Albert von der Kammer
Schriften von Albert von der Kammer
Eph 1,4 Tit 1,1 2Th 2,13 1Pe 1,1 - Die Auserwählung GottesEph 1,4 Tit 1,1 2Th 2,13 1Pe 1,1 - Die Auserwählung Gottes
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Die in diesem Buch angeführten Bibelstellen sind der sogenannten »Elberfelder Bibel« entnommen. Dieses zur Aufklärung für die Leser, die eine Luther-Übersetzung benutzen und deshalb gelegentlich eine Verschiedenheit in den angeführten Schriftstellen bemerken.
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Kammer, Albert von der:
Die Auserwählung Gottes / A.v.d. Kammer. — Dillenburg:
Christi. Verl.-Ges., 1989
(CV-Reihe »Was sagt die Bibel«)
ISBN 3-921 292-96-4)
© Copyright 1989 Christliche Verlagsgesellschaft, Dillenburg
Überarbeitung: Dieter Boddenberg, Mettmann
Umschlaggestaltung: Eberhard Platte, Wuppertal
Druck: Druckhaus Gummersbach
Printed in West-Germany
Inhaltsverzeichnis
Gottes Auserwählung kein Akt loser Willkür, 6
beiden Tatsachen in Einklang zu bringen. 8
zwei verschiedenen Gesichtspunkten 10
die Verantwortlichkeit des Menschen 10
Gott fordert eine klare Willensentscheidung: 11
unumschränkten Gnade Gottes in der Auserwählung 12
die Harmonie der beiden nicht enthüllt 14
nicht um die Auswahl zur Seligkeit 16
»Ist Ungerechtigkeit bei Gott?« 18
Jehova das Herz des Pharao verhärtete. 20
Diese beiden Auswahlen müssen wir klar unterscheiden: 22
Die Auserwählung Gottes
Gottes Auserwählung ist eine Lehre der Schrift, die von vielen Gläubigen unserer Tage wenig beachtet wird. Ja, manche Kinder Gottes wagen kaum die Aussprüche Gottes über die Auserwählung zu berühren und meiden ängstlich schon das Wort. Wie ganz anders war dieses bei den Aposteln:
Johannes schreibt der »auserwählten« Frau und grüßt sie von ihrer »auserwählten« Schwester. (2Joh 13.)
Paulus drückt den Thessalonichern seine Freude aus, daß er um ihre Auserwählung wisse, und wiederum im zweiten Brief dankt er Gott, daß Er sie von Anfang erwählt habe zur Seligkeit. (1Thes 1,4; 2Thes 2,13.)
Die Kolosser ermahnt er, daß sie als »Auserwählte Gottes« wandeln sollen. (Kol 3,12)
Den Römern legt er die Frage vor: Wer wird wider Gottes Auserwählte Anklage erheben?« (Röm 8,33.)
Als er Timotheus von seinen Trübsalen schreibt, sagt er: »Ich erdulde alles um der Auserwählten willen«, und zu Titus spricht er von dem Glauben der »Auserwählten Gottes«. (2Tim 2. 10; Tit 1,1)
Wie göttlich groß war Paulus die Würde eines »Auserwählten Gottes«! Er sah die Gläubigen im Licht dieser hohen Begnadigung. Deshalb ging sein Mund von ihrer hohen Bestimmung, »zum Preise der Herrlichkeit Seiner Gnade« zu sein, über. (Eph 1,4.5.)
Warum kann man diese Sprache heute kaum noch unter dem Volk Gottes hören? Nicht deshalb, weil wir uns so wenig des Inhalts und der Bedeutung bewußt sind, »Gottes Auserwählte« zu sein?
Im Brief an die Epheser preist Paulus Gott, daß Er uns in Christus »auserwählt« hat vor Grundlegung der Welt, daß wir heilig und tadellos vor Ihm seien in Liebe. (Eph 1,4)
Den Korinthern zeigt er ihre Berufung, daß Gott das Törichte, das Schwache, das Unedle und Verachtete der Welt auserwählt hat. Dreimal wiederholt er das Wort »auserwählt«. Es ist, als ob er es ihnen ins Herz prägen wolle. (1Kor 1,27.28.)
Und ebenso fragt auch Jakobus: »Hat nicht Gott die weltlich Armen auserwählt, reich zu sein im Glauben?« (Jak 2,5).
Petrus schreibt den Fremdlingen, daß sie »auserwählt« sind nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters (1Pet 1,1.) Konnte Petrus sie an Besseres erinnern, als an ihre Auserwählung? Gehörten Auserwählung und Fremdlingschaft nicht zusammen? Sind Gottes Auserwählte in der Welt, die in Feindschaft gegen Gott lebt, nicht Fremdlinge? Warum weisen die Apostel die Gläubigen immer wieder auf die Auserwählung hin? Ihnen lag daran, daß die Briefempfänger wissen sollten, zu welch herrlicher Stellung Gottes Gnade sie erwählt und gebracht hatte, damit sich ihre Herzen daran erfreuen und stärken sollten.
Auserwählung — wann?
Gottes Auserwählung führt uns weit zurück in die Ewigkeit; sie fand vor Grundlegung der Welt statt. Als noch nichts von der sichtbaren Schöpfung vorhanden war, war es Gottes Plan und Ratschluß, Menschen, gleichförmig dem Bild Seines Sohnes, heilig und tadellos vor sich zu haben in Liebe. Er selbst erwählte sich jede einzelne Person (ehe sie da war) in Christus und bestimmte sie zuvor zur Sohnschaft durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen Seines Willens (Eph 1,4.5).
Von dieser wunderbaren verborgenen Handlung Gottes vor Erschaffung des Weltalls wissen wir wenig, aber genug, um anzubeten und zu sehen, daß Christus Grundlage und Mittelpunkt derselben ist, und nicht der Mensch noch seine Werke. »In Ihm« sind wir »auserwählt«. Außerhalb von »Ihm« gibt es keine Auserwählung. Deshalb muß auch jeder einzelne persönlich zu dem Sohn kommen. (Joh 6,37.)
Manche sprechen davon, daß
die Gemeinde auserwählt
sei und berufen sich darauf, daß in 1Pet 5,13 von der Gemeinde in Babylon als von der »Miterwählten« gesprochen wird. Dies ist aber nicht der Fall. Wohl haben einige Übersetzer das Wort »Gemeinde« in diese Stelle eingeschoben, es steht aber nicht im Grundtext. Dort steht nur: »Es grüßt euch die Miterwählte in Babylon«, womit wahrscheinlich eine in jener Zeit wohlbekannte Schwester (vielleicht auch die Brüderschaft, V.9!) gemeint ist. Aber wie dem auch sei, das »Geheimnis« (die Gemeinde) war »vor den Zeitaltern her verborgen in Gott« (Eph 3,9); und in der ganzen Schrift finden wir nirgendwo einen solchen Gedanken, daß die Gemeinde »auserwählt« sei, sondern nur, daß Personen auserwählt sind.
Gott ist souverän. Die Schrift spricht dies an vielen Stellen klar und deutlich aus (Dan 4,35; Röm 9,20.21.). Aber wenn sie uns auch Gottes vollkommene Souveränität, daß Er unumschränkt frei ist, zu tun, was Er will, vor Augen führt, so sehen wir doch aus 1Pet 1,2, daß
Gottes Auserwählung kein Akt loser Willkür,
kein blindes Herausgreifen von Menschen war, so wie wir etwa ein Los herausgreifen, sondern daß die Auserwählung im vollen Licht der »Vorkenntnis« geschah, die Gott von der Person Seiner Wahl hatte.
Wir lesen: »Auserwählt
nach Vorkenntnis Gottes,
des Vaters«. Diese Vorkenntnis Gottes ist für uns unfaßbar. Wir mögen uns vielleicht eine schwache Vorstellung von Seiner Allmacht machen können, da auch wir in kleinem Maß Kräfte empfangen haben. Aber von der Allwissenheit Gottes vermögen wir uns keine Vorstellung zu machen. Als Gott dem abtrünnigen Volk Israel Seine alle menschlichen Begriffe übersteigende Größe vor Augen führte, sprach Er von Seiner Allwissenheit: »Gedenket des Anfänglichen, von der Urzeit her, daß Ich Gott bin, und sonst ist keiner, daß Ich Gott bin und gar keiner wie Ich: Der Ich von Anfang an das Ende verkündige, und von alters her, was noch nicht geschehen ist« (Jes 46,9.10). Nach dieser Seiner Allwissenheit traf Er Seine Auswahl.
Weit zuvor, in der Ewigkeit, ehe die Welten da waren, ehe wir geboren waren, ehe wir gesündigt hatten, ehe wir gläubig wurden, ehe wir überhaupt eine Geschichte, ein Leben hatten, sahen Seine Augen uns, kannte und erkannte Er jeden einzelnen in Seiner Persönlichkeit, kannte sein Dasein, sein Leben nach innen und außen. Und dieser Seiner Vorkenntnis gemäß erwählte Er jeden einzelnen. So lesen wir Röm 8,29.30: »Die Er zuvor erkannt hat, die hat Er auch zuvor bestimmt, dem Bild Seines Sohnes gleichförmig zu sein, ... die Er aber zuvor bestimmt hat, diese hat Er auch berufen; und welche Er berufen hat, diese hat Er auch gerechtfertigt; welche Er aber gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht!« (Röm 8,29.30).
Das »Zuvorerkennen«, »Auserwählen« und »Zuvorbestimmen« geschah in der Ewigkeit (vor Grundlegung der Welt). — Das »Berufen« und »Rechtfertigen« aber geschieht jetzt, in der Zeit, durch das Wort Gottes und die Wirksamkeit des Heiligen Geistes.
