Schriften von Emil Dönges
Off 2-3 - „Das, was ist" - Die sieben Versammlungen oder Gemeinden
Off 3,7-13 - PhiladelphiaOff 3,7-13 - Philadelphia
Der Herr wendet sich nun an Philadelphia „Dieses sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel des David hat, der da öffnet und niemand wird schließen, und schließt und niemand wird öffnen: Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir gegeben eine geöffnete Tür, die niemand zu schließen vermag, denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet. Siehe, ich gebe aus der Synagoge des Satans von denen, welche sagen, sie seien Juden und sind es nicht, sondern lügen: siehe, ich werde machen, daß sie kommen werden und huldigen vor deinen Füßen und erkennen, daß ich dich geliebt habe. Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, so werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die aus der Erde wohnen. Ich komme bald; halte fest, was du hast, auf daß niemand deine Krone nehme! Wer überwindet, den werde ich zu einer Säule machen in dem Tempel meines Gottes, und er wird nie mehr hinausgehen; und ich werde auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen neuen Namen.—Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!" (Off 3,7-13.)
Überblicken wir der Reihe nach die sieben Gemeinden, die uns in ihrer Gesamtheit ein prophetisches Bild geben von der Entwicklung oder Geschichte der christlichen Kirche von ihrem Anfang bis zum Schluß, so finden wir in Ephesus den beginnenden Verfall der Kirche; in Smyrna darauf eine grausame, bittere, aber für das innere Leben der Kirche heil- same Verfolgungszeit; in Pergamus, nachdem Satan seinen Plan geändert, die Vereinigung der Kirche mit der Welt und damit ihre Verweltlichung; in Thyatira alsdann innere Verderbtheit und Hierarchie (Priesterherrschaft); in Sardes, trotz der in der Reformation empfangenen reichen Segnungen, bis auf einen kleinen Bruchteil nur tote Orthodoxie (äußere Rechtgläubigkeit) und Scheinleben.
In Philadelphia nun haben wir die Gläubigen der Endzeit, soweit sie inmitten der zunehmenden Ungerechtigkeit und der Gottentfremdung in der bekennenden Christenheit und kurz vor dem völligen Abfall der bekennenden Kirche ihre Zuflucht nehmen zur Person und zum ewigen Worte des Herrn Jesu, des Sohnes Gottes, und treu zu Ihm halten, wenn auch in kleiner Kraft. Es ist das letzte Helle und gesegnete Aufleuchten des Zeugnisses des Herrn in der bekennenden Christenheit, ehe Er kommt, um Seine Braut (die Gesamtheit der wahren, gläubigen Christen auf Erden) von hier abzurufen, so wie Er Henoch vor der großen Flut lebend gen Himmel nahm. Nach der Aufnahme der Braut (der Einführung oder Entrückung der klugen Jungfrauen in den Himmel: Mt 25,10; 1Thes 4,17 u. 1Kor 15,51.52) sagt sich nämlich der Herr völlig los von der lauen, toten und abtrünnigen Christenheit; Er „speit sie aus Seinem Munde aus", wie uns das in der nächsten oder siebenten Gemeinde, im Sendschreiben an Laodicäa, gezeigt wird.
Doch gehen wir nun näher ein auf das ermunternde, liebliche Sendschreiben an Philadelphia, deren Geschichte in unsere Zeit fällt.
Philadelphia, zu deutsch die Bruderliebe, lag gleichfalls in Kleinasien, und zwar in Lydien, südöstlich von Sardes. Ihren Namen erhielt die Stadt von dem Könige Atallus II. Philadelphus, der sie im Jahre 154 v. Chr. gründete. Sie hatte viel durch wiederholte Erdbeben zu leiden, aber sie blieb stehen. Zur Zeit der Apostel war sie eine der kleinsten und ärmsten Städte im römischen Reiche. Aber der Herr der Herrlichkeit hatte dort eine glückliche, kleine Versammlung von Gläubigen, die treu und unentwegt zu Ihm und Seinem Worte hielten. Und wie wunderbar, daß Er sie auch bewahrte vor dem Untergang, weil sie Seinen Namen und Sein Wort bewahrte, ganz nach Seiner Verheißung (Off 3,10.). Die kleine Stadt Philadelphia besteht noch heute, während die übrigen kleinasiatischen Städte zerstört wurden und nur noch Trümmerfelder von ihnen vorhanden sind. Die Stürme der Mongolen und Türken, die ringsum alles verheerten, gingen an ihr gnädig vorüber, und sie besteht heute noch mit einer Gemeinde von etwa 2000 griechisch-katholischen, christlichen Bekennern. Ob und wieviele wahre, gläubige Christen darunter sind, wissen wir nicht. Die Stadt trägt heute den schönen, türkischen Namen Allaschehr, d. h. die Gottesstadt.
