John Gifford Bellet
Schriften von J.G. Bellet
Die Welt vor der Flut und die Patriarchen
1. Mose 25-27 - Isaak1. Mose 25-27 - Isaak
„Durch Glauben segnete Isaak, in Bezug auf zukünftige Dinge, den Jakob und den Esau*
(Heb 11,20).
Über die Geschichte Isaaks, wie auch über seinen Charakter, finden wir verhältnismäßig nur wenige Andeutungen. In mancher Hinsicht ist das von geringer Bedeutung, denn, ob viel oder wenig, sein Name ist in unser aller Gedächtnis, die wir die Wege des Gottes der Gnade kennengelernt haben — „des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs", denn das ist „Sein Name in Ewigkeit und sein Gedächtnis von Geschlecht zu Geschlecht".
Isaak war ein Fremdling auf der Erde, ein himmlischer Fremdling, wie es sein Vater gewesen war. Gleich Abraham sehen wir ihn in Verbindung mit einem Zelt und einem Altar und hören auch, daß Jehova ihm Verheißungen gibt, wie Er sie Abraham gegeben hatte. „Durch den Glauben hielt Abraham sich auf in dem Lande der Verheißung, wie in einem fremden, und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung".
Dieses Zeltleben der Patriarchen ist sehr bezeichnend. (Vergl. Heb 11,9. 10). Es sagt uns, daß jene Männer damit zufrieden waren, gleichsam nur auf der Oberfläche dieser Welt zu wohnen. Ein Zelt hat bekanntlich keine Grundlagen. Es kann in einem Augenblick aufgeschlagen und im nächsten wieder abgebrochen werden. Mit einer so losen und vorübergehenden Verbindung mit dieser Erde und dem Leben auf ihr waren die Patriarchen zufrieden, nur eine solche suchten sie. Sie trachteten nicht eher nach einer Stadt oder nach Grundlagen, bis Gott zu bauen begann. So lange Sein Bauwerk nicht geoffenhart war, zogen sie als Pilgrime auf der Oberfläche der Erde einher, ohne Wurzel in ihr zu fassen.
Das ist die Sprache, welche die Zelte der wandernden Patriarchen zu uns reden. Und wie ihre Zelte diese himmlische Fremdlingschaft ausdrückten, so verriet ihr Altar ihre Anbetung, ihre wahre Anbetung, denn sie errichteten den Altar
Dem, Der ihnen erschienen war. Sie maßten sich nicht an, Gott durch ihre eigene Weisheit zu finden und Ihn dann nach dem Licht ihrer Vernunft und nach den Eingebungen ihrer Gedanken anzubeten. Sie glichen nicht denen, „welche, indem sie sich für Weise ausgaben, zu Narren geworden sind". Nein, sie kannten und verehrten Gott gemäß Seiner eigenen Offenbarung. Der Altar, auf dem sie opferten, trug nicht die Inschrift: „Dem unbekannten Gott", sondern sie dienten und beteten an „in Wahrheit". So war der patriarchalische Altar in seiner Art ebenso schön wie das patriarchalische Zelt. Während das Zelt ihr Verhältnis zu der Welt um sie her zum Ausdruck brachte, versetzte der Altar sie in die passende Beziehung zu Jehova, dem Gott des Himmels und der Erde über ihnen.
Abraham, Isaak und Jakob sind sich hierin gleich. In Isaak wurde kein neues Geheimnis in Bezug auf die Verwaltung der Zeiten, kein anderer Vorsatz der göttlichen Ratschlüsse enthüllt, als dies in Abraham geschehen war. Aber dennoch gab es eine weitere Entfaltung jener Herrlichkeiten, durch welche die Berufung, die schon dem Abraham bekannt war, bestätigt wurde, eine Entfaltung, die wir, wenn wir anders göttliche Gesinnungen besitzen, sehr hoch schätzen werden. Ich meine dies: die himmlische Berufung oder Fremdlingschaft auf der Erde war beiden Männern gemeinsam, aber während in Abraham in ausgeprägter Weise die Auserwählung dargestellt wird, tritt in Isaak vor allem die Sohnschaft vor unsere Blicke.
Gott berief Abraham aus der Welt. Er holte ihn aus seinem Lande, aus seiner Verwandtschaft und aus seines Vaters Hause und sonderte ihn für Sich und für Seine Verheißungen ab. Isaak dagegen war schon auserwählt, berufen und geheiligt, während er sich im Hause seines Vaters befand. Er war von seiner Geburt an zu Hause, und er war dort mit Gott, da er zufolge der Verheißung und durch eine Kraft, die den schon Gestorbenen belebte, geboren war, und in diesem allem stellt er in lieblichster Weise die Wahrheit der Sohnschaft dar. In Isaak sehen wir jene Familie, die „nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren" ist, und die in der Freiheit steht, wie der Apostel sagt: „Ihr aber, Brüder, seid, gleichwie Isaak, Kinder der Verheißung". Wir sind, wenn wir denn Christo angehören, Abrahams Samen, Kinder der Freien.
Zugleich gibt es in der Darstellung jener beiden Geheimnisse der Sohnschaft und der Auserwählung eine göttliche Ordnung. Denn die Auserwählung Gottes geschieht zur Sohnschaft, wie wir lesen: „Er hat uns zuvorbestimmt zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst" (Eph 1,5). Und weil dies so ist, weil dieses hohe persönliche Vorrecht in Isaak vorgebildet wird, finden wir im Laufe seiner Geschichte das Geheimnis des Sohnes der Freien außerordentlich schön und ausführlich enthüllt. Sowohl seine Geburt als auch seine Entwöhnung wird uns erzählt, und jedes dieser Ereignisse war eine Veranlassung zur Freude im Hause des Vaters. Bei seiner Geburt nannte man das Kind „Lacher", und bei seiner Entwöhnung wurde ein Fest gefeiert.
Das sind zwei wunderbare und liebliche Vorbilder. Der Vater erfreut Sich darin, Kinder zu haben, und es ist ebenso sehr Seine Freude, daß die Kinder wissen, daß sie Kinder sind. Diese beiden Wahrheiten finden in der Geburt und der Entwöhnung Isaaks eine lebendige Darstellung und sie werden nach langer, langer Zeit im Galaterbrief wieder hervorgehoben. Denn was in Isaak vorgebildet war, ist in uns durch den Geist verwirklicht. In dem genannten Brief hören wir, daß wir durch den Glauben an Jesum Christum Kinder sind, und zugleich, daß wir, weil wir Kinder sind, den Geist der Sohnschaft empfangen haben. Wir sind nicht nur geboren, sondern auch entwöhnt. Paulus ruft den Galatem zu: „Meine Kindlein, um die ich abermals Geburtswehen habe, bis Christus in euch gestaltet worden ist". Christus ist in dieser Stelle Christus, der Sohn, und der Wunsch und die. Bemühung des Apostels gingen dahin, die Galater in die-Stellung Isaaks, d. h. zu der Freiheit einer bewußten Sohnschaft zu bringen. Sie waren in Gefahr, sich aufs neue von der Milch der Gebote zu nähren, die nur Knechtschaft hervorbrachten, die von den Vormündern und Verwaltern einer früheren Haushaltung bestimmt worden waren. Der Apostel aber wollte sie wieder zu der Freiheit zurückrufen, da er selbst deren Kraft in seiner eigenen Seele erfahren hatte. Es hatte Gott Wohlgefallen, „Seinen Sohn in ihm zu offenbaren". Was er jetzt lebte im Fleische, lebte er durch den Glauben an dem Sohn, der ihn liebte. Er konnte deshalb nach Arabien ziehen, ohne mit Fleisch und Blut zu Rate zu gehen. Er brauchte kein Jerusalem, keine Stadt des feierlichen
Gottesdienstes, keine Apostel und Einsetzungen, kein Priestertum nach einer fleischlichen Ordnung, kein weltliches Heiligtum, um durch diese Dinge Ansehen zu erhalten, versiegelt oder vollkommen gemacht zu werden. Er hatte nichts von dem nötig, was irgendein Mensch oder was alle Menschen zusammen ihm hätten geben können, denn der Sohn war in ihm geoffenbart. Er war ein entwöhnter Isaak, und er wünschte sehnlich, die Galater in dem Genuß desselben Verhältnisses zu sehen und das Wort zu hören, das einst im Hause Abrahams über Isaak gehört worden war: „Stoße hinaus die Magd und ihren Sohn, denn der Sohn der Magd soll nicht erben mit dem Sohne der Freien".
Dies alles wird uns in Isaak, dem Sohn der Freien, vorbildlich dargestellt, und es hat Gott Wohlgefallen, es uns im Galaterbrief ausführlich und nachdrücklich in seiner vollen Bedeutung zu zeigen.
Wenn wir uns mit den Ratschlüssen Gottes beschäftigen, so dürfen wir nicht allein an die Herrlichkeit denken. Seine Vorsätze in Bezug auf uns gehen noch weiter. Wir sind ebenso gewiß für einen Zustand zuvorbestimmt, in welchem alle Gefühle befriedigt sind, wie für einen Platz, wo die Herrlichkeit zur vollen Entfaltung kommt, sowohl zur „Sohnschaft" und um „vor ihm in Liebe" zu sein, als auch zu Erben aller Dinge (Eph 1). Und der Geist, den wir schon empfangen haben, ist in uns ebenso sicher die Kraft,„Abba, Vater!" zu rufen, wie Er die Versiegelung des Anspruchs auf die kommende Erlösung ist.
Wir sind geneigt dies zu vergessen. Wir denken an unsere Berufung und Vorherbestimmung gewöhnlich weit mehr in Verbindung mit der Herrlichkeit, als in Verbindung mit der Liebe, dem Einssein, der Heimat und dem Vaterhause. Und dennoch wird gerade das Verhältnis, in dem wir zu Gott stehen, dem Erbe oder der Herrlichkeit den Charakter des höchsten Glücks verleihen. Das jüngste Kind des Königs erfreut sich in ganz anderer Weise des königlichen Palastes, als der höchste Würdenträger im Reiche. Das Kind befindet sich dort infolge seiner Beziehung zum König, nicht infolge seines Ranges. Es ist dort, weil es Kind ist. Die Großen des Landes mögen auch am Hofe sein, aber sie sind es auf Grund ihrer
Würde oder ihres Dienstes. Und die Freude des Kindes an dem Palast ist nicht nur, wie ich sagte, eine andere, sondern auch eine weit höhere Freude. Sie ist persönlich, nicht amtlich. Der Palast ist für das Kind nicht nur der Hof des Königs, sondern eine Heimat.
Das ist es, was wir vorbildlich in Isaak sehen. Er ist der Sohn, das Kind im Hause, das alle Vorrechte der Verwandtschaft genießt. Er wurde zu Hause behalten, gepflegt, ernährt und mit allem ausgestattet. Der Wohlstand und die Annehmlichkeiten des Hauses seines Vaters gehörten ihm, wie wir lesen; „Und Abraham gab dem Isaak alles was er hatte. Und den Söhnen der Kebsweiber, die Abraham hatte, gab Abraham Geschenke; und er ließ sie, während er noch lebte, von seinem Sohne Isaak wegziehen nach Osten, in das Land des Ostens".
Vorbildlich betrachtet steht Isaak also vor uns als ein Sohn der Freien, geboren durch Verheißung, geboren aus Gott. „Ich werde wieder zu dir kommen, und Sara wird einen Sohn haben". Er stellt uns jene Familie dar, „die zur Sohnschaft bestimmt" und „begnadigt ist in dem Geliebten", welche die Freude des Sohnes genießt und Seinen Geist atmet.
