John Gifford Bellet
Schriften von J.G. Bellet
Die moralische Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus als Mensch
Sein Dienst in Beziehung zu Gott, Satan und den MenschenSein Dienst in Beziehung zu Gott, Satan und den Menschen
Der Herr offenbart in Seinem Dienst auf der Erde eine ebenso wunderbare Kombination moralischer Herrlichkeiten wie in Seinem Charakter. Hinsichtlich dieses Dienstes können wir den Herrn in Beziehung zu Gott, zu Satan und zu dem Menschen betrachten. In Seinem Verhältnis zu Gott stellte der Herr Jesus in Seiner Person und in Seinen Handlungen stets den Menschen so vor Gott dar, wie der Mensch nach dem Willen Gottes sein sollte. Er stellte die menschliche Natur wieder her als ein Friedensopfer lieblichen Geruchs (3Mo 3), als einen reinen, duftenden Weihrauch, als eine reine Garbe der auf menschlichem Boden gewachsenen Erstlingsfrüchte. Er führte den Menschen in die Gunst Gottes zurück, die durch Adam oder durch die Sünde verloren gegangen war. Gott reute es, daß Er den Menschen gemacht hatte (1Mo 6,6), aber diese Reue verwandelte sich in Wonne und Wohlgefallen an dem Menschen. Und dieses Opfer wurde Gott dargebracht inmitten aller Widersprüche, aller entgegenwirkenden Umstände, aller Mühsale, Leiden und beständigen Enttäuschungen. Wunderbarer Altar! Wunderbares Opfer! Es war, wie schon früher bemerkt, ein unendlich reicheres Opfer, als es eine Ewigkeit von Unschuld im Paradies hätte sein können. Und ebenso wie Jesus den Menschen vor Gott darstellte, so stellte Er auch Gott vor dem Menschen dar.
Weil Adam in Sünde fiel, hatte Gott Sein Ebenbild nicht mehr auf Erden; aber jetzt fand Er es in Christus weit vollkommener und herrlicher, als es Adam je hätte darstellen können. Nicht einer sehr guten, makellosen Schöpfung, sondern einer verlorenen und verderbten Welt offenbarte Christus Gott, indem Er Ihn in Gnade vorstellte und sagte: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen” (Joh 14,9). Alles, was Gott ist, und was man von „dem Lichte”, dem niemand nahen kann, zu erkennen vermag, ist uns in dem Herrn Jesus vor Augen gestellt worden.
Wenn wir uns weiter mit dem Dienst Christi in seiner Beziehung zu Gott beschäftigen, sehen wir, daß Christus Sich immer der Rechte Gottes erinnerte, und daß Er stets der Wahrheit und den Grundsätzen Gottes treu blieb, während Er täglich unermüdlich beschäftigt war, die Not der Menschen zu lindern. Mit welchem Anliegen Menschen in ihrem Leid sich auch an Ihn wenden mochten, niemals opferte Er etwas auf, das Gott gehörte. Bei Seiner Geburt sprachen die Engel sowohl „Herrlichkeit Gott in der Höhe!” als auch „an den Menschen ein Wohlgefallen!” (Lk 2,14) und dementsprechend hatte Er während Seines ganzen Dienstes die Ehre Gottes mit demselben Eifer am Herzen, wie Er Sich dem Dienst der Bedürfnisse und des Heils des Sünders widmete. Das Echo der Worte: „Herrlichkeit Gott in der Höhe”! und: „Friede auf Erden”! ließ sich sozusagen bei jeder Gelegenheit vernehmen. Die bereits erwähnte Geschichte der kananäischen Frau liefert uns dafür ein lebendiges Beispiel. Solange sie nicht hinsichtlich der Absichten und Ratschläge Gottes den rechten Platz einnahm, konnte Er nichts für sie tun; hernach aber vermochte Er alles.
Das sind einige der Herrlichkeiten des Dienstes des Herrn Jesus, wenn wir Ihn in Seinen Beziehungen zu Gott betrachten.
