Schriften von Emil Dönges
Off 2-3 - „Das, was ist" - Die sieben Versammlungen oder Gemeinden
Off 3,1-6 - SardesOff 3,1-6 - Sardes
Betrachten wir nun das Sendschreiben an Sardes „Dieses sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werte, daß du den Namen hast, daß du lebest und bist tot. Sei wachsam und stärke das Übrige, das sterben will; denn ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor meinem Gott. Gedenke nun, wie du empfangen und gehört hast, und bewahre es und tue Busse. Wenn du nun nicht wachen wirst, so werde ich über dich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde. Aber du hast einige wenige Namen in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; und sie werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind es wert. Wer überwindet, der wird mit weißen Kleidern bekleidet werden, und ich werde seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buche des Lebens und werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. — Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!" (Off 3,1-6.)
Mit Sardes, der fünften Gemeinde, beginnt ein Neues, wie denn auch der Name Sardes nach hebräischer Deutung schon „Überrest" oder „ein Entronnenes" bedeutet. Wir haben in ihr die Geschichte des Protestantismus vor uns, wie er mit dem 16. Jahrhundert anhebt. Es ist hier ein neuer Anfang, wie dies auch aus der Anrede an Sardes hervorgeht. Der Herr stellt sich nämlich der Gemeinde in Sardes in ähnlicher Weise vor, wie im Anfang der Kirche der ersten Gemeinde. Er sagt: „Dieses sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne." (Off 3,1,- vgl. dazu Off 2,1!)
Wohl „hält" Jesus hier die sieben Sterne nicht „in Seiner Rechten" wie dort. Es ist nicht mehr die erste Machtentfaltung da; aber der Herr selbst ist noch immer da, Er hat noch immer die sieben Sterne, die höchste Autorität über die Gemeinde oder Kirche. Und zum Troste aller, die Ohren haben, um zu hören, was der Geist den Versammlungen zu sagen hat, erklärt Er, daß Er „die sieben Geister hat", d. h., daß beim Herrn ncch immer alle Fülle des Geistes und der Gnade und des Segens zu finden ist. Es ist also nicht nötig, zu verzagen und zu ermatten oder aufzuhören, ein Zeugnis für Ihn zu sein; niemand braucht zu Schanden zu werden, der auf Ihn hört und auf Ihn vertraut! Aber ach, zu keiner Gemeinde muß der Herr, das Haupt der Kirche, so ernste Worte reden, wie zu Sardes. Nur zu Laodicäa, welche das letzte und traurigste Stadium der bekennenden Kirche auf Erden bezeichnet, kurz bevor sie „ausgespieen" wird, d. h. ehe der Herr sich völlig von ihr lossagt, redet Er noch ernstere Worte. Wir hören Ihn zu Sardes sagen: „Ich kenne deine Werke, daß du den Namen hast, daß du lebest und bist — tot." Welch ein schreckliches Wort aus dem Munde Dessen, der der gerechte Richter ist, dessen Augen wie Feuerflammen sind, der Herz und Nieren prüft! Gegen Sein Urteil und Gericht gibt es keine Berufung in Zeit und Ewigkeit.
Welch ein herrliches und großes Werk tat Gott in der evangelischen Reformation! Der Herr, der „die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne", hatte ein Neues gewirkt, hatte Sein ewiges, teures Wort, die Heilige Schrift, dem Volke wiedergegeben, die Quelle des Lichts und Heils; Er hatte Seine Gnade und Wahrheit, die Er heilbringend allen gebracht, den Herzen neu vor Augen gestellt und sie belehrt, daß der Mensch nicht durch Gesetzeswerke, sondern durch den Glauben an das vollkommene, ewig vollgültige Opfer von Golgatha gerechtfertigt und errettet wird. Und Gottes Wort wurde wieder als die Richtschnur des Glaubens und Lebens anerkannt.
Ja, welch ein herrlicher Anfang, welch ein großes und gesegnetes Werk von Gott war die Reformation! Aber der Fortgang entsprach dem Anfang nicht. War die Reformation ohne Frage ein Werk Gottes, so ist der Protestantismus ebenso sicher ein Werk von Menschen. Der Geist des Herrn begann das Werk; der Wille des Menschen, das Fleisch, setzte es fort. Gott ließ alle hören, daß der Mensch nicht aus eigenen Werken gerechtfertigt wird und nur durch Jesu Christi Opfer in den Himmel kommt. Die große Masse des Volkes griff zu und nahm „die neue Lehre" an, wie man sie nannte, aber sie blieb dabei — mit Ausnahme eines kleinen Teiles — geistlich tot. Da war keine wahre Buße zu Gott, kein lebendiger Glaube an den Herrn Jesum Christum und darum keine Herzenserneuerung. Die Masse der Bekenner blieb ohne Geist und Leben.