Isaak ist jedoch nicht nur in seiner Person ein Vorbild, sondern auch in seinem Leben und Charakter. Indes sind die Grundlagen, die uns das Wort hierfür an die Hand gibt, gering. Es werden uns nur wenige geschichtliche Einzelheiten aus seinem Leben mitgeteilt, und deshalb empfangen wir auch nur spärlichen Aufschluß über seinen Charakter. Das ist ein Trost für uns. Wir finden zu Zeiten unter den Auserwählten Gottes solche mit sehr schönen natürlichen Anlagen, mit einem edlen Charakter, oder mit anziehenden menschlichen Tugenden, zu anderen Zeiten auch solche mit geringen Anlagen und selbst mit sehr schlechten menschlichen Eigenschaften. Und das gewährt unseren armen Herzen Erleichterung, weil wir — infolge besserer Bekanntschaft mit uns selbst als mit anderen — uns gern mit solchen vergleichen, in denen wir dasselbe erblicken wie in uns. Es liegt ein gewisser Trost darin, unter dem Volke Gottes Naturen zu finden, die uns ähnlich sind.
In Isaaks Charakter zeigen sich Mängel. Er besaß weder vortreffliche noch schlechte natürliche Eigenschaften. Es gab vieles in ihm, was wir liebenswürdig nennen würden und was nach menschlicher Schätzung anziehend war. Doch fehlte etwas in seinem Charakter. Man mag dies zum Teil der Art seiner Erziehung zuschreiben. Als das einzige Kind seiner Mutter war er, wenn wir so sagen dürfen, in zärtlicher Weise erzogen worden. Er war das Kind ihres Alters und war stets an ihrer Seite gewesen. Dies hatte ihn verweichlicht und in ihm ein natürlich liebenswürdiges und sanftes Temperament hervorgerufen. Ruhe und Zurückgezogenheit, eine Natur, die lieber nachgibt, als sich wehrt, und dies verbunden mit der Verzärtelung eines bequemen häuslichen Lebens, das ist es, was wir in ihm finden. Wir dürfen ruhig annehmen, daß er in der Erfüllung seiner Pflichten als Kind und Ehemann tadellos, liebevoll und pünktlich war, und daß er sich das Wohlwollen und die Zuneigung seiner Nachbarn erwarb. Aber es fehlte ihm etwas von jener Energie, die ihn befähigt hätte, ein anderes Zeugnis unter ihnen abzulegen als nur das der Absonderung, die seine Beschneidung, sein Altar und sein Zelt mit sich brachten. Und ein solches Leben ist kein reich gesegnetes. Seinem Zelt und Altar blieb Isaak im allgemeinen treu, aber er errichtete sie mit einer zu schwachen Hand.
Isaak war vierzig Jahre alt, als er Rebekka zum Weibe bekam. Zwanzig Jahre lang blieben sie kinderlos, aber in dieser Prüfung verhielten sie sich besser, als Abraham und Sara es getan hatten. Als Sara erkannte, daß sie unfruchtbar war, suchte sie sich selbst zu helfen, indem sie Abraham ihre Magd zum Weibe gab, und Abraham hörte auf die Stimme Saras. Isaak und Rebekka aber flehten in gleichen Umständen zu Jehova und warteten auf Seine Gnade. Das war ein großer
Unterschied, und für einen Augenblick waren die Letzten die Ersten, und die Ersten die Letzten. Solche geistliche Verschiedenheiten finden wir bis zum heutigen Tage unter dem Volke Gottes.
Aber auch die Kinder von beiden Elternpaaren stellen uns verschiedene göttliche Vorbilder dar, so wie (ihre Eltern uns verschiedene sittliche Belehrungen darbieten. Die Söhne Abrahams, Isaak und Ismael, stammten von zwei Frauen her, die Söhne Isaaks, Jakob und Esau, von einer Frau. Die Feindschaft zwischen den Söhnen Abrahams begann, als Ismael, ein Knabe von 14 Jahren, den entwöhnten Isaak verspottete. Aber der Kampf zwischen den Söhnen Isaaks fand schon im Mutterleib statt. Zwei Nationen befanden sich in Rebekka, wie Jehova zu ihr gesagt hatte: „Zwei Völkerschaften werden sich scheiden aus deinem Innern". Und nach dem Worte Jehovas geschah es. Der Mensch Gottes wurde in Jakob gefunden, der Mensch der Welt in Esau. In dem einen herrschte der Grundsatz des Glaubens, in dem anderen der Grundsatz der Natur. „Die Freundschaft der Welt ist Feindschaft gegen Gott". So war es mit Esau, und demgemäß machte er die Erde zum Schauplatz seiner Tätigkeit, seiner Genüsse und Erwartungen. Er war „ein jagdkundiger Mann, ein Mann des Feldes". Seine Familie kam voran. Er liebte das Feld und wußte es zu benutzen. Er richtete sein Herz auf das gegenwärtige Leben und verstand es, das, was es darbot, zu seinem Genuß zu verwenden. Seine Söhne wurden bald Fürsten und hatten ihre eigenen Städte, wie die Söhne Ismaels ihre Gehöfte und Zeltlager besaßen. Ihre Würde und Größe entsprangen aus ihnen selbst, und die Welt war Zeugin ihrer Herrlichkeit.
Jakob dagegen war „ein sanfter (oder ruhiger, häuslicher) Mann, der in den Zelten blieb". Er war seinen Vätern ähnlich. Gleich Abraham und Isaak war er ein Fremdling hienieden und wanderte eine Zeitlang auf der Erde, indem sein Auge auf die Verheißung gerichtet war. Und während Esaus Kinder Fürsten waren und in ihren Besitzungen in Würde und Wohlfahrt wohnten, mußten Jakobs Nachkommen von einem Volk zum anderen wandern, die Bedrückung und die Ungerechtigkeiten Ägyptens erdulden oder als Pilgrime die pfadlose, öde Wüste durchschreiten.
Esau war „ein Ungöttlicher". Seine Hoffnungen und sein Herz waren einzig und allein an das Leben in dieser Welt gekettet, denn er sagte: „Ich gehe hin zu sterben, und wozu mir da das Erstgeburtsrecht?" Gleich den Gadarenern und gleich Judas wollte er sein Anrecht an Christo verkaufen. Jakob dagegen besaß Glauben und war bereit zu kaufen, was Esau verkaufen wollte.
Aus dem allem sehen wir, daß wirklich zwei Völkerschaften sich aus Rebekkas Innern geschieden hatten. Schon bei der Geburt der Kinder zeigte sich dies, und ihre frühesten Gewohnheiten, ihre ersten Handlungen sind charakteristisch. Wir sehen hier nicht bloß die Magd und die Freie, oder die Kinder der zwei Bündnisse, wie Ismael und Isaak es gewesen waren: Wohl finden wir dieselben Naturen, aber sie sind vollständiger ausgeprägt: die eine, verworfene, die von Adam herrührt und, ungöttlich oder weltlich, ihr Teil auf dieser Erde und nicht in Gott sucht, die andere, göttliche, die von Christo stammt, die glaubt, hofft, auf die Fürsorge Gottes blickt und das Reich erwartet.
Diese beiden verschiedenen Charaktere finden sich bis zum heutigen Tage, und die genannten Dinge stehen in mannigfaltigen Beispielen um uns her und in unserer Mitte in Blüte. Die Kains, Nimrods, Ismaels und Esaus sind noch auf der Erde verbreitet, und jene Erzählungen und Darstellungen aus einer Zeit, die schon Jahrtausende hinter uns liegt, enthalten die wichtigsten Belehrungen für unsere Seelen. Sie sind wunderbar in ihrer Einfachheit, aber zu tief für die Weisheit dieser Welt und zu rein für die Liebe zu ihr.
Doch kehren wir jetzt wieder zu Isaak zurück.
Wie schon bemerkt, wuchs Isaak im Zelt seiner Mutter auf. Er war sozusagen mehr das Kind seiner Mutter als seines Vaters, wie das ja bei uns allen in unserer frühesten Kindheit mehr oder weniger der Fall gewesen sein wird. Doch bei Isaak blieb dieses Verhältnis bis zum Tode seiner Mutter bestehen, und damals muß er weit über dreißig Jahre alt gewesen sein. Er kannte das Zelt Saras besser als die Verkehrsorte und Beschäftigungen der Menschen. Ihr Zelt war gleichsam seine Amme und Lehrmeisterin gewesen, und diese Erziehung ließ in seinem Charakter Eindrücke zurück., die nie wieder verwischt wurden. Wir finden ein beiläufiges, aber doch sehr deutliches Zeugnis von der Stärke des mütterlichen Einflusses auf ihn in Kap. 24, 67: „Und Isaak führte sie (Rebekka) in das Zelt seiner Mutter Sara. Und Isaak tröstete sich nach dem Tode seiner Mutter".
Dies läßt sehr deutlich die Richtung seines Jugendlebens erkennen und dementsprechend hatte sich sein Charakter gebildet. Er war der ruhige, sanfte, widerstandslose Isaak, oder wie ich schon sagte, fromm, tadellos und liebenswürdig.
Doch obwohl ich überzeugt bin, daß sein Charakter so war, möchte ich dennoch fragen: War es nur Natur oder nur Charakter, was ihn dahin brachte, widerstandslos den Weg zum Berge Morija zu gehen? War es nur kindliche Frömmigkeit, was ihn dann befähigte, sich wie ein Lamm zur Schlachtung binden zu lassen, ohne seinen Mund aufzutun? Können wir annehmen, daß dies nur Charakterstärke war? Ich glaube nicht. Das war zu viel für menschliche Sanftmut und Unterwürfigkeit, zu viel, um selbst bei einem Isaak oder bei einer Tochter Jephthas (Ri 11) gefunden zu werden. Ich möchte lieber sagen: die Hand des Herrn war bei jener Gelegenheit über ihm, wie in späteren Tagen über dem Eigentümer der Eselin, die erforderlich war, um Christum als König nach Jerusalem zu tragen, sowie über der Menge, die Ihn auf diesem Wege begleitete und begrüßte, oder endlich über dem Mann mit dem Wasserkrug, der das Gastzimmer für das letzte Passahmahl des Herrn mit Seinen Jüngern zubereitete. Die mächtige Hand des Herrn brachte in diesen Fällen die Menschen dahin, ergeben und willfährig zu sein und die Wichtigkeit des Augenblicks zu erfassen. So war es auch in den Tagen Samuels, als die Kühe die Lade Gottes geradewegs nach Beth-Sames fuhren, obgleich dies ganz und gar gegen ihre Natur war, da man ihre Kälber zu Hause eingesperrt hatte (1Sam 6). Die Macht Gottes war über jenen Tieren. Und ebenso befand sich Isaak bei Gelegenheit seiner Opferung unter einer göttlichen Macht, unter der Hand Gottes, ohne Zweifel willig, aber willig gemacht wie an einem Tage der Kraft, denn er sollte das Vorbild von einem Größeren als er sein. Das Siegel war in einer starken Hand, und der Abdruck mußte klar, tief und deutlich sein. „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun", so lautete die Inschrift dieses Siegels. „Wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern, und er tat seinen Mund nicht auf".