Auserwählung ist eine Sache der Familie Gottes. Jedes Kind Gottes sollte mit dem, was die Schrift darüber sagt, vertraut sein. Sie gehört zu den Perlen der Kinder Gottes, die nicht »vor die Säue geworfen« werden sollen, da diese ihren Wert und Inhalt nicht verstehen können. Der Welt haben wir nicht die Auserwählung, sondern das Evangelium zu bringen. Für die Gläubigen aber ist die Auserwählung unaussprechlich kostbar. In ihr sehen wir den Anfang und Ursprung all unserer Segnungen.
Die Philosophie der Menschen hat die Auserwählung zu einem Stein des Anstoßes gemacht, und manche Kinder Gottes haben sich über ihre Erwählung beunruhigt, statt sich ihrer zu erfreuen.
Zum leichteren Verständnis möchte ich
ein bekanntes Bild
gebrauchen: Da ist ein Haus des Überflusses. Alle Bewohner desselben leben in Frieden und Freude. Ich komme zur Tür des Hauses und finde daran die Worte geschrieben: »Wer da will, der komme herein!« Dies ist das Evangelium; es lädt alle ein, die draußen sind und gibt jedem, der will, das Recht des Eintritts. Ich mache Gebrauch von der Einladung und trete ein. Drinnen, an der inneren Seite der Tür lese ich dann zu meinem Erstaunen die Worte: »Auserwählt vor Grundlegung der Welt«, und erfahre, daß, wer hier hineingegangen ist, nie hinausgehen kann, noch hinausgestoßen wird.
Als wir zuerst auf die Einladung des Evangeliums mit unseren Sünden zum Heiland kamen und Vergebung und Frieden fanden, da sahen wir unser Kommen als einen Akt unseres Willens an. Als wir aber durch die Tür des Evangeliums ins Haus gegangen waren, erkannten wir drinnen mehr. Da erkannten wir unseren wahren Zustand, daß wir tot in Sünden und Übertretungen waren und der Ursprung unseres Kommens zum Heiland im tiefsten Grund nicht eine Tat unseres Willens war, sondern ein Werk Seines Geistes in uns. Beides, das Vollbringen der Erlösung, wie auch unsere Annahme des Heils waren Sein Werk, nicht unsere Tat. Aus uns selbst waren wir überhaupt nicht gewillt, zu Ihm zu kommen. (Röm 3,11)
Wie groß wurde uns Seine Liebe, als wir anfingen zu verstehen: »Wir sind Sein Werk«, »ihr habt nicht mich auserwählt, sondern ich habe euch auserwählt.« (Eph 2,10; Joh 15,16.) Er erwählte uns nicht, weil wir an Ihn glaubten, sondern umgekehrt, weil Er uns auserwählte, kamen wir zum Glauben an Ihn. Er machte den Anfang, nicht wir.
Wie total löst uns das von uns selbst und von allem eigenen Können, Laufen und Wollen. Da bleibt nichts mehr vor unserem Auge stehen als allein »der begnadigende Gott«. Es ist etwas Wunderbares, wenn unsere Seele entdeckt, daß der Ausgangspunkt unserer Errettung nicht die Stunde unseres Kommens zu dem Herrn Jesus, nicht das Kreuz auf Golgatha war, sondern daß dieser in der Auserwählung vor Grundlegung der Welt lag.
Die Heilige Schrift beginnt mit dem Schöpfungsbericht, unsere Auserwählung aber fand weit vor Grundlegung der Welt statt, wie auch das Lamm ohne Fehl und ohne Flecken vor Grundlegung der Welt zu unserer Erlösung zuvorerkannt wurde. Die Schöpfung des Himmels, der Erde, des Menschen und nach dessen Fall das Kommen Christi, Sein Sterben auf Golgatha usw., das alles waren Geschehnisse, Folgen, die notwendig wurden, um den göttlichen Ratschluß in der Auserwählung, uns in Sohnschaft und Liebe heilig, tadellos vor sich zu haben, zur Ausführung zu bringen.
Die Wahrheit der Auserwählung enthält nichts, was den Gläubigen beunruhigen oder ungewiß machen könnte, im Gegenteil, sie dient zu seiner Befestigung und läßt ihn ruhen in den ewigen Ratschlüssen und Erbarmungen der Liebe Gottes.
Manche Menschen wollen in der Torheit ihres Herzens zuerst wissen,
ob sie auserwählt sind,
dann wollen Sie dem Evangelium glauben und sich ihrer Rettung freuen. Die Reihenfolge ist aber umgekehrt. Zuerst haben wir dem Evangelium zu glauben. Die Annahme des Heils in Christus bringt mir die Errettung. Und in der Annahme des Heils finde ich zugleich die Gewißheit meiner Auserwählung. Daran, daß die Thessalonicher das Evangelium angenommen hatten, erkannte Paulus, daß sie auserwählt waren, und daran wissen auch wir, daß wir auserwählt sind (1Thes 1,4-6.). Was ich wissen muß, um errettet zu werden, ist, daß ich ein verlorener Sünder bin, nicht aber, daß ich ein Auserwählter bin; denn nicht als ein Auserwählter habe ich zu Christus zu kommen, sondern als ein Sünder, der aus Gnade die Vergebung seiner Sünden haben möchte. Danach, wenn ich in das Haus der Gnade eingetreten bin, komme ich zur Erkenntnis meiner Auserwählung, nicht aber vorher.
Oft werden Bedenken laut, daß durch die Lehre der Auserwählung dem Evangelium die Kraft genommen und die Verantwortlichkeit des Menschen beiseite gesetzt werden könne.
Wir verstehen gut, daß sich beim Betrachten der souveränen Gnade Gottes im Blick auf die Verantwortlichkeit des Menschen auch bei Gläubigen Schwierigkeiten einstellen, besonders, wenn man versucht, diese
beiden Tatsachen in Einklang zu bringen.
Die Schrift bezeugt an vielen Stellen beides sehr deutlich: Nebukadnezar z. B. sagte über Gottes Souveränität (Unumschränktheit): »Nach Seinem Willen handelt Er mit dem Heer des Himmels und mit den Bewohnern der Erde; da ist niemand, der Seiner Hand wehren und zu Ihm sagen könnte: Was tust Du?« (Dan 4,35); und Paulus behandelt in Röm 1,18 - 3,19 eingehend die Verantwortlichkeit des Menschen.
Fangen wir aber an, diese beiden Zeugnisse der Schrift (das eine an die Gläubigen, das andere an die Ungläubigen gerichtet) miteinander zu verbinden, dann entstehen sofort Schwierigkeiten. Da kommt die Frage: Wenn Gott vor Grundlegung der Welt jeden Gläubigen auserwählt hat, und der Herr sogar sagt: »Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, daß der Vater ihn ziehe« (Joh 6,44), sind dann nicht alle Bemühungen in der Verkündigung des Evangeliums zwecklos? Wer auserwählt ist, wird doch errettet, und wer nicht auserwählt ist, muß verloren gehen.
Man kann nicht verstehen, wie die Apostel, die die Gläubigen über die Auserwählung belehrten, trotzdem die Ungläubigen mit allem Ernst noch ermahnen konnten: »Tut Buße — laßt euch retten von diesem verkehrten Geschlecht!« (Apg 2,38.40.)! »Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden« usw (Apg 16,31.). Man meint, sie hätten vielmehr sagen müssen: »Der Mensch ist tot in Sünden und muß auf Gott warten, bis Er ihn errettet, wenn er auserwählt ist.«
Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, welche Schwierigkeiten entstehen, wenn wir die Verantwortlichkeit des Menschen mit der souveränen Gnade Gottes in Einklang bringen wollen, anstatt beide Wahrheiten, und zwar
jede an dem Platz,
den Gott ihr in Seinem Wort angewiesen hat, stehen zu lassen und in ihrer ganzen Tragweite anzuerkennen.
Das Evangelium hat sein besonderes Gebiet, und die »Weisheit Gottes im Geheimnis« hat gleichfalls ihr besonderes Gebiet. Die Heilige Schrift unterscheidet genau zwischen dem Evangelium und der damit verbundenen Verantwortlichkeit des Menschen und der Offenbarung des göttlichen Vorsatzes und »der Gnade, die uns in Christus Jesus vor den Zeiten der Zeitalter gegeben ist« (2Tim 1,9). Jedes hat sein eigenes und besonderes Gebiet, wo es entfaltet werden soll.
Das Verbreitungsgebiet für das Evangelium ist die Welt; es soll allen Menschen gebracht werden. »Geht hin in die ganze Welt und predigt das Evangelium der ganzen Schöpfung!« (Mk 16,15.)
Das Gebiet für die Offenbarung der verborgenen Weisheit Gottes aber ist nicht die Welt, sondern die Gemeinde. Die Gläubigen sollen damit vertraut gemacht werden, damit sie die Dinge kennen, die ihnen von Gott geschenkt sind. (1Kor 2,6-12.)
Suchen wir aber die Verantwortlichkeit des Mensehen und die souveräne Gnade Gottes, diese für zwei gesonderte Gebiete und für zwei ganz verschiedene Personenklassen bestimmten Dinge, auf ein gemeinsames Gebiet zu bringen und der menschlichen Vernunft anzupassen, dann werden wir, anstatt beide in ihrer ganzen Weite anzuerkennen, von dem einen oder dem anderen nur soviel gelten lassen, wie es uns nach unseren Gedanken vereinbar zu sein scheint.
So haben manche gemeint, den goldenen Mittelweg wählen zu sollen, indem sie glaubten, die Wahrheit müsse in der Mitte liegen. Sie lehrten, die Auserwählung sei nicht eine Auserwählung bestimmter Personen, sondern nur eine solche im allgemeinen Sinn. Jeder Mensch könne nach seiner freien Wahl und seiner Fähigkeit das Gute erwählen und sich dadurch der Schar der Auserwählten anschließen. Deshalb hätten wir in Übereinstimmung mit der Auserwählung allen Menschen das Evangelium zu verkündigen.