Wie in allen Sendschreiben, so stellt sich auch hier der Herr der Versammlung in einem besonderen Charakter dar, ganz wie es den vorliegenden Zuständen entspricht. Hier nennt Er sich „der Heilige, der Wahrhaftige" (Off 3,7.). Dies ist kein amtlicher Titel des Herrn, sondern nur eine Bezeichnung Seiner persönlichen Herrlichkeit und Vortrefflichkeit. So offenbarte Er sich selbst zu aller Zeit; Er ist heilig und wahr und treu der Heilige und Wahrhaftige, welcher Treue hält, aber auch Heiligkeit und Wahrheit fordert von denen, die die Seinen sind. Heiligkeit und Wahrheit sollen ihren Pfad und ihr Zeugnis kennzeichnen, sollen ihre Richtschnur sein und ihr Schmuck im Wandel, wie im Bekenntnis. Diese Worte Heiligkeit und Wahrheit erinnern uns an das herrliche Gebet des Herm Jesu für die Seinigen zu Gott, dem Vater: „Heiliger Vater, bewahre sie in Deinem Namen!" „Heilige sie durch die Wahrheit, Dein Wort ist Wahrheit." (Joh 17.) Und während die Gläubigen persönlich und gemeinsam den Herm Jesum, ihren Erlöser und Herrn, als „den Heiligen und Wahrhaftigen" anerkennen und ehren, finden sie in Ihm auch inmitten des Verfalls und der Lauheit der toten Christenheit für ihre eigenen Herzen und für ihr Zeugnis Trost und Halt, Kraft und Ausharren!
Daß Jesus „der Heilige und Wahrhaftige" ist, kennzeichnet also Philadelphia; Heiligkeit und Wahrheit sind ihr Schmuck und ihre Kraft; darin besteht ihr ganzes Zeugnis. Fallen diese hin, so fällt das Zeugnis hin! Denn „wer den Namen des Herm nennt, trete ab von der Ungerechtigkeit!" (2Tim 2,19.)
Neben dem schwachen Überrest der Gläubigen von Philadelphia, in deren Mitte — ihrem Namen entsprechend — neben der Heiligkeit und Wahrheit auch „die Bruderliebe" gefunden werden muß, bestehen noch das stolze Kaiserpapsttum von Pergamus, d. i. die russische Kirche, sodann die machtvolle, verfolgende Priesterkirche von Thyatira: die römische Kirche; ferner Sardes, welches die von den weltlichen Mächten beherrschten, meist leblosen, protestantischen Volkskirchen darstellt. Von diesen allen hat Philadelphia keine Anerkennung zu erwarten. Ja, käme es auf diese, besonders auf die beiden ersten mächtigen, kirchlichen Systeme an, so würde Philadelphia, welche sich frei und brüderlich um Jesus, ihren Herrn und Heiland, schart, bald erdrückt werden, und alle freien Gemeinschaftsbewegungen gläubiger Christen, wie wir sie nun seit mehreren Jahrzehnten über die ganze Erde finden, wären unmöglich. Aber was sagt uns der Herr Jesus? „Ich bin der Heilige und Wahrhaftige, der den Schlüssel des David hat, der da öffnet und niemand wird schließen, und schließt und niemand wird öffnen." Und weiter: „Ich habe vor dir gegeben eine geöffnete Tür, die niemand zu schließen vermag." Was wird uns damit gesagt? — Während Sardes, die protestantische Kirche, als sie nach den dunklen Jahrhunderten des Mittelalters in Erscheinung trat, sich selbst die weltlichen Behörden als kirchliches Oberhaupt erkoren hat, weil ihr nur so ihre Erhaltung vor dem Untergang sicher schien, hat nunmehr heute der Herr für Philadelphia, den schwachen Überrest, eine offene Tür gegeben: Er selbst ist ihr Schutz.
