John Gifford Bellet
Schriften von J.G. Bellet
Heb 2,13 - „Ich will mein Vertrauen auf Ihn setzen“Heb 2,13 - „Ich will mein Vertrauen auf Ihn setzen“
Welch ein feierlicher Moment mag es für die Umstehenden gewesen sein, als der Herr Jesus auf dem See Genezareth den Wind und die Wellen zum Schweigen brachte! Mit welchem Staunen werden sie dieses Wunder seiner Allmacht angeschaut haben? Und so wird es auch jetzt noch sein, wenn wir wirklich Herzen besitzen, die fähig sind, sich der Herrlichkeit Christi erfreuen zu können. Der natürliche Mensch mag über die Gesetze der Natur und über den gewöhnlichen Lauf der Dinge viele Worte machen; aber sicher ist es das erste Gesetz der Natur, dass sie ihrem Schöpfer Gehorsam leistet. Und hier in Markus 4 erfuhr das galiläische Meer in einem Nu die Gegenwart dessen, der nach seinem Wohlgefallen den Lauf der Natur verändert, und dessen mächtiger Stimme die Natur gehorcht.
Das war Jesus, der HERR. Das war der Gott, dem in früheren Tagen das Rote Meer und der Jordan gehorchten. „Was war dir, du Meer, dass du flohest, du Jordan, dass du dich zurückwandtest‘? Ihr Berge, dass ihr hüpftet wie Widder, ihr Hügel, wie junge Schafe? Erbebe vor dem Herrn, du Erde, vor dein Gott Jakobs“(Ps 114,5-7)!
Das ist die Antwort, mögen wir lauschen auf die Stimme des Roten Meeres in den Tagen Moses oder auf die Stimme des galiläischen Meeres in den Tagen des Evangeliums. Die Gegenwart Gottes offenbart uns das Geheimnis. „Er sprach, und es war; er gebot, und es stand da“ (Ps 33,9)!
Als die Sonne und der Mond am Himmel stillstanden, hörte der Herr, wie wir lesen, auf die Stimme eines Menschen. Josua redete damals mit dem HERRN; und der HERR stritt für Israel. Sicher war dieses Ereignis ein großes Wunder. Der Heilige Geist, der es aufgezeichnet hat, verleiht ihm diesen Charakter, indem Er sagt: „Und die Sonne blieb mitten am Himmel stehen und eilte nicht zum Untergang, ungefähr einen ganzen Tag. Und es war kein Tag wie dieser, vor ihm und nach ihm, dass der HERR auf die Stimme eines Menschen gehört hätte; denn der HERR kämpfte für Israel“ (Jos 10,13-14). Jesus handelt indes unmittelbar und in eigener Kraft, und es wird nicht viel Aufhebens davon gemacht. Die Überraschung, die sich der Jünger bemächtigte, war die Frucht ihrer unvorbereiteten und ungläubigen Herzen, welche die Herrlichkeit des Gottes Israels nicht kannten. Aber durch die Unterweisung des Heiligen Geistes, der von dem, was Christi ist, empfängt, um es uns zu verkündigen, sind wir in den Stand gesetzt, sowohl bei dem gespaltenen Roten Meer, dessen Wasser zurückwichen, als auch bei dem gestillten See Genezareth die Herrlichkeit besser verstehen zu können.
Jedoch gibt es am Roten Meer betreffs Jesu noch mehr anzuschauen als die Teilung der Wasser. Die Wolke, die den Kindern Israel erschien, sobald sie durch das Blut aus Ägypten erlöst waren, und die ihnen durch die Wüste das Geleit gab, wurde zum Führer des pilgernden Volkes. Doch gleichzeitig war sie der Schleier oder der Vorhang der Majestät. In solcher Weise befand sich das herrliche Geheimnis in der Mitte Israels. Gewöhnlich war die Herrlichkeit verhüllt; gelegentlich wurde sie offenbart; jedoch war sie stets anwesend. Die Wolke war die Führerin und Genossin Israels; und in der Wolke war ihr Gott. Er, der zwischen den Cherubim wohnte, zog vor Ephraim, Manasse und Benjamin her durch die Wüste (Ps 80). Die Herrlichkeit Gottes war in der Wolke zugunsten Israels. Auch befand sie sich an heiliger Stätte; und während sie auf diese Weise in ihrer verhüllten und unscheinbaren Gestalt das Volk geleitete, empfing sie die göttliche Ehre des Heiligtums.