Das war ein wichtiger Augenblick im Leben Isaaks, ein Ereignis von großer Bedeutung. Etwas ähnliches finden wir bei dem Empfang Rebekkas. (Siehe Kap. 24). Darin, daß Isaak ein Weib nahm, nicht nach seiner eigenen Wahl, sondern nach der Bestimmung seines Vaters Abraham, können wir die nämliche starke Hand über ihm wahrnehmen. In diesem Falle mochten wohl mehr menschliche Unterwürfigkeit und kindliche Liebe mitwirken, als bei dem Opfer auf dem Berge Morija, aber dennoch war es ein Ereignis, das ihn kennzeichnete. Diese Heirat war ebensosehr ein Vorbild wie jenes Opfer. Das Weib, das zu dem Sohn und Erben des Vaters heimgeführt wurde durch den Diener, der das volle Vertrauen des Vaters genoß, war ein Vorbild, und wiederum mußte das Material es sich gefallen lassen, den Stempel von der Hand Dessen zu erhalten, der es benutzte. Der Töpfer machte Gefäße für den Gebrauch der Haushaltung, und der Ton mußte sich darin ergeben. Die Kinder des Propheten, Jahrhunderte nachher, erhielten Namen, wie es dem Herrn gefiel, und der Prophet mußte von ihnen sagen: „Siehe, ich und die Kinder, die Jehova mir gegeben hat, wir sind zu Zeichen und zu Wundern" (Jes 8,18). Und so waren auch Isaak und Rebekka in den Umständen ihrer Heirat Bilder „zu einem Zeichen und Wunder". Das war ihre höchste Würde: sie erzählen die Geheimnisse Gottes. Ihre Geschichte ist zugleich ein Gleichnis. Sie waren Zeichen in der Zeit, oder in dem Lauf der Geschichte der Eide, eben wie Sonne, Mond und Sterne zu Zeichen am Himmel gesetzt sind. Alle jene Männer und Weiber tragen eine Unterschrift von der Hand
Gottes. „Ich will eingraben seine Eingrabung, spricht Jehova der Heerscharen". Er hat mit eigener Hand auf sie und ihre Geschichte das Bild von einigen Seiner ewigen Ratschlüsse gedrückt.
Doch wenn auch die sanfte und unterwürfige Natur in Isaak nicht zu solchen Opfern und solcher Ergebung fähig war, so kennzeichnet sie doch seinen Charakter. Zuzeiten handelte sie liebenswürdig und anziehend, aber zuzeiten verführte sie ihn auch auf beklagenswerte Weise. Doch stets und unter allen Umständen bei den wenigen Begebenheiten, die von ihm erzählt werden, finden wir den willigen, sanften, unterwürfigen Isaak. Daß dies ein Fehler ist, brauche ich kaum zu sagen. Das Vorhandensein nur ein und derselben Tugend bei jeder Gelegenheit verrät hinsichtlich des Charakters einen Mangel. Die Vereinigung verschiedener Tugenden verrät Charakter und göttliche Bearbeitung. „Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geiste". Es ist sowohl stark als auch gnädig und erfreuend. Sittliche Herrlichkeit ist vielseitig, so wie das eine fleckenlose Licht, dessen wir uns erfreuen und das wir bewundern, in vielen farbigen Strahlen von dem Tautropfen zurückblitzt. Aber dieses Licht strahlt weder von Isaak noch von irgendeinem anderen Menschen in seiner ganzen Schönheit zurück, mit Ausnahme des Einzigen, in Dem alle Herrlichkeiten in ihren verschiedenen Wirkungen sich vereinigten und erglänzten.
Alles ist schön zu seiner Zeit, aber auch nur dann. Sanftmut verliert ihre Schönheit, wenn Eifer und Unwille am Platze sind. Die Worte in Psalm 1: „Er ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und dessen Blatt nicht verwelkt; und alles, Was er tut, gelingt", passen nicht auf einen Mann von nur einer Tugend. Sie setzen Charakter, Bestimmtheit und Unterscheidungs vermögen voraus, und das finden wir nicht bei Isaak. In gewissem Maße, und sicher im Gegensatz zu Isaak, ist diese Vereinigung von Tugenden in Abraham zu sehen, und der Unterschied zwischen diesen beiden Männern zeigt sich in ihrer verschiedenen Handlungsweise unter ähnlichen Umständen (vergl. Kap. 21 mit Kap. 26).
Isaak war von den Philistern sehr schlecht behandelt worden. Die Brunnen, die er gegraben hatte, hatten sie ihm einen nach dem anderen mit Gewalt weggenommen und die Brunnen seines Vaters mit Erde ausgefüllt. Er hatte dieses Unrecht mit Sanftmut und in Gnade ertragen, in einem Geiste, der sich für einen Fremdling und Pilgrim Gottes, der ein Bürgerrecht in einer anderen Welt erwartet, geziemte. Und als die Philister immer wieder mit ihm haderten und ihn verdrängten, zog er von Ort zu Ort. Dies entsprach der Gesinnung, die ihn, wie gesagt, bei jedem Vorfall seines Lebens kennzeichnete. Leidend drohte er nicht. Gutes tuend und dafür leidend, ertrug er die ihm zugefügte Unbill geduldig, und das ist, wie wir wissen, vor Gott angenehm (1Pet 2,20). Gott bestätigt das auch hier, indem Er Sich in dieser Sache zu Seinem Knechte bekennt und bei der Nacht zu ihm kommt, wie Er einst auch zu Abraham gekommen war und ihn getröstet hatte. Aber, nachdem die Philister besseren Sinnes geworden waren und der König Abimelech mit Achusat, seinem Freunde und Pikol, seinem Heerobersten, Isaak aufsuchte und einen Bund mit ihm zu machen wünschte, wurde Isaak da nicht durch seinen Charakter verleitet?
Sicher war es richtig von Isaak, jene Männer zu empfangen, sie seiner Freundschaft zu versichern und ihnen gute Nachbarschaft zu geloben. Denn wir sollen vergeben, und sei es auch siebenzig mal sieben des Tages. Doch bei dem allem ist zu seiner Zeit auch Aufrichtigkeit erforderlich — Aufrichtigkeit so gut wie Vergebung. „Wenn dein Bruder sündigt, so verweise es ihm, und wenn er es bereut, so vergib ihm". Aber Isaak war dieser kraftvolleren Tugend nicht fähig. Er beklagt sich wohl bei Abimelech, aber in so zarten und sanften Ausdrücken, daß es keinen Eindruck auf dessen Gewissen gemacht zu haben scheint. Ebenso handelt er bei dem Abschluß des Bündnisses. Er macht für den König von Gerar ein Mahl. Er schwört ihm und entläßt ihn dann als seinen Bundesgenossen, ohne daß dieser zu irgendwelcher Anerkennung des Unrechts gebracht worden wäre, das sein Volk dem Mann zugefügt hatte, dessen Freundschaft er jetzt suchte und erlangte. Auch hören wir von seiten Isaaks nicht ein Wort der Widerlegung, als Abimelech behauptete, er habe Isaak nur Gutes getan während der ganzen Zeit, die er in seinem Lande gewesen sei. Soweit wir aus dieser Unterhaltung ersehen können, ist der König von Gerar von Isaak nicht überführt worden. Er kehrt mit seinen Freunden zurück, zufrieden mit sich selbst wie mit Isaak. Isaak hatte seine Klagen wohl dem Ohr, aber nicht dem Gewissen Abimelechs verständlich gemacht. Es mangelte ihm dazu an Charakter und Kraft, und daran war teilweise seine Natur schuld.
Doch auch bei manchem unter uns nehmen wir zuzeiten eine solche Schwäche wahr. Eine gewisse Art menschlicher natürlicher Liebenswürdigkeit ist gewiß angenehm, aber beachten wir wohl, daß wir damit Gott nicht dienen.
Wie ganz anders war es bei Abraham! Ein anderer König von Gerar hatte in seinen Tagen Abraham aus demselben Grunde und mit dem gleichen Wunsch besucht, wie jener den Isaak. Abraham begegnet ihm in einem ebenso edlen Geiste der Vergebung, wie Isaak, mit derselben Bereitwilligkeit, ihn zu empfangen und ihm zu schwören. Aber bei alledem tadelt er ihn und läßt ihn diesen Tadel fühlen. „Abraham stellte Abimelech zur Rede" wie wir lesen. Das wird uns von Isaak nicht gesagt. Abraham ließ den König nicht ziehen, zufrieden mit sich selbst, wie Isaak es tat, und mit einer unbeantworteten Prahlerei über seine und seines Volkes Tugenden auf seinen Lippen. Er war zwar ebenso bereit wie Isaak zur Vergebung und Versöhnung, aber obwohl er ihm verzieh, verbarg er vor Abimelech doch nicht, daß dessen Gewissen ihm Vorwürfe zu machen hatte. Er ließ ihn fühlen, daß er Klagen zu erheben hatte, die nicht durch das Mahl und die Freundschaft Abrahams beseitigt werden konnten.
Das war Wirklichkeit vor Gott, und dadurch gelangte Abraham dahin, Abimelech segnen und nicht nur ihm gefällig sein zu können. Mit Isaak war es anders und dies läßt in unseren Herzen die Frage entstehen: War es nur die Natur oder war es die erneuerte Gesinnung in Isaak, die ihn so handeln ließ? eine Frage, die im Laufe unserer Betrachtung noch mehrmals wiederkehren wird.
Gewiß war Isaak ein Auserwählter, so gut wie Abraham, ein Pilger Gottes auf der Erde, einer, der seinen Altar nicht nur errichtet hatte, sondern auch benutzte. Er weilte sinnend auf dem Felde, als Rebekka zu ihm kam, und als ihm Esau und Jakob geschenkt wurden, hatte er um diese Gnade gefleht. Wir sprechen nur von seinem Charakter, wenn wir ihn in dieser Weise mit anderen vergleichen. Wir betrachten seinen praktischen Wandel und entdecken, daß an seinem Zeugnis für Gott nach außen hin etwas mangelte, obwohl er zu Hause liebenswürdig und fromm war. Und wie wir schon wiederholt bemerkten: Ähnliche Dinge finden sich noch heute, wie vielen von uns zu unserer Beschämung wohl bekannt ist. So sagte einmal jemand zu mir: „Es gibt manches, was von anderen für geistlich gehalten wird, weil es für das Auge und nach dem Geschmack unserer Mitchristen, nicht aber wie in der Gegenwart Gottes mit einem einfältigen Herzen für Ihn getan ist".
Das ist in der Tat so, und es ist wohl geeignet, unsere Herzen zu ihrem Nutzen zu erforschen. Aber wenn auch solche Bemerkungen über unser tägliches Leben uns überführen mögen, so brauchen sie uns doch in keiner Weise zu entmutigen. Im Gegenteil, wir sollten sie, als zu unserer Segnung dienend, willkommen heißen.
Am Ende von Kapitel 26 lesen wir: „Und Esau war vierzig Jahre alt, da nahm er zum Weibe Judith, die Tochter Beeris, des Hethiters, und Basmath, die Tochter Elons, des Hethiters. Und sie waren ein Herzeleid für Isaak und Rebekka". Darin liegt eine ernste Ermahnung für uns. Um diese jedoch in der rechten Weise darzustellen, muß ich auf ähnliche oder gleiche Dinge in der Geschichte Abrahams zurückkommen und zugleich die Geschichte Jakobs und seines Sohnes Juda mit einigen Worten berühren.