Wir können verstehen, daß die, welche diese Meinung teilen, ängstlich jedes Wort und jede Schrift, die rückhaltlos von der Auserwählung Zeugnis gibt, meiden und verurteilen. Sie begründen das damit, daß, wenn ein solches Zeugnis einem Ungläubigen in die Hand käme, es ihm zum Anlaß werden könne, seine Verantwortlichkeit abzulehnen.
Sollen wir nun deshalb, weil etliche die Schrift »zu ihrem eigenen Verderben verdrehen«, die Wahrheit, die Gott nicht den Unbekehrten, sondern den Gläubigen gegeben hat, unter den Scheffel stellen? Und warum? Weil etwa ein Ungläubiger Worte, die ihm überhaupt nicht gelten, auf sich anwenden könnte, der aber die Worte, die Gott an ihn richtet, nicht annimmt?
Wie leicht sind wir doch bereit, von der göttlichen Tat der Liebe in der Auserwählung, von ihrer wunderbaren Größe, etwas abzustreichen, damit auch für unsere Seite genügend Platz bleibt! Als ob unser Errettetsein nicht allein Sein Werk, Gottes Gnade und Gabe wäre, sondern auch unser Tun und Wille darin Raum und Ruhm haben müsse. Im Himmel werden wir nicht singen: »Du und ich«, sondern allein: »Du bist würdig...« denn Du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft durch Dein Blut usw.« Dort werden wir die Tat unseres Willens nicht neben die Tat Seines Willens stellen. Warum hier?
Welchen Grund haben Gläubige, wenn in der Auserwählung die göttliche Seite unserer Errettung betrachtet wird, so ängstlich darauf bedacht zu sein, daß auch ja gleich daneben die Tat unseres Willens und der Verantwortlichkeit des Menschen betont wird? Tut dieses etwa die Schrift? Gehört dies beides zusammen? Als Gottes Liebe uns (ich rede zu Gläubigen) erwählte, hatten wir da überhaupt schon etwas getan, das zu unseren Gunsten hätte berücksichtigt werden können? Fand unsere Auserwählung nicht statt, ehe wir das Geringste getan hatten? Warum denken wir denn, wenn von Auserwählung die Rede ist, sofort daran, auch unsere Seite, die Seite der Verantwortlichkeit des Menschen dabei zu erwähnen? Als ob durch die Lehre der Auserwählung diese abgeschwächt oder gar mit der Auserwählung verbunden werden könnte; oder als ob die Herrlichkeit Seiner souveränen Gnade nicht ohne Betonung unserer Verantwortlichkeit betrachtet werden dürfe. Solche Richtlinien gibt uns die Schrift nicht.
Die Schrift gibt beiden, der souveränen Gnade Gottes in der Auserwählung und der Verantwortlichkeit des Menschen für das Angebot der Gnade, ihren bestimmten Platz. Sie bringt beide in ihrer ganzen Tragweite voll zur Geltung. Die eine Seite enthält das, was von seiten Gottes geschehen ist und sie ist allein für die Kinder Gottes bestimmt. Die andere enthält das, was von seiten der Menschen zu geschehen hat und betrifft die ganze Welt des Unglaubens.
Es dürfte für manche unserer Leser, besonders für die jüngeren, von Nutzen sein, noch einige Worte mehr über diese beiden Seiten in unserer Errettung zu schreiben.
Ich möchte, um ein Bild zu gebrauchen, unsere Errettung mit einer Kreislinie vergleichen. Eine solche hat von ihrer Konstruktion theoretisch einen Anfangs- und einen Endpunkt. Wir können sie von dem einen und auch von dem anderen Punkt ausgehend anschauen; wir können aber auf der fertigen Kreislinie nicht mehr feststellen, wo Anfang und Ende sich vereinen.
So möchte ich sagen, spricht die Schrift von
zwei verschiedenen Gesichtspunkten
aus über unsere Errettung. Sie zeigt uns die Linie unserer Errettung gleichsam als von zwei sich scheinbar entgegenstehenden Endpunkten ausgehend. Von dem einen Ausgangspunkt geschaut, sehen wir unsere Errettung in der Verkündigung des Evangeliums und der Annahme des Heils in dem Glauben an den Herrn Jesus als eine Tat unseres Willens. Von dem anderen Ausgangspunkt geschaut, sehen wir dagegen unsere Errettung in der souveränen Gnade Gottes, in unserer Auserwählung und der Zuvorbestimmung des Lammes vor Grundlegung der Welt.
Die eine Seite wendet sich an den Menschen als das verständige und Gott verantwortliche Wesen, dem die Botschaft der Gnade vorgelegt und gesagt wird: »Wer da will, der nehme!«
Die andere Seite beginnt mit Gott und dem Ratschluß Seiner Liebe und Gnade in unserer Auserwählung nach Seiner Vorkenntnis vor Grundlegung der Welt.
Wir wenden uns noch einmal zur ersten Seite.
Sie zeigt uns
die Verantwortlichkeit des Menschen
und Sünders. Er ist Gott voll verantwortlich für seine Sünden und für jede Ablehnung der ihm angebotenen Gnade. Ein Baum, ein Tier kann nicht verantwortlich gemacht, noch zur Verantwortlichkeit verpflichtet werden. Der Mensch aber ist für sein Tun Gott verpflichtet; ob er fähig oder nicht fähig ist, seine Verpflichtung zu erfüllen, ändert an der Sache nichts.
Der natürliche Mensch möchte sich gern dieser seiner Verpflichtung Gott gegenüber durch Vorgabe seiner Unfähigkeit und Kraftlosigkeit entziehen. Was würde aber ein Mensch antworten, wenn jemand, der ihm 1000 Mark schuldet, sagen würde: weil er nicht fähig sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen, deshalb trage er keine Verantwortlichkeit mehr für seine Schuld ihm gegenüber?
Oder der Mensch gibt vor, Gott nicht verantwortlich zu sein, weil er in Sünden geboren sei. Aber ist er Gott nicht verantwortlich für seinen Willen? Sagt ihm nicht schon sein eigenes Gewissen, daß sein Wandel nach eigenem Willen böse ist und ebenso, daß er für das Böse, das er willentlich tut, verantwortlich ist? Und ist er nicht verantwortlich, wenn er Gott nicht glaubt?
Wir sehen also, daß Gott den Sünder nicht errettet wie einen leblosen Gegenstand, sondern als eine verständige Person, die verantwortlich für ihr Tun ist. Gott stellt jeden Sünder vor die Entscheidung. Es ist kein Mensch in der Welt, zu welchem Gott nicht spräche. Die Art und Weise, wie Gott mit dem Einzelnen spricht, ist sicher sehr verschieden.
Das erkennen wir aus Hiob (Hiob 33,29.30). Aber jeder Mensch hört Seine Sprache. Das Wort des Glaubens wird seinem »Mund und Herz« nahe gebracht, und so trägt jeder völlig und uneingeschränkt die Verantwortung für die Folgen seiner Entscheidung.
Derselbe Heilige Geist, der die Welt überführt von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht, bringt durch die Predigt des Evangeliums auch den Menschen das Heil in Christus nahe und stellt sie vor die Willens-Verantwortlichkeit, dasselbe anzunehmen oder abzuweisen.
Gott fordert eine klare Willensentscheidung:
»Willst du gesund werden?« (Joh 5,6) »Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst!« (Off 22,17.) Jeder einzelne muß Gott auf das Angebot Seiner Gnade ein »Ja« oder »Nein« sagen. Welche Geistesmächte in solchen Entscheidungsstunden auf den Plan treten und welche Kämpfe um die Seele und in der Seele eines Menschen stattfinden, davon wird uns etwas deutlich in der Bekehrungsgeschichte des Prokonsuls Sergius Paulus (Apg 13,4-12.). Der Heilige Geist in Paulus und der Satan in Elymas warben und standen im Kampf um dessen Seele. Er selbst aber mußte sich entscheiden, »dem einen anzuhangen und den anderen zu verachten« (Mt 6,24). Er war weise und öffnete dem Wirken des Heiligen Geistes sein Herz. Entgegengesetzt haben wir aber auch Beispiele dafür, daß Menschen dem Heiligen Geist widerstehen und das Angebot der Gnade Gottes von sich stoßen können. (Apg 7,51; 13,46.)
Alle Menschen befinden sich im Bereich der Gnade Gottes. Jeder kann aus Gnaden selig werden. »Gott will, daß alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.« (1Tim 2,4.) Von seiten Gottes wird dem Sünder kein Hindernis, zu Ihm zu kommen, in den Weg gelegt. »Wo die Sünde über strömend geworden, ist die Gnade noch überschwenglicher geworden.« (Röm 5,20.) Jede Schwierigkeit, errettet zu werden, ist durch Gottes Hand beseitigt. Das Hindernis liegt im Willen des Menschen. Er ist Gott so entfremdet, daß er nicht kommen will. »Ihr wollt nicht zu mir kommen, auf daß ihr Leben habt.« (Joh 5,40.) »Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen... und ihr habt nicht gewollt.« (Lk 13,34.)
Der Auftrag des Herrn an Seine Knechte, alle ohne Unterschied, ob gut, ob böse, einzuladen (Mt 22,9.10), gilt den Knechten des Herrn heute noch. Das ist für uns nicht schwer zu verstehen. Jeder aber, der die Einladung hört, ist verantwortlich dafür und entscheidet selbst durch Annahme oder Ablehnung über sein ewiges Los.
Nachdem wir die Seite der Verantwortlichkeit des Menschen für das Angebot der Gnade und ebenso die Verpflichtung der Gläubigen, alle ohne Unterschied, Gute und Böse, einzuladen, betrachtet haben, laßt uns nun noch einen Augenblick die andere Seite der
unumschränkten Gnade Gottes in der Auserwählung
anschauen.
