Emil Dönges
Schriften von Emil Dönges
Off 2-3 - „Das, was ist" - Die sieben Versammlungen oder Gemeinden
Off 3,14-22 - LaodicäaOff 3,14-22 - Laodicäa
Nunmehr folgt das Sendschreiben an Laodicäa: „Dieses sagt der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: Ich kenne deine Werke, daß du weder kalt noch warm bist. Ach, daß du kalt oder warm wärest! Also, weil du lau bist und weder kalt noch warm, so werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. Weil du sagst: Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts, und weißt nicht, daß du der Elende und der Jämmerliche und arm und blind und bloß bist. Ich rate dir, Gold von mir zu kaufen, geläutert im Feuer, auf daß du reich werdest; und weiße Kleider, auf daß du bekleidet werdest und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde; und Augensalbe, deine Augen zu salben, auf daß du sehen mögest. Ich überführe und züchtige, so viele ich liebe. Sei nun eifrig und tue Buße! Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an; wenn jemand meine Stimme hört und die Tür auftut, zu dem werde ich eingehen und das Abendbrot mit ihm essen und er mit mir. — Wer überwindet, dem werde ich geben, mit mir auf meinem Throne zu sitzen, wie auch ich überwunden und mich mit meinem Vater gesetzt habe auf seinen Thron. — Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!" (Off 3,14-22.)
Wir kommen nunmehr zu der letzten der sieben Gemeinden in der Offenbarung, welche, wie einst sinnbildlich der siebenarmige Leuchter im Heiligtums Israels, hätten ein Licht, und zwar ein vollkommenes Licht und Zeugnis für Gott auf Erden sein sollen. Die sieben Gemeinden bilden ja zusammen eine Einheit; sie stellen, wie wir wiederholt sagen mußten, die bekennende christliche Kirche dar in ihrer Verantwortlichkeit, und zwar in ihrer ganzen Geschichte von den Tagen der Apostel an bis zu dem Augenblick, wo sie völlig lau und kraftlos werden wird. Das ist die Zeit, da Christus, ihr Herr und Haupt, sich völlig von ihr los sagen muß. Dieses letzte traurige Stadium in der Geschichte der äußeren bekennenden Kirche haben wir in Laodicäa, nachdem wir zuvor in Philadelphia noch ein letztes Aufleuchten, ein klares, Helles und gesegnetes Zeugnis für den Herrn Jesum sahen.
Laodicäa lag, wie auch die übrigen Gemeinden, in Kleinasien, und zwar südöstlich von Philadelphia, nahe bei Kolossä. Sie trug ihren Namen von der schrecklichen Gemahlin des syrischen Königs Antiochus II.19 Sie war eine reiche Stadt, deren Reichtum vom Geschichtschreiber Tacitus gerühmt wird. — im Jahre 1402 wurde sie aber, wie auch Ephesus, durch die wilden Horden des Timur Lenk der Erde gleich gemacht. Da, wo sie gestanden, ist heute ein Ruinenfeld, das nach einer der Ruinen den Namen Eski-Hissar, d. h. das alte Schloß, trägt. Dies ist alles, was nach Gottes Gericht von der einst angesehenen Stadt übrig geblieben ist.
Laodicäa heißt „die Volksgerechte". Wie auch die übrigen Namen der kleinasiatischen Gemeinden eine Bedeutung haben, bezeichnend für den Zustand der einzelnen Gemeinden, so paßt auch der Name „die Volksgerechte" für den Zustand der Dinge in Laodicäa. Die christliche Kirche steht in Laodicäa in ihrem Endstadium vor uns; sie ist die Zukunftskirche, wie sie die Welt sich wünscht, wie sie dem unbekehrten Volke, das sich nicht von Gottes Wort und Geist mehr strafen lassen will, gefällt und so dem Volke gerecht und recht ist: eine Kirche ohne Christus, eine Schale ohne Kern. Mit den Lehren der Bibel kann es hier jeder halten, wie er will. Das Evangelium, das uns die großen Taten Gottes Verkündigt; die Sendung des Sohnes Gottes in die Welt, um zu suchen und zu retten, was verloren ist; die Wunder des Herrn Jesu Christi; Sein Opfertod auf Golgatha; Seine Auferstehung aus den Toten; Sein Sieg über Satan, Welt, Sünde und Tod; Seine Himmelfahrt; Sein Thronen zur Rechten Gottes; Seine Wiederkunft — dies alles ist veraltet und längst aufgegeben; alle diese Wahrheiten sind in der ersehnten Zukunftskirche, die heute vor unseren Blicken sich schon aufbaut, längst abgetan, wonach kein Mensch mehr fragt.