Von Anfang an gab Gott dem Volke Israel Befehl, in ganz besonderer Weise Seinen Willen bezüglich der Heiraten zu beachten. Sie durften ihre Töchter durchaus nicht den Söhnen der Kanaaniter geben, noch die Töchter der Kanaaniter für ihre Söhne nehmen (5Mo 7,3). Wenn sie es taten, liefen sie Gefahr, von Gott nicht mehr als Sein Volk anerkannt, sondern aus dem „guten Lande" ausgerottet zu werden. (Vergl. Jos 23). Dementsprechend werden die Tage des Abfalls Salomos gerade durch Ungehorsam in dieser Sache gekennzeichnet (1Kön 11); und als in späteren Tagen der Überrest aus Babylon zurückgekehrt war, konnte keine wirkliche Wiederherstellung vor Gott stattfinden, bevor nicht die fremden
Weiber aus der Mitte des Volkes hinweggetan waren (vergl. Esra 10; Nehem 13).
Der Gehorsam in dieser Sache bildete daher stets einen besonderen Prüfstein für den Zustand des Volkes, und deshalb möchte ich auch gern untersuchen, wie es sich im ersten Teil des ersten Buches Mose damit verhielt. Denn obwohl damals das Gesetz Gottes noch nicht gegeben war, wurden doch göttliche Grundsätze wohl verstanden. Und das Verhalten in dieser Sache kann in jener Zeit ebensowohl als ein Zeugnis von dem Zustande der Familien-Gottesverehrung betrachtet werden, wie später von dem Zustande der Volks-Gottesverehrung Abraham betritt in dieser Sache in entschiedener Weise „den Weg des Herrn", ebenso Elieser, einer „aus seinem Hause", und Isaak, eins seiner „Kinder". Abraham sendet eine besondere Gesandtschaft in ein fernes Land, um für seinen Sohn „ein Weib in dem Herrn" zu holen. Elieser richtet diese Gesandtschaft mit willigem Herzen aus, und Isaak wartet geduldig auf ihren Erfolg und sucht keinerlei Verbindung mit dem Volke um ihn her, und obgleich er betrübt und einsam ist, hält er sich bereit für die vom Herrn ihm bestimmte Gehilfin. Wie Abraham, so wartet auch er auf eine Gehilfin aus der Hand des Herrn, wiewohl es ihn Geduld und einsame Stunden kostete. Dies scheint sein Sinnen auf dem Felde zur Abendzeit anzudeuten. Er harrte aus. Er hätte eine Tochter Kanaans nehmen können, aber er harrte aus. Er wollte lieber unter dem Aufschieben der Erfüllung seiner Hoffnung leiden, als nicht „in dem Herrn" heiraten, oder sich ein Weib nach seiner eigenen Wahl nehmen. Das alles war außerordentlich schön in dem ersten Geschlecht dieser auserwählten Familie. Der Vater, der Knecht und der Sohn, jeder an seinem Platz, bezeugen, wie Abraham sein Haus Gott gemäß geordnet hatte, wie er seine Kinder und seine Hausgenossen den Weg des Herrn lehrte (vergl. 1Mo 18,19).
Doch wir werden nach und nach ein trauriges Abweichen von diesem Grundsatz bis zur Offenbarung des gänzlichen Abfalls wahrnehmen.
Nach dem Tode Abrahams wurde Isaak das Haupt der Familie. Aber im Vergleich mit seinem Vater war er überaus sorglos im Blick auf die Verheiratung seiner Söhne, wie uns das Ende des 26. Kapitels dies zeigt. Er überwachte ihre Wege nicht, um Unheil zu verhüten, wie Abraham es getan hatte. Esau, sein Sohn, heiratet eine Tochter der Hethiter. Allerdings war das für Isaak und Rebekka ein Herzeleid, denn sie hatten gerechte Seelen, die fühlten, wie sie hierdurch „gequält" wurden. Aber ihre eigene Sorglosigkeit hatte diese Qual über sie gebracht. Das können wir nicht schön nennen, aber es war doch noch etwas Gutes dabei: eine gequälte gerechte Seele, ein Herz, das die Befleckung fühlte. Und das war gut. Jakob dagegen weicht noch weiter ab. Er kommt nicht nur nicht dem Unheil zuvor, wie Abraham, noch bekümmert es ihn, wenn es da ist, wie Isaak, sondern mit einem gleichgültigen Herzen, soweit wir dies seiner Geschichte entnehmen können, erlaubt er seinen Kindern, jede ihnen zusagende Verbindung einzugehen und Weiber zu nehmen aus allen, die sie erwählten. Das ist traurig. Hier gibt es keine Freude für das Herz, wie bei dem Gehorsam Abrahams. Hier ist auch nichts, was den Schmerz des Herzens lindern könnte, wie bei dem Kummer Isaaks. Hier ist nur Anlaß zu schmerzlicher Betrübnis.
Doch Juda geht später in schrecklicher Weise noch über dies alles hinaus. Er stellt das vierte Geschlecht dieser auserwählten Familie dar. Er verhütet nicht nur nicht das Unheil dadurch, daß er in seiner Familie alles in Ordnung hält, wie Abraham. Er betrübt sich auch nicht darüber, wenn es vorhanden ist, wie Isaak. Es ist ihm auch nicht einfach gleichgültig, wie Jakob. Nein, er führt das Böse tatsächlich in seiner Familie ein. Er selbst nimmt seinem Sohn ein Weib von den Töchtern der Kanaaniter. Das überstieg alles Vorhergegangene. Das hieß sündigen mit erhobener Hand. So finden wir denn in dieser Geschichte der vier Geschlechter der Patriarchen einen allmählichen, aber ernsten Verfall und schließlich den vollständigen Abfall von dem Wege des Herrn.
Wie ernst ist das, und welch eine Warnung enthält es für uns! Es ist geschrieben „zu unserer Belehrung", um uns zu warnen, daß wir nicht von den Grundsätzen Gottes abweichen. Was damals in derselben auserwählten Familie Geschlecht nach Geschlecht stattfand, kann heute auch mit derselben auserwählten Person Jahr nach Jahr geschehen. Die Grundsätze Gottes mögen nur allmählich, in ganz kleinen Abstufungen, verlassen werden. Sie werden vielleicht zuerst nur gelockert, dann aber vergessen und schließlich verachtet. Sie geraten aus einer festen Hand in eine schwache, von da in eine gleichgültige, und schließlich werden sie von einer rebellischen völlig beiseitegeworfen. Manche haben im Anfang trotz vieler Schwierigkeiten auf den Grundsätzen Gottes bestanden, wie Abraham. Dann waren sie nur betrübt über ihr Aufgeben, wie Isaak. Später wurden sie gleichgültig über ihren Verlust, wie Jakob, und endlich haben sie sich ganz von ihnen abgewandt, wie Juda.
Möchten wir deshalb die ernste Warnung beachten, die auch für uns in dieser Erzählung liegt, und uns vor dem ersten Abweichen von den Grundsätzen Gottes hüten!
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Wenn wir die Geschichte Isaaks nach dieser Begebenheit weiter verfolgen, werden wir finden, daß sein sanfter und nachgiebiger Charakter ihn nicht nur zu Schwachheiten, sondern sogar zu Handlungen verleitete, die ihn verunreinigten und entehrten, und die nur zur Befriedigung der niedrigen Triebe seiner Natur dienten. Die Schlußhandlung seines Lebens, die Segnung Esaus und Jakobs, ist eine Szene voll ernster Warnung und Ermahnung.
Obwohl Isaak, wie wir gesehen haben, über die Heirat Esaus mit einer Tochter der Hethiter betrübt war, hören wir doch gleich nachher, daß derselbe Esau die stärksten Zuneigungen des väterlichen Herzens wachrief und besaß, Zuneigungen, denen Isaak, wenn er gekonnt hätte, alles geopfert haben würde. Wie betrübend war das! Es erinnert uns an den König Josaphat. Josaphat besaß auch göttliche Gefühle, aber es mangelte ihm an göttlicher Energie. Infolge seiner Eitelkeit sündigte er, indem er sich zuerst mit Ahab verschwägerte und dann mit ihm in den Krieg zog. Aber dennoch hatte er Gefühle, die der Geist Gottes in ihm hervorgebracht hatte, denn in der Mitte der Propheten Baals fühlte er sich nicht wohl. Eine Stimme in seinem Innern sagte ihm, daß das Zeugnis jener Propheten nicht genüge, und deshalb fragte er: „Ist hier kein Prophet Jehovas mehr, daß wir durch ihn fragen?" Aber dennoch zog er wider Ramoth-Gilead in den Streit, und zwar in Verbindung mit Ahab, mit dem, der die besten Gefühle seiner Seele in so schmerzlicher Weise verletzt hatte, und der vor seinen eigenen Augen, als sie zusammen auf dem Thron saßen, in dem Geiste vollständigen Abfalls von dem Gott Israels die Propheten Baals um Rat gefragt hatte.
Das war befremdend und schrecklich zugleich. Aber etwas ganz ähnliches sehen wir in unserem Isaak bei der eben erwähnten Gelegenheit. Auch er besaß Gefühle, aber nicht die entsprechende Energie. Mit einer göttlichen Gesinnung trauerte er über Esaus Heirat mit einer Tochter Heths, und doch war der nämliche Esau, der auf diese Weise das Zeugnis in seinem Innern in so gröblicher Weise verletzt hatte, gerade derjenige, der die tiefsten Gefühle und wärmsten Zuneigungen seines Herzens besaß, und zwar in einem Maße, daß Isaak nicht vermochte, sich von ihnen zu befreien und für Gott zu handeln.
Nicht durch Eitelkeit fehlte Isaak in solch trauriger und befremdender Weise, wie späterhin Josaphat, sondern durch die allgemeine Verderbtheit seines Charakters, der sich uns als durchweg schlaff gezeigt hat. Doch mag der Beweggrund seines Handelns auch ein anderer gewesen sein, so war Isaak doch, ich möchte sagen, verstrickt durch einen früheren Ahab, obwohl seine Seele ein Gefühl von dem Abfall dieses Ahab hatte. Er tat, was er konnte, um Esau zu dem Segen Abrahams zu verhelfen, gerade so wie Josaphat nach Kräften dem König von Israel zu dem Sieg bei Ramoth-Gilead zu verhelfen suchte. Welche traurigen Dinge eröffnen sich hier unseren Blicken, welche ernsten Belehrungen und Warnungen enthalten sie! Doch wir müssen jene Familienszene in Kapitel 27 ein wenig genauer betrachten. Es gibt da noch andere Personen außer Isaak.
Abrahams Knecht Elieser (vergl. Kap. 24) hatte aus dem Hause seines Herrn zwei verschiedene Dinge mitgebracht, als er das Haus Bethuels besuchte. Er brachte einen Bericht von allem, was Jehova an Abraham getan hatte, und Geschenke.
Diese beiden Dinge wurden zu Prüfsteinen für jene Haushaltung in Mesopotamien. Der Bericht teilte zukünftige und ferne Dinge mit und stand notwendigerweise in Verbindung mit Gott. Die Geschenke konnten unabhängig von Ihm sein und waren ein gegenwärtiger Gewinn. Rebekka wurde durch den Bericht bewegt. Sie nahm zwar die Kostbarkeiten an, aber die Nachrichten, die der Knecht brachte, waren für sie die Hauptsache. Der Bericht von dem, was ihrer in einer in fernem Lande wohnenden Familie, die Jehova gesegnet hatte, wartete, war mächtig genug, sie abzusonden. Es handelte sich nicht allein um Isaak oder um den Reichtum Abrahams. Ihr Vater besaß auch Reichtümer, und sie hätte nicht weit zu gehen brauchen, um sich ein eigenes Heim und die Annehmlichkeiten eines solchen zu verschaffen. Aber Jehova hatte Abraham gesegnet und hatte jetzt Glück zu der Reise seines Knechtes gegeben. Es handelte sich für Rebekka nicht um die Frage, ob sie Isaak zum Manne nehmen und an Abrahams Reichtum teilnehmen, oder aber arm und einsam bleiben wollte. Nein, für sie galt die Frage: Willst du das Teil annehmen, das der Herr dir jetzt anbietet, oder das Teil, das deine Verwandtschaft und deine Stellung in der Welt dir zusichem?
