Georges André
Schriften von Georges André
Die Weisheit und die Furcht Gottes
Die Weisheit im „Prediger“Die Weisheit im „Prediger“
Der „Prediger“ war weise (12, 9). Salomo hatte Gott um Weisheit gebeten; Er hatte sie ihm gewährt und auch das, was er nicht erbeten hatte, Reichtum und Herrlichkeit, hinzugefügt (2Chr 1).
Aber im „Prediger“ ist diese „Weisheit“ auf die Erkenntnis dessen beschränkt, was „unter der Sonne“ geschieht. Der „Prediger“ besaß, so wie er sich uns vorstellt, keine göttliche Offenbarung. Wohin führt denn eine solch begrenzte Weisheit? Und worin besteht sie?
Im Bewußtsein, mehr als alle, die vor ihm in Jerusalem waren, Weisheit erworben zu haben, hat sich der Prediger bemüht, seine Erkenntnisse zu erweitern. Was ist daraus geworden? „Bei viel Weisheit ist viel Verdruß; und wer Erkenntnis mehrt, mehrt Kummer“ (1, 18). Sich dahin zu wenden und mit seinem Herzen darauf auszugehen, „Weisheit und ein richtiges Urteil zu erkennen und zu erkunden und zu suchen“ (7, 25), vergrößert in einer durch die Sünde verdorbenen Welt nur den Schmerz und den Kummer. Die Augen nehmen all die Bedrückungen wahr, die unter der Sonne geschehen; die Tränen der Bedrückten, die keinen Tröster haben; die Benachteiligung des Armen; den Raub des Rechts und der Gerechtigkeit; die unbegreifliche Tatsache, „daß es Gerechte gibt, welchen nach dem Tun der Gesetzlosen widerfährt, und daß es Gesetzlose gibt, welchen nach dem Tun der Gerechten widerfährt“ (8, 14); ganz zu schweigen von den Irrtümern der Machthaber und schließlich vom Tod, als dem Ausgang von allem.
Erkennen bedeutet in einer Welt der Sünde: Leiden. Immerhin ist eine solche Weisheit in gewissem Maße nützlich; sie ist gesunder Menschenverstand, der einem sagt, wie man sich im Leben zu verhalten hat; sie hat den Vorzug „vor der Torheit, gleich dem Vorzuge des Lichtes vor der Finsternis: Der Weise hat seine Augen in seinem Kopfe, der Tor aber wandelt in der Finsternis“ (2, 13–14). „Im Schatten ist, wer Weisheit hat, im Schatten, wer Geld hat; aber der Vorzug der Erkenntnis ist dieser, daß die Weisheit ihren Besitzern Leben gibt“ (7, 12). Sie ermöglicht auch die Beurteilung der Zeit und die richtige Entscheidung, um zu wissen, wie zu handeln ist (8, 5–6). Sie erheitert das Antlitz und setzt den Eigendünkel herab. In der Tat, wer wenig weiß, glaubt alles zu wissen und rühmt sich dessen. Es genügt aber, in irdischen Dingen einige Erkenntnis erworben zu haben, um zu merken, daß man gar wenig davon weiß; man ist dann ein bißchen weniger stolz!
Diese Weisheit ist begrenzt: „Als ich mein Herz darauf richtete, Weisheit zu erkennen und das Treiben zu besehen, welches auf Erden geschieht . . . da habe ich bezüglich des ganzen Werkes Gottes gesehen, daß der Mensch das Werk nicht zu erfassen vermag, welches unter der Sonne geschieht . . . Selbst wenn der Weise zu erkennen meint, vermag er es doch nicht zu erfassen“ (8, 16–17). Ohne Offenbarung kann der „Prediger“ die Wege Gottes nicht ergründen und viel weniger noch Seine
Ratschlüsse: „Ich sprach: Ich will weise werden; aber sie blieb fern von mir. Fern ist das was ist, und tief, tief: wer kann es erreichen? (7, 23–24). Die dem „Prediger“ verliehene Weisheit, die es ermöglicht, zu wissen, wie man sich auf der Erde verhalten soll, hat uns immerhin eine Anzahl Ratschläge hinterlassen, von welchen wir einige näher betrachten wollen.