Ebenso war es mit dem Herrn Jesus, Gott offenbart im Fleisch. Gewöhnlich unter Knechtsgestalt verborgen und nur gelegentlich in göttlicher Macht und Gnade ans Licht tretend, war Er für den Glauben und die Anbetung der Heiligen allezeit Gott gleich. — Als sich die Israeliten dem Roten Meer näherten, brauchten sie Beschirmung. Die Wolkensäule verlieh ihnen diese in Gnade. Sie nahm ihren Platz zwischen den Ägyptern und dem fliehenden Volk ein. Sie war Finsternis für die einen und Licht für die anderen, so dass sie während der ganzen Nacht sich einander nicht nähern konnten. Am folgenden Morgen schaute der HERR aus der Wolkensäule auf das ägyptische Heer und verwirrte es.
Auf ähnliche Weise handelte der Herr Jesus bei einer gewissen Gelegenheit. Er stellte sich zwischen seine Jünger und ihre Verfolger, indem Er sagte: „... wenn ihr nun mich sucht, so lasst diese gehen!“ (Joh 18,8 . Er beschirmte sie durch seine Gegenwart. Und zugleich strahlte seine Herrlichkeit durch die Wolke zum Erschrecken der Schar der Feinde. „Jesus spricht zu ihnen: Ich bin es ... Als er nun zu ihnen sagte: Ich bin es, wichen sie zurück und fielen zu Boden“ (Joh 18,5.6). — Der Gott Israels handelte am Roten Meer mit derselben Ruhe und Autorität wie der Herr Jesus im Garten Gethsemane (2Mo 14; Joh 18). Die Götter der Ägypter beugten sich vor Ihm am Roten Meer; die Götter der Römer verehrten Ihn in Gethsemane; und: „Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in den Erdkreis einführt, spricht er: «Und alle Engel Gottes sollen ihn anbeten»“ (Heb 1,6).
Doch wir gehen weiter. Im Laufe ihrer Geschichte mussten die Kinder Israel sowohl gestraft als auch beschützt, sowohl gezüchtigt als auch erlöst werden. Wir sehen dies, sobald sie das Rote Meer verlassen und die Wüste betreten. Dieselbe Herrlichkeit, die in der Wolkensäule verborgen ist, wird diese göttliche Arbeit für sie verrichten. Zur Zeit des Manna, zur Zeit der Kundschafter, in den Angelegenheiten Korahs, an den Wassern von Meriba und bei anderen Gelegenheiten reizte Israel die Herrlichkeit des HERRN. Die Herrlichkeit wird als ein Zeugnis des Zornes Gottes in der Wolke geschaut (2Mo 16,7, 4Mo 14,16.20). Dasselbe finden wir in Bezug auf Jesus. Betrübt (wie die Herrlichkeit in der Wolke) über die Herzenshärte oder den Unglauben seiner Jünger, gibt Er ein Zeichen, ein Merkmal seiner göttlichen Macht, mit strafenden Worten. Man denke nur an den bereits oben erwähnten Vorfall auf dem See Genezareth. Dort sagt Er zu seinen Jüngere: „Was seid ihr furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Mk 4,40), nachdem Er noch soeben zu dem Wind und den Wellen gesagt hatte: „Schweig, verstumme!“.Und so macht Er es jedes Mal, wenn die Jünger unverständige und ungläubige Gedanken über Ihn haben. So sagt Er z. B. einmal zu Philippus in dem Schmerz und dem Zorn der Wolke: „So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen, und wie sagst du: Zeige uns den Vater?“ (Joh 14,9).
Wir sehen hier dasselbe Geheimnis. Oder leuchtet der Herr nicht auch hier durch den Schleier zur Beschämung des Ungehorsams und des Unglaubens Israels? Hier zeigte sich dieselbe Herrlichkeit wie jene, die in der Wolke zur Zeit des Manna und bei anderen Umständen gesehen wurde. Diese Offenbarungen göttlicher Macht stehen in genauer Übereinstimmung zueinander. Die Wolke war die gewöhnliche Erscheinung. Die darin verborgene Herrlichkeit wurde dann und wann offenbart, jedoch war sie stets anwesend. Der Führer und Gefährte des Volkes war zugleich ihr HERR. Und ist der Herr Jesus nicht dies alles? Die Herrlichkeit war der Gott Israels (s. Hes 43,4; 44,