Aber wie der Name der Gemeinde bezeichnend ist, so auch der Titel, den sich Jesus Christus an der Spitze jedes Sendschreibens selbst beilegt. Er nennt sich hier: „der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes." (Off 3,14.) Das sind drei Namen. Zunächst nennt Er sich „der Amen"20, d. h. der Bestätiger und Erfüller aller Verheißungen Gottes. Jesus Christus ist der große Amen alles dessen, was Gott verheißen hat und geben wird. „In Ihm ist das Ja und in Ihm das Amen, Gott zur Herrlichkeit." (2Kor 1,20.) Auch die Kirche Christi hätte das „Amen" auf die Gedanken Gottes sein sollen. Aber ach! sie hat ihrer hohen Berufung nicht entsprochen; sie ist nicht das Amen der Gedanken und Absichten Gottes gewesen. Wie sehr hat es an reinem Wandel und reiner Liebe bei ihr gefehlt!
Weiter nennt sich Christus „der treue und wahrhaftige Zeuge". Was die Kirche hätte in der Welt sein sollen und leider nicht gewesen ist, wie uns die Geschichte der bekennenden Kirche von Anfang an beweist, das ist der Herr Jesus in Vollkommenheit für Gott: „der treue und wahrhaftige Zeuge". Er nennt sich hier so, wo Er sich von der bekennenden Christenheit, die zuletzt nur noch ein dummes, gehaltloses „Salz" sein wird, lossagen muß. Er selbst tritt an ihre Stelle.
Weiter nennt Er sich hier „der Anfang der Schöpfung Gottes". Auch dieser Titel ist bezeichnend: Er ist das Haupt von allem, sowie der Ausdruck und der Zeuge von dem, was die Gemeinde oder Versammlung Christi, soweit sie von Gott stammte, als „neue Schöpfung" auf Erden hätte sein sollen.
Wir lesen im Worte Gottes: „Ist jemand in Christo, so ist er eine
neue Schöpfung." (2Kor 6,17.) In ihr ist alles von Gott geschaffen. Die wahrhaft wiedergeborenen Christen sind „die Erstlingsfrüchte der
neuen Schöpfung" (Jak 1,18), und sie sind berufen und befähigt, dies
als Zeugen für Gott auf Erden in ihrem ganzen Verhalten zu beweisen. Aber wie offenbart sich die neue Schöpfung? — Was ist die Frucht des
Geistes Gottes? Gott sagt es uns: „Liebe, Freude, Friede, Langmut,
Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit." (
War die bekennende Christenheit im großen und ganzen die Darstellung dieser herrlichen Tugenden und Kennzeichen der neuen Schöpfung durch den Heiligen Geist inmitten einer dunklen, gottentfremdeten Welt? Ach, nein! Kaum war die Kirche gegründet, kaum stand sie da in ihrer ersten Schönheit, so sääte, als die Menschen schliefen, der Feind Unkraut mitten unter den Weizen. Ja, die Christenheit bildete mit der Zeit im großen Ganzen eine Masse von unbekehrten Menschen, die durch die Taufe oder den äußeren Unterricht den christlichen Namen angenommen hatten, aber keine Spur von neuem, göttlichem Leben besaßen. Von solchen sagt das Wort Gottes: „Sie haben eine Form der Gottseligkeit, aber ihre Kraft (welche Sünde und Welt und Satan überwindet) verleugnen sie." (2Tim 3,5.)
Wie ernst und sichtend ist auch heute für jeden christlichen Bekenner das Wort des Herrn: „O, daß du kalt oder warm wärest!" — Teurer Leser, wie steht es um uns? Gilt auch uns das Wort? Auch der durch Gottes Wort und Geist Wiedergeborene prüfe sich: Schlägt mein Herz warm und treu dem Erlöser und Herrn? Hange ich Ihm völlig an und folge und diene ich Ihm mit ungeteiltem Herzen? Bemühe ich mich, Ihm wohlzugefallen? — Wie leicht kann auch der wahre Christ „ermatten"; er kann „kurzsichtig" werden und steht dann „träge" da und „fruchtleer". (2Pet 1,6-10.) Darum ruft der Geist Gottes, der die Gefahr aller Gläubigen kennt, „lau" zu werden: „Wache auf, der du schläfst und stehe auf aus den Toten, und Christus wird dir leuchten." Er wird in Seiner Liebe, Kostbarkeit und Herrlichkeit neu dein Herz mit Freude und Kraft erfüllen, daß du Ihm lebst, der für dich gestorben ist.
