Schriften von Emil Dönges
Off 2-3 - „Das, was ist" - Die sieben Versammlungen oder Gemeinden
Off 2,18-29 - ThyatiraOff 2,18-29 - Thyatira
Wir kommen nun an das vierte Sendschreiben, das gerichtet ist an Thyatira „Dieses sagt der Sohn Gottes, der seine Augen hat wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich glänzendem Kupfer: Ich kenne deine Werte und deine Liebe und deinen Glauben und deinen Dienst und dein Ausharren, und weiß, daß deiner letzten Werke mehr sind als der ersten. Aber ich habe wider dich, daß du das Weib duldest, welche sich eine Prophetin nennt, und sie lehrt und verführt meine Knechte, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen. Und ich gab ihr Zeit, auf daß sie Buße täte, und sie will nicht Buße tun von ihrer Hurerei. Siehe, ich werfe sie in ein Bett, und die, welche Ehebruch mit ihr treiben, in große Drangsal, wenn sie nicht Buße tun von ihren Werken, und ihre (d. i. Isabels) Kinder werde ich mit Tod töten, und alle Versammlungen werden erkennen, daß ich es bin, der Nieren und Herzen erforscht; und ich werde euch einem jeden nach euren Werten geben; euch aber sage ich, den übrigen, die in Thyatira sind, so viele diese Lehre nicht haben, welche die Tiefen des Satans, wie sie sagen, nicht erkannt haben: ich werfe keine andere Last auf euch; doch, was ihr habt, hallet fest, bis ich komme. „Und wer überwindet und meine Werke bewahrt bis ans Ende, dem werde ich Gewalt über die Nationen geben; und er wird sie weiden mit eiserner Rute, wie Töpfergefässe zerschmettert werden, wie auch ich von meinem Vater empfangen habe; und ich werde ihm den Morgenstern geben. Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!" (Off 2,18-29.)
Thyatira ist das heutige Akhissar, die „weiße Stadt", an der Straße von Pergamus nach Sardes gelegen und bekannt durch ihren bösen Opiumhandel. Heute noch ist dort eine kleine Gemeinde von christlichen Bekennern.
Welche Kirche aber ist in der Geschichte auf die morgenländische, die sogenannte griechische Kirche, gefolgt und in den Vordergrund getreten? Die römische. — Schon lange zwar hatten die römischen Bischöfe sich Ansehen zu verschaffen gewußt und wurden mit den Bischöfen in Konstantinopel, Antiochien, Jerusalem und Alexandrien „Patriarchen" genannt. Als aber die germanischen Völker — die Goten, Lombarden, Franken, Angelsachsen und andere deutsche Stämme — das christliche Bekenntnis annahmen und in Verbindung mit der römischen Kirche kamen, da erlangte diese eine sehr hohe Bedeutung. War bis in das 7. Jahrhundert die griechische Kirche der Mittelpunkt der christlichen Welt, so trat nun die römische, die sich später auch ganz von der griechischen trennte, an deren Stelle. Sie, die römische Kirche, ist in dem vierten Sendschreiben, in Thyatira, prophetisch vorgebildet.
Wie auch bei den früheren Sendschreiben die Namen der Gemeinden schon einen Schlüssel bildeten zum Verständnis der prophetischen Bedeutung der einzelnen Sendschreiben9, so auch hier; Thyatira heißt nämlich die Opfernde, die „Weihrauchspenderin". Ist dieser Name nicht sehr bezeichnend für die Kirche Roms? Auf Tausenden von „Altären" wird in der römischen Kirche, deren Macht und gewaltige Größe aus viele Millionen wie ein Zauberbann wirkt, das ein für allemal vollgültige und ewig vollkommene Opfer des Sohnes Gottes vergeblich „wiederholt"; es wird dasselbe nach ihrer Lehre unblutig immer und immer wieder erneuert, und zwar für Tote und für Lebende.