So hat der Herr sich in Philadelphia ein Zeugnis aufgerichtet inmitten des Verfalls der bekennenden Christenheit, noch kurz vor Seinem Kommen. Und dieses Zeugnis besteht darin, daß Seine kostbare Person, Er selbst, der „Heilige und Wahrhaftige", den Seinigen teuer ist, daß Seine innigen Zuneigungen genossen und erwidert werden. Der Herr will das Herz! Ihm genügt es nicht, daß man Seinen Namen trage oder auch im christlichen Bekenntnis orthodox und korrekt sei und darum einen Namen hat, zu leben, dabei aber tot ist. Wenn der Herr der Herrlichkeit in seiner kostbaren Person der Anziehungspunkt, Sammel- und Mittelpunkt der Herzen ist, dann ist ein Zeugnis für Ihn da in einer Welt, die Ihn nicht erkannt und darum verworfen hat und Ihn noch heute für nichts achtet. Auch brauchen diese Herzen sich nicht umzuschauen oder umzutun nach der Macht der Welt und nach den Menschen, um hier Schutz zu finden; denn Christus ist es, der „den Schlüssel des David" hat, „der da öffnet und niemand wird schließen". Der Herr in Seiner Vorsehung ordnet die Dinge so, daß das Zeugnis für Ihn in der feindlichen Welt und inmitten ernster Zustände und mannigfacher Schwierigkeiten bestehen kann, wenn Er auch in diesen bösen letzten Zeiten scheinbar die Dinge gehen läßt, wie sie gehen. Er steht hinter den Dingen und hält die Fäden in der Hand. Er war es auch, der einst vor David her aufschloß und ihm den Weg zum Throne bahnte, als alles in Israel im Verfall und gegen ihn war. Und aus Jesaias 22,22, wo wir vom Schlüssel Davids hören, sehen wir, daß unter diesem Schlüssel das Recht der Verwaltung und Regierung, die in der Hand des Herrn liegt, zu verstehen ist. Als Er als Mensch auf Erden war, inmitten des abtrünnigen Israel und des feindlichen jüdischen Systems, tat Gott, der Türhüter, Ihm auf; und niemand konnte vor Ihm schließen, nicht Herodes, „der Fuchs", noch auch die Pharisäer und Schriftgelehrten und andere Feinde.
Aber es gab noch einen besonderen Grund dafür, daß der Herr vor „Philadelphia" die Tür auftat, wie Er sagt: „Ich habe vor dir gegeben eine geöffnete Tür, die niemand zu schließen vermag", diesen nämlich, daß Er sagen kann: „Ich kenne deine Werke" und: „du hast eine kleine Kraft".
Welch ein Trost, eine offene Tür zu haben und zu behalten! Mag der Charakter der Zeit und Welt noch so ernst und feindlich sein, und mag der Geist des Abfalls und des Antichristentums sich schon geltend machen, und mögen die Dinge und Zeiten noch ernster werden, die Tür wird offen bleiben, bis der Herr kommt.
Der Herr verlangt nicht, daß wir geschlossene Türen stürmen und einrennen; dies ist auch heute nicht nötig; sie sind offen; auch wäre es uns bei der „kleinen Kraft" nicht möglich. Paulus und Petrus und die ersten Christen, und auch noch Martin Luther und Wilhelm Farel und andere, hatten in ihren Tagen mehr Kraft und Energie, als wir heute alle haben.
Wichtig ist nur, daß wir die „kleine Kraft", die der Herr - uns gegeben, auch bis ans Ende verwerten für Ihn, und daß wir nicht mit der Zeit die Charakterzüge von Philadelphia und damit auch dessen Stellung und Zeugnis vor der Welt einbüßen durch Gleichgültigkeit, Weltlichkeit und Mangel an Liebe zum Herrn und Seinem Worte. Ach, diese Gefahr besteht und droht dem Zeugnis der letzten Tage!