Wir kommen jetzt zu dem Dienst des Herrn in Seiner Beziehung zu Satan. Da sehen wir, daß Jesus ihm zunächst, und zwar zur passenden Zeit, im Augenblick Seines Dienstantritts, als dem Versucher begegnet. Satan trachtete in der Wüste danach, den Herrn in dasselbe sittliche Verderben hineinzustürzen, in das er in seiner List Adam und die menschliche Natur gestürzt hatte. Der Sieg über den Versucher bildete die notwendige, passende Einleitung zu allen Werken und Handlungen des Herrn. Darum war es auch der Geist, der Ihn dem Versucher entgegenführte, wie wir lesen: „Dann wurde Jesus von dem Geiste in die Wüste hinaufgeführt, um von dem Teufel versucht zu werden” (Mt 4). Ehe der Sohn des Menschen in das Haus des Starken hineingehen und seinen Hausrat rauben konnte, mußte Er den Starken binden (Mt 12,29). Ehe Jesus die „unfruchtbaren Werke der Finsternis” bestrafen konnte (Eph 5,11), mußte Er zeigen, daß Er keine Gemeinschaft mit ihnen hatte. Ehe Er in das Reich des Feindes eindringen konnte, um seine Werke zu zerstören, mußte Er ihm die Stirn bieten und ihn in die Flucht schlagen.
Jesus nun hat Satan zum Schweigen gebracht, Er hat ihn gebunden. Satan mußte sich als ein völlig überwundener Versucher zurückziehen. Er konnte nichts von dem Seinigen in den Herrn Jesus hineinbringen, sondern er mußte im Gegenteil erkennen, daß alles, was in Christus gefunden wurde, von Gott war. Christus hielt alles von Sich fern, was Adam, gegenüber einer ähnlichen Versuchung, in sich hatte eindringen lassen; und nachdem Er Sich so rein erwiesen und die Probe bestanden hat, besitzt Er jetzt ein vollkommenes sittliches Recht, alles Unreine zu strafen.
„Haut um Haut!” (Hiob 2) mag der Ankläger im Blick auf einen anderen Menschen zu sagen haben und durch solche und ähnliche Worte die verderbte Natur des gefallenen Menschen beschuldigen können. Aber als Verkläger Jesu konnte er vor dem Thron Gottes nichts Vorbringen; hier war er zum Schweigen verurteilt. In dieser Weise beginnt das Verhältnis Jesu zu Satan. Hierauf tritt Er in das Haus des Starken ein und beraubt ihn seines Hausrats. Die Welt ist dieses Haus, und hier sieht man den Herrn in Seinem Dienst die vielfältigen und tiefeingedrungenen Spuren der Macht des Feindes austilgen. Alle Tauben und Blinden, die geheilt, alle Aussätzigen, die gereinigt wurden, alle wiederherstellenden und heilenden Werke der Hand Jesu, welcher Art sie auch sein mochten, sind Zeugnisse von dieser Beraubung des Starken in seinem eigenen Hause. Nachdem Er Satan gebunden hat, beraubt der Herr Jesus ihn seiner Güter. Am Ende überliefert Er Sich ihm als dem, der „die Macht des Todes” hatte (Heb 2). Golgatha war die Stunde der „Macht der Finsternis” (Lk 22,53). Dort erschöpfte Satan alle seine Hilfsmittel und setzte seine ganze List in Tätigkeit; aber er wurde besiegt: sein scheinbar Gefangener wurde der Überwinder. Durch den Tod machte Jesus den zunichte, der die Macht des Todes hatte. Durch das Opfer Seiner Selbst hat Er die Sünde hinweggetan; der Kopf der Schlange wurde zertreten, und so ist, wie jemand gesagt hat, „nicht der Mensch, sondern der Tod kraftlos geworden”.
So hat also Jesus, der Sohn Gottes, den Teufel zu Boden geworfen, nachdem Er ihn zuvor gebunden und ihn dann seines Hausrats beraubt hatte.