Ehe wir darauf eingehen, möchte ich nochmals darauf hinweisen, daß die Auserwählung Gottes nicht zu der Botschaft gehört, die wir der Welt zu bringen haben. Sie ist allein an die Gläubigen gerichtet. Wo sich die Apostel an die Ungläubigen wandten, nirgends finden wir auch nur die Spur einer Andeutung über die Auserwählung, um so mehr aber finden wir sie in ihren Belehrungen für die Gläubigen.
Wenn wir auf den Brief an die Römer blicken, in welchem Paulus, wie in keinem anderen, das Evangelium entfaltet — so finden wir, daß er erst im 8. Kapitel, als er von dem Menschen in Christus spricht, die Auserwählung berührt. Wer sind diese »Auserwählten« in Römer 8,33? Es sind die, die ihr völliges Verdorbensein als Menschen im Fleisch nach Römer 1-3 erkannten und Gottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesum Christum erlangten.
Von der Stunde an, wo der Sünder das »Wort des Glaubens« annimmt, ist er »errettet aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes Seiner Liebe«. Er gehört nicht mehr zu den »Sündern«, sondern zu den »Kindern Gottes« (Kol 1,13; Röm 5,8; Röm 8,16.). Von jetzt an empfängt er ganz andere Belehrungen als zu der Zeit, da er noch zur Welt gehörte. Jetzt wird er unterwiesen in Gottes geheimnisvoller, verborgener Weisheit. Jetzt soll er die Dinge kennenlernen, die uns von Gott geschenkt sind. (1Kor 2,7.12.)
Aber nicht jedes Kind Gottes ist für diese Belehrungen aufnahmefähig. Um in die »verborgene Weisheit Gottes« eingeführt zu werden, müssen wir zuerst zur Klarheit gelangen über den Zustand, in den der Mensch durch die Sünde gekommen ist. Das ist
eine Grundbedingung
für das geistliche Verständnis des »Reichtums Seiner Gnade, welche Er gegen uns hat überströmen lassen« (Eph 1,8.). Diese Grundlage fehlte den Korinthern. Der Mensch im Fleisch, den Gott am Kreuz Christi beseitigt hatte, galt ihnen noch etwas; seine Kraft und Weisheit hatte noch Wert in ihren Augen. Damit zeigten sie, daß sie die Wahrheit des Kreuzes Christi, in welchem der Mensch als gänzlich verdorben für immer abgetan war, noch nicht erfaßt hatten. Das war der Grund, warum Paulus noch nicht zu ihnen als zu Geistlichen über die verborgenen Dinge der Weisheit Gottes reden konnte, sondern ihnen als Unmündigen in Christus Milch zu trinken geben mußte.
Und so ist es auch mit uns. Erst dann, wenn wir durch die Belehrungen des Wortes den völlig hilf- und hoffnungslosen Zustand des Menschen als tot in Sünden erkannt haben, ist uns die Tür des Verständnisses für die »verborgene Weisheit Gottes« geöffnet.
Dann erkennen wir, daß der Mensch aufgehört hat, ein freies Wesen zu sein und deshalb auch
keinen freien Willen
mehr hat (Unter »Freisein« verstehen wir, nicht unter Zwang oder dem hemmenden Einfluß einer Macht zu stehen.). Der Mensch aber ist ein Sklave Satans und verkauft unter die Sünde (Röm 7,14); er ist ein Gebundener und steht unter Herrschaft und kann nicht selbstbestimmend wählen.
Die Schrift erkennt an, daß er sowohl einen Willen als auch einen Verstand hat. Sein Wille wie sein Verstand sind nicht durch die Sünde zerstört. Aber von einem freien Willen redet die Schrift nicht und von seinem Verstand sagt sie, daß derselbe »verfinstert« sei (Eph 4,18) und daß der Gott dieser Welt den Sinn der Ungläubigen »verblendet« habe (2Kor 4,4). Der natürliche Mensch mag sich dem Namen nach frei nennen und von seinem freien Willen reden; der Tatsache nach aber ist er verfinstert, verblendet und ein Gebundener Satans. Er will frei sein, aber nur frei und unabhängig von Gott, um seinen eigenen Willen zu tun. Ein solcher »freier« Wille ist Gesetzlosigkeit, ist Sünde und stammt vom Satan.
So war es nicht von Anfang. Im Paradies war er frei im Gebrauch seines Willens. Adam traute aber Satan mehr als Gott. Er stellte seinen Willen unter Satans Leitung und wurde ein Sünder. Von da an leitet Satan den Willen des Menschen so völlig, daß auch nicht einer zu finden ist, der Gott sucht. Er will weder Gott noch das Gute und zieht die Dinge der Welt der Gnade Gottes vor. Erklärt wird uns das in der Absage der Einladung Gottes zum großen Abendmahl.
Dem Jungbekehrten ist dies eine furchtbare Entdeckung. Und manche Gläubige sträuben sich, einen solchen Abgrund des Verlorenseins, wie das Kreuz Christi ihn uns zeigt, anzuerkennen. Aber es bleibt nur ein »Entweder — Oder«. Entweder der alte Mensch kann verbessert, zurechtgebracht und geheiligt werden, oder er ist verloren, tot in Sünden und so unter der Macht Satans, daß ihm nur durch das Eingreifen einer anderen Hand Rettung werden kann. Nun, die Schrift läßt uns keinen Zweifel darüber, daß der Mensch nicht aus sich selbst, sondern allein durch das Dazwischentreten der souveränen Gnade Gottes gerettet werden kann.
Das ist eine wichtige Lektion, die wir meist als Jungbekehrte lernen. Haben wir sie gelernt, dann erkennen wir, daß unser Kommen zu Christus eine Folge des Ziehens des Vaters zum Sohn war, daß wir aus uns selbst weder den Willen noch die Kraft am Kommen hatten, so wie der Herr sagt:
»Niemand kann zu mir kommen,
es sei denn, daß der Vater ihn ziehe.« (Joh 6,44.)
Ein Bruder sagte einmal: »Jeder kann in die Versammlung kommen.« Ein anderer erwiderte: »Nein, nicht jeder kann kommen; der, dessen Beine gebrochen sind, kann nicht kommen.«
Von solchem Gesichtspunkt aus sagt der Herr: »Niemand kann zu mir kommen.« Nicht, als ob Gott jemand zum Kommen hindere — sondern der Mensch ist tot in Sünden, daß, wenn Gott nicht eingreift, er aus sich selbst sich nicht von der ihn beherrschenden Macht befreien und zu Christus kommen kann. Gott muß den Anfang machen. Im Ziehen des Vaters wird uns die göttliche, anfängliche, in dem Kommen unsere Seite gezeigt. Wir mußten »kommen«, aber unser Kommen war die Wirkung des Ziehens von seiten des Vaters.
Das erkannten wir noch nicht in der Stunde, als wir verloren zum Heiland kamen. Damals sahen wir in unserem Kommen nur die Tat unseres Willens; jetzt aber sieht der Gläubiggewordene die Zugwirkung dessen, der uns errettet hat... »nach Seinem eigenen Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor den Zeiten der Zeitalter gegeben ist« (2Tim 1,9), das Ziehen des Vaters, der uns »von Anfang erwählt hat zur Seligkeit« (2Thes 2,13), der uns auserwählt hat vor Grundlegung der Welt.
Hätte Gott sich nicht nach Seinem Ratschluß und Vorkenntnis vor ewigen Zeiten über uns erbarmt, so wäre »kein Fleisch vor Ihm gerechtfertigt worden« (Röm 3,20.). Da wäre keiner gefunden, der aus eigener Wahl Gott geglaubt hätte. Der Mensch glaubte Satan, aber nicht Gott. Gott selbst sagt: »Da ist kein Verständiger, da ist keiner, der Gott suche.« (Röm 3,11.)
So war es von dem Tag an, als Gott den Menschen aus dem Garten Eden treiben mußte. So total verdorben war sein Geschlecht, daß nur Gnade eine Familie in der Arche rettete. Und als dieses neue Geschlecht wieder in Götzendienst sank, führte Gnade wieder einen Mann heraus und machte ihn zum Stammvater des auserwählten Volkes, und dieses Volk in Verbindung mit den Nationen tötete den Heiligen und Gerechten.
Ist es nun nicht Gnade, unfaßbare Gnade, daß Gott aus dieser Welt, die Seinen Sohn kreuzigte, Menschen erwählte, sie rettet und bestimmt, dem Bild Seines Sohnes gleichförmig zu sein? Dieser Liebesplan entstand in Seinem Herz, und Er ganz allein führte ihn aus. Er ist es, der auserwählte, Er ist es, der zuvorerkannte und zuvorbestimmte, der beruft, rechtfertigt und verherrlicht — alles ist Gott! (Röm 8,29.30.) Die Engelwelt staunt; es gelüstet sie, da hineinzuschauen. Und müssen wir nicht staunen? Voll Bewunderung darüber ruft Paulus aus: »Was sollen wir hierzu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer wider uns? Wer wird wider Gottes Auserwählte Anklage erheben?« (Röm 8,31.33.) Müssen wir nicht über einen solchen Vorsatz der Gnade vor Grundlegung der Welt, »vor den Zeiten der Zeitalter«, anbeten?
Um mich nicht zu wiederholen, möchte ich weiteres über die göttliche Seite unserer Errettung in der Auserwählung nicht mehr schreiben, sondern auf das bereits Gesagte hin weisen.