Und gerade so ist es mit uns Gläubigen. Die Frage ist nicht: Willst du den Himmel oder nichts? sondern: Willst du den Himmel oder die Welt? Willst du das Glück wählen, das der Herr in Seinen Verheißungen dir gibt, oder das Glück, das der gegenwärtige Zeitlauf, die Welt mit ihren Dingen, dir darbietet? Verlangen wir wirklich nach göttlicher Freude und himmlischen Gütern? Können wir zu dem Herrn Jesus sagen: Wähle Du unser Erbteil für uns? Ist das ferne Land, über das wir einen Bericht erhalten haben, unser Gegenstand? Bei Rebekka war es so. Sie konnte diese Frage mit einem freudigen Ja! beantworten. Wir würden ihr Unrecht tun, wenn wir der Meinung Raum gäben, dem Reichtum Abrahams und der Hand Isaaks hätte auf der anderen Seite gar nichts gegenübergestanden. Wie schon gesagt, und wie die ganze Erzählung es uns verbürgt, besaß sie in jeder Hinsicht große Erwartungen, wenn sie daheim blieb. Sie hatte nicht nötig, eine lange, unbekannte Reise mit einem fremden Mann und zu einem fremden Volk zu unternehmen. Aber alle jene Erwartungen verloren ihre Bedeutung und ihren Wert, sobald sie den Bericht Eliesers im Glauben aufgenommen hatte. Sie folgt ohne Zögern dem Ruf Gottes.
Rebekka war eine echte Tochter Abrahams. Abraham hatte auf den Ruf des Gottes der Herrlichkeit die Wüste durchschritten, und Rebekka durchschreitet jetzt dieselbe Wüste infolge des Berichtes von dem, was der Gott der Herrlichkeit an Abraham getan hatte. Sie hatte „denselben Geist des Glaubens". In Abraham mögen wir wohl einen stärkeren Ausdruck davon finden, aber es war „derselbe Geist des Glaubens". Abraham war im Glauben an eine Berufung, die durch nichts Sichtbares bezeugt war, vorangegangen, während Rebekka gleichsam einem beglaubigten Bericht folgte. Es war keine Traube von Eskol aus Kanaan nach Ur in Chaldäa gebracht worden, um Abraham zu ermutigen, seine Reise anzutreten, wohl aber wurde ein: „Dies ist seine Frucht" zu Rebekka gesagt in den Knechten und Kamelen, dem Gold und den Geschmeiden, die Elieser mitbrachte. Der Bericht wurde für Rebekka durch diese Dinge beglaubigt. Bei Abraham war das nicht der Fall. Er wanderte auf einem Pfade, den noch niemand zu gehen versucht hatte, während Rebekka nur den Fußtapfen der Herde folgte. Beide aber befanden sich auf demselben Wege und erreichten dasselbe Ziel.
Was wir hier in Rebekka sehen, ist einfach und schön. Es ist der Weg des Glaubens bis zur heutigen Stunde, die Art und Weise, wie er handelt. Aber wir finden hier noch mehr, und zwar etwas ganz anderes. Rebekkas Charakter hatte sich bereits gebildet, ehe Elieser kam, wie es wohl bei uns allen der Fall ist, bevor wir von Gott lebendiggemacht werden. Der Augenblick, in dem wir durch Seine Gnade und Macht göttliches Leben empfangen und aus der Welt herausgerufen werden, findet uns schon in einem bestimmten Charakter, in einer ausgeprägten Gemütsart. Er findet uns vielleicht als Kreter (Tit 1), oder als Brüder und Schwestern Labans, oder als solche, die den Stempel einer besonderen Verderbtheit der Natur tragen. Und diesen Charakter und diese Gemütsart, die wir von Natur, durch Erziehung, durch die Einflüsse unserer Umgebung und dergleichen besitzen, nehmen wir, nachdem wir aus dem Geiste geboren sind, mit und tragen sie in uns durch die Wüste von Paddan-Aram bis zum Zelte Abrahams. Das ist sehr beachtenswert. Es ist eine ernste Sache, daß uns bei der Wiedergeburt durch den Geist Gottes die Natur oder die Macht früherer Gewohnheiten, der Erziehung oder des Familiencharakters anhaften bleiben. „Kreter sind immer Lügner .
Laban, mit dem Rebekka zusammen aufgewachsen war, war ein listiger, kluger und weltlicher Mann. Offenbar wurde er bei dem Besuch Eliesers nur durch die mitgebrachten Geschenke geleitet. Sie ebneten dem Knecht Abrahams den Weg, wie wir in Sprüche 18,16 lesen: „Das Geschenk des Menschen macht ihm Raum". Laban war augenscheinlich die treibende, tätige und wichtigste Person im Hause seines Vaters Bethuel. Er hatte Gefallen an Geschäften, deren Erledigung Gewandtheit erforderte. Das alles ist ein böses Zeichen. Es ist nicht gut, wenn man frühzeitig klug und schlau ist und sich gern mit Angelegenheiten zu schaffen macht, deren Ordnung Gewandtheit oder gar Verschlagenheit erheischt. Aber ein solcher Mann war Laban, und Laban war Rebekkas Bruder. Rebekka hatte bis zu ihrer Heirat stets mit ihm zusammengelebt, und der Familiencharakter offenbart sich in jener einen wichtigen Handlung, an der sie teilzunehmen berufen wurde, in häßlicher Weise.
Wie Abraham und Sara einst jenen bösen, unreinen Vertrag miteinander abschlossen (1Mo 12), als sie ihres Vaters Haus verließen, um mit Gott zu wandeln, so brachte Rebekka diesen Familiencharakter, diesen Labans-Sauerteig mit. Wir tragen nach unserer Bekehrung die Natur in ihrer Verderbtheit in uns, und neben dieser allgemeinen Verderbtheit auch noch unsere besonderen fleischlichen Charaktereigentümlichkeiten, und es ist unsere ernste Pflicht, diese scharf zu verurteilen, damit wir gesund seien, sittlich gesund im Glauben (Tit 1,13). Dies wird uns durch die Geschichte Rebekkas, die in Kapitel 24 in so schönem Licht vor unsere Augen tritt, aufs neue eingeprägt.
Doch wir finden hier noch mehr dieser Art. Geradeso wie bei Rebekka bildeten sich auch bei Jakob Gemüt und Charakter durch den nämlichen frühesten Einfluß. Er war sein Leben lang, ich meine so lange er Kraft besaß, tätig aufzutreten, ein trägherziger, berechnender Mann, und als solchen finden wir ihn auch in den Ereignissen des Kapitels 1Mo 27. Er war ein nur zu williger und gelehriger Schüler seiner Mutter, der Schwester Labans, deren Lieblingskind er von seiner Geburt an gewesen war. Ach! wie Laban seine Schwester Rebekka verdorben hatte, so verdarb diese ihren Sohn Jakob.
Aber das ist noch nicht alles. Wir finden noch mehr in diesem Kapitel. Isaak, dessen Gemüt und Charakter, wie wir gesehen haben, in so auffallender Weise durch sein früheres Leben im Zelte Saras beeinflußt worden waren, sinkt herab zu der Sucht, die niedrigen Begierden seiner Natur zu befriedigen. Er liebte seinen Sohn Esau, weil er von dessen Wildbret aß. Das war eine armselige Sache, mehr als armselig. Und wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß diese Liebhaberei Isaaks für Wildbret Esau nur noch mehr zur Jagd ermuntert haben wird. Ebenso wie Rebekkas List und Gewandtheit, die sie aus dem Hause ihres Bruders in Paddan-Aram mitgebracht hatte, auf das Gemüt und den Charakter ihres Lieblings Jakob einwirkten. So trug denn der Vater zum Verderben des einen Kindes, und die Mutter zum Verderben des anderen Kindes bei.
Wieviel Verkehrtes und Trauriges, welch eine Verunreinigung der Herzen von Eltern und Kindern zeigt sich in dieser Familienszene! Und ach! wir sind noch nicht zu Ende damit. Das Herz ist nicht nur für solche Verunreinigungen empfänglich, sondern zu Zeiten wagt es selbst, seine Verderbtheit in das Heiligtum zu bringen. „Wenig fehlte, so wäre ich in allem Bösen gewesen, inmitten der Versammlung und der Gemeinde" (Spr 5,14).
Jahrhunderte nachher wurde zu Aaron gesagt: „Wein und starkes Getränk sollst du nicht trinken, du und deine Söhne mit dir, wenn ihr in das Zelt der Zusammenkunft hineingeht" (3Mo 10,9). Die Natur darf nicht aufgeweckt werden, wenn es sich darum handelt, des Dienstes Gottes zu warten. Sie darf nicht dadurch, daß man ihr Nahrung gibt, in Tätigkeit gesetzt werden, um die Pflichten des Heiligtums zu verrichten. Starkes Getränk mag erheitern und sinnliche Geister in Wallung bringen, aber es befähigt nicht zum Priesterdienst im Hause Gottes.
Aber selbst zu einer solchen Entweihung scheint Isaak verleitet worden zu sein. „Und nun nimm doch", so sagt er zu Esau, „dein Jagdgerät, deinen Köcher und deinen Bogen, und gehe hinaus aufs Feld und erjage mir ein Wildbret; und bereite mir ein schmackhaftes Gericht, wie ich es gern habe, und bringe es mir her, daß ich esse, damit meine Seele dich segne, ehe ich sterbe". Er stand im Begriff, die letzte religiöse Handlung eines patriarchalischen Priesters zu verrichten, und er forderte soZusagen Wein und starkes Getränk, die Nahrung des bloß natürlichen Lebens, um dadurch aufgeweckt und zu diesem Dienst befähigt zu werden.
Es war wahrhaftig sehr traurig, in einem solchen Augenblick an Wildbret zu denken. Wir werden uns alle bewußt sein, wieviel von der Natur oft unsere heiligen Handlungen befleckt, wie oft bloße Erregung des Fleisches irrtümlich für die Wirksamkeit des Geistes gehalten wird. Wir sollten an dem Ort der Gemeinschaft ernstlich dagegen wachen. Es sollte Betrübnis und Demütigung in uns wachrufen, wenn wir entdecken, daß die Natur uns da irgendwie leitet oder beeinflußt. Wir sollten es als etwas Böses, oder doch wenigstens als Schwachheit bekennen und immer dagegen auf der Hut sein. Wie schrecklich aber ist es, sich gar in ähnlicher Weise, wie Isaak, darauf vorzubereiten, den Wein und das starke Getränk sorgfältig zu mischen, um einen vollen Schluck davon nehmen zu können. Das ist wahrlich eine ganz außerordentliche Befleckung.