Fürsten und Völker nahmen im großen und ganzen ein Glaubensbekenntnis an ohne Glauben, ohne Jesum und Sein Heil. Sie waren wohl ausgegangen aus Babel und seinen Fesseln und erhoben Protest gegen sie12, aber sie waren nicht eingegangen in das göttliche Licht und Leben. Das Volk hatte ein orthodoxes oder biblisches Bekenntnis angenommen: „einen Namen, daß du lebest", aber ach, im großen und ganzen war und blieb es — „tot".
Der Herr hat in Sardes zwar nichts zu tadeln über böse Lehren oder gottlose Verderbnis. Diese hatte die Prophetin Isebel in Thyatira ein geführt, und aus ihr ging Sardes infolge einer Reformation hervor. Aber es fehlte dabei der Masse an göttlichem Leben und geistlicher Tatkraft. Der Herr ruft Sardes tiefbetrübt zu: „Ich kenne deine Werke, daß du den Namen hast, daß du lebest und bist tot. Sei wachsam (eigentlich: werde wachend, d. h. wache auf!) und stärke das Übrige, das sterben will; denn Ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor Meinem Gott!" Also da war wohl in Sardes — im Gegensatze zu Thya- tira — ein orthodoxes, d. h. rechtgläubiges, biblisches Bekenntnis, aber es fehlte den meisten Bekennern das göttliche Leben, das durch die wiedergebärende Kraft des Wortes Gottes und des Heiligen Geistes hervorgebracht wird. Und weil das Leben und der lebendige Glaube fehlten, war es ganz begreiflich, daß auch „die Werke nicht völlig" erfunden wurden. — Orthodoxe Glaubensbekenntnisse genügen nicht vor Gott und geben keine Kraft. — Sardes soll aufwachen, um das, was sterben will, zu befestigen.
Wenn nun auch Sardes im großen Ganzen durch den Tod gekennzeichnet war, so waren doch noch Lebenskeime und Segenskanäle da, die aber, weil es an Leben und Energie gebrach, ersterben und versiegen wollten.
Der Herr fordert darum den Engel zu Sardes auf, sich aufzuraffen, um das zu erhalten und zu stärken, was ncch an Leben und Segen vorhanden ist.
Und weiter ruft der Herr noch Sardes zu: „Gedenke nun, wie du empfangen und gehört hast und tue Buße!"
Mit diesen Worten erinnert der Herr die protestantische Kirche an den schönen Anfang, den Er gegeben hatte; Er hatte ein Neues gewirkt. Nach den dunklen Jahrhunderten des Mittelalters hatte Er in Gnaden eine neue Zeit herbeigeführt. Und was war es, was sie aus Gnaden „empfangen" und „gehört" hatten? Es war Gottes ewiges Wort, Seine untrügliche Wahrheit. — An dieses beides nun: wie sie „empfangen" und „gehört" hatten, an Gottes Gnade und Wahrheit also, sollten sie gedenken und dann Buße tun.
Aber hat Sardes daran gedacht, und hat es den verliehenen Segen, Gottes Gnade und Wahrheit, in Dankbarkeit festgehalten oder Buße getan? Ach, nein! Beides nicht. Wohl sind die Bekenntnisschriften der Reformatoren geblieben, aber Bekenntnisschriften sind nicht Leben, wenn sie auch denen, die sie angenommen haben, den Schein oder Namen geben, daß sie leben.
Und selbst an den orthodoxen Bekenntnisschriften der Reformatoren rütteln heute in ganz Sardes (fast ohne jede rühmliche Ausnahme) die Professoren der Theologie an den Universitäten, und mit ihnen mehr und mehr auch die Prediger in den Kirchen und die Religionslehrer an den höheren Lehranstalten und an den Volksschulen. Kein allgemein anerkannter Führer in der theologischen Wissenschaft von ganz Sardes glaubt mehr — dessen rühmen sie sich laut — an die göttliche Eingebung der Heiligen Schrift, die doch durch Gottes Gnade seit der Reformation wieder als der Grund und die alleinige Richtschnur in Glaubenssachen anerkannt worden war. — Und zugleich wird von den meisten Leitern und Lehrern in Sardes die Gottheit Jesu Christi geleugnet, Sein Opfertod am Kreuze, die ewige Erlösung durch Sein Blut, Seine siegreiche Auferstehung, Seine Wiederkunft zum Gericht. Und fern davon, darüber Buße tun zu wollen, wird in den protestantischen Volksküchen der allgemeine Abfall von Gottes Wort immer deutlicher in Kirche und Schule angebahnt und gefordert.
Und was sagt der Herr dazu? „Wenn du nun nicht wachen wirst, so werde Ich über dich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde Ich über dich kommen werde."
Siebenmal, mit Einschluß dieser Stelle, lesen wir im Neuen Testamente, daß der Herr über die Welt kommen werde „wie ein Dieb", d. h. ganz unerwartet und in der Nacht. Aber für die teuren Seinigen will Er nicht so kommen, sondern von ihnen freudig erwartet und ersehnt als der teure Bräutigam, als der „glänzende Morgenstern", der die wartenden, wachenden Seinigen ins Vaterhaus führt. (Joh 14,3; Off 3,10; 22,16.17.)
