Emil Dönges
Schriften von Emil Dönges
Off 8,2-11,18 - Die siebenPosaunenOff 8,2-11,18 - Die siebenPosaunen
Zunächst schaut der Seher ein neues Gesicht: „Und ich sah die sieben Engel, welche vor Gott stehen, und es wurden ihnen sieben Posaunen gegeben. Und ein anderer Engel kam und stellte sich an den Altar, und er hatte ein goldenes Rauchfaß) und es wurde ihm viel Rauchwerk gegeben, auf daß er Kraft gebe den Gebeten aller Heiligen auf dem goldenen Altar, der vor dem Throne ist. Und der Rauch des Rauchwerks stieg mit den Gebeten der Heiligen auf aus der Hand des Engels vor Gott. Und der Engel nahm das Rauchfaß und füllte es von dem Feuer des Altars und warf es auf die Erde; und es geschahen Stimmen und Donner und Blitze und ein Erdbeben (eigentlich: ein Erbeben, eine Erschütterung)." (Off 8,2-5)
So seltsam und verwunderlich es erscheinen mag, so ist doch anzunehmen, daß „der andere Engel", den wir am Altar sehen nach dem Vortritt von sieben Engeln mit sieben Trompeten oder Posaunen, kein anderer ist als der Herr selbst, der Sohn Gottes. Er tritt in dem Buch der Offenbarung erst wieder am Schluß der Gerichte öffentlich und offenbarlich auf. Bis dahin tut Er sich nur in der Gestalt eines Engels kund, so schon in Off 7,2. Dieselbe Merkwürdigkeit finden wir schon im Alten Testamente, dessen Charakter das letzte Buch des Neuen Testaments, die Offenbarung, in etwa trägt, weil es sich auch wieder vornehmlich mit der Er d e und mit Israel beschäftigt, wie der Alte Bund. Auch dort stehen die Ausdrücke: „der Engel Jehovas" und „Jehova" oftmals für einander für eine und dieselbe Person.39
Hier nun zeigt sich der Herr zugleich noch in Seinem Charakter als Mittler und Hohepriester. Er tritt für die Heiligen ein, welche in jener ernsten Zeit auf der Erde sind, für die in der Drangsal zu Christo bekehrten Juden, die um ihres Glaubens und Zeugnisses willen aufs schwerste bedrängt werden. Christus verleiht ihren Bitten und Gebeten Kraft bei Gott (Off 8,4-5.). Schon einmal hörten wir zur Zeit der Gerichte von der Erde her Stimmen des Gebetes, nämlich in Off 6,9-10; aber dort waren es die Bitten von Seelen, die unter dem Altar waren, d. h. also von Märtyrern, die, wie einst Christus, hier Verwerfung und den Tod gefunden hatten. Sie waren schon „vollendet",40 wenn auch ihre Leiber noch nicht auferweckt waren. Diesmal jedoch (in Off 8) sind es Gebete von Heiligen, die noch auf der Erde leben und, obwohl sie zu ihrer Bewahrung zuvor versiegelt worden waren (Off 7), nun in ihrer Bedrängnis doch immer wieder von neuem der Fürbitte und Kraft bedürfen, weshalb Christus im Himmel als ihr Mittler und Hoherpriester ihre Gebete vor Gott darbringt und sich für sie verwendet. (Off 8,4.) Zugleich nimmt der Herr, ihr großer Fürsprecher, Feuer vom ehernen Altar, legt es in Sein Rauchfaß und wirft dann das Feuer zum Gericht auf die gottlose Erde als Antwort auf die' Gebete dieser Seiner Heiligen und Zeugen.
Da wir heute in der Zeit der Gnade leben, mag es mancher Gläubige nicht verstehen, daß die Heiligen, welche in jener Zeit, nach der Aufnahme der Kirche, auf Erden sind, Gottes Gerichte herbeirufen, und daß der Herr ihnen mit Feuer antwortet; aber durch die Gerichte erst lemen die Bewohner der Erde Gott kennen. Durch die Gerichte wird zugleich die Herstellung Israels bewirkt und das Königreich Christi auf Erden mit Macht eingeführt. (Jes 1,27; 26,8 folgende)
Als Antwort auf die Fürbitte Christi im Himmel und die Gebete der Heiligen auf Erden kommen also neue Gerichte Gottes über die Erde. Die Zeichen der Macht Gottes, „Stimmen, Donner und Blitze", werden gesehen, wie schon zuvor bei der Aufrichtung des richterlichen Thrones (Kap Off 4 u Off 5), und eine allgemeine Erschütterung folgt, ähnlich wie in (Kap Off 6 und Off 12), wodurch der Umsturz der ganzen Ordnung hienieden und aller auf Erden bestehenden Verhältnisse herbeigeführt wird. Die Posaunen oder Trompeten, die nun ertönen, künden laut die nahe bevorstehende Dazwischenkunft Gottes an. Wie die sieben Siegel (und vorher die sieben Sendschreiben), so teilen sich auch die sieben Posaunen in zwei Gruppen; die eine zählt vier, die andere drei Posaunen. Die ersten vier Posaunen (Kap. 7-13) führen Gerichte herbei über die Umstände und Verhältnisse der Menschen. Diese Gerichte werden in einer bildlichen Sprache geschildert; die Bedeutung der Sinnbilder finden wir jedoch in der Heiligen Schrift selbst.