Wenn der Herr zu Philadelphia sagt: „Ich kenne deine Werke", so genügt diese Anerkennung. Seinen Augen entgehen sie nicht, und Seinem Herzen sind sie teuer, mag die Welt — sei sie religiös oder gottlos — sie nicht beachten oder gar verkennen und verurteilen. Wie schwach und unansehnlich stand auch ein Jeremias da in seiner Absonderung und in seinem Zeugnis inmitten des Ungehorsams und Verfalls des abtrünnigen Volkes Israel! Aber Jehova kannte Seines Zeugen Tun und Werk und ermunterte ihn: „Wenn du das Köstliche absonderst vom Gemeinen, so sollst du wie Mein Mund sein. Jene sollen zu dir umkehren, du aber sollst nicht zu ihnen umkehren. Und Ich werde dich diesem Volke zu einer festen, ehernen Mauer machen." (Jer 15,15-21.) Und als in späteren Tagen der Herr in Seiner großen Gnade einen Überrest frommer Juden aus der babylonischen Gefangenschaft zurückkehren ließ, da war dieser auch ein kostbares Zeugnis vor Gott, wenn auch gar schwach und unansehnlich. Die Mauer, die dieser schwache Überrest um die zerstörte, aber heilige Stadt Jerusalem zog, war ein Gegenstand des Spottes und der Verachtung für die Feinde rings um sie her, aber ein Werk, das in der Kraft Gottes ausgeführt wurde und Ihm wohlgefällig war.
Ja, die Tage der großen Kraft und ersten Energie und Frische, wie sie einst zu Pfingsten in der Kirche Gottes zu sehen war, sind dahin. Aber das Auge des Herrn ist auch in den Tagen des Verfalls und der „kleinen Kraft" noch immer auf das Herz und den Pfad der Seinigen gerichtet, und Er sucht Liebe und Treue bei ihnen. Wo diese aber sind, da ist Gehorsam und Segen, wenn er auch verborgen fließt.
Der Herr schreibt dann weiter der Gemeinde zu Philadelphia: „Du hast Mein Wort bewahrt und Meinen Namen nicht verleugnet." (Off 3,8.)
Mancher mag denken, das sei nichts Besonderes oder Großes, was der Herr mit diesen Worten den dortigen Gläubigen zuruft. Aber wie herrlich ist dieses Zeugnis! Es ist viel mehr, als wenn der Herr an sie hätte schreiben können: „Du hast große Gaben in deiner Mitte, du verrichtest Wunder und Zeichen und hast großen Erfolg." Philadelphia, wie wir schon sagten, ist prophetisch betrachtet das Zeugnis des Herrn in der Endzeit inmitten des Verfalls der bekennenden Christenheit, kurz vor Seinem Kommen; wie Er denn auch in diesem Sendschreiben zum ersten Male sagt: „Ich komme bald!"14
Was aber kennzeichnet die gegenwärtige Zeit vor dem Kommen Christi? Hören wir, was der Apostel Paulus von ihr weissagt: „In den letzten Tagen werden schwere Zeiten kommen... sie haben ein Form der Gottseligkeit, aber ihre Kraft verleugnen sie ... Böse Menschen und Gaukler (Betrüger) werden im Bösen fortschreiten, indem sie irreführen und irregeführt werden." (2.Timoth.3.) Ist das nicht heute alles der Fall? Die Christenheit besteht im großen Ganzen heute aus geistlich toten Bekennern, bloßen Namenchristen, die nur eine Form der Gottseligkeit haben ohne göttliches Leben und darum auch ohne die weltüberwindende Kraft der Gottseligkeit. Ferner wird unsere Zeit gekennzeichnet durch die vielen Irrlehren, ganz wie der Apostel in der oben angeführten Weissagung schreibt: „Böse Menschen werden fortschreiten, indem sie irreführen (oder verführen) und irregeführt werden." Wo aber liegt die Sicherheit und Bewahrung vor dem geistlichen Tod und der bloßen Form und vor den Irrlehren und Verführern ohne Zahl? In der Wertschätzung des kostbaren Namens, d. i. der Person des Herrn Jesu, und im unerschütterlichen Festhalten an Seinem Worte. Dann sagt der Apostel Paulus gleich bei seiner Weissagung von den „schweren Zeiten", in denen wir heute leben: „Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast, weil du von Kind auf die heiligen Schriften kennst, die vermögend sind, dich weise zu machen zur Seligkeit... Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, auf daß der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werke völlig geschickt." (2Tim 3,14-17.)