Wir haben gesehen, welche Schwierigkeiten entstehen, wenn wir beides, Gottes Auserwählung und die Verantwortlichkeit des Menschen in Einklang bringen wollen. Beides sind Wahrheiten, über welche die Schrift mit großer Klarheit spricht, aber Gott hat jeder ihren bestimmten Platz angewiesen, wo wir sie lernen und wo sie bezeugt werden sollen.
Wenn uns die Schrift
die Harmonie der beiden nicht enthüllt
(die ohne Zweifel besteht und die Gott kennt), wollen wir uns dann anmaßen, sie enthüllen zu können?
Die Schrift enthält manche Dinge, bei denen der Mensch fragt: »Warum?« Gott sagt uns nicht alles; Er ist Gott, und wir müssen uns bewußt bleiben, daß wir nur Geschöpfe sind. Selbst der stolze König Nebukadnezar, wohl der größte Herrscher, den je die Welt gesehen hat, mußte lernen, daß es auch ihm nicht zustand zu fragen: »Was tust Du?« (Dan 4,35.) Und wenn Gott es uns sagen würde, wären wir fähig, mit unserem kleinen Menschenverstand Seinen Gedanken zu folgen?
Die eine Seite, die der Verantwortlichkeit des Menschen, können wir gut verstehen, weil wir Menschen sind; die andere Seite, die der Auserwählung Gottes, vermögen wir nicht mit unserer Vernunft zu erfassen. Nicht, als ob sie gegen, sondern weil sie über die menschliche Vernunft ist. Könnten wir sie erfassen, dann hätte der Lügner von Anfang die Wahrheit gesprochen: »Ihr werdet sein wie Gott.« (1. Mose 3,5.) Unserem Fassungsvermögen aber sind Grenzen gezogen, und wir sind auf Glauben angewiesen.
Wenn Gott uns die beiden Seiten einzeln, jede für sich an ihrem Platz, zeigt, dann sollte uns das schon deutlich genug sagen, daß wir nicht fähig sind, beide zugleich mit einem Blick, in ihrem Zusammenhang zu erfassen, sondern nur einzeln, stückweise; und es sollte uns weiter Beweis genug sein, daß die Wahrheit nicht in der Mitte zu suchen ist, wie etliche sagen, sondern die Wahrheit beider Seiten in ihrer ganzen Tragweite und Bedeutung an dem Platz gefunden wird, wo Gott jede hingestellt und sie uns offenbart hat.
Die Söhne Korahs sangen: »Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküßt.« (Ps 85,11.) Beide begegneten sich im Kreuz Christi. Wenn wir auch Gottes Auserwählung und des Menschen Verantwortlichkeit nicht in ihrer Harmonie zu erfassen vermögen, so führen doch beide — und das können wir sehen — zu Christus hin.
Der Mensch aber, der die Einladung, als ein verlorener Sünder zu Christus zu kommen, von sich weist, möchte gern an seinem Verlorengehen
Gott die Schuld geben,
indem er folgert: Wenn Gott den einen auserwählt, so hat Er damit den anderen zum Verlorengehen zuvorbestimmt.
Solche trügerischen Vernunftschlüsse offenbaren nur, daß die Gesinnung des Fleisches Feindschaft gegen den Gott ist, der »Seinen eingeborenen Sohn gab, auf das alle, die an Ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben« (Joh 3,16.). Es liegt dem menschlichen Herz so nahe, in Gott den harten Mann zu sehen, »der erntet, wo er nicht gesät hat« (Lk 19,21.). Nach einem solchen Trugschluß hätte jemand, wenn er dem einen seine Güte und Gunst erwiese, damit den anderen verworfen.
Oder der Mensch beruft sich auf Röm 9,21.22 und sagt: So, wie der Töpfer Gefäße zur Unehre macht, so habe Gott auch die Gefäße des Zornes zubereitet zum Verderben. Paulus gebraucht aber nicht das Bild des Töpfers, um zu zeigen, was für Gefäße Gott macht, sondern um an diesem Bild den souveränen Willen und die Macht Gottes darzustellen.
Gewiß, Gott ist souverän; Er hätte die Macht, den einen zum Leben und den anderen zum Tod zuvorzubestimmen. Wenn ein Töpfer das Recht hat, aus dem Ton ein Gefäß zur Ehre und ein anderes zur Unehre zu machen, so hat Gott doch sicher ebenso viel Macht und Recht wie ein Töpfer. Und wenn niemand daran denkt, einem Töpfer dieses sein Recht streitig zu machen, wo ist der Mensch, der das Wort wider Gott nehmen will? (Röm 9,20.21.)
Obwohl Gott solche Macht und solches Recht hat, so finden wir doch nirgendwo einen Hinweis darauf, daß Er je von dieser Seiner Macht Gebrauch gemacht hätte. Zu einem solchen Gedanken läßt auch diese Stelle gar keinen Raum. Beachte, daß es eine Frage ist, die Paulus stellt: »Hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus derselben Masse ein Gefäß zur Ehre und ein anderes zur Unehre zu machen?« In dieser Frage liegt die Antwort eingeschlossen, daß Gott diese Macht und das Recht hat, aber damit ist durchaus nicht gesagt, daß Er auch so gehandelt habe.
Aus dieser Macht Gottes, Gefäße der Unehre machen zu können, zu folgern, daß Gott auch Gefäße des Zorns gemacht haben müsse, ist eine ganz grundlose Annahme, die schon von vornherein dadurch ausgeschlossen ist, daß jedes Tun und Wirken Gottes in Übereinstimmung mit Seiner Vollkommenheit stehen, Ihm gemäß und Seiner würdig sein muß. Zum Beispiel: Wenn ein böser Mensch unumschränkt Macht besäße, so würde er seine Macht seinem bösen Herzen gemäß zur Erfüllung seiner bösen Triebe gebrauchen. Ein mildgesinnter Mensch würde seine Macht seinem milden Herzen gemäß oft auf Kosten der Gerechtigkeit gebrauchen und damit Unheil anrichten. Gott aber ist vollkommen; alles, was Er tut, muß Seiner Art entsprechen. Er kann nicht Gefäße zur Unehre machen, (obwohl Er die Macht dazu hätte) noch jemand auserwählen und zuvorbestimmen zum Verderben. Eine solche Tat stünde im Widerspruch zu seinem eigenen Herz und Wesen.
Auch Gottes Auswahl und Zuvorbestimmung steht in Übereinstimmung mit dem, was Er selbst ist. Wenn wir die Schrift nach dieser Seite hin durchforschen, so bestätigt sie uns, daß jede Auswahl, jede Zuvorbestimmung, die Gott jemals traf, immer aufgrund Seiner Gnade stattfand, aber nie aufgrund Seines Willens zu verderben.
Sicher ist Gott allmächtig, aber auch in Seiner Allmacht kann Gott doch etwas nicht tun: »Er kann sich selbst nicht verleugnen.« (2Tim 2,13.) Er kann in Seiner Allmacht nichts tun, was irgend Seiner unwürdig wäre oder mit Seiner Vollkommenheit im Widerspruch stünde.
Niemals hat Gott ein Gefäß zur Unehre gemacht. Alles, was je aus Gottes Hand hervorging, war gut, »sehr gut«. Nie hat Er einen Menschen zum Verderben zuvorbereitet, Er warnte vielmehr den Menschen vor dem Ungehorsam und der Sünde. Und als dieser gefallen war, offenbarte Er ihm in Seiner Gnade einen Weg des Heils durch den Glauben.
Nun laßt uns den wichtigen Unterschied beachten, den die Schrift in Röm 9,22.23 zwischen
»zubereitet« und »zuvorbereitet«
macht. Sie sagt von den Gefäßen der Begnadigung, daß Gott sie zur Herrlichkeit zuvor bereitet hat; aber niemals wird das von den Gefäßen des Zorns gesagt. Von diesen heißt es nur: »Zubereitet zum Verderben.« Wer hat sie zubereitet? Gott oder der Mensch? Die Schrift gibt uns die Antwort: »Nach deiner Störrigkeit und deinem unbußfertigen Herzen aber häufst du dir selbst Zorn auf am Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes.« (Röm 2,5.) Durch ihren Unglauben und die Verwerfung der Gnade haben sie sich selbst zubereitet zu Gefäßen des Zorns und zum Verderben. Und trotz ihrer Störrigkeit und trotz ihrer Unbußfertigkeit hat Gott sie in Seiner lockenden und wartenden Gnade mit viel Langmut getragen (Röm 9,22.23.). Sie aber haben das Maß ihrer Sünden vollgemacht und sind unter den Zorn Gottes gekommen (1Thes 2,16; 1. Mose 15,16.). Durch ihre Sünden haben sie sich selbst zu »Gefäßen des Zornes zubereitet zum Verderben«.
Für die Behauptung aber: Weil Gott etliche erwählte, deshalb seien die anderen, ohne es ändern zu können, zuvorbereitet und zuvorbestimmt, verloren zu gehen, besteht auch nicht das geringste Recht.
Nun möchte jemand einwenden, daß doch Gott den Jakob geliebt, den Esau aber gehaßt habe und fragen, ob dies nicht im Widerspruch mit Gottes Gerechtigkeit stehe. (Röm 9,13.)
Diese Stelle in Römer Kapitel 9 bereitet vielen Menschen Schwierigkeiten. Es dürfte deshalb besonders für jüngere Kinder Gottes nützlich sein, sich etwas eingehender damit zu beschäftigen.
Zunächst aber laßt uns beachten, daß es sich in der Auserwählung des Jakob vor Esau (Röm 9,11)
nicht um die Auswahl zur Seligkeit
vor Grundlegung der Welt handelt, sondern um die Auserwählung von Personen, die Stammväter des irdischen Volkes sein sollten.