In der Tat, gar ernste Worte sind es, die der Herr an Laodicäa, die prophetische Vertreterin der bekennenden Kirche, in ihrem letzten Stadium des Verfalls, richtet. Er sagt zu ihr: „Also, weil du lau bist und weder kalt noch warm, so werde Ich dich ausspeien aus Meinem Munde." Er kündet der bekennenden Kirche, die Seinen Namen trägt, die Verwerfung an: Er sagt sich völlig los von ihr. Schon im Evangelium hatte Er gesagt: „Ihr seid das Salz der Erde; wenn aber das Salz dumm (kraftlos) geworden ist..., taugt es zu nichts mehr, als hinausgeworfen und zertreten zu werden." Einst war dieses Salz und Zeugnis auf Erden Israel; es wurde aber dumm, kraft- und gehaltlos und ist darum bis zu dieser Stunde verworfen. An Israels Stelle trat die Kirche als Gottes Zeugnis auf Erden. Auch sie steht als Ganzes „lau", darum geistlich kraftlos da, und auch sie wird „hinausgeworfen", „ausgespieen" werden.
Der Apostel Paulus zeigt uns dieses Gericht an Israel und der Kirche in dem Gleichnis vom Ölbaum im Römerbrief, Kap. 11. Dort lesen wir die Warnung an die Christenheit: „Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich! denn wenn Gott die natürlichen Zweige (Israel) nicht verschont hat, daß Er auch dich nicht verschonen werde. Siehe nun an die Güte und die Strenge Gottes: gegen die, die gefallen sind (d. i. Israel), Strenge; gegen dich aber Gottes Güte, wenn du an der Güte bleibst, sonst wirst auch du herausgeschnitten werden; und jene (Israel), wenn sie nicht im Unglauben bleiben, werden wieder (in den Ölbaum der Segnungen und des Zeugnisses Gottes) eingepfropft werden."
Ganz so wird es auch geschehen; die Christenheit, die nicht geblieben in der Gemeinschaft mit Gott, in den Segnungen und in der Wahrheit, wird wieder „herausgeschnitten" werden aus dem „Baume" des Zeugnisses Gottes auf Erden. Sie wird, wies es im Evangelium heißt, als kraftloses Salz „hinausgeworfen", als „lau" aus dem Munde Christi „ausgespieen" werden.
Es handelt sich dabei natürlich nicht um die wirklich Gläubigen, um die wahren Glieder Christi; diese werden als die klugen Jungfrauen alle, wie wir sahen, vor dem Gericht zur Hochzeit hinausgerufen in den Himmel; sie werden „entrückt" werden, wie das im Sendschreiben an Philadelphia noch einmal geweissagt ist. — Und ist der Kern fort, die wahre Kirche, die Braut Christi, die Gesamtheit aller wiedergeborenen Christen, welche durch einen Geist zu einem Leibe getauft sind, dann bleiben die bloß Toten christlichen Bekenner zurück als leere Schale. Der Herr sagt sich damit von der bekennenden „christlichen Kirche" als Seinem Hause und Zeugnisse für immer völlig los.
Noch sind bis jetzt die wahren Gläubigen, Christi Braut, auf Erden. Aber der Geist und Zustand der Lauheit und Blindheit und Überhebung von Laodicäa ist auch schon da; er umgibt uns ringsum. Man spricht: „Ich bin reich und reich geworden und bedarf nichts."
Aber was muß der Herr antworten? „Du weißt nicht, daß du der Elende und der Jämmerliche und arm und blind und bloß bist." — Es ist schrecklich, wenn jemand völlig krank und arm und zugrunde gerichtet ist und es nicht einmal weiß. Wie furchtbar ernst muß für einen solchen Kranken und Armen das Erwachen sein!