Dies alles steht im vollen Widerspruch mit den Zeugnissen der Heiligen Schrift. Weiter steigen aus zahllosen Rauchfässern in Rom die „Opfer des Dankes" aus, die man darbringt statt der geistlichen Opfer des Dankes und Lobes, die Gott jetzt sucht und allein annimmt, indem die Gläubigen in der Jetztzeit Ihm, dem Vater, nur „im Geistund in der Wahrheit" Anbetung bringen sollen (Heb 13,16; 1Pet 2,6; Joh 4,23.24.). Wie entsetzlich und verwerflich sind in Gottes Augen alle vermeintlichen „Wiederholungen" des großen, ein für allemal geschehenen Opfers Jesu Christi, des hochgelobten eingeborenen Sohnes Gottes! Gottes Wort zeigt uns, daß dieses Opfer nie wiederholt werden kann: es ist „ein für allemal geschehen"; und es zeigt uns, daß es auch nie mehr der Wiederholung bedarf: es gilt für ewig. (Heb 9,10)
Betrachten wir nun das Sendschreiben näher. In der Anrede nennt sich der Herr „der Sohn Gottes". Wir wissen, daß Er als solcher der Grund und Fels Seiner Kirche ist. Auf die Frage des Herrn: „Wer sagen die Menschen, daß Ich, der Sohn der Menschen, sei?" ergriff Petrus das Wort und antwortete im Rahmen der Jünger: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes." Und anspielend auf seinen Namen antwortete der Herr dem Petrus: „Du bist Petrus (ein Stein); und auf diesen Felsen10 (daß Ich, Christus, der Sohn des lebendigen Gottes bin) werde Ich Meine Versammlung bauen, und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen." (Mt 16,18.)
In diesem Charakter also, als der Fels und Mittelpunkt und das Haupt Seiner Kirche, stellt Jesus Christus sich hier als der „Sohn Gottes" bezeichnenderweise Thyatira vor. Das Bekenntnis, daß Jesus Christus „der Sohn des lebendigen Gottes" ist, ist der Form nach in Thyatira geblieben. Aber findet Er hier Seine volle Anerkennung als Fels, Mittelpunkt und Haupt? — Laß die römische Kirche darauf antworten! Er durchforscht alles. Er wird Seine Ehre keinem anderen lassen. „Seine Augen sind wie eine Feuerflamme und Seine Füße gleich glänzendem Kupfer." — Vor Seinem Blick sind auch die verborgensten Tiefen bloß und aufgedeckt,- und Seine Füße, die gleich Erz sind, das im Ofen glüht (vgl. Off 1,14), deuten an, wie heilig und rein Sein Wandel ist, wie Er unbeugsam ist und gerecht als Richter über alles Sündhafte und Unreine, das Er auf Seinem Gange durch die Versammlungen findet.
Doch zunächst lobt und erkennt der Herr, wie überall, so auch hier in Thyatira alles gern und willig an, was Er loben und anerkennen kann. — Er sagt: „Ich kenne deine Werke und deine Liebe und deinen Glauben und deinen Dienst und dein Ausharren, und daß deiner letzten Werke mehr sind als der ersten." (Off 2,19.) Also viel Eifer, Tatkraft und Werktätigkeit war in Thyatira vorhanden; ja, die Zahl der Werke hatte zugenommen. Auch an Hingebung, Liebe und Glauben fehlte es nicht in der Mitte derer, die so eifrig und ausharrend waren in ihrem Tun. Neben Liebe und Glauben fehlt nur die Hoffnung; sie wird nicht genannt. Dies war offenbar ein großer Mangel. Denn wer die Zugehörigkeit zu Christo kennt und über alles schätzt und Sein Wort hoch hält in Seiner Abwesenheit, der hofft auf Ihn und wartet sehnsuchtsvoll auf die Erfüllung Seiner Verheißung, auf Seine persönliche Rückkehr. In Thessalonich waren alle drei Tugenden und Kennzeichen da, die den wahren Christen schmücken: Glaube, Liebe, Hoffnung (1Thes 1,3.). Wenn die Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn und Heilandes im Herzen schwindet, so kehrt Weltförmigkeit ein, und man macht sich da heimisch und sucht da Geltung und Rechte, wo man ein Fremdling sein sollte. — Ist es nicht so mit der bekennenden Kirche, besonders der römischen ergangen, die da herrschen möchte, wo sie fremd und arm und gering sein sollte?