Daß aber der Herr zu Sardes von Seinem Kommen redet als dem Kommen eines Diebes, zeigt, daß Er Sardes im ganzen nicht als zu Seiner Braut gehörig betrachten und behandeln kann, sondern als zur Welt gehörig (1Thes 5,1-3.). Und ist nicht in Sardes die Welt am Ruder? Während Thyatira (die Papstkirche) widerrechtlich nach der Herrschaft strebt über die Welt, sehen wir in Sardes (in den protestantischen Volksküchen) das Gegenteil: die Welt herrscht über die Kirche. — Beides ist verkehrt. Welt und Kirche sind nach Gottes Gedanken zwei ganz verschiedene Begriffe und Gebiete, die säuberlich voneinander getrennt und geschieden bleiben sollten. Wohl warf die Kirche zur Zeit der Reformation ein schweres Joch ab, aber die Landesfürsten, welche die Klöster entleerten und die aufgehäuften Kirchengüter einzogen, wurden die Herren der Kirche. Und bis zu dieser Stunde regeln sie als die „obersten Bischöfe"13 mit den „Abgeordneten" des Landes, ob diese Christen sind oder nicht, die Ordnungen und Gesetze der „Kirche", zu der jeder Getaufte und Konfirmierte im Lande gehört. Von der Wiedergeburt und dem Geiste Christi, ohne welchen doch niemand zu Christo und zu Seiner Kirche oder Gemeinde gehört, wird die Zugehörigkeit zur Volksküche denn auch nicht im geringsten abhängig gemacht.
Doch auch hier in Sardes hören wir ein gesegnetes „Aber": „Aber du hast einige wenige Namen in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; und sie werden mit Mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind es wert."
Das Wort Gottes, das in der Reformation Sardes wiedergegeben worden, ist wahrlich hier nicht fruchtleer geblieben. Hin und wieder wurden viele Seelen durch „den unvergänglichen Samen" des Wortes Gottes wiedergeboren (1Pet 1,22.23.). Sie erlangten durch den Glauben an den Sohn Gottes und an Sein teures Opfer göttliches Leben und das Kleid der göttlichen Gerechtigkeit. Diese alle begnügen sich nicht mit dem Namen und dem orthodoxen Bekenntnis. Sie haben Leben aus Gott und Seine Gerechtigkeit in Christo Jesu erlangt und wandeln nun mit Gott.
Ja, auch in „Sardes", welches das prophetische Bild der protestantischen Kirche ist, hat Gott Seelen, die durch Sein teures Wort und Seinen Geist erneuert oder wiedergeboren sind. Sie sind Gottes Kinder, „die ihre Kleider nicht besudelt haben". Diese alle gehören dem Herrn Jesu an, der die Seinigen überall kennt; und sie werden ewig mit Ihm im Himmel sein. Sie werden mit Ihm „in weißen Kleidern einhergehen; denn sie sind es wert". Sie haben ihre Kleider gewaschen im Blute des Lammes und sind mit Ihm durch die böse, abtrünnige Welt vorangegangen. Sie sind lebendige, wahrhaft wiedergeborene Christen inmitten eines weltlichen Bekenntnisses. Sie werden auch geächtet sein bei denen, die „den Namen haben, daß sie leben und sind tot", deren Namen wohl in den Kirchenbüchern, nicht aber in Gottes „Buch des Lebens" zu finden sind. „Wer überwindet," so sagt der Herr den Seinigen in Sardes, „der wird mit weißen Kleidern bekleidet werden; und Ich will seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buche des Lebens und will seinen Namen bekennen vor Meinem Vater und vor Seinen Engeln."
Was immer diese Gläubigen inmitten des toten weltlichen Bekenntnisses an Verachtung erfahren haben mögen, der Herr wird sie, wenn Er einst erscheinen wird, öffentlich ehren mit dem Schmucke der Gerechtigkeit Seiner Treuen (Off 19,7.8.). Er hat alle Namen Seiner Frommen unauslöschlich in Seinem „Buche des Lebens" stehen und wird sie auch vor Seinem Vater und vor Seinen Engeln bekennen als Gottes Kinder, die durch Sein Wort und Seinen Geist wiedergeboren und versiegelt waren.
Der Herr sagt: „Wer überwindet, wird mit Mir in weißen Kleidern gehen." Sind wir „Überwinder"? Gilt auch uns inmitten einer gleichgültigen, toten Christenheit das Wort Gottes und der Name des Sohnes Gottes und Sein Zeugnis mehr als alle Weisheit und Ehre bei den Menschen? — „Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!"
12 Der Name Protestant rührt her von der Protestation (dem Einspruch), den die evangelischen Stände 1529 gegen den Reichstagsbeschluß von Speyer, wonach alle kirchlichen Reformen verboten sein sollten, einlegten. Nachher wurden alle Anhänger der Reformation Protestanten genannt.↩︎
13 Der jeweilige protestantische Landesherr hat das Recht des Summepiskopats, d. h. als „oberster Bischof" (..summus episcopus") die Kirche seines Landes zu vertreten, zu regieren und zu schützen.↩︎