Und nichts anderes als Unehre und Verlust kann die Folge einer solchen Handlungsweise sein. Das ganze Verderben, das sich hier in dieser Familie offenbart, wird nach der Heiligkeit Gottes gerichtet, denn es war eine Familie Gottes auf der Erde. Gott konnte das Böse nicht ungestraft lassen. „Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde erkannt; darum werde ich alle eure Missetaten an euch heimsuchen" (Arnos 3, 2). Isaak wird beiseitegesetzt. Rebekka sieht Jakob nie wieder. Und Jakob selbst, dieser klug berechnende „Überlister", weilt zwanzig Jahre lang fern vom Hause seines Vaters, von Mühsalen, Ungerechtigkeit und Bedrückung umgeben und wird selbst immer wieder überlistet und betrogen. Nichts kam bei allem heraus, mögen wir nun die sich hin und her windende Klugheit der einen Partei oder die fleischlichen Neigungen und Bevorzugungen der anderen betrachten, nichts als Enttäuschung und Beschämung, verbunden mit den Vorwürfen des Gewissens gegenüber der Heiligkeit des Herrn.
Die außerordentlich trübe und traurige Familienszene, die wir soeben betrachtet haben, wird indessen durch einen sehr wichtigen Umstand gemildert. Wir lesen nämlich in Heb 11,20: „Durch Glauben segnete Isaak, in Bezug auf zukünftige Dinge, den Jakob und den Esau". Das sind die eigenen Worte des Heiligen Geistes, wenn Er von den Vorgängen redet, die uns in dem vorigen Abschnitt beschäftigt haben.
Bevor ich jedoch über die Milderung oder den Trost spreche, der in diesem Umstand bei dem Gedanken an Isaak liegt, möchte ich fragen: Was war eigentlich die Natur oder der Charakter jenes Segens, den die Patriarchen über ihre Kinder aussprachen, und den wir an so manchen Stellen des ersten Buches Mose finden?
Ein Segen war in der Hand Melchisedeks (1Mo 14), ebenso wie lange nachher in der Hand Aarons (4Mo 6,23-27). Diese Beispiele sind leicht zu verstehen, denn diese Segnungen wurden gleichsam von Amts wegen ausgeteilt oder ausgesprochen. Sie gelangten durch das von Gott verordnete Priestertum zu denen, für die sie bestimmt waren. Es gab in ihnen nichts Prophetisches oder Orakelhaftes. Die Worte, die diese Priester aussprachen, waren mehr vorbereitet als eingegeben. Sie waren durch die Fürsorge Gottes bereits vorgeschrieben und wurden nicht in dem betreffenden Augenblick durch göttliche Erleuchtung mitgeteilt. Wenigstens war dies bei Aaren nicht der Fall.
Mit dem patriarchalischen Segen verhielt es sich indessen ganz anders. In Isaaks Worten über Esau und Jakob (1Mo 27) war eine Prophezeiung oder eine geheimnisvolle Weissagung enthalten, und ebenso später in den Worten Jakobs über seine Söhne (1Mo 49) und über die Söhne Josephs (1Mo 48). Ähnliches finden wir auch schon früher in den Worten Noahs über Sem, Ham und Japhet. Aber warum, möchte ich fragen, wurde diese wichtige Sache den Patriarchen in solcher Weise anvertraut? Die Antwort auf diese Frage enthält, wenn ich nicht irre, einige der Geheimnisse der patriarchalischen Gottesverehrung, ihrer Anbetung und ihres Dienstes.
Die Gottesverehrung besaß, was ihren Geist und Grundsatz betrifft, in diesen frühesten Tagen die nämlichen großen Wahrheiten, die sie heute noch besitzt. Der Fall und die Wiederherstellung des Menschen oder das Verderben und die Erlösung waren damals bekannte Dinge, und sie wurden durch den Glauben angenommen. Die Altäre der Väter und die Verordnung über das Reine und Unreine reden zu uns von dem Glauben und dem Verständnis des Glaubens in jenen Tagen, Das Zelt der lebenden Patriarchen und das Machpela der gestorbenen (1Mo 23) sagen uns, daß sie die Berufung eines Fremdlings und die Wahrheit von einer zukünftigen Auferstehung verstanden; und Abrahams Tamariske zu Beerseba endlich (1Mo 21) sowie sein Bund mit den Heiden bei dem Eidesbrunnen erzählen uns in klarer, obwohl symbolischer Sprache, daß die Väter etwas von den herrlichen und köstlichen Geheimnissen des tausendjährigen Reiches oder „des zukünftigen Zeitalters" begriffen haben.
Anbetung und Dienst trugen in jenen Tagen der Kindheit die einfachsten Formen. Die Natur gab es sozusagen an die Hand, daß der Vater oder das Familienhaupt zugleich Prophet, Priester und König war. In späteren Zeiten, als alle Verhältnisse sich ausdehnten und mit der Ausdehnung und dem Alter das Verderben eindrang, erforderte die Heiligkeit Gottes ein abgesondertes und beschnittenes Volk, und in Verbindung damit ein abgesondertes oder gesalbtes Priestertum. In unserer Zeit, in den Tagen des Reiches Gottes, das, wie wir wissen, „nicht im Wort, sondern in Kraft" besteht, muß der Dienst noch etwas mehr sein, als was die Natur an die Hand geben oder die Heiligkeit erfordern würde. Es muß Kraft vorhanden sein, wie sie der Geist selbst hervorbringt und mitteilt. Aber in jenen Kindheitstagen des ersten Buches Mose lauschte man auf die Stimme der Natur, und das war richtig und der Zeit entsprechend. Demgemäß war auch das Familienhaupt der Diener Gottes der Familie gegenüber, und in ihm vereinigten sich sowohl die Würde als auch der Dienst des Propheten, Priesters und Königs innerhalb des Hauses.
Die Segnung der Kinder scheint hieraus hervorgeflossen zu sein. Sie war eine Handlung, die in der Vereinigung der Tugenden eines Propheten und eines Priesters ausgeübt wurde, die, wie wir gesehen haben, die Familienväter in ihrer Person besaßen. Sie empfingen eine Mitteilung der göttlichen Gedanken und verkündigten diese dann als „Aussprüche Gottes", und da sie für ihre Kinder abgesonderte oder priesterliche Stellvertreter Gottes waren, so sprachen sie Seinen Segen, den Segen Gottes, über sie aus. Diese Würde scheinen sie in dem ganzen ersten Buch Mose behalten zu haben.
Bei unserem Isaak ist es in der Tat betrübend zu sehen, in welcher Weise diese Würde von ihm ausgeübt wurde. Ach! er mißbrauchte sie, wie es mit solch hohen Gaben stets geschehen ist. So sehen wir zum Beispiel diesen Mißbrauch im Blick auf die priesterliche Würde in der Person Elis, und bezüglich der königlichen Autorität in einem besonders schrecklichen Falle selbst bei dem geliebten und geehrten Sohn Isais.
Ebenso wollte Isaak sein Amt nicht nur seinen eigenen parteilichen Gefühlen unterordnen, sondern es selbst zur Befriedigung seiner Begierden benutzen, und das sogar angesichts einer feierlichen göttlichen Warnung. Denn über seine Kinder war vorher das Wort ergangen: „Der Ältere wird dem Jüngeren dienen". Aber die fleischlichen Neigungen und Begierden Isaaks hatten ihn völlig sorglos und vergeßlich gemacht, und er würde gern den älteren, Esau, zum Erben der Verheißung gemacht haben.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern, daß auch Kajaphas zu seiner Zeit, wie früher Isaak, den Propheten und Priester in seiner Person vereinigte. Und Kajaphas würde gern sein Amt und seine Gabe zur Erfüllung seiner eigenen bösen Absichten und Wünsche mißbraucht haben. Er sprach eine wahre Prophezeiung aus, verbunden mit einem Anschlag auf das Leben des Herrn Jesus (Joh 11). In früheren Tagen erblicken wir in dem Propheten Bileam einen Mann von derselben Art. Er war ein Gefäß des göttlichen Lichtes, ein Zeuge und Offenbarer der Gedanken Gottes. Aber er tat alles Mögliche, um seine Gabe im Dienste seiner Begierden zu gebrauchen. Gott aber ließ ihm nicht seinen Willen und zwang seine Lippen, den Spruch der Gerechtigkeit und das Urteil der Wahrheit auszusprechen. Und obgleich es betrübend ist, Isaak mit solchen Männern, wenn auch nur im Blick auf eine einzige
Handlung, zusammenzustellen, so können wir doch nicht umhin, es zu tun. Der Isaak von 1. Mo 27 gleicht jenen beiden Männern nur zu sehr. Obwohl er ein geheiligtes und gefülltes Gefäß war, würde er doch bei der Benutzung des ihm anvertrauten Schatzes den Wünschen seines eigenen törichten Herzens gefolgt sein, wenn nicht Gott ihm entgegengetreten wäre und ihn als Verkündiger Seines bestimmten, unumschränkten Ratschlusses benutzt hätte. Ich sage noch einmal, es ist betrübend, solche Männer wie Isaak und Bileam in einer gemeinsamen sittlichen Handlung nebeneinander zu stellen, aber wir wissen: „was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch". Das Wasser, das in der Quelle schmutzig ist, kann in dem Eimer nicht rein sein. Das Fleisch in einem Isaak ist dasselbe Fleisch wie in einem Bileam, und die Welt in den Herzen beider Männer ist dieselbe Welt.
Aber die beiden sind nicht bis zum Ende hin gleich. Das ist der große Trost, von dem ich vorhin sprach. Bileam ist Bileam geblieben, ein Mann, der den Lohn der Ungerechtigkeit liebte und um dieses Lohnes willen seinem eigenen Irrtum gierig nachjagte. Er ging als Bileam voran, indem er Balak den Rat gab, dem Volke Gottes einen Fallstrick zu legen, und schließlich wurde er als Bileam mit den Unbeschnittenen durch das Schwert erschlagen, „gleich denen, die in die Grube hinabfahren". Isaak dagegen bereute sein Tun mit göttlicher Betrübnis zu einer nicht zu bereuenden Buße. Als sein Auge geöffnet und ihm gezeigt wurde, was er zu tun im Begriff gewesen war, und wie Jakob den Segen erhalten hatte, den er dem Esau zugedacht hatte, als es ihn, mit einem Wort, zum Bewußtsein kam, daß er Gott widerstrebt hatte und deshalb unmöglich obsiegen konnte, da scheint seine Seele wie vom Schlaf erwacht und sich aller dieser Dinge bewußt geworden zu sein. Denn wir lesen von ihm: „Da erschrak Isaak mit großem Schrecken über die Maßen". Der Anblick des Platzes, den er eingenommen hatte und das innere Gefühl darüber setzten seine Seele in Furcht. Er erschrak und zitterte. Das Fleisch, das er in sich genährt hatte, konnte ihm in einem solchen Augenblick nicht helfen, und er verlangte auch nicht danach — es war ihm in seiner ganzen Schlechtigkeit gezeigt worden. In dem Licht und der Kraft eines besseren Lebens handelt er dem Glauben gemäß und sagt, indem er jetzt von Jakob und nicht mehr von Esau redet: „Ich habe ihn gesegnet; er wird auch gesegnet sein".
Davon finden wir bei Bileam keine Spur. Bileam kehrte nicht um. Als der Engel ihm in dem schmalen Weg entgegentrat und sein Esel sich unter ihm niederlegte, da war nichts von dieser göttlichen Betrübnis, die eine wahre Buße bewirkt, zu bemerken. Er zog ruhig auf dem Wege weiter, auf den die Sucht nach dem Lohn seinen Fuß bereits gestellt hatte. Doch unser Isaak wird wiederhergestellt. Er schlägt einen anderen Weg ein und folgt von diesem Augenblick an den Gedanken Gottes. Es ist daher nicht „die Torheit des Propheten", die der Heilige Geist in dem Falle Isaaks zu berichten hat, wie Er es bei Bileam tun muß, sondern der Glaube des Propheten. Denn in dieser Stunde einer glücklich wiederhergestellten Gemeinschaft mit den Gedanken Gottes, nachdem Isaak „mit großem Schrecken über die Maßen" erschrocken war, wird der Weg unseres Patriarchen durch den Heiligen Geist besiegelt und aufgezeichnet: „durch Glauben segnete Isaak, in Bezug auf zukünftige Dinge, den Jakob und den Esau". Das ist das einzige aus dem Leben Isaaks, was in jenem herrlichen Kapitel (Heb 11,20) von dem Heiligen Geiste erwähnt wird. Aber es ist beachtenswert, und der Geist hat es besonders hervorgehoben.