Solange der Herr die Seinigen hienieden hat, ist auch der Heilige Geist noch hier; denn „der Geist und die Braut" verlassen zusammen die Erde (Off 22,17.). Und bis dahin ist der Herr auch noch als Erlöser auf dem Plan. So hören wir Ihn auch noch zu Laodicäa sagen: „Ich rate dir, Gold von Mir zu kaufen ... und weiße Kleider... und Augen salbe ... So viele Ich liebe, überführe und züchtige Ich. Sei nun eifrig und tue Busse" — Das Gold ist in der Bibel Vielfach ein Bild von der göttlichen Gerechtigkeit. Im Feuer des Leidens und Gerichts am Kreuze wurde dieses Gold von Christo für den Sünder erworben. Die weißen Kleider sind ein Bild des reinen Wandels und der Gottseligkeit, die nur bei denen gefunden werden kann, welche das neue Leben aus Gott haben. Und unter der Augen salbe ist die Wirkung des Heiligen Geistes zu verstehen, durch welche die Augen des Herzens aufgetan werden, um die Dinge ringsumher zu sehen, wie Gott sie sieht.
Die Seelen in Laodicäa waren blind für ihre Armut und Blöße vor Gott, hatten kein Bedürfnis nach Versöhnung und Erlösung, nach dem Golde der göttlichen Gerechtigkeit und nach dem weißen Linnen praktischer Heiligkeit. Vor allem aber waren die Augen und Herzen in Laodicäa blind und verschlossen für den Wert und die Herrlichkeit Jesu Christi, des Sohnes Gottes. Während die Seelen in „Philadelphia" gerade gekennzeichnet werden durch ihre Wertschätzung der Person Jesu Christi und durch ihre Liebe und Treue zu Ihm, herrscht in Laodicäa Gleichgültigkeit gegen die Person des Herrn Jesu. Die Herzen sind ohne wahre Zuneigung und Liebe zu Ihm. Und doch ist nur da wirkliches Christentum, wo Christus, der Sohn Gottes, in Wahrheit erkannt, geliebt, geehrt und erhoben wird durch Wort und Wandel. Wenn das Auge sehend ist, weiß der Mensch, wie arm und sündhaft er ist vor Gott; er erkennt sich in seiner Schuld vor Gott und erkennt Gott in Seiner Heiligkeit. Das Herz sehnt sich nach Erlösung; und diese findet es allein in Jesu Christo, dem Sohne Gottes, dem Heiland; Ihn liebt das Herz darum über alles und findet in Ihm seine ganze Freude.
Obwohl nun Jesus Christus, der Erlöser und Herr, in Laodicäa keine Liebe mehr fand, keine Herzenszuneigung, keine Hingabe an Seine Person und Sein Werk, vielmehr vollständige Lauheit und Gleichgültigkeit, dazu — welche Blindheit! — noch Stolz und Eigenruhm, ist der Herr in Seiner göttlichen Langmut doch noch immer hier tätig mit Seiner strafenden, suchenden Erlöserliebe. Er sagt: „Ich überführe und züchtige, so viele Ich liebe. Sei nun eifrig und tue Buße! Siehe, Ich stehe an der Tür und klopfe an."
Wie hat sich dieses Wort auch bis heute bestätigt! Viele, viele Herzen in der bekennenden, toten Christenheit, besonders in der protestantischen Kirche, sind in den letzten Jahrzehnten von der Hand und dem Worte des Herm ergriffen worden zu ihrem Heil und Segen. Leiden und Trübsale haben in vielen Kreisen und Häusem dem Worte Gottes und damit Christo selbst Tür und Tor geöffnet; Herzen, die bis dahin ganz gleichgültig waren über ihr Seelenheil, erkannten, daß sie „arm und blind und bloß" waren vor Gott; sie haben Buße getan, wie der Herr es fordert, und sich heilsverlangend zu Ihm gewandt. Bei Ihm und in Ihm fanden sie das lautere Gold der göttlichen Gerechtigkeit, das Er für verlorene Sünder im Feuer der Leiden, im Tode am Kreuz erworben hat. Sie sind nun geborgen in Christo und wandeln, von Seinem Geiste geleitet und von Seiner Gnade getragen, in den „weißen Kleidern" der Gottseligkeit einher, „eifrig", Gott zu dienen.
Und noch immer steht der Heiland an der Herzenstür von Tausenden und klopft und ruft und bittet um Einlaß. Er sagt es auch zu dir, mein Leser, wenn du noch nicht Sein Eigentum bist, wenn Er noch nicht dein Herz besitzt: „Gib Mir, Mein Sohn, Meine Tochter, dein Herz!"
Aber nicht nur vor der Tür der einzelnen Herzen steht der Herr, Einlaß begehrend, Er hat auch aus der Mitte der Gemeinde von Laodicäa weichen müssen. Er steht draußen vor der Tür und klopft an. Wenn es richtig steht mit der Versammlung nach Gottes Gedanken, so steht Jesus Christus in der Mitte derselben. Er sagt: „Wo zwei oder drei versammelt sind in Meinem Namen, da bin Ich in ihrer Mitte." (Mt 18,20.)