Wenn deshalb diese Stelle auch für unsere Betrachtung über die Auserwählung vor Grundlegung der Welt weniger in Frage kommt, so finden wir darin doch (wie kaum anderswo) die wichtige Belehrung, daß Gottes Auserwählung und Zuvorbestimmung allein von Ihm, dem Berufenden, und nicht von irgend welchem Werk und Verdienst, Laufen und Wollen des Menschen abhängig ist. Es ist so, als wollte Paulus ihnen einzig und allein diesen einen großen Hauptgedanken in Gottes Auserwählung vor Augen stellen, so daß er auch nicht einmal die Vorkenntnis Gottes hier erwähnt.
Obwohl nun kein menschliches Verdienst den Willen des allein weisen Gottes beeinflußt, so müssen wir uns doch immer bewußt bleiben, daß Seine Auswahl keine lose Willkür, sondern stets in Übereinstimmung mit Seiner göttlichen Natur steht und das Gepräge Seiner Heiligkeit und Weisheit trägt. Jede Willensäußerung Gottes offenbart uns Ihn selbst, Sein Wesen, Sein Wohlgefallen, Sein Herz.
Wir wenden uns nun zu der oben erwähnten Stelle im 9. Kap. des Römerbriefes.
In den ersten Kapiteln dieses Briefes hatte Paulus bewiesen, daß alle, Juden und Heiden, gesündigt und dem Gericht Gottes verfallen waren und nur aus Gnaden gerettet werden konnten. Das traf den Stolz der Juden. Wenn alle ohne Unterschied, Juden und Heiden, als Sünder auf eine Stufe gestellt wurden und alle gleich nur auf der einen Grundlage des Blutes Christi aus freier Gnade gesegnet werden konnten, was wurde dann aus den Verheißungen, die Gott speziell Israel durch den Mund der Propheten gegeben hatte? War
Gottes Wort hinfällig
geworden? (Röm 9,6.) Keineswegs! Paulus beweist ihnen, daß Gott in der Unumschränktheit Seiner Gnade auch die Heiden zu den Segnungen berufen kann, ohne damit die Israel gegebenen Verheißungen zu beschränken. Ferner zeigt er ihnen anhand ihrer eigenen Geschichte, daß auch die Israel gegebenen Verheißungen nur auf der Basis der souveränen Gnade Gottes in Seiner Auswahl ihr Teil waren; denn nicht alle, die sich der fleischlichen Abstammung von Abraham rühmen konnten, waren Kinder der Verheißung.
Ismael war ebenso gut wie Isaak ein Sohn Abrahams und hätte ein Erbe der Verheißung sein können. Aber Gott erwählte nach der Souveränität Seiner Gnade Isaak und nicht Ismael. Niemand konnte leugnen, daß ihre ganze Geschichte ein Akt der Gnadenwahl Gottes war. Gnade war es, daß Gott Abraham berief und segnete, und Gnade war es wiederum, daß Er Isaak und nicht Ismael zum Stammhalter Abrahams erwählte. Und noch auffallender trat Seine Unumschränktheit in der Erwählung Jakobs vor Esau hervor. In der Wahl Isaaks hätte jemand noch eine gewisse Berechtigung finden können, weil Ismael der Sohn der Sklavin war. Bei
Jakob und Esau
aber lag völlige Ebenbürtigkeit vor. Beide waren Kinder von einer Mutter und einem Vater, (Isaak) und zudem noch Zwillinge. Der Erstgeborene war Esau. Aber noch ehe die Kinder geboren waren, ehe sie Gutes oder Böses getan hatten, bestimmte Gott nach Auswahl Seiner Gnade, daß der Größere dem Kleineren dienen solle (Röm 9,10-12.). Nichts von ihrer Seite, weder ihre Werke, noch ihr Glaube, sondern allein Sein eigener souveräner Wille, leitete Gott in dieser Wahl; denn beide waren Sünder und in Sünden geboren. Es war allein Gottes Gnade, daß Er Jakob liebte.
Wenn ein Jude nun auf den Vorzug seiner leiblichen Abstammung von Abraham pochen wollte, so mußte er zugeben, daß ohne die Auswahl Gottes, allein auf der Grundlage des Rechtsanspruches der leiblichen Abstammung, nicht ihm die Segens-Vorrechte, sondern den Nachkommen Ismaels zugefallen wären, oder von Jakob aus gesehen, den Nachkommen Es aus.
So bewies Paulus den Juden an ihrer eigenen Geschichte, daß Gottes Gnade ebenso frei ist, auch die Heiden zu den Segnungen des Evangeliums zu berufen, wie Er in Seiner Wahl frei war, Jakob zu segnen.
Gott erinnerte viele hundert Jahre später durch Maleachi Sein Volk an diese Seine Wahl, indem Er ihnen sagen ließ: »Ich habe euch geliebt«, (Mal 1,2.3.) Und als das abtrünnige Volk fragt: »Worin hast Du uns geliebt?«, weist Er sie hin auf Esau, den Erstgeborenen, und spricht: »Ich habe Jakob geliebt,
Esau aber habe ich gehaßt.«
Wie oft werden diese Worte ganz entstellt wiedergegeben. Man spricht so, als ob Gott diese Worte gesagt hätte, ehe die Kinder geboren waren. Einen solchen Gedanken, daß Gott Esau von seiner Geburt an gehaßt habe, finden wir nirgendwo in der Schrift. Dieses Wort: »Ich habe Jakob geliebt, Esau aber habe ich gehaßt«, wurde nicht der Rebekka zur Zeit der Geburt gesagt, sondern mehr als 1300 Jahre später, am Schluß des Alten Testaments. Wir sehen also, daß Gott diesen Ausspruch nicht, wenn ich so sagen darf, auf die Geburtsanzeige der Kinder, sondern wie jemand anders gesagt hat, auf ihren Grabstein schrieb, als ihre Geschichte beendet war; als Esau und seine Nachkommenschaft (diese ist in dem Namen »Esau« eingeschlossen) sich völlig als Feinde Gottes und Seines Volkes erwiesen hatten. Maleachi bezeugt uns aber nicht nur den Haß Gottes, sondern zugleich auch die Gesetzlosigkeit Esaus, die so groß war, daß ihr Gebiet »Gebiet der Gesetzlosigkeit« genannt wurde. Damit läßt Gott uns zugleich auch den Grund Seines Hasses1) sehen.
Der Mensch folgert nun gern, daß Liebe zu einem Haß gegen einen anderen ausdrücke. Als ob wir nicht dem einen unsere Liebe erweisen könnten, ohne den anderen zu hassen oder zu verachten. Eine derartige Schlußfolgerung, daß Gott, weil Er Jakob liebte, den Esau hassen müsse, ist völlig haltlos. Wenn Gottes Zorn einen Menschen trifft, so ist das die Folge seiner Sünden, aber nicht die Folge eines Vorsatzes oder der Zuvorbestimmung Gottes.
Ist es unrecht, wenn Gott sagt, daß Er den Gesetzlosen haßt? (Ps 11,5.) Paulus fragt deshalb:
»Ist Ungerechtigkeit bei Gott?«
Wie furchtbar! Der Ungerechte erkühnt sich, nach Ungerechtigkeit bei dem Gerechten zu suchen! Und so ist es bis heute geblieben. Der Sünder tritt an Gott heran mit der Frage nach Seiner Gerechtigkeit. Mit bösen Worten lästert er Gottes Gerechtigkeit: »Wenn es einen gerechten Gott gäbe!« Die Ungerechtigkeit aber liegt bei uns und nicht bei Gott. Wenn Gott mit einem solchen Menschen, der sich über Seine Gerechtigkeit beschwert, in Gerechtigkeit handeln würde, dann wäre die Verdammnis sein sicheres Los. So wenig aber erkennt der Mensch sein sündiges Leben und seinen verlorenen Zustand vor Gott, daß er nicht weiß, wenn er mit Gott Seiner Gerechtigkeit wegen hadert, daß er damit das Urteil der Verdammnis über sich herausfordert.
Gott aber hat Gedanken des Friedens. Er hat einen Weg, auf dem Seine Gnade in Gerechtigkeit wirken kann. Er spricht:
»Ich werde begnadigen, wen ich begnadige,
und werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme.« (Röm 9,15; 2. Mose 33,19.) Wie gut ist Gott!
Um diese Worte, die Gott einst zu Mose redete, zu verstehen (2. Mose 33,19), müssen wir den Zusammenhang kennen, in dem sie gesprochen wurden.
Gott hatte das Volk mit mächtiger Hand aus Ägypten geführt; kaum aber war es seiner schrecklichen Sklaverei entronnen, so sündigte es gegen Gott und tanzte um das goldene Kalb. In dieser Stunde verlor es jedes Anrecht auf Segnungen von seiten Gottes. Ihm blieb nur ein furchtvolles Erwarten des Gerichtes, das jeden Gegner Gottes verschlingen würde. Wenn ihnen noch irgend etwas Gutes von Gott zuteil werden sollte, so konnte es ihnen nur unverdient aus dem freien Trieb des Erbarmens Gottes zukommen. Und das meint Gott mit seinen Worten: »Ich werde begnadigen, wen ich begnadige, und werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme.«
Der Mensch, der kein Erbarmen mit sich selbst hat, der in seiner Feindschaft gegen Gott ins Verderben geht, der sein Anrecht als Sünder an Gottes Gnade verachtet, dessen Leben und Wollen nicht den Gedanken Gottes entspricht, von und zu diesem Menschen sagt Gott: »Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen werde.« Es liegt also nicht an dem Wollenden oder an dem Lebenden, sondern an dem begnadigenden Gott. Denn bleibt der Mensch bei seinem eigenen Leben und Wollen, Rennen und Wirken, so geht er an dem begnadigenden Gott vorüber.