Ebenso schreibt der Apostel Judas in seiner kurzen prophetischen Epistel, darin er von der ernsten Endzeit redet, daß die gläubigen Christen für den „einmal den Heiligen überlieferten Glauben kämpfen" sollen, d. h. für die reine Lehre, welche die ersten Christen von Gott empfingen und festhielten. Das Wort Gottes ist Wehr und Waffe, um für die Wahrheit zu streiten; zugleich ist das Wort Gottes selbst die Wahrheit (Joh 17,17.). Weiter ruft Judas den Gläubigen zu: „Erbauet euch selbst auf euren allerheiligsten Glauben!" Auch hier werden wir wieder hingewiesen auf das Wort Gottes. Das geschriebene Wort, d. h. die Bibel, ist zugleich Schwert und Kelle für uns in unseren bösen Tagen. Mit dem Schwerte sollen wir „kämpfen", und mit der Kelle sollen wir „bauen" (Judas, 3. 20.). Beides ist heute so nötig für alle Gläubigen, wenn sie das Zeugnis Gottes in den Tagen des Verfalls sein wollen, wie in Nehemias Tagen, als ein frommer Überrest aus Israel, der aus dem babylonischen Exil ins Land der Väter zurückgekehrt war, in der einen Hand die Waffe hatte, Schwert und Spieß, um die Angriffe der Feinde abzuwehren, und mit der anderen Hand Hammer und Kelle führte, um zu bauen. (Neh 4,17.18.)
Glückselig daher die einzelne gläubige Seele, und glückselig jede Schar oder Anzahl von Gläubigen, welcher der Sohn Gottes, der inmitten der sieben goldenen Leuchter wandelt und genau von allem Kenntnis nimmt, in diesen Tagen des Verfalls und des sich anbahnenden völligen Abfalls einzeln oder gemeinsam zurufen kann: „Du hast Mein Wort bewahrt!"
Wie wichtig ist es also, daß der Christ sich völlig dem Worte Gottes unterwirft und dasselbe im Herzen und Leben treu bewahrt. Auf der einen Seite herrscht heute der Aberglaube, wie wir das besonders in der römischen Kirche finden, wo die zahllosen menschlichen Überlieferungen das einfache, heilbringende Evangelium überwuchern und das Wort Gottes beiseite schieben, so daß die Bibel dort ein praktisch zum Schweigen gebrachtes, eigentlich verbotenes Buch geworden ist. Auf der anderen Seite schreitet der Unglaube frech einher, wie wir das vornehmlich in der protestantischen Kirche sehen, wo die meisten Professoren der Theologie viel Fleiß und ihre ganze Autorität anwenden, um das untrügliche Wort Gottes vor ihren Zuhörern, den künftigen Predigern, und selbst vor dem ganzen Volke seiner göttlichen Autorität zu entkleiden. Ja, sie versuchen, es als ein rein menschliches Buch zu zerstücken und zu zerpflücken. Arme Theologie, armes Christenvolk, das auf sie hört!
Und außer diesem mächtigen Aberglauben und dem herrschenden Unglauben finden zahllose Irrlehren allenthalben Eingang: Irrlehren der „Heiligen der letzten Tage" und der Irningianer, besonders derjenigen der neuen Ordnung, der Adventisten, der „Tagesanbruchleute" und andere Geister, durch welche Tausende von Seelen verwundet und tödlich vergiftet werden. Es ist also nichts Geringes, wenn der Herr der Herrlichkeit den Seinigen, die noch auf die Heilige Schrift allein als auf das ewige, unverbrüchliche Wort Gottes ihr Seelenheil gründen und dasselbe hoch über alles stellen und in Glaubenssachen ganz allein gelten lassen, zuruft: „Du hast Mein Wort bewahrt!"
Wie nötig ferner auch, daß wir das Wort Gottes nicht nur täglich lesen und erforschen hinsichtlich des Heils und der Erlösung, sondern auch hinsichtlich des täglichen Pfades durch die Welt, sei es in irdischen oder geistlichen Angelegenheiten, es täglich befragen und befolgen. Ein Zeugnis für den Herrn Jesus kann nur der treue Christ sein, der in allen Dingen fragt: „Was sagt das Wort Gottes? Was sagt mein Herr und Heiland?" Nach dem allein, was Er uns sagt, was im Worte Gottes geschrieben steht, dürfen wir uns richten und bilden, mögen andere um uns her ihren Vernunftschlüssen folgen oder einer angesehenen religiösen Form und Einrichtung.