Die Glaubenssiege, die Mose davontrug, sind sehr schön. Er begegnete sowohl den Reizen, als auch den Schrecken Ägyptens, indem er sich weigerte, ein Sohn der Tochter des Pharao zu heißen und das Land verließ, ohne die Wut des Königs zu fürchten. Das waren glänzende Siege. Aber es gibt auch Siege, die zwar viel weniger ins Auge fallen, und dennoch Siege sind, und deshalb in jenem Kapitel, das die Taten des Glaubens verherrlicht, erzählt werden. Solchen Siegen begegnen wir in Isaak und in Jakob. Jeder dieser Glaubenszeugen segnete zu seiner Zeit die Kinder oder Söhne in Übereinstimmung mit Gott, obgleich es der Natur entgegen war. Isaak würde den Esau, und Joseph den Manasse vorgezogen haben; aber Isaak bestand auf der Segnung Jakobs, und Jakob auf der Segnung Ephraims, und in diesem Punkte wurde die Natur überwunden. Es war allerdings nicht die Welt mit ihren Fallstricken und Gefahren, welche die Stärke des Glaubens in diesen Heiligen auf die Probe stellte, aber dennoch war ein Widersacher vorhanden. Und dieser Widersacher war die Natur mit ihren Einflüsterungen, ihren Neigungen und parteilichen Gefühlen. Und während wir die glänzenden Siege eines Moses oder Abrahams bewundern mögen, laßt uns daran denken und darauf achten, daß wir den Kampf des Glaubens mit der Natur kämpfen und auch in dieser Beziehung mit Isaak und Jakob das Feld behalten.
Was Jakobs Anteil an der ganzen bisher betrachteten Familienszene betrifft, so können wir sicher sagen: Hätte er nur seine Sache ruhig in der Hand des Herrn gelassen, in der sie von Anfang an, schon vor seiner Geburt, gelegen hatte, und hätte nicht zugegeben, daß seine Mutter sie in ihre Hand nahm, dann würde er viel besser gefahren sein. Wie oft hat manch ein Jakob seit jenen Tagen das gleiche erfahren! Der Herr hatte ihm den Segen ohne irgendeine Bedingung verheißen: „der Ältere wird dem Jüngeren dienen". Aber Jakob war nicht imstande, mit der Geduld des Glaubens die Zeit und die Weise des Herrn, Seine Verheißung wahrzumachen, abzuwarten. Und deshalb wurde die Verheißung mit Vorbehalten, Schwierigkeiten und Bürden belastet. Sie wird sicherlich in Erfüllung gehen. Die Verheißung des Herrn ist gewiß und ist noch nie gebrochen worden. Er ist imstande, sie aufrecht zu erhalten. Der Ältere wird dem Jüngeren dienen, aber zugleich wird, wegen des Unglaubens und der List Jakobs, der Ältere dem Jüngeren allerlei Ungelegenheiten bereiten. Da der Jüngere meint, in eigener Schlauheit und Geschicklichkeit bezüglich der Verheißung richtig handeln zu können, darf er sie erst nach langer Frist, nach Kummer und Beschämung erlangen.
Demgemäß bekommt auch Esau bei dieser Gelegenheit durch seinen Vater Isaak von dem Herrn eine Verheißung, die der Vorsatz und die Gnade Gottes Jakob gegenüber von Anfang an nicht beabsichtigt hatten. „Sein Vater Isaak antwortete und sprach zu ihm: Siehe, fern von der Fettigkeit der Erde wird dein Wohnsitz sein und ohne den Tau des Himmels von oben her. Und von deinem Schwerte wirst du leben, und deinem Bruder wirst du dienen; und es wird geschehen, wenn du umherschweifst, wirst du sein Joch zerbrechen von deinem Halse".
Dies alles ist in Erfüllung gegangen. David, der von Jakob abstammte, legte Besatzungen in Edom, und die Edomiter wurden seine Knechte und brachten Geschenke. Joram aber, der auch ein Nachkomme Jakobs war, verlor später die Edomiter als seine Knechte und Tributpflichtigen. Sie empörten sich und blieben unabhängig bis auf den heutigen Tag (2Sam 8,14; 2Chr 21,8).
Dereinst allerdings „werden Retter auf den Berg Zion ziehen, um das Gebirge Esaus zu richten" (Obadja 21). Die Hütte Davids, die jetzt verfallen ist, wird wieder aufgebaut werden, und Israel wird den Überrest Edoms und alle Nationen als
Erbteil besitzen. (Vergl. Arnos 9, 11. 12). Dies wird zu seiner Zeit in Erfüllung gehen, denn der Ältere wird dem Jüngeren dienen. Die Verheißung Gottes ist Ja und Amen. Aber seit den Tagen Jorams, des Sohnes Josaphats, aus dem Hause Davids und dem Geschlechte Jakobs, ist Esau oder Edom in Empörung gegen Jakob gewesen, und so ist die Verheißung aufgeschoben, verwickelt und durch Umstände erschwert worden, welche die Gnade Gottes und die Gabe in Gnade nie vorgesehen hatten und durch die Jakob nicht hätte zu gehen brauchen, wenn sein Glaube einfältiger gewesen wäre.
Ähnliches findet man auch oft in der Erfahrung des Christen. Betrachten wir zum Beispiel die Jünger am galiläischen See in Markus 4. Der Herr hatte zu ihnen gesagt: „Laßt uns übersetzen an das jenseitige Ufer". Das war eine Bürgschaft für sie, daß sie das andere Ufer sicher erreichen würden. Sie brauchten sich nicht zu fürchten. Sie hätten sich, wenn sie wollten, mit ihrem Meister schlafen legen können. Aber nein, sie fürchteten sich und gingen mit Fleisch und Blut zu Rate. Und deshalb erreichten sie das andere Ufer unter Schrecken und Zittern und mit tiefer Beschämung. Ihre Befürchtungen beschwerten ihren Geist mit diesen Bürden, die ihnen erspart geblieben wären, wenn sie die Erfüllung des Wortes Dem überlassen hätten, Der es gegeben hatte. Ebenso belastete der Unglaube Jakobs in 1Mo 27, der ihn die Verheißung Gottes in die Hand seiner Mutter legen ließ, die Geschichte seines Hauses mit den schon erwähnten Verwicklungen, Widersprüchen und Wechselfällen, die allesamt der Verheißung fremd waren, wie sie die Gnade von Anfang an beabsichtigt und gegeben hatte.
Noch manche andere ähnliche Erfahrungen machten die Jünger infolge ihres Unglaubens während der Zeit, in welcher der Herr unter ihnen ein- und ausging, und manche ähnliche Erfahrungen sind auch uns, Seinen Heiligen in der Jetztzeit, bekannt. Unsere Herzen ernten Schrecken und Beschämung, während wir die ruhigen und herrlichen Genüsse des Glaubens erfahren könnten, wenn wir nur einfältig auf Jesum blickten, sollte Er auch zu schlafen scheinen, und Ihn mehr kennten als Den, Der trotz Sturm und Wogendrang alle Seine Verheißungen wahrmachen kann und wird.
Das erfuhr auch Jakob, entsprechend seiner traurigen Handlungsweise. Esau war hier nicht der Schuldige. Er war eher der beleidigte Teil. Und deshalb ist er in der Hand Dessen, von Dem die Handlungen gewogen werden, der einzige, der bei dieser Gelegenheit gewinnt. Alle anderen haben zu lernen, wohin der Weg, den ihre eigenen Herzen wählen, führt. Isaak, Rebekka und Jakob müssen dies in gleicher Weise erfahren. Soweit Esau der Beleidigte ist, gewinnt er, wie wir gesehen haben, etwas dabei: von seinem Schwerte soll er leben und eine Zeitlang das Joch seines jüngeren Bruders von seinem Nacken zerbrechen.
3
Am Ende seiner Wege, obwohl nicht seiner Tage, sendet Isaak auf den Wunsch der argwöhnischen und erschreckten Rebekka den Jakob fort. Diese Handlung geschieht mit einem Ausdruck des Kummers, der Beschämung und Enttäuschung, der bitteren Frucht, die ihre eigenen Wege für sie hervorgebracht hatten. Alles würde ganz anders gewesen sein, wenn der Geist und Gehorsam des Glaubens sie in dem Wege des Herrn erhalten hätten.
Und damit sind wir, wie gesagt, am Ende des Lebens unseres Patriarchen angelangt, wenigstens in praktischer Beziehung. Er lebte allerdings nachher noch vierzig Jahre, vielleicht noch länger, aber er ist für uns verloren. Es ist, als wäre er nicht mehr da. Am Schluß von Kapitel 35 lesen wir: „Und Jakob kam zu seinem Vater Isaak nach Mamre, nach Kirjath-Arba, das ist Hebron, woselbst Abraham und Isaak als Fremdlinge geweilt hatten. Und die Tage Isaaks waren hundertundachtzig Jahre. Und Isaak verschied und starb, und wurde versammelt zu seinen Völkern, alt und der Tage satt. Und Esau und Jakob, seine Söhne, begruben ihn".
Abraham hatte sich bei dem Tode Saras mit Sorgfalt in den Besitz von Machpela gebracht. Dort hatte er Sara begraben. Dort war er von Isaak und Ismael begraben worden. Dort begruben jetzt Jakob und Esau den Isaak, und dort wurde auch später Jakob von seinen zwölf Söhnen begraben.
Der Kauf dieses Grundstücks und die Sorgfalt, welche die Patriarchen im Blick auf ihre Beerdigung an jener Stätte an den Tag legten, reden zu uns von ihrem Glauben an eine glückliche Auferstehung, sowie an die damit in Verbindung stehende Besitznahme des Landes. Es zeigt uns, daß ebensowohl Hoffung als Glaube in ihren Herzen vorhanden war, daß sie nicht nur ohne irgendwelchen Zweifel in der Gewißheit ihrer Berufung und Annahme ruhten, sondern auch mit gleicher Sicherheit das Leben und Erbteil erwarteten; die in der zukünftigen Welt für sie bereitet sind. Sie lebten im Glauben, und sie starben im Glauben. Sie waren Männer, in deren Seele das Leben des Glaubens und der Hoffnung gekannt und genossen wurde. Wohl zeigt sich immer wieder die Natur in ihnen: sie irren, sie gleiten aus und handeln oft sogar treulos gegen Gott durch ihren Unglauben. Sie ziehen sich Strafen und Verweise zu und werden zuweilen vor den Menschen erniedrigt. Aber sie scheinen nie an der gesegneten Tatsache gezweifelt zu haben, daß sie von dem Gott der Herrlichkeit erwählt und mit großen Verheißungen ausgestattet waren. Glaube und Hoffnung lebten in ihren Seelen. Ich sage nicht, daß sie hatten, was wir besitzen. Wir haben jetzt eine Salbung, ein Unterpfand und ein Zeugnis als Frucht der Gabe und Innewohnung des Heiligen Geistes, der unserer Zeit nicht nur die Kraft, sondern auch den Charakter verleiht. Aber die Patriarchen, in jenem Zeitalter der Kindheit, scheinen nie gezweifelt zu haben. Und das ist köstlich. Sogar bei den frühesten Offenbarungen Seiner Selbst, in jenen Kindestagen des ersten Buches Mose, wurde
Gott von Seinen Auserwählten gekannt als Einer, auf Den man sowohl für die Gegenwart als auch für die Zukunft vertrauen kann.