Wohl ist die römische Kirche reich an „Werken"; aber ach! meist sind es selbsterwählte tote Werke einer wertlosen, eigenen Gerechtigkeit, wie Wallfahrten, Hersagen von Gebeten nach vorgeschriebener Zahl, Kasteiungen usw. Doch der Herr, der jedes einzelne Herz kennt und jedes für sich voll Liebe ansieht und prüft, sieht bei einzelnen auch wahre Liebe, Lebendigen Glauben, treues Ausharren, wenn auch vielfach überdeckt und fast erstickt von dem Schutt eitler Zeremonien und wertloser Formen. Der Herr sieht das Herz und die Beweggründe des Herzens an; und was aus Liebe zu Ihm geschieht, das erkennt Er an, das dient zu Seiner Verherrlichung.
Nachdem der Herr so in Thyatira anerkannt, was Er loben kann, klagt Er: „Aber Ich habe wider dich, daß du das Weib Isebel duldest, die da sagt, sie fei eine Prophetin, und sie lehrt und verführt Meine Knechte, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen." — Wahrlich, das ist eine schwere Anklage! „Isebel" heißt „die Unberührte", „Keusche". Ein schönes, hohes Bekenntnis liegt in diesem Namen. Aber wer war Isebel ursprünglich? Auf wen geht der hier nur bildlich gebrauchte Name zurück? Isebel war, wie wir alle längst aus der biblischen Geschichte wissen, das gottlose Weib des Königs Ahab von Israel. Sie war eine Heidin, die nie auf den Thron Israels hätte kommen dürfen, und die auf diesen Thron den Fluch der Kananiter brachte. Und das Unheil machte nicht einmal Halt in Israel, sondern drang auch bis in das Reich Juda hindurch,- denn Isebels Tochter wurde dem Könige Joram von Juda angetraut, und so wurde auch dieser verderbt (2Kön 8,16-18.). Ja, wenn der Geist Isebels erst zur Herrschaft kommt, so dringt ihr verderbenbringender Einfluß weithin über Land und Leute. Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre durch Isebels Tochter Athalja die ganze königliche Nachkommenschaft Davids, aus welcher der Messias kommen mußte, umgebracht worden (2Kön 11.). Durch Isebel kam also Tod und Verderben zu Israel und Juda. Sie führte den Baalsdienst mit all seinen Greueln und seiner Unsittlichkeit in Israel ein und verdrängte dann völlig die Verehrung Jehovas; der Baalsdienst wurde die Religion des Volkes, gleichsam Staatsreligion, und die Propheten Baals überschwemmten das Land und lebten am Tische der Königin. Außerdem war Isebel eine Mörderin, die fanatische Verfolgerin der Zeugen des Herrn.
