mir!“
Es gibt viele Gläubige, die Gott wohl vertrauen können im Blick auf ihre ewige Errettung, die aber in den kleinen Einzelheiten des täglichen Lebens kein Vertrauen zu Ihm zu haben scheinen; und doch wird Gott gerade darin so sehr verherrlicht, daß wir Ihn zu dem Vertrauten aller unserer Sorgen und zu dem Träger aller unserer Lasten machen. Nichts ist so klein und geringfügig, daß wir es nicht vor Ihn bringen könnten; aber auch nichts so klein, daß es nicht unsere Kraft und Fähigkeit übersteigen könnte. Hätten wir nur ein tieferes Bewußtsein von unserer Unfähigkeit und unserem Nichts, so würden wir reichere und gesegnetere Erfahrungen von der Macht und der liebevollen Fürsorge unseres Gottes und Vaters machen.
25. XII. Doch wir finden in unserem Kapitel noch eine andere Sache, die in Verbindung mit dem Bunde Gottes sehr bemerkenswert ist, obwohl sie ziemlich unvermittelt eingeführt zu sein scheint. Ich meine den Bericht über die Helden Davids. Es gab zwei Dinge, welche das Herz des alternden Königs erfreuten, nämlich die Treue Gottes und die Hingebung seiner Knechte. Ähnliches finden wir bei dem Apostel Paulus. Am Schlüsse seines bewegten und leidensvollen Pilgerlaufes schöpfte er aus denselben Quellen Trost und Ermunterung. In seinem zweiten Briefe an Timotheus beschreibt er den Zustand der Dinge um ihn her; er sieht das „große Haus“, welches sicherlich nicht so war, wie Gott es zu sehen wünschte; er sieht, daß alle, die in Asien waren, sich von ihm abgewandt hatten; er sieht, daß Hymenäus und Philetus falsche Lehren verkündigten und den Glauben etlicher verkehrten; er sieht Alexander, den Kupferschmied, viel Böses tun; er sieht viele sich selbst Lehrer auf häufen und sich von der Wahrheit zu den Fabeln hinwenden; er sieht die gefährlichen, schweren Zeiten mit erschreckender Schnelligkeit herannahen — mit einem Wort, er sieht das ganze Gebäude, menschlich gesprochen, in Stücke gehen; aber, gleich David, ruhte er in der Gewißheit, daß „der feste Grund Gottes steht“, und er wurde zugleich erquickt durch die persönlich Hingebung des einen oder anderen Glaubenshelden, der durch die Gnade Gottes fest stand inmitten des allgemeinen Zusammenbruches. Er erinnerte sich des Glaubens eines Timotheus, der Liebe eines Onesiphorus, und wurde überdies ermuntert durch die Tatsache, daß selbst in den finstersten Zeiten eine Schar Treuer da sein würde, welche den Herrn anrufen würden aus reinem Herzen. Er ermahnt Timotheus, sich diesen letzteren anzuschließen, nachdem er sich von den Gefäßen zur Unehre in dem großen Hause gereinigt habe.
26. XII. So war es auch mit David. Er konnte seine Helden aufzählen und ihre Taten rühmen. Obwohl sein eigenes Haus nicht war, wie es hätte sein sollen, und obwohl „die Söhne Belials“ um ihn her waren, konnte er doch reden von einem Adino, einem Eleasar und einem Schamma, von Männern, die ihr Leben um seinetwillen aufs Spiel gesetzt und ihre Namen durch außergewöhnliche Heldentaten unter den Unbeschnittenen berühmt gemacht hatten.