Ich wiederhole, das ist köstlich. Der Geist ruft in der Seele des Auserwählten ebenso gewiß Hoffnung hervor wie Glauben. Machpela zeigt uns das im Blick auf die Patriarchen. Aber es war schon vor ihnen so und ist auch nach ihnen immer so gewesen. Adam besaß sowohl Hoffnung als Glauben. Sobald er glaubte, hoffte er auch. Er wandelte als ein Fremdling auf der Erde, geradeso wie in dem bewußten Besitz des Lebens, und mit ihm und gleich ihm die Heiligen vor der Flut.
Die Kinder Israel feierten später die letzte Nacht ihres Verweilens in Ägypten mit dem Stabe in der Hand und den Schuhen an den Füßen, und sie taten das mit der gleichen Einfalt und Sicherheit, wie sie das Blut an die Türpfosten gestrichen hatten. Sie hofften ebenso gewiß auf etwas jenseits Ägyptens, wie sie auf ihre Sicherheit in Ägypten rechneten.
Später bezeugte Mose diese Stellung Israels (eine Stellung, die dem Heerlager Gottes in der Kraft des Glaubens und der Hoffnung allein geziemte), indem er zu Hobab sagte: „Wir brechen auf nach dem Orte, von welchem Jehova gesagt hat: ich will ihn euch geben". So sagte auch Paulus in seiner Verteidigungsrede vor dem König Agrippa: „Und nun stehe ich vor Gericht wegen der Hoffnung auf die von Gott an unsere Väter geschehene Verheißung, zu welcher unser zwölf stämmiges Volk, unablässig Nacht und Tag Gott dienend, hinzugelangen hofft".
Das öl in den Lampen der klugen Jungfrauen ist ebenfalls der Ausdruck der Kraft der Hoffnung. Diese Jungfrauen trugen Sorge für das Verziehen des Bräutigams, auf dessen Rückkehr sie warteten, mochte er nun noch weit entfernt oder nahe sein.
Doch um der Hoffnung ihre höchste und herrlichste Schönheit zu verleihen, hat Gott uns wissen lassen, daß der gegenwärtige Himmel selbst ein Himmel der Hoffnung ist. Obgleich der Herr Jesus Sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt hat, wartet Er doch, wie wir wissen, „bis ich seine Feinde lege zum Schemel seiner Füße". Und diese Gesinnung ihres verherrlichten Herrn wird dereinst auch die Gesinnung der verherrlichten Kirche werden, denn der Himmel in Off 5 ist auch ein Himmel der Hoffnung. „Du bist würdig", sagen die vier lebendigen Wesen und die auf Thronen sitzenden Ältesten jenes Himmels, „das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft, durch dein Blut, aus jedem Stamm und Sprache und Volk und Nation, und hast sie unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht, und sie werden über die Erde herrschen!"
In diesem Leben des Glaubens und der Hoffnung zeigen sich die Patriarchen völlig eins, und es ist köstlich, das zu wissen. Sie stellen verschiedenartige Geheimnisse dar und geben uns verschiedene sittliche Belehrungen. Aber in diesem Leben des Glaubens und der Hoffnung sind sie eins, und jeder von ihnen, Abraham, Isaak und Jakob, wird in gleicher Weise zu seinen Völkern versammelt. Jeder ist eine Handvoll geheiligten Staubes, niedergelegt in der Höhle Machpela in der sicheren und gewissen Hoffnung auf eine Auferstehung zum Leben und zur Erbschaft.
Ein englisches Sprichwort sagt: Besser abgenutzt werden als verrosten. Aber dieses bessere Teil hat Isaak nicht erwählt. Er verrostete. Das war das naturgemäße Ende eines solchen Lebens.
War Isaak ein Gefäß, das dem Töpfer mißraten war? War er ein Gefäß, das beiseitegestellt wurde, weil es für den Gebrauch des Meisters nicht taugte oder wenigstens nicht länger tauglich war? Seine Geschichte scheint dies zu lehren. Abraham war ein anderer Mann gewesen. Alle Kennzeichen eines Fremdlings auf Erden, alle geziemenden Früchte jener Energie, die ihn von Anfang an beseelte, wurden bis zum Ende hin bei ihm gefunden. Wir haben dies bereits bei unserer früheren Betrachtung über Abraham gesehen. Abrahams Blatt verwelkte nicht. Er brachte noch Frucht im Alter. So war es auch mit Mose, mit David und Paulus. Sie starben in ihrer Rüstung, am Pfluge oder im Kampf. Fehler, und Schlimmeres noch als Fehler, machten sie auf dem Wege, in ihrem Lauf oder in ihrem Werk. Aber sie wurden nie beiseitegesetzt. Mose gibt noch an den Ufern des Jordan dem Heere seine Ratschläge. David ordnete vor seinem Tode alles und legte das Königtum (in seiner Schönheit und Macht) in die Hand Salomos. Paulus steht da mit umgürteten Lenden und angetan mit der Waffenrüstung Gottes. Als die Zeit ihres Abscheidens vorhanden war, fand der Herr diese Männer, wie es in Lk 12 heißt, „also tuend", wie Knechte gefunden werden sollten. Doch bei Isaak war es anders. Er wird beiseitegesetzt. Während vierzig langer Jahre hören wir nichts von ihm. Er welkte und schwand gleich sam dahin. Das Gefäß rostete, bis es völlig verrostet war.
In all diesem liegt sicher eine tiefe Bedeutung, eine ernste Ermahnung für uns. Und doch — so fruchtbar und voll Belehrung sind die Zeugnisse Gottes — gibt es in der Schrift andere Männer aus anderen Zeiten, die uns zu noch ernsterer
Belehrung und Warnung dienen. Es ist demütigend, beiseitegesetzt zu werden, als nicht länger für den Gebrauch des Meisters geeignet, aber traurig ist es, nur zu dem Zweck hier gelassen zu werden, um wieder zu sich selbst zu kommen, und schrecklich ist es, zu bleiben, um sich selbst zu verderben. Und in den Zeugnissen Gottes finden wir Beispiele von dieser sittlichen Verschiedenheit. Jakob ist in seinen letzten Tagen in Ägypten nicht als ein beiseitegesetztes Gefäß, sondern er kommt dort wieder zu sich selbst. Ich weiß wohl, daß manches sehr Köstliche in ihm gefunden wird während der siebenzehn Jahre, die er in jenem Lande zubrachte, und wir könnten die Unterweisung nicht entbehren, die uns der Geist in dem Leben Jakobs in Ägypten gibt. Aber doch erblicken wir in ihm einen Heiligen, der unter einer heiligen Zucht gewesen ist, und der nun zu sich selbst kommt und Frucht bringt, die der Wiederherstellung entspricht. Es bedarf nur eines kurzen Nachdenkens, um zu erkennen, daß das nur eine armselige Sache ist. Doch in Salomo begegnen wir einer noch schlimmeren Sache. Er bleibt am Leben, um sich selbst zu verderben, so traurig und schrecklich es auch sein mag, dies auszusprechen. Das tat weder Isaak noch Jakob. Salomo war weder ein Heiliger, der einfach beiseitegesetzt wurde, noch wurde er hier gelassen, um wieder zu sich selbst zu kommen. Isaak war, im allgemein sittlichen Sinne, tadellos bis zum Ende hin, und Jakobs letzte Tage waren seine besten, aber von Salomo lesen wir: „Und es geschah zur Zeit, als Salomo alt war, da neigten seine Weiber sein Herz anderen Göttern nach".
So sind die Belehrungen, die uns Isaak und Jakob und Salomo in ihren Wegen geben, so die genauen und mannigfachen Unterweisungen, die in den fruchtbringenden und lebendigen Blättern der Heiligen Schrift für uns niedergelegt sind. Sie zeigen uns in dem Hause Gottes Gefäße, die nützlich waren zum Gebrauch, und die bis zum Ende hin benutzt wurden, ferner Gefäße, die beiseitegesetzt wurden, um zu verrosten, anstatt ausgenutzt zu werden, Gefäße endlich, deren bester Dienst darin bestand, sich selbst wieder zu reinigen, und Gefäße, die zu ihrer eigenen Schande am Ende ihres Dienstes sich aufs neue beschmutzten.
Bewunderungswürdig und mannigfaltig sind die Unterweisungen und Wege der Gnade, der überströmenden Gnade Gottes! Ach, wie leicht nimmt die Seele Vorstellungen von Gott in sich auf, die den Eingebungen der Natur entsprechen, statt daß sie Ihn nach dem Glauben kennt. Die Natur stellt Ihn der Seele vor als einen Richter oder als einen Gesetzgeber, oder als einen Vollstrecker der Gerechtigkeit, als Einen, Der die Waagschale in Seiner Hand hält, um jeden Gedanken, jedes Werk abzuwägen, als Einen, Der äußerst empfindlich ist gegen die geringste Berührung mit dem Bösen. Aber der Glaube zeigt Ihn einem staunenden, anbetenden Auge und Herzen als den Einen, Der uns immer liebt, mag Er tun oder reden, was Er will. Denn „der Glaube wirkt durch die Liebe" (Gal 5,6); er wirkt zu dem Gott der Liebe hin und daher in einem Geiste des Vertrauens und der Freiheit. Wenn unsere Seelen sich unter dem Druck eines Geistes der Furcht, der Knechtschaft oder der Ungewißheit befinden, dann können wir überzeugt sein, daß sie die sanfte Hand des Glaubens haben fahren lassen, und daß sie sich von solchen Vormündern und Verwaltern leiten lassen, wie die Natur sie gibt. Das sollte nicht so sein. Wir sollten wissen, daß wir es stets mit der Liebe zu tun haben. Wenn wir lesen, wenn wir beten, wenn wir uns unterhalten, wenn wir bekennen, wenn wir dienen, wenn wir singen, wenn wir Gottes Hand in der Vorsehung betrachten oder im verborgenen Seines Namens gedenken — möge dann die Glaubensgemeinschaft mit Gott stets unser Teil sein! Er liebt uns. Die Beziehung, in der wir zu Ihm stehen, und von der unser Isaak die Darstellung war, macht diese Wahrheit zu einer Notwendigkeit.
Gott hat „uns zuvorbestimmt zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Willens" (Eph 1,5). Diese Worte „für sich selbst" drücken Gottes Freude an der Zuvorbestimmung und Annahme der Auserwählten zu Seinen Söhnen aus, so wie es Abrahams Freude war, als Isaak entwöhnt wurde. Christus stellt die Versammlung Sich Selbst dar (Eph 5,27), und der Vater sammelt die Auserwählten als Söhne für Sich Selbst. Vater und Sohn haben ein persönliches Interesse und eine persönliche Freude an den Vorsätzen der Gnade. Wie gesegnet ist dies alles für unsere Herzen! Das Haus ist jetzt in dem Sohne aufgerichtet, nicht in einem Knecht, in Isaak, nicht in Elieser. „Der Vater sucht solche, die ihn anbeten". Wunderbare Worte, voll überströmender Gnade!
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