Ja, Isebel hat in ihren Tagen, wie es in unserem Sendschreiben bildlich von einer geistlichen bösen Richtung in der Kirche heißt, „die Knechte Gottes verführt, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen"; denn die Heilige Schrift nennt Abtrünnigkeit von Gott bildlich „Hurerei" und „Ehebruch". Tatsächlich aber herrschten auch grobe Fleischessünden zur Zeit Isebels in Israel, wie sie sich auch in schrecklicher Weise in dem von ihr Vorgebildeten geistlichen System finden. Im 9., 10. und 11. Jahrhundert brach eine besonders dunkle und böse Zeit in der Kirchengeschichte an. Die himmlische Stellung und die himmlischen Ziele der wahren Kirche wurden völlig verleugnet. Die bekennende Kirche kämpfte mit allen Mitteln um die Weltherrschaft; die Fürsten der Erde sollten einzig noch dem Glanze und der Machtstellung der Kirche untertan und dienstbar sein, ihr, der hohen Herrin und Gebieterin. — Von Gottes lauterem Wort und Evangelium, das uns sagt, daß für uns verirrte und verlorene Menschenkinder nur im Namen Jesu, des Sohnes Gottes, Heil und Seligkeit zu finden ist, und daß Sein Reich und somit auch das Reich der Seinigen nicht von dieser Welt ist (Apg 4,10-12; Ev. Joh 18,36), wich die Kirche gänzlich ab. Sie lehrte jetzt, daß in ihr, und zwar durch das Halten und Tun ihrer Vorschriften und Werke das Heil zu finden sei. Fort und fort stritt sie zugleich mit Kaisern und Königen um das Reich und die Herrschaft in dieser Welt. An der Stelle des dienenden, demütigen, alleinseligmachenden Heilandes, der da rief und glücklicherweise heute noch ruft: „Kommet her zu Mir alle, ihr Mühseligen und Beladenen, und Ich werde euch Ruhe geben" (Mt 11,28), stand nun eine herrschende „alleinseligmachende Kirche" da, welche die Seelen bedrückte und Geld und Opfer, Ehre und Ansehen von der Welt forderte.
Wie vor alters durch die ungöttliche Verbindung von den „Söhnen Gottes" mit den „Töchtern der Menschen" die Riesen entstanden, so entstand aus der innigen Verbindung der sogenannten „Kirche" mit der Welt, die Satan zuwege gebracht, ein großes gewaltiges Gebäude und System, das bis zur Stunde die Bewunderung der Menge erregt, soweit sie nicht von Gottes Wort erleuchtet ist. Zugleich begann dieses mächtige System aus dem Mittelalter — als Prophetin inmitten von Thyatira — mit Folter, Scheiterhaufen und Schwert alle zu verfolgen und zu töten, die Gottes Wort höher stellten als des Menschen Wort. Doch hielt „die Kirche" dabei immer ihre eigenen Hände scheinbar rein von dem Blut „der Ketzer", das in Strömen floß; denn sie übergab diese ja zur Verfolgung und Hinrichtung nur dem „weltlichen Arm", d. h. der ihr unterworfenen und dienstbereiten Obrigkeit. So ließ auch im Alten Bunde Isebel, Ahabs Weib, das von ihr geschriebene Todesurteil Naboths mit des Königs Siegel versiegeln und dann auf Grund desselben den Gerechten steinigen (1Kön 21.). Ja, die Papstkirche hat stets die Zeugen Gottes verfolgt und viel gerechtes Blut vergossen. Aus diesem System einer ungöttlichen Verbindung oder Durchdringung von geistlichreligiösen und fleischlich-weltlichen Bedürfnissen und Grundsätzen sind „Kinder" hervorgegangen (Off 2,23), Auswüchse, Personen und Einrichtungen, die Gott, wenn dereinst das System erst ausgereift sein wird, wie wir das in der Offenbarung 17 und 18 geschildert finden, schwer heimsuchen und richten wird.
Gott gab im Lauf der Jahrhunderte Thyatira „Zeit, Buße zu tun". Wie mancher Versuch zu einer Reformation an Haupt und Gliedern hat im Laufe der Jahrhunderte, bis in die neueste Zeit, an ihren ehernen Pforten geklopft und Einlaß begehrt; aber vergeblich. Die Gefängnisse und Scheiterhaufen in Deutschland, Schottland und England, in Frankreich, der Schweiz, Italien und Spanien, im 16. und 17. Jahrhundert, wie auch die späteren Austreibungen und Verbannungen frommer Christen z. B. aus Salzburg und dem Zillertal, und die stete Forderung des Widerrufs aller Proteste ernster Männer gegen „Rom" bis in unsere Tage hinein, bezeugen: „Sie will nicht Buße tun"; wie der Herr in diesem Sendschreiben dies auch vorher gesagt hat.