Ach, gar schmerzlich, daß Laodicäa in seiner Lauheit und Blindheit keinen Platz mehr hat für Christum, den Sohn Gottes: Er ist draußen vor der Tür. Wie furchtbar doch! Wie konnte das geschehen?
Ach, gar schnell kann es geschehen, daß der Herr unvermerkt, so nach und nach, aus der Mitte eines Kreises von Gläubigen verdrängt wird, nicht schon dem Bekenntnisse nach, aber praktisch, und schließlich an der Tür stehen, ja draußen stehen und klopfen und Einlaß begehren muß! Sehen wir daher wohl zu, wer in unserer Mitte steht!
Und wie steht es in der großen bekennenden Christenheit? Steuert nicht besonders der Protestantismus —Sardes — mit vollen Segeln auf dieses Ziel von Laodicäa los, während die katholische Kirche —Thyatira — sich mehr und mehr nach einer anderen Seite, nach Babylon hin, entwickelt?
Als Ende Mai 1907 unter großer Beteiligung der 23. Deutsche Protestantentag in Wiesbaden tagte, sagte einer der Redner, ein bekannter protestantischer Pfarrer aus Berlin: „Der Katholizismus ist die Idee der Verkirchlichung der Welt21... und der Liberalismus (dessen Vertreter der „Protestantismus" ist) will das Christentum verweltlichen." Aber das verweltlichte Christentum ist nichts anderes als Laodicäa, zu deutsch: die Volksgerechte, d. h. die dem Volk entsprechende Kirche, ein Christentum ohne Christus. — Weiter sagte der Redner in seinem Vortrag: Man scheue sich schließlich auch nicht vor dem Worte sozialdemokratie. In der Schweiz gibt es bereits sozialdemokratische Pfarrer. Weshalb sollte nicht auch bei uns einmal ein Pfarrer diesen Weg gehen?" — Und noch bezeichnender für das Ziel, das die protestantische liberale Theologie verfolgt, waren folgende Worte: „Wir müssen die Christologie los werden... Deshalb Befreiung vom christologischen Joch!"
Gläubiger Leser, weißt du, was das „christologische Joch" ist, das Tausende von protestantischen Predigern um jeden Preis los werden und abwerfen wollen? Es ist die Lehre und Wahrheit von der Gottheit der Person Jesu Christi; Er soll nicht der ewige Sohn Gottes, nicht der Erlöser sein durch Sein Blut. Er soll nicht auferstanden sein, nicht aufgefahren sein zur Herrlichkeit, nicht wiederkommen als der Herr und Weltenrichter, dem einst alle Knie sich beugen müssen. Darum lautet ihr Bestreben kurz: Fort mit Christus, dem Sohne Gottes, aus der protestantischen Kirche!
Ist das nicht Laodicäa? — Die Gläubigen, die in der protestantischen Kirche sind, fühlen wohl, um was es sich in ihrer Mitte handelt. Als einen Monat früher, im April 1907 in Berlin „die Landeskirchliche Vereinigung der Freunde der positiven Union" tagte, sagte unter anderm ein Wirklicher Oberkonsistorialrat v. R. in seinem Vorträge: „Ich werde bei den religiösen Kämpfen immer erinnert an die Geschichte von der Mutter mit den Kindern im Schlitten, die von Wölfen verfolgt wird, und die ein Kind nach dem andern hinauswirft, um wenigstens das eine zu retten. Aber ich sehe doch den Zeitpunkt kommen, wo sie (die Kirche nämlich) auch dieses letzte Kind hinauswerfen wird! Und das ist Christus. In der Tat, dieser Zeitpunkt scheint doch jetzt gekommen!"
Ja, das ist Laodicäa: Christus draußen, Christus hinausgeworfen. — Geschichtlich ist Laodicäa noch nicht völlig in die Erscheinung getreten, aber der Geist und Zustand des Sattseins und der Lauheit von Laodicäa ist schon lange da und macht sich mächtig fühlbar, selbst teilweise unter denen, welche bekennen, zu Gott bekehrt zu sein und dem Herrn Jesu anzugehören.