Wie leicht kann selbst der Besitz und die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit und die äußere Absonderung von der Welt und ihrer Religion wiederum zu einer kraftlosen Form werden, indem das Herz gleichgültig wird und der Wandel weltförmig! Man glaubt, mehr zu besitzen an geistlichen Gütern als andere und ist dabei kurzsichtig geworden über sich selbst und hochmütig im Urteil über andere Christen, die vielleicht weniger Licht und Erkenntnis, aber mehr Ernst und Treue im praktischen Wandel und in der Hingebung an den Herrn, wie in der Liebe zu den Verlorenen beweisen. Laßt uns immer bedenken, daß man nur solange und nur insoweit zu Philadelphia gehört, als man in der Gesinnung und im praktischen Wandel und Verhalten die hier vom Herrn anerkannten Eigenschaften wirklich besitzt!
Der Herr rühmt ferner von Philadelphia: »Du hast Meinen Namen nicht verleugnet!" Es heißt dieses Wort soviel, als wenn der Herr Jesus sagen würde: »Du hast Mich in der Wett, die Mich, den Sohn Gottes, gehaßt und verworfen hat, nicht verleugnet; du hast Mich als deinen Erlöser im Glauben ergriffen und Mich als deinen Herrn und Führer inmitten der feindlichen Welt anerkannt und geehrt und dich treu zu Mir bekannt, und nur zu Mir. Ich war genug für dich."
Wie kostbar ist der Name Jesu. Welche Fülle wohnt in Ihm! Wer Ihn anruft, wird errettet; im Glauben an Seinen Namen hat die Seele Vergebung und Frieden und ewiges Leben gefunden, und in Seinem Namen überwindet sie jeden Feind und jede Gefahr. Möge denn auch uns der Name Jesu kostbar sein und bleiben über jeden Namen! Wie stolz sind oft die Menschen darauf, zu dieser oder jener Kirche zu gehören oder zu diesem oder jenem Manne und Verein; aber kann dies sie retten? Ach nein; sie sind betrogen, wenn nicht Jesus selbst ihres Herzens Halt und Heil, ihr Trost und Teil, ihre Kraft und Zuversicht ist für Zeit und Ewigkeit.
Philadelphia ist also deshalb das treue Zeugnis Gottes in der Welt und hat deshalb die volle Anerkennung des Herrn Jesu inmitten des Verfalls der bekennenden Christenheit, weil Er zu ihr sagen kann: „Du hast Mein Wort bewahrt und Meinen Namen nicht verleugnet!"
Das treue Festhalten an Jesu Wort und Namen, d. h. an Ihm selbst, hat solch hohen und einzigen Wert für Gott! Kein Christ gehört praktisch zu Philadelphia, d. h. gehört zu dem Zeugnisse des Herrn in dieser Zeit des Verfalls und Abfalls, dem Jesus nicht auch persönlich dieses Zeugnis ausstellen kann. Er will Wirklichkeit sehen im Herzen und im praktischen Leben. Und Sein liebendes Herz befriedigt nichts anderes als eine freudige und dankbare Hingebung des Herzens und Lebens an Ihn. Das sahen wir schon im ersten Sendschreiben, wo Er klagen mußte: „Du hast deine erste Liebe verlassen!" Wenn unser Herz ganz für Ihn schlägt, dann wird unser praktischer Weg und Wandel in Tat und Wahrheit Seinem heiligen Wort entsprechen. Freudiger Gehorsam gegen Sein Wort, das Halten Seiner Gebote wird unseren täglichen Pfad kennzeichnen bis ans Ende. Der Herr verheißt herrliche Belohnungen für solche Treue.
Die aus der Synagoge des Satans, welche vorgeben, Juden zu sein und es doch nicht sind, sollen einst sich beugen und werden anerkennen müssen, wie teuer und wert Philadelphia dem Herzen Christi aus Erden war. Wie hoch dünkt sich „die Kirche", Thyatira, oder auch Sardes, die den Namen hat, zu leben und ist tot, die in ihrer Form und Einrichtung so vieles hat, das noch zum Kultus und den Schatten der Juden gehört, ohne daß sie Juden sind!15 Sie alle aber werden einst beschämt erkennen müssen, wie das von ihnen tief verachtete Häuflein von treuen Gläubigen hin und her auf Erden vom Herrn der Herrlichkeit so innig geliebt war: „Sie werden kommen und huldigen zu deinen Füßen und erkennen, daß Ich dich geliebt habe."