O wie furchtbar, wenn das Ohr abgewandt wird von Gottes Wort und Lehre, um auf die Eingebungen des eigenen Herzens oder auf die Stimme der Menschen zu hören! Dies führt die Hörer unter ein hartes Joch und in Götzendienst und Verderben. Wie lieblich und gesegnet dagegen ist die lebendig- und seligmachende Stimme des Evangeliums, die ja die Stimme Jesu, des guten Hirten, selbst ist! Sie führt den, der auf sie hört und ihr gehorcht, zu Heil und Frieden, zur wahren Freiheit und zum ewigen Leben. Jedoch gab es und gibt es zu allen Zeiten, seit dem finsteren Mittelalter bis auf den heutigen Tag, auch in dem dunklen „Thyatira", in der römischen Kirche, so abtrünnig sie ist, erlöste Seelen, die der Herr als die Seinigen liebt und anerkennt, wenn es Ihm auch gewiß schmerzlich ist, daß sie in einer solchen Verbindung und Umgebung stehen. Wie wertvoll ist das Wort, das der Apostel gerade im Blick auf die damals noch künftige, nun aber in so großem Maße vorhandene Verwirrung und geistliche Finsternis in der Christenheit sagt: „Der Herr kennt, die Sein sind." (2Tim 2,19.)
Der Herr wendet sich, nachdem Er das verderbte System der Gemeinde zu Thyatira und das böse Treiben der Isebel in ihr, wie wir sahen, genügend gekennzeichnet hat, an einen Überrest, der inmitten des Systems verblieb, weil er das Böse darin nicht erkannte, vor allem auch nicht den satanischen Ursprung desselben. Er schreibt ihnen: „Euch aber sage Ich, den Übrigen, die zu Thyatira sind, so viele diese Lehre nicht haben, welche die Tiefen des Satans, wie sie sagen, nicht erkannt haben: Ich will keine andere Last auf euch werfen; doch was ihr habt, das haltet fest, bis Ich komme." (Off 2,24.25.)
Gott hatte und hat also auch in der Mitte von Thyatira, „der Weihrauchspenderin", wie ihr Name heißt, die mit ihrem Pomp, ihrer Heiligen- und Reliquienverehrung, ihrem äußeren Zeremonien-, Werk- und Bilderdienst, ihrem Ablaßkram, Meßopfer und Marienkultus leider der Person des Sohnes Gottes und Seinem ein für allemal vollbrachten und vollkommenen Erlösungswerke nicht den rechten und allein gebührenden Platz einräumt, auch noch eine Schar von wahrhaft gläubigen Seelen, die in ihrer Kindes- und Herzenseinfalt „die Tiefen des Satans nicht erkannt" haben und erkennen. Sie hängen heilsverlangend an der Person und dem Werke des Herrn und Heilandes; und alles andere erkennen und verstehen und begehren sie nicht. In Christo allein, dem Gekreuzigten, suchen sie mit Recht das zu finden, was ihr Gewissen und Herz begehrt: Vergebung der Schuld und Barmherzigkeit und Trost für den Weg durch die rauhe, böse Welt zur Ewigkeit. Auf diese Gläubigen nun will der Herr „keine andere Last werfen"; sie sind ja ohnehin genug beschwert. Ihnen fehlt ja durchweg aus Mangel an genügender und klarer Schrift- und Heilserkenntnis der volle, göttliche Frieden und die Gewißheit des Heils, welche das teure Evangelium doch jedem wahrhaft gläubigen Christen verleiht.
Zwei Dinge noch können wir den obigen Worten des Herrn an die „Übrigen" entnehmen. Zunächst dies, daß der Herr nicht mehr die ganze Kirche anerkennt als Sein Zeugnis, sondern nur noch einen Überrest darin. Und weiter noch: Thyatira wird als kirchliches System neben den drei folgenden Gemeinden Sardes, Philadelphia und Laodicäa bestehen bleiben bis zur Wiederkunft Christi. Denn Er sagt in obigen Worten: „Was ihr habt, das haltet fest, bis Ich komme." Das volle Gericht über Thyatira wird erst nach der weiteren Entwickelung und vollen Ausreifung des Bösen stattfinden und ist uns gegen Ende des Buches der Offenbarung erzählt.11 Thyatira wird, da sie, wie wir dies in Vers 21 sehen, „nicht Busse tun will", vorangehen im Bösen, bis Christus zum Gericht kommt.