Auf dieser Grundlage handelte Gott damals mit Israel. Auf dieser Grundlage handelt Gott heute mit uns. Wo ist jemand, der auf Gottes Segnungen Anspruch erheben könnte? Ruft die Welt nicht heute noch: »Hinweg mit diesem, gib uns den Barabbas los!?« Ist es ungerecht von Gott, wenn Er aus dieser Menschheit heraus Sünder rettet und beruft »mit heiligem Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach Seinem eigenen Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor den Zeiten der Zeitalter gegeben ist«? (2Tim 1,9.) Wer sich selbst erkannt hat, der bekennt, daß seine Errettung einzig und allein das unverdiente Erbarmen Gottes und nicht die Frucht seines Lebens und Wollens ist.
Der mit Gott hadernde Mensch sagt nun: »Gott mag sich erbarmen, über wen Er will«, es steht aber auch geschrieben, daß
»Er verhärtet, wen Er will«.
In unserer Schriftstelle stellt Paulus den Begnadigung e n in Israels Geschichte dieVerhärtung des Pharao gegenüber und faßt die Souveränität Gottes in beiden Fällen in das Wort zusammen: »Wen Er will, begnadigt Er, und wen Er will, verhärtet Er.« (Röm 9,18)
Wenn wir nun diese von Paulus gebrauchten Beispiele etwa wie Musterbeispiele von Begnadigung wie Verhärtung anschauen dürfen, so bemerken wir einen auffallenden Unterschied. Während in der Schrift in den Beispielen der Begnadigung kein anderer Grund gefunden wird, als allein der souveräne Wille dessen, der nicht will, daß irgendjemand verloren gehe, sondern daß alle zur Buße kommen (2Pet 2,9), finden wir dagegen in dem Beispiel der Verhärtung andere Gründe genannt: »Eben hierzu habe ich dich erweckt, damit ich meine Macht an dir erzeige, und damit mein Name verkündigt werde auf der ganzen Erde.« (Röm 9,17.)
Die Schrift zeigt uns damit einerseits die Größe der göttlichen Gnade und Langmut, andererseits aber auch den Ernst, solche auf Mutwillen zu ziehen, weil der, der begnadigt, auch derselbe ist, der richtet.
Laßt uns nun hören, was die Schrift über Pharao sagt. Zunächst werden wir informiert, daß dieser »andere Pharao« nicht wie sein Vorgänger ein Helfer und Beschirmer, sondern ein Hasser und grausamer Verfolger des Volkes Gottes war.
Weiter ist wichtig zu beachten, daß Gott, ehe Mose zu Pharao ging, ihm
alles zuvor
sagte, sowohl, was Pharao, als auch, was Er selbst an Pharao tun würde. Er sagte: »Ich weiß wohl, daß der König von Ägypten euch nicht ziehen lassen wird, auch nicht durch eine starke Hand.« (2. Mose 3,19.) Und wie eine Antwort auf den Widerstand Pharaos sagte Gott voraus: »Und ich will sein Herz verhärten, so daß er das Volk nicht ziehen lassen wird.« Diesen Ausspruch in 2. Mose 4,21 und 7,3 gebrauchen nun Menschen, um Gott die Schuld an der Verhärtung Pharaos zu geben.
Statt zu sehen, daß diese Stellen Weissagungen sind, dreht man das Wort um und sagt, Gott habe zuerst Pharaos Herz verhärtet (2. Mose 4,21), so daß dann später (2. Mose 7,13) Pharao sein Herz habe verhärten müssen und Gott somit für seinen Widerstand verantwortlich sei.
Aber beachten wir wohl, daß die Heilige Schrift das eben nicht sagt. In 2. Mose 4,21 kündigt Gott in Seiner Allwissenheit Mose den gesamten Verlauf der Dinge im voraus an. Als die Kinder Israel durch die Verschlimmerung ihrer Lage auf Mose nicht hörten, »redete Mose vor Jehova und sprach: »Siehe, die Kinder Israel haben nicht auf mich gehört, und wie sollte der Pharao mich hören?!« Gott wiederholte ihm hierauf nochmals Seine Weissagung, daß Pharao nicht auf ihn hören, Er aber Sein Volk durch Gerichte befreien werde. (2. Mose 7,3-5.)
Gott erklärte dies alles Seinem Knecht zuvor, um ihn in seiner schweren Aufgabe, vor Pharao zu stehen, im Glauben zu stärken, damit er nach den vielen scheinbaren Erfolglosigkeiten seiner Forderungen an Pharao nicht mutlos werden, sondern zuvor wissen solle, daß Gott doch zu Seinem Ziel kommt.
Welche Glaubensstärkung diese Vorhersage der Ablehnung Pharaos für Mose war, das erkennen wir, wenn wir nach den scheinbaren Fehlschlägen der Ansprüche Gottes immer wieder lesen: »Und Pharao hörte nicht auf sie, so wie Jehova zu Mose geredet hatte. (2. Mose 7,13.22; 8,15.19; 9,12.)
Gott verhärtete Pharaos Herz nicht von Anfang, sondern Er trug diesen Gottlosen in geradezu wunderbarer Langmut und gab ihm Warnung über Warnung, aber »Pharao nahm es nicht zu Herzen« (2. Mose 7,23).
Als Mose und Aaron dann zum ersten Mal zu Pharao gingen, erfüllte sich die erste Voraussage Gottes: Er beantwortete die Forderung Gottes mit Hohn und der trotzigen Gegenfrage: »Wer ist Jehova, auf dessen Stimme ich hören soll?« (2. Mose 5,2.) Dann fordert er einen Wunderbeweis — aber er nahm den dann gelieferten nicht zu Herzen, sondern achtete mehr auf die Zauberer als auf Gottes Stimme (2. Mose 7,23.). Dann klopfte Gott in Seiner Langmut in einer solch erschütternden Weise an sein Herz, daß er die Hand und Stimme Jehovas erkennen mußte; selbst seine Zauberer mußten ihm bekennen: »Das ist Gottes Finger.« (2. Mose 8,8.19.) Bis zur fünften Plage (2. Mose 9,7) handelte Gott in Langmut mit ihm; aber sein Herz verhärtete sich bis zur Verstockung. Er selbst, so lesen wir, verstockte sein Herz und hörte nicht auf die Stimme des Herrn (2. Mose 7,13.14.22; 8,15.19.32.). Erst von der sechsten Plage an, als alle Rufe und alle Langmut Gottes abgewiesen waren, war Gottes Geduld zu Ende. Nun lesen wir zum ersten Mal, daß
Jehova das Herz des Pharao verhärtete.
Mose mußte ihm sagen, daß er jetzt durch die Pest von der Erde vertilgt worden wäre, Gott ihn aber noch aus zwei Gründen stehen lasse: 1. um Seine Macht an ihm zu erweisen und 2., daß Sein Name verkündigt würde auf der ganzen Erde. (2. Mose 9,12.16; Röm 9,17.)
Wie furchtbar ist das Gericht der Verhärtung! Pharao hatte die Freiheit, die Stimme und die Langmut Gottes beharrlich zurückzuweisen, aber er hatte keine Gewalt, Gott zu wehren, sich seiner und seines Untergangs zum Heil anderer zu bedienen. Er war frei, sich vor Gott nicht zu beugen und Seinen Namen nicht anzuerkennen. Aber er mußte es über sich geschehen lassen, daß die Macht Gottes sich in Gericht an ihm verherrlichte und Gottes Name auf der ganzen Erde verkündigt wurde.
War es ungerecht, daß Gott diesen Mann bestrafte, der sich gegen die Regierung und Autorität Gottes auflehnte? Jeder irdische Richter bestraft den Aufrührer und Rebell, aber Gott gesteht man dieses Recht nicht zu, daß Er den bestraft, der Ihn herausfordert und sich gegen Ihn auflehnt. Und welch ein schrecklicher Mann war dieser König, vielleicht der schrecklichste Despot, den je die Welt gesehen hat — ein grausamer Mensch, der anordnete, alle männlichen Kinder zu töten? Welch ein Geschrei stieg über diesen Mann zum Himmel empor, so daß Gott sagte: »Ich habe das Elend meines Volkes gesehen... und sein Geschrei gehört... Ich kenne seine Schmerzen.« (2. Mose 3,7.)
Wir haben immer wieder aus manchen Teilen der Welt von der Gewalttätigkeit regierender Männer gehört. Nun nehme man einmal an, da wäre ein Mensch, der seine Mitmenschen so wie dieser Pharao unterdrückte. Würde man es dann unrecht finden und es beklagen, wenn ein solcher von einer folgenden rechtmäßigen Regierung hingerichtet würde? Gott ist der Regent dieser Erde, und Gott ließ diesen Mann noch stehen, um in seinem Widerstand und Untergang jedem Menschen in der Welt
ein Warnungsbeispiel
zu geben, sein Herz nicht gegen Gott zu verhärten. Das war der Zweck, warum Gott ihn noch eine Zeitlang unter dem Gericht der Verhärtung leben ließ und Seine Macht an ihm offenbarte.
Gott erreichte Sein Ziel. Das Wort bestätigt es uns, daß die Völker die warnende Stimme Gottes in dem Gericht und Untergang des mächtigen Pharao vernahmen. Israel sang: »Es hörten es die Völker, sie bebten; Angst ergriff die Bewohner Philistäas.« (2. Mose 15,14.)
Wir wissen nicht, wie viele die Warnung Gottes zu ihrem Heil benutzt haben, aber die arme Hure Rahab hatte Gottes Stimme verstanden und bekannte: »Wir haben gehört, daß Gott die Wasser des Schilfmeers vor euch ausgetrocknet hat, als ihr aus Ägypten zogt...« (Jos 2,10.) Sie wußte, daß, wenn Gott sich im Gericht offenbare, auch sie verloren sei, und sie klammerte sich an die Boten des Volkes Gottes, als diese als Kundschafter in ihr Haus kamen und suchte Rettung bei dem Gott dieser Männer. Und ebenso taten es die Bewohner Gibeons. Auch sie kamen zu Josua und sagten: »Wir haben den Ruf Jehovas gehört und alles, was Er getan hat in Ägypten.« (Jos 9,9.)