Aber eine größere Belohnung noch verheißt der Herr! Er fährt fort: „Weil du das Wort Meines Ausharrens bewahrt hast, will auch Ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um zu versuchen, die auf der Erde wohnen."
Als der Herr hienieden wandelte, harrte Er aus inmitten des Widerspruchs der Sünder. Und noch heute harrt Er aus, während Er von Israel und der Welt verworfen ist und geduldig droben wartet, bis Gott Ihm Sein Reich auf Erden gibt und Ihm die Braut, d. i. die Vollzahl von Gläubigen aus allen Völkern der Erde sammelt und zuführt. Die treuen Gläubigen warten mit Jesu auf diese Vollendung der Sammlung der Braut aus allen Völkern der Erde und schauen sehnsuchtsvoll aus nach Ihm, dem Bräutigam. Sie rufen Ihm entgegen: „Amen, komm, Herr Jesu!" Und weil sie so treu und innig zu Ihm stehen, verheißt ihnen Jesus jetzt, sie vor „der Stunde der Versuchung zu bewahren", d. h. Er will sie, ehe die Stunde der schweren, antichristlichen Trübsalszeit kommt, welche der Aufrichtung des Reiches Christi vorangehen muß, zu sich hinauf in den Himmel holen. Nur so kann Er sie, da „die Versuchung über den ganzen Erdkreis kommt", „bewahren". — Auch sagt der Herr nicht, daß Er sie nur inmitten der Versuchung schirmen und bewahren wolle; nein, Er fügt hinzu: „vor der Stunde", d. h. ehe die Zeit beginnt, will Er sie schon bergen.
Von diesen großen Drangsalen „des Tages Jehovas" reden die Propheten viel16, auch die Schriften des Neuen Testamentes17. Der Herr Jesus will aber, wie wir hören, die Seinigen, da sie das Wort Seines Ausharrens bewahrt haben, vor dieser schrecklichen Zeit bewahren oder, mit anderen Worten, sie vorher zu sich nehmen, wie Er Henoch vor der großen Flut zu sich nahm18 (1. Mose S, 24; Heb 11,5.). So hat Er auch uns verheißen: „Ich komme wieder und werde euch zu Mir nehmen, auf daß, wo Ich bin, auch ihr seiet!" (Joh 14,3.) Welch eine herrliche Verheißung! And der Herr ist nahe. Er ruft den Seinigen in diesen Tagen in besonderer Weise zu: „Ich komme bald; halte fest, was du hast, auf daß niemand deine Krone nehme!"
Dies ist eine Ermunterung und ein Trost, gleichzeitig aber auch eine Warnung vor dem Feinde und vor ernster Gefahr. Der Feind weiß wohl, daß er uns nicht aus der Hand des Herrn Jesu, des treuen Hirten, rauben kann. Aber er kann uns viel Kraft und Segen für eine Zeitlang nehmen, manches Vorrecht, manchen Gewinn sogar für die ganze Dauer unserer Lebenszeit hienieden rauben, ja, er kann uns selbst die Krone nehmen, die unsere besondere Zierde und Belohnung in der Herrlichkeit droben sein sollte. Sind wir uns dessen genügend bewußt? — Der Herr hat uns viel Licht über Seine Gnade und Wahrheit, viel Erkenntnis aus Seinem Worte gegeben. Verwerten wir dieses Licht als Leuchte für unseren Wandel; setzen wir die Erkenntnis des Willens Gottes um in die Tat? Nur auf diese Weise können wir „festhalten, was wir haben", und kann der Herr uns größere Gnade, vermehrte Erkenntnis darreichen. „Sehet nun zu, wie ihr höret; denn wer irgend hat (d. h. wer das, was er hört, wirklich ins Herz aufnimmt und in seinem Wandel und Verhalten zur Darstellung bringt), dem wird gegeben werden; wer aber irgend nicht hat, von dem wird selbst, was er zu haben scheint (oder meint), genommen werden."