Doch noch eine andere moralische Herrlichkeit sieht man in dem Dienst Christi hinsichtlich Seiner Beziehung zu Satan hervorstrahlen. Christus erlaubt dem Satan niemals, Zeugnis von Ihm abzulegen. Das Zeugnis mag wahr und, wie wir sagen, selbst in den schmeichelhaftesten Ausdrücken abgefaßt sein, wie z. B.: „Ich kenne dich, wer du bist: der Heilige Gottes” (Mk 1). Aber der Herr Jesus gebietet ihm dennoch, zu schweigen. Der Dienst des Herrn war ebenso rein, wie voll von Gnade, Er nahm in keiner Weise in Seinem Dienst die Hilfe dessen an, den Er zerstören sollte. Ebensowenig wie in Seiner Natur konnte Er in Seinem Dienst mit der Finsternis Gemeinschaft haben. Bei Ihm konnte der Zweck die Mittel nicht heiligen; und so wurde der Teufel, als Antwort auf Sein Zeugnis, bestraft und zum Schweigen gebracht.1)
Schließlich strahlen uns auch die moralischen Herrlichkeiten des Dienstes Christi in Seiner Beziehung zu dem Menschen im hellsten Lichte entgegen. Ohne Unterbrechung erquickt und heilt Er den Menschen in den verschiedensten Arten seiner Leiden; aber zu gleicher Zeit offenbart Er ihm immer wieder in der deutlichsten Weise, daß er eine verderbte, aufrührerische, von Gott entfremdete Natur besitzt. Und dabei stellt Er den Menschen auf die Probe; diese Tatsache verdient um so mehr unsere Aufmerksamkeit, als sie im allgemeinen wenig beachtet wird. In Seinen Unterweisungen prüft der Herr die Menschen, mochten es nun die Volksmenge, oder Seine Jünger, oder eine hilfesuchende Schar, oder Seine Feinde sein - Er prüft sie, in welcher Stellung sie sich Ihm gegenüber befinden. Während Er mit Seinen Jüngern umherzog und sie unterwies, führte Er sie beständig durch Übungen des Herzens und des Gewissens; und das fand so oft statt, daß es überflüssig ist, Beispiele dafür anzuführen.
Die Volksmenge, die Ihm folgte, behandelte Er in gleicher Weise. „Höret und verstehet” (Mt 15,10) rief Er ihnen zu, um so ihren Geist zu üben, während Er sie belehrte. Zu etlichen, die mit ihren Krankheiten zu Ihm kamen, sagte Er: „Glaubet ihr, daß ich dieses tun kann” (Mt 9,28)? Die kananäische Frau ist ein bemerkenswertes Beispiel von der Art und Weise, wie Er diese Klasse von Personen auf die Probe stellte. Im Hause Simons wandte Er Sich, nachdem Er die Geschichte von dem Menschen mit den zwei Schuldnern erzählt hatte, mit der Frage an Simon: „Wer nun von ihnen, sage, wird ihn am meisten lieben?” (Lk 7).
Ebenso stellte Er die Pharisäer, Seine unermüdlichen Widersacher, beständig auf die Probe; und diese Tatsache zeugt mit Macht von dem, was Christus ist. Wir lernen daraus, daß Er die Pharisäer nicht unter ein allgemeines, summarisches Urteil stellte, sondern daß Er sie gern zur Buße führen wollte. In gleicher Weise verfährt Er mit Seinen Jüngern, wenn Er Selbstgericht in ihnen wachruft. Er belehrt uns dadurch, daß wir Seine Unterweisungen tatsächlich nur insoweit lernen, als unser Verständnis, unser Herz und Gewissen in Tätigkeit gebracht werden. Und diese Art und Weise, diejenigen, die Er leitete und belehrte, in Gewissensübungen zu bringen, ist sicher auch eine der moralischen Herrlichkeiten, die den Dienst Christi auszeichnen. Doch noch mehr. In Seinem Dienst am Menschen muß Jesus oft tadeln oder korrigieren oder verurteilen; und das kann kaum anders sein in einer verderbten Welt; aber bewundernswürdig ist die Art und Weise Seines Tadelns. Steht Er den Pharisäern gegenüber, deren irdische Gesinnung Ihm stets feindlich entgegenschlug, so nehmen Seine Worte einen ernsten Ton an, wie z. B.: „Wer nicht mit mir ist, ist wider mich” (Mt 12,30). Wendet Er Sich dagegen zu denen, die Ihn angenommen hatten und Ihn liebten, die aber, um Seine volle Gemeinschaft zu genießen, eine größere Kraft des Glaubens und ein größeres Maß von Licht nötig hatten, so bedient Er Sich einer ganz anderen Sprache; Er sagt: „Wer nicht wider euch ist, ist für euch” (Lk 9,50). - In Matthäus 20,20-28, wo es sich um die zehn Jünger und die zwei Söhne des Zebedäus handelt, tritt Er in demselben Charakter vor uns. Wie mildert Er Seinen Verweis im Hinblick auf das Gute und Schöne, das sich bei denen fand, die Er zurechtweisen mußte! Welch einen ganz anderen Platz nimmt Er ein als Seine unwilligen Jünger, die ihre Brüder in keiner Weise geschont sehen wollten! Er prüft mit Geduld die ganze Frage und „scheidet das Köstliche vom Gemeinen aus”.