So hat Gott an diesem Gewaltigen der Erde gezeigt, was es bedeutet, Seiner Stimme nicht zu gehorchen. Ist nun Pharao das einzige Beispiel des Gerichtes der Verhärtung? Ist das gleiche Gericht nicht auch über Israel gekommen? Jesaja warnte das Volk vor diesem Gericht der Verhärtung, daß sie hören und nicht verstehen würden (Jes 6,9.). Dann sprach der Herr Jesus dieses Gericht über das Volk aus, als Er in Gleichnissen zu ihnen redete? (Mt 13,13.14; Joh 12,37-43.) Und schließlich bestätigte der Heilige Geist es durch den Mund des Paulus (Apg 28,25-29.). Und ist dies nicht auch das Gericht, welches über die christuslose Christenheit kommen wird? Wird nicht Gott auch denen, die die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sie errettet würden, eine wirksame Kraft des Irrtums senden, daß sie der Lüge glauben? (2Thes 2,10-12.)
Wie viele »Pharaos« leben in unseren Tagen, die sich gegen Gott erheben und höhnend und trotzig fragen: »Wo ist der Gott, dem ich gehorchen soll?« Auch sie hören mehr auf die Stimme der Zauberer, als auf Gottes Stimme. Die Güte und Langmut Gottes bewirken auch bei ihnen keine Buße, sondern wie bei Pharao Verhärtung ihrer Herzen. Wie wahr ist doch, was Salomo sagt: »Weil das Urteil Gottes über die bösen Taten
nicht schnell vollzogen
wird, darum ist das Herz der Menschenkinder in ihnen voll, Böses zu tun; weil ein Sünder hundertmal Böses tut und doch seine Tage verlängert...« usw. (Pred 8,11 usw.)
Ja, so ist es. Weil Gott in Seiner Langmut auf Buße wartet und Sein Gericht immer wieder hinausschiebt, stellt sich als Wirkung oft Verhärtung statt Buße ein. Je größer die Gnade, umso größer die Sünde. Pharao verachtete den Reichtum Seiner Gnade, und die Folgen blieben nicht aus. Paulus wiederholt deshalb noch einmal mit Nachdruck, daß Gott souverän handelt, sowohl in Gnade als auch in Gericht, so daß sich jede Seele hüten mag, Seinen Zorn herauszufordern. Er zeigt, welche Torheit es ist, wenn der gefallene Mensch mit dem allein weisen und allein guten Gott rechten will. Muß er nicht verschwinden vor dem Glanz Seiner Weisheit und Herrlichkeit? Sind wir nicht als Geschöpfe Gottes Ihm verantwortlich und damit Ihm unterworfen?
Paulus fragt: »Wer bist du, o Mensch, der du das Wort nimmst gegen Gott? Wird etwa das Geformte zu dem Former sagen: »Warum hast du mich also gemacht? Oder hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus derselben Masse ein Gefäß zur Ehre und ein anderes zur Unehre zu machen?« Gott warnt, ehe Er richtet!
Möchten auch wir uns warnen lassen, daß, wenn Er in Gnade und Langmut uns trägt, wir nicht unser Herz verhärten und Seine Gnade mutwillig reizen. Die Sonne, die das Eis schmilzt, macht den Ton hart.
Nun noch einige Gedanken zum
Unterschied
zwischen unserer Auserwählung und der Erwählung des Volkes Israel?
Als Petrus den Gläubigen aus dem Judentum von der Auserwählung schrieb (1Pet 1,2), war diesen das Erwählen Gottes nicht etwas Neues, hatte doch Gott einst sie selbst in Seiner Unumschränktheit, ohne jedes Verdienst aus allen Völkern heraus als »Sein Volk« erwählt. Aber von dieser Auswahl, von der Petrus ihnen jetzt schrieb, wußten sie als Juden nichts. Kein Prophet hatte je davon geredet.
Zwar ist das Volk Israel durch die Verwerfung seines Messias für eine Zeit als »Sein Volk« beiseite gesetzt, aber die »Gnadengaben und Berufung Gottes sind unbereubar« (Röm 11,29.). Seine Gnade wird dieses Volk Seiner Auswahl unter dem Messias und dem Neuen Bund zu seiner Segensstellung zurückführen. Es wird dann nicht mehr »Lo-Ammi« — »Nicht-Mein-Volk« heißen (Hos 1,9) und nicht mehr ein unter allen Nationen zerstreutes Volk sein, sondern wie Jes 60,21.22 sagt: »Sein Volk, sie werden alle Gerechte sein, werden das Land besitzen auf ewig, sie, ein Sproß meiner Pflanzungen, ein Werk meiner Hände, zu meiner Verherrlichung. Der Kleinste wird zu einem Tausend werden, und der Geringste zu einer gewaltigen Nation. Ich, Jehova, werde es zu seiner Zeit eilends ausführen.«
Heute ist dieses erwählte Volk weitgehend noch ein zerstreutes Volk, aber die Sammlung fängt an, sich zu verwirklichen. Aus diesem für eine irdische Berufung erwählten Volk hat Gottes Gnade (ebenso wie aus den Heiden) nach Seiner Vorkenntnis etliche auserwählt für die himmlische Berufung (Heb 3,1) und zuvorbestimmt, dem Bild Seines Sohnes gleichförmig zu sein.
Diese beiden Auswahlen müssen wir klar unterscheiden:
Die eine fand statt in den Erzvätern(5. Mose 4,37; 10,15; Röm 11,28), die andere vor Grundlegung der Welt. (Eph 1,4.)
*
Die eine war die Auserwählung eines Volkes aus allen Völkern (5. Mose 14,2), die andere war die Auserwählung einzelner Personen aus Juden und Heiden. (Eph 1,4; Röm 8,29-33; 1Thes 1,4.5.)
*
Die eine war mit dem Messias auf Erden, die andere mit Christus im Himmel verbunden.
*
Die eine sonderte in der äußeren Weise der Beschneidung ein Volk ab, um als Sein Volk das höchste unter allen Völkern zu sein (5. Mose 26,18.19), die andere sonderte durch Heiligung des Geistes usw. Personen ab, dem Bild Seines Sohnes gleichförmig zu sein. (Röm 8,29.30.)
*
Die eine war mit Segnungen auf dieser Erde (Jes 65,9.22), die andere mit Segnungen in den himmlischen Örtern verbunden. (Eph 1,3.4.)
*
Die eine war die Erwählung eines Volkes und schloß nicht die Errettung der Seele des einzelnen Volksgliedes noch den Geist der Sohnschaft in sich, die andere war die Erwählung einzelner Personen und schloß beides ein.
*
Von den Teilhabern jeder dieser Auswahlen spricht die Schrift als von den Auserwählten. Die einen finden wir in Jes 65,9.15.22; Mt 24,22.24.31; Röm 11,28 und vielen Stellen des Alten Testaments, die anderen in Röm 8,29.30; Eph 1,4 und vielen anderen Stellen des Neuen Testamentes.
Diese beiden Auswahlen Gottes müssen von uns klar unterschieden werden, wenn wir das Wort recht teilen wollen.
Was mußten die Herzen der Gläubigen aus dem Judentum empfinden, als sie, die dem auserwählten Volk angehörten, sich nun von Gott zu weit höheren Segnungen auserwählt sahen, als zu den Segnungen des irdischen Volkes. Ja, das hatte Gott getan! In Seiner großen Barmherzigkeit hatte Er sie wiedergezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi.
Der Himmel freilich mußte Ihn aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von welchen Gott durch den Mund Seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat (Apg 3,21). In jener Zeit der Wiederherstellung wird auch das irdische Volk Seiner Auswahl zu Seiner Berufung (als Sein Volk das höchste unter allen Nationen zu sein) wiederhergestellt werden.
So verschieden nun auch die Auswahlen und die Segensbestimmungen Gottes sein mögen, immer haben sie ihren Grund in Gottes Gnade und offenbaren uns die Tiefe Seiner Weisheit und Erkenntnis und das Endziel aller Seiner Werke und Wege.
»Denn von Ihm und durch Ihn und für Ihn sind alle Dinge; Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.« (Röm 11,36.)
Gottes Auserwählung ist eine Lehre der Heiligen Schrift, die von vielen Gläubigen unserer Tage wenig beachtet wird.
Manche Kinder Gottes wagen kaum, die Aussagen Gottes über die Auserwählung aufzugreifen und meiden dieses Thema ängstlich. Der Grund liegt häufig in der Unfähigkeit, folgende Fragen zu beantworten:
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Geschah Gottes Auserwählung willkürlich?
Wie stimmt sie mit der Verantwortlichkeit des Menschen überein?
Hat Gott Menschen zum Verlorensein vorherbestimmt?
Hat der Mensch einen freien Willen?
Wie konnte Gott Esau hassen und den Pharao verhärten?
Von der Kammer beantwortet diese Fragen anhand von Aussagen der Heiligen Schrift.
Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg
ISBN 3-921292-96-4
1 Das Wort Haß ruft bei uns das Gefühl einer feindseligen, bösen Gesinnung gegen jemand hervor. Die Schrift spricht von einem Haß, mit dem diese Gesinnung nicht verbunden ist, z. B. Lk 14,26 »... und haßt nicht seinen Vater und seine Mutter«, oder Joh 12,25 »Wer sein Leben in dieser Welt haßt usw.«. Hier ist kein Gedanke an eine feindselige, böse Gesinnung. Der Sinn ist vielmehr der des Sich-Abwendens von Menschen und Dingen, so wie man sich von dem, was man haßt, abwendet, es verläßt, von sich weist und ihm widersteht.↩︎