Wenn erst der Herr Jesus gekommen ist und Seine Erlösten, die klugen Jungfrauen, heimgeholt, hinaufgenommen hat in den Himmel, dann ist der Zustand von Laodicäa in der Christenheit völlig ausgereift. Der Herr ist nahe; der Mitternachtsruf ist ausgegangen: „Siehe, der Bräutigam!" Und Seine Stimme: „Ich komme bald!" hat ein Echo geweckt in den Herzen der wahren Gläubigen, sie rufen: „Amen, komm Herr Jesu!"
Was wird nun bald erfolgen? Wir lesen: „Die bereit waren (die das öl des Heiligen Geistes hatten), gingen mit Ihm zur Hochzeit; und die Tür ward verschlossen." (Mt 25,10.) Alsdann werden viele geistlich tote Bekenner des Christentums Einlaß begehren; sie werden an die Tür klopfen und rufen: „Herr, Herr, tue uns auf!" Aber vergeblich. — Er, der heute überall an die Tür klopft und Einlaß sucht, wird dann denen nicht öffnen, welche hier am Tage des Heils Ihm nicht aufgetan hatten.
Jesus weiß, daß die Gemeinde von Laodicäa, die ein Bild von der lauen, abtrünnigen Christenheit der Endzeit ist, als ein Ganzes Ihn nicht mehr aufnehmen wird. Sie hat einst bei ihrem Beginn sicher ganz anders gestanden, aber jetzt ist sie völlig blind, stolz und satt, ganz von sich selbst erfüllt; Er, der Sohn Gottes, der Heilige und Wahrhaftige, der treue Zeuge, hat keinen Wert mehr für die Herzen und darum auch keinen Platz mehr in ihrer Mitte: Er steht draußen. Aber solange Er als der Richter das angedrohte Gericht an ihr noch nicht ausgeführt und sich nicht völlig von ihr losgesagt, sie also noch nicht „ausgespieen" hat, klopft Er noch als Retter an und begehrt Einlaß bei dem Einzelnen. Er sagt daher: „Wenn jemand Meine Stimme hört und die Tür auftut, zu dem will Ich eingehen."
Wir hören Ihn nicht einmal mehr von „zwei oder drei" reden, von dieser kleinen Zahl von gläubigen, treuen Seelen, in deren Mitte Er, wie Er einst gesagt, weilen wollte und weilen will, wenn sie in Seinem Ramen Zusammenkommen. Er sagt nur noch: „Wenn jemand."
Ach, in der Tat, wie manche christliche „Kirche" in Stadt und Land mag es wohl jetzt schon geben, in welcher der Herr und Heiland keine „zwei oder drei" Seelen mehr findet, welche Ihn, den Sohn Gottes, in Wahrheit als ihren Erlöser kennen und darum Sein ewiges Eigentum geworden sind!
Aber noch währt, wenn auch nicht lange mehr, die herrliche Gnadenzeit, und „wenn jemand auftut", so findet er seine Belohnung. Der Herr sagt: „Zu dem will Ich eingehen und das Abendbrot mit ihm essen (das Mahl mit ihm halten) und er mit Mir. Wer überwindet, dem will Ich geben, mit Mir auf Meinem Thron zu sitzen, wie auch Ich überwunden und Mich mit Meinem Vater gesetzt habe auf Seinen Thron."
In dieser letzten Verheißung ist der Seele, die noch kurz vor dem Kommen des Herrn in der Christenheit auf Seine Stimme hört und Ihm auftut, zugesagt, daß sie noch mit Ihm vereinigt werden und bald droben mit Ihm herrschen soll. Hier, noch gerade vor dem endgültigen Schluß der Gnadenzeit, welche mit dem „Abendbrot", dem letzten Mahle am Tage, verglichen wird (vgl. Lk 14,16), wird der Seele Leben und Verbindung mit Christo geschenkt; sie gehört nun zu Ihm und „hat teil an der ersten Auferstehung"; sie wird also auch mit Christo herrschen, mit Ihm auf dem Throne sein.
Wie in allen Sendschreiben, ruft der Herr auch hier am Schlusse aus: „Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!"
Das ist Jesu Christi letztes Wort in den sieben Sendschreiben. Hinfort ist von Seiner Gemeinde oder Versammlung in dem Buche der Offenbarung nicht mehr als auf Erden befindlich die Rede.
19 Auf welchen in Daniel 11,10-19 hingewiesen ist.↩︎
20 „Amen" ist hebräisch und bedeutet „es geschehe",' „es werde bestätigt".↩︎
21 Der Redner hat recht; die angestrebte kirchliche Herrschaft und Macht Roms über die Welt und die Verquickung der Welt mit der Kirche ist Babylon.↩︎