Ebenso wendet sich der Herr mit einem Tadel an Johannes, als die Jünger jemandem, der nicht mit ihnen wandeln wollte, verboten hatten, im Namen Jesu Dämonen auszutreiben. Doch in jenem Augenblick war das Herz des Johannes unter die Zucht des Herrn gekommen. Im Licht der vorhergehenden Worte Jesu hatte er den begangenen Fehler entdeckt und spielte nun darauf an, obwohl der Herr Selbst die Sache mit keinem Worte erwähnt hatte. Und eben weil Johannes sich seines Fehlers bewußt war und ihn nun offen und ungeschminkt bekannte, antwortete ihm der Herr mit der größten Zartheit (siehe Lk 9,46-50).
Bei Johannes dem Täufer finden wir Ähnliches. Der Herr Jesus tadelt ihn, aber unter welch einer gnädigen Berücksichtigung der Umstände! Johannes befand sich damals im Gefängnis. Wie muß diese Tatsache den Herrn Jesus tief berührt haben! Dennoch verdiente Johannes einen Tadel, weil er eine Botschaft an seinen Herrn geschickt hatte, die für diesen einen Vorwurf enthielt. Doch wie zart ist die Zurechtweisung Jesu! Er sendet Johannes eine Antwort zurück, die nur von diesem völlig verstanden und gewürdigt werden konnte. Er läßt ihm sagen: „Glückselig ist, wer irgend sich nicht an mir ärgern wird” (Mt 11,6). Selbst die Jünger des Johannes, die die Botschaft ihres Meisters überbracht hatten, vermochten die Tragweite dieser Worte nicht zu verstehen. Jesus wollte Johannes vor sich selbst bloßstellen, nicht aber vor seinen Jüngern, noch vor der Welt.
Die zurechtweisenden Worte, die der Herr Jesus an die Emmaus-Jünger, sowie die Worte, die Er nach Seiner Auferstehung an Thomas richtete, sind von besonderer Vortrefflichkeit. Auch Petrus wird in Matthäus 16 und in Matthäus 17 getadelt; aber wie verschieden ist bei diesen beiden Gelegenheiten die Art der Zurechtweisung! Und alle diese Verschiedenheiten enthalten eine Fülle von Schönheit. Mag der Herr Jesus ernst oder mild, scharf oder schonend reden, mag der Ton Seiner taldelnden Worte so zart sein, daß sie kaum noch wie ein Verweis klingen, oder mag der Tadel sich zu einer Höhe steigern, daß er fast einer Verwerfung gleich kommt, stets können wir mit Bestimmtheit sagen, daß wir (nach Erwägung der Umstände, die die Worte Jesu hervorriefen) in allen diesen Schattierungen ebenso viele Vollkommenheiten entdecken. Alle diese Verweise des Herrn waren wie „ein goldener Ohrring und ein Halsgeschmeide von feinem Golde”, mochte nun das „Ohr” ein „hörendes” sein oder nicht (Spr 25,12). „Der Gerechte schlage mich: es ist Güte, und er strafe mich: es ist Öl des Hauptes” (Ps 141,5). Wahrlich, der Herr ließ Seine Jünger diese Erfahrung machen! Das war die Erfahrung, die die Jünger des Herrn tatsächlich machten.
1 Insoweit die Evangelien von dem Dienst des Herrn hinsichtlich Seiner Beziehung zu Satan reden, stellen sie Ihn als Den vor, der Satan zu Boden wirft, ihn bindet und ihn seines Hausrats beraubt. Die Offenbarung zeigt uns das fernere Verhalten des Herrn Jesus dem Widersacher gegenüber. Dort sehen wir, wie „Satan auf die Erde geworfen wird” (Off 12), und wie Jesus ihn, wenn die Zeit gekommen ist, „gebunden in den Abgrund” und schließlich in den „Feuer- und Schwefelsee” wirft (Off 20). Wir können somit den Sieg des Herrn Jesus über Satan von der Wüste, der Stätte der Versuchung an bis hin zum Feuersee verfolgen.↩︎