Bemerkenswert ist auch, daß in dem Sendschreiben an Thyatira zum erstenmal (wie nachher in den drei folgenden Sendschreiben) das Wort: „Wer ein Ohr hat, der höre usw.", nicht mehr vor der Belohnung steht, die dem Überwinder verheißen ist, sondern erst nachher, also erst ganz am Schluß (Vgl. Off 2,7.11.17 mit Off 2,29 und Off 3,6.13!). Auch dieser Umstand zeigt, daß der Herr von der Gesamtheit der christlichen Kirche keine Umkehr und Heilung oder Herstellung mehr erwartet, indem Er sich nur noch an die Einzelnen wendet. Bis dahin war der Überwinder oder das hörende Ohr doch noch in Verbindung mit dem Gesamtzeugnis der Kirche gedacht, jetzt aber steht das hörende Ohr allein und für sich da.
Der Herr ruft also den Überwindern in Thyatira zu: „Was ihr habt, das haltet fest, bis Ich komme!" Wenn der Leser beachtet, was wir oben von manchen einfältigen Seelen in Thyatira gesagt haben, so versteht er diesen Zuruf des Herrn gut. In Wahrheit besitzen oder „haben" diese Seelen etwas, was wert ist, festgehalten zu werden. Sie halten fest, daß die Bibel das ewige Wort Gottes ist, und daß der Herr Jesus Christus der ewige Sohn Gottes ist, während zehntausende, vielleicht Millionen sogenannter Protestanten unter der Leitung ihrer freisinnigen modernen Theologen, Professoren und Lehrer diese herrlichen Wahrheiten von der Inspiration der Heiligen Schrift und von der Gottheit Jesu Christi, Seinem Opfertod und Seiner Auferstehung schnöde leugnen und verwerfen. — Und wie ermunternd ist es für diese „Überwinder", zu hören, daß Christus, der für sie am Kreuze hing, den sie lieben, wiederkommt.
Wenn der Herr dann sagt: „Wer überwindet und Meine Werke bewahrt bis ans Ende", so stellt Er selbst sich den Überwindern als Vorbild hin. Nie offenbarte Christus Seine Macht oder tat Er Werke, um hier, in der gefallenen Welt, für sich Gunst und Ansehen zu erlangen. Nein, Jesus tat nur, was der Vater Ihn tun hieß. Er suchte nie Seine eigene Ehre, sondern in all Seinen Werken trachtete Er nur nach der Verherrlichung des Vaters. Und hierin dürfen die „Überwinder" Ihm ähnlich sein. Sind wir Ihm ähnlich? Es gilt, bis ans Ende praktisch „Seine Werke zu bewahren". In welch schrecklichem Gegensatz zu Christo steht aber Thyatira mit Isebel, die in dieser Welt unter der Tiara (Papstkrone) zu herrschen begehrt und mit Fürsten und Königen um die Herrschaft streitet, und zwar, wie in den endlosen Fehden des dunklen Mittelalters zwischen Päpsten und Kaisern, so noch heute im modernen „Kulturkampf".
Die wahren Gläubigen haben mit Christo ihr Teil nicht auf Erden; ihr Reich ist nicht von dieser Welt. Sie werden aber dann, wann Er regiert, mit Ihm die Krone und Herrschaft teilen. Sie werden Ihn begleiten, wann Er kommt, um die Welt zu richten und, wie es im 2. Psalm geweissagt ist, die Nationen zu beugen und „mit eiserner Rute zu weiden". Also die Erlösten des Herrn werden in der Tat einmal auf Erden die Oberhand haben und hier herrschen; aber so soll es nicht in der Jetztzeit sein, in der Zeit der Verwerfung ihres Erlösers. Jetzt gilt es, mit Ihm Schmach zu tragen und später erst die Krone, wann ihr Erlöser als der Messiaskönig, ja, als der „Herr der Herren" und „König der Könige" auf Erden herrschen wird. So ist es ihnen auch im Sendschreiben an Thyatira geweissagt.