27. XII. Gott sei Dank! Er wird sich nie ohne ein Zeugnis lassen; Er wird stets ein Volk haben, das Seiner Sache in dieser Welt ergeben ist. Wenn wir das nicht wüßten, so möchten unsere Herzen in Zeiten, wie die gegenwärtigen, wohl verzagen. Wenige Jahre haben genügt, um eine gewaltige Veränderung in dem Verhalten vieler Christen hervorzurufen. Die Dinge liegen nicht mehr unter uns, wie sie einst lagen, und wir dürfen in Wahrheit sagen; „Unser Haus ist nicht also bei Gott“. Manche hohe Erwartungen sind in Nichts zerronnen. Wir haben erfahren müssen, daß wir uns in keiner Beziehung von anderen unterschieden haben; oder wenn wir uns unterschieden, so war es darin, daß wir ein höheres Bekenntnis ablegten und infolge dessen auch eine größere Verantwortlichkeit auf uns brachten und in auffallenderer Weise, als andere, den Mangel an Übereinstimmung zwischen unserem Bekenntnis und Wandel kundwerden ließen. Der Herr gebe, daß wir die Unterweisung, die Er uns gibt, wirklich und gründlich lernen, daß wir sie lernen in Seiner Gegenwart, im Staube liegend, damit wir uns nicht überheben, sondern in dem bleibenden Bewußtsein unseres Nichts und unserer Ohnmacht unseren Weg fortsetzen bis zum Ziel! Die Worte, welche der Herr an die Gemeinde in Laodicäa richtet, sind ernst, und es kann uns nur von Nutzen sein, wenn wir sie uns oft ins Gedächtnis rufen und uns prüfen, ob wir nicht in der einen oder anderen Weise sie auf uns anwenden müssen. Sie lauten: „Weil du sagst: Ich bin reich geworden und bedarf nichts, und weißt nicht, daß du der Elende und Jämmerliche und arm und blind und bloß bist.Ich rate dir, Gold von mir zu kaufen, geläutert im Feuer, auf daß du reich werdest; und weiße Kleider, auf daß du bekleidet werdest, und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde; und Augensalbe, deine Augen zu salben, auf daß du sehen mögest. Ich überführe und züchtige, so viele ich liebe. Sei nun eifrig und tue Buße!“
28. XII. Wenn die Erfahrungen, die wir in den vergangenen Tagen gemacht haben, uns dahin führen, einfältiger und inniger an Jesu zu hangen, so haben wir Ursache, dem Herrn für sie zu danken, so schmerzlich sie gewesen sein mögen, und wie die Dinge liegen, können wir es nur als eine Gnade betrachten, von jedem falschen Vertrauen auf uns selbst oder auf Menschen befreit und dahin gebracht worden zu sein, uns fester an das Wort zu klammern und uns einfältiger der Leitung des Heiligen Geistes zu überlassen, dieses unfehlbaren, treuen Begleiters der Kirche auf ihrem Pfade durch die Wüste.
29. XII. Auch hat es nicht an lieblichen Ermunterungen gefehlt von seiten solcher, die dem Herrn aufrichtig ergeben waren. Viele haben ihre Liebe zu der Person Christi bewiesen, treu für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben gekämpft und die Lehre von der Kirche Christi festgehalten. Das ist eine große Gnade. Obwohl der Feind viel Unheil angerichtet hat, ist es ihm doch nicht erlaubt worden, seine Pläne auszuführen. Viele stehen nach wie vor bereit, ihre Zeit und Kraft für die Verteidigung des Evangeliums zu verwenden. Möge der Herr ihre Zahl vermehren und auch ihr Zeugnis voller und kräftiger machen! Möge Er in uns allen eine immer wachsende Dankbarkeit für Seine Gnade erwekken, die uns in Seinem Worte so klar und deutlich die wahre Stellung und den Pfad Seiner Knechte in diesen letzten bösen Tagen vorgezeichnet hat, sowie die Grundsätze, welche uns inmitten der immer mehr überhand nehmenden Verwirrung allein an dem Platze erhalten können, wo Er uns haben will! Gott sei Lob und Dank! mag auch.alles wanken und sich verändern, Seine Wahrheit wankt und verändert sich nie. Alles, was wir zu erwarten und zu erflehen haben, ist, treu erfunden zu werden bis ans Ende. Wenn wir suchen, Aufsehen zu machen in dieser Welt, etwas aufzurichten zu unserer Ehre und Verherrlichung, so werden wir enttäuscht, und der Name des Herrn wird verunehrt werden. Sind wir aber zufrieden, klein zu sein, ja, nichts zu sein und demütig mit Gott zu wandeln, so wird Er mit uns sein, und wir werden allezeit Ursache finden, uns zu freuen und zu loben und zu danken; und wahrlich, unsere Mühe wird nicht vergeblich sein im Herrn.
30. XII. David hatte gedacht, in seinen Tagen vieles tun zu können, und er war aufrichtig in diesen Gedanken; aber er mußte lernen, daß der Wille Gottes betreffs seiner der war, daß er „seinem Geschlecht dienen“ sollte. Wir müssen dies ebenfalls lernen. Wir müssen lernen, daß eine demütige Gesinnung, ein hingebendes Herz, ein zartes Gewissen, ein aufrichtiger Herzensvorsatz weit kostbarer sind in den Augen Gottes, als ein bloß äußerlicher Dienst, so glänzend und anziehend er auch sein mag. „Gehorchen ist besser als Schlachtopfer, Aufmerken besser als das Fett der Widder.“ Das sind gesunde Worte für eine Zeit wie die unsrige, in welcher die göttlichen Grundsätze so wenig beachtet und so leicht aufgegeben werden.
31. XII. Der Herr erhalte uns treu bis ans Ende, damit wir, sei es, daß wir in Jesu entschlafen, wie die uns vorangegangenen Heiligen, oder entrückt werden, um Ihm in der Luft zu begegnen, „ohne Flecken und tadellos von Ihm erfunden werden in Frieden“! Inzwischen aber mögen unsere Herzen sich erfreuen an den Worten des Apostels an sein geliebtes Kind Timotheus: „Der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt, die Sein sind! und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!“