Die erste Posaune bringt ein plötzliches Gericht vom Himmel („Hagel und Feuer") über die Großen der Erde („die Bäume") und über den allgemeinen Wohlstand („das grüne Gras"). Aber auch „Blut" wird auf Erden gesehen, also Gewalttat, Morden von Menschen, wird stattfinden, besonders wohl unter den Großen der Erde. —
Wenn hierbei die Rede ist von „dem dritten Teil" der Erde, wie auch oft noch nachher, so ist damit wohl das Gebiet innerhalb der ehemaligen Grenzen des Römischen Reiches gemeint.41
Bei der zweiten Posaune (Off 8,8-9) wird innerhalb desselben Gebiets „ein brennender Berg ins Meer geworfen", d. h. ein mächtiges Reich wird zerstört. Der Berg wird ins Meer der Völker, die sich in Aufruhr und Anarchie befinden, geworfen. Hier verbreitet er „Blut", d. h. den Tod. Menschen werden getötet, und was zu ihrem Lebensunterhalte diente und zum geschäftlichen Verkehr (Schiffe) gehört, das geht unter.
Bei der dritten Posaune (Off 8,10-11) hören wir, daß eine Macht oder große Persönlichkeit („ein großer Stern") vom Himmel losgelöst wird. Sie verläßt ihren von Gott angewiesenen Platz, von wo sie einst Licht und Segen verbreitete, sie stürzt und verbreitet unter den Menschen Verderben; sie verdirbt die „Ströme" und „Quellen", d. h. die sittlichen Ausgänge des Segens in Volk und Land. Anstatt des Segens gehen nun von dort nur noch giftige Einflüsse aus, welche Sitten und Gesetze zerstören und verderben („Wermut" und tödliches „bitteres Wasser".). Wie manchmal sehen wir heute schon solche für jung und alt verderblichen Einflüsse und Strömungen durch die Gesetzgebung und Presse ausgehen von ungläubiger, gottfeindlicher Seite! Wahrlich, es ist bitterer Wermut! (Vgl. schon 5. Mose 29,18.) Erinnert sei wieder an ein Vorspiel jener Gerichte, an die Zeit der großen französischen Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts und an ihre gottfeindlichen Änderungen der bestehenden und gesegneten Ordnungen und an die Erlasse gottloser Bestimmungen für Schule und Volk.
Bei der vierten Posaune (Off 8,12-13) wird der dritte Teil der regierenden Gewalten („Sonne, Mond und Sterne") verfinstert, daß sie statt Licht Finsternis verbreiten; somit haben sie aufgehört, als Mächte zu gelten, die, wie heute, von Gott verordnet und eingesetzt sind (Röm 13,1.). Dieses Gericht und Verderben geht aus, wie wir später erst erfahren, von Satan, „dem Drachen". (Off 12,3-4.)
Wie ernst sind Gottes Gerichte! Auf dem Gebieten des christlichen Abendlandes also, wo das Licht des Evangeliums so hell geleuchtet hat, wie irgendwo in der Welt, da wird bald das Licht verschwunden sein und dichte, schreckliche Finsternis herrschen. Schon heute sehen wir Unglauben und Aberglauben über die Millionen der christlichen Bekenner mehr und mehr ihre Flüge! ausbreiten, um, wenn möglich, alle in ihren Bann zu schlagen.
Aber gegenwärtig ist noch der Heilige Geist auf Erden und Christi Braut, die Gemeinde der Gläubigen; so wird noch immer Gottes seligmachendes Evangelium — vielen zum Heil! — verkündigt und verbreitet. Nach der Hinwegnahme der Braut und des Heiligen Geistes von der Erde (vgl. Off 22,17.20) wird aber die Christenheit ohne Salz und Licht sein, ein Schauplatz des Abfalls, wo „Babylon", die abtrünnige Kirche (Off 17-19), ihre Herrschaft entfalten wird, getragen „von dem Tiere", dem wiedererstandenen Römischen Reiche. Dann werden kräftige Irrtümer und Lügen allgemeine Verbreitung und Annahme finden (2Thes 2,11-12.). Ja, da, wo heute der Heilige Geist inmitten des Volkes Gottes wirkt und wohnt, da wird nach Seinem Weggang ein Tummelplatz böser Geister sein, und Satan selbst wird dort mit seinen abtrünnigen Engeln seinen Wohnplatz nehmen, bis er seinen Ort im Abgrund findet. (Off 12,7 folg.)
Nachdem die vierte Posaune ertönt, erblickt der Seher noch einen fliegenden Adler (nicht diesmal einen Engel). Dieser ist wohl das Bild der Schnelligkeit und Kraft, mit welcher die folgenden Gerichte über die Erde kommen werden; er ruft denn auch ein dreifaches Wehe aus über die, „welche auf der Erde wohnen"42 wegen der drei Posaunen und Gerichte, die noch kommen.
39 Vgl. z. B. 1. Mose 16,9.13; 2. Mose 3,2.4, Jes 63,9 u. a. m.↩︎
40 Vergleiche zu dem Ausdruck „vollendet" die Stelle Heb 12,23, „Geister der vollendeten Gerechten", worunter alle entschlafenen Gläubigen gemeint sind. Ihre Seelen („Geister") sind im Himmel, und deshalb sind sie „vollendet". (Off 6,11.)↩︎
41 Das Römische Weltreich wird nämlich, wie wir später finden werden, wiederhergestellt werden, und zwar wahrscheinlich ziemlich in seiner früheren Ausdehnung.↩︎
42↩︎Dieser Ausdruck begegnete uns schon früher (3, 10; 6, 10). Er kommt in der Offenbarung zwölfmal vor. Es sind darunter gewiss, wie wir weiter oben schon angedeutet haben, religiöse Bekenner verstanden, deren Herzen nur auf das Irdische gerichtet und ohne göttliches Leben sind, keine Liebe zum Herrn und keine himmlische Hoffnung haben. Vgl. Phil 3,19 und im Gegensatz dazu Phil 3,20.