Weiter ruft der Herr jedem Überwinder in Thyatira zu: „Ich will ihm den Morgenstern geben." Dies ist weitaus das Köstlichste in der Verheißung für ein Herz, das Jesum liebt. Er stellt mit diesen Worten Seine Ankunft in Aussicht, wie auch schon in Off 2,25: „Was ihr habt, haltet fest, bis Ich komme!" Er selbst ist der Helle „glänzende Morgenstern" in Seiner himmlischen Schönheit. Als solcher stellt Er sich den Herzen der Seinigen vor als ihre Hoffnung während ihrer Wallfahrt und Wartezeit auf Erden. Als solcher kündigt Er sich Seiner Braut, der Gesamtheit Seiner Gläubigen, an, während sie in dieser dunklen Zeit, wie in der Nacht, Ihm entgegengeht. Und sie ihrerseits ruft Ihm entgegen: „Komm!" „Amen; komm, Herr Jesu!" (Off 22,16.17.20.)
Als die „Sonne der Gerechtigkeit" wird Jesus Christus mit der Glut Seines Zornes über die Welt kommen (Mal 4.). Als der „Morgenstern", der vor der Sonne am Himmel erscheint, holt Er vor dem Ausbruch der Gerichte Seine Braut, die Gemeinde, in den Himmel. Und auch die Überwinder in Thyatira, sowie alle, die in der Gnadenzeit zu Christo kommen, gehören zu dieser Braut.
Beachtenswert ist, daß der Herr in den ersten drei Sendschreiben zur allgemeinen Buße und Rückkehr zum ersten Zustand auffordert, während Er in Thyatira zum erstenmal und in den kommenden Sendschreiben immer wieder den Blick in die Zukunft richtet. Er erwartet keine allgemeine Besserung oder Wiederherstellung der Kirche mehr, sondern erweckt, tröstet und ermuntert alle, die ein Ohr für Seine Stimme haben, durch den Hinweis auf Seine Wiederkunft.
9 Ephesus: „die Liebliche", so war die Gemeinde, und so sollte sie sein und bleiben; Smyrna (Myrrhe): „die Bittere", die Märchrer- kirche im 2. Jahrhundert; Pergamus: „die Hochburg", die Weltkirche seit dem Z. Jahrhundert.↩︎
10 Ein anderes, wenn auch verwandtes Wort im Griechischen. Was nun (Mt 16,19) betrifft, und „die Schlüssel des Reichs der Himmel", von denen dort die Rede ist, so ist es wichtig, daran zu erinnern, daß das Reich der Himmel", das aufgeschlossen werden sollte, auf Erden ist und nicht im Himmel (Mt 13,24.). Es wird nur „das Reich der Himmel" genannt, weil es vom Himmel aus gegründet worden ist. Und Petrus hat als Arbeiter des Herrn „das Reich der Himmel" insofern aufgeschlossen, als er der erste war, der unter den Juden (Apg 2) und dann unter den Heiden (Apg 10 u. 11.) das Evangelium verkündigte. Damit hat er die Schlüsse! gebraucht und nachher nie wieder; auch hat er sie niemandem übertragen; denn, wenn eine Tür geöffnet ist, bedarf es keiner Schlüssel mehr, sie aufzutun. — Das Bauen der wahren Kirche aber tut der Herr Jesus selbst (Mt 16,18.). Petrus sollte nur aufschließen unter Juden und Heiden, d. h. unter ihnen die erste Arbeit tun dürfen. Mit Schlüsseln wird bekanntlich auch nicht gebaut. Fels und Bauherr, Herr und Haupt der Kirche, ist also einzig Jesus Christus, der Sohn Gottes.↩︎
11 Es Ist das in Kap. 17 und 18 beschriebene Gericht über ..Babylon, die Große".↩︎