Der Herr findet in Philadelphia nichts zu tadeln, aber Er ruft warnend: „Halte fest, was du hast!" Denn „wem viel gegeben ist, von dem wird viel verlangt werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man desto mehr fordern" (Lk 12,48.). Daher, „wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, daß er nicht falle!" (1Kor 10,12)
Wir sehen also, daß, obwohl der Herr zunächst für Philadelphia nur Anerkennung hat und ihren Zustand loben kann, doch auch hier allgemeiner Rückgang möglich ist. Darum wendet der Herr sich, wie auch in den übrigen Sendschreiben, am Schluß an jeden einzelnen, indem Er sagt: „Wer überwindet, den will Ich zu einer Säule machen in dem Tempel Meines Gottes, und er wird nie mehr hinausgehen; und Ich werde auf ihn schreiben den Namen Meines Gottes und den Namen der Stadt Meines Gottes, des neuen Jerusalems, das aus dem Himmel herniederkommt von Meinem Gott, und Meinen neuen Namen."
Hienieden sind die Gläubigen, die inmitten der toten Bekenner treu an Gottes Wort und an Jesu Namen festhalten, in den Augen der Welt schwach und unansehnlich; aber der Herr kennt ihre Werke und will sie dereinst, zum Lohn für ihre Treue hienieden, zu einer Säule im Tempel Gottes machen. Eine Säule ist das Bild der Kraft und ist die Stütze des Tempels. Weiter will der Herr noch drei Namen auf Seine Getreuen schreiben: den Namen Seines Gottes; den Namen der Stadt Seines Gottes, d. h. des neuen Jerusalems; und Seinen eigenen, neuen Namen. Das sind drei Namen: der Name des Vaters, der Name der Braut und der Name des Bräutigams, der die Braut von Seinem Vater empfing. Sie erinnern uns an das Wort des Herrn in Seinem herrlichen Gebet zum Vater: „Du hast sie Mir gegeben." (Joh 17,6.) Hier sind alle drei: Vater, Braut und Bräutigam, dicht zusammengestellt.
Ach, daß wir angesichts solcher vom Herrn in Aussicht gestellten wunderbaren Belohnungen und eingedenk der innigen Zuneigungen, die darin zum Ausdruck kommen, doch die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen haben mögen, sondern so wandeln, daß wir zur Freude Seines Herzens und zum Preise Seiner Gnade den ewigen Lohn wahrer Treue von Ihm empfangen können!
Fragt aber jemand: Wo finde ich heute Philadelphia? so müssen wir ihm antworten: Philadelphia wird nicht gebildet durch die Zugehörigkeit zu dieser oder jener Schar von Gläubigen. Es ist eine Frage des einzelnen Herzens in seiner wahren und klaren Stellung zum Herrn und Seinem Worte. Allerdings werden Herzen, die innig und treu zu ihrem Erlöser und Herrn und Seinem Worte stehen und halten, sich auch zusammenfinden und „sich befleißigen, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens". — Aber immer kommt bei dem Herm die Stellung des Herzens zu Ihm und zu Seinem Worte in erster Linie in Betracht. Darum ruft Er auch denen, die treu zu Seinem Namen und zu Seinem Worte stehen, wie wir sagten, warnend zu: „Halte fest, was du hast, auf daß niemand deine Krone nehme!"
14 In den Evangelien sagt der Herr zu den Seinigen nur, daß Er wiederkommen werde; auch in den Episteln der Apostel fehlt das Wörtchen „bald". Hier, in Philadelphia, dem prophetischen Bilde der Gläubigen unserer Zeit, sagt Er: „Ich komme bald!" Und zum Schlüsse wiederholt Er das Wort immer wieder in Off 22,7.12.20.↩︎
15 Sie sagen es nicht in Worten, aber in ihren Werken und Einrichtungen, daß sie Juden seien. Das wahre Christentum hat z. B. keine besonderen heiligen Personen mehr (wie Klerus und Priesterkaste), noch auch heilige Zeiten (Feste) und Orte (z. B. Gebäude, wie „Tempel" und „Gotteshäuser" und Wallfahrtsorte). So war es einst im Judentum. Im Christentum sind alle Personen und alle Orte und alle Zeiten heilig, durch die oder woselbst Gott in Wahrheit gedient und verherrlicht wird: jeder Mensch, jeder Platz, jede Stunde.↩︎
16 Vgl. z. B. Jes 2,12-21, Jes 13,1-13, Dan 12,1, Joel 2,1-11; Joel 3,12-21; Amos 5,18; Zeph 1,14-18; Zeph 3,8; Mal 4 u. a.↩︎
17 Vgl. z. B. Mt 24; Off 6,1f.↩︎
18 Vgl. unser Schriftchen: „Die Entrückung der Kirche.« (1Thes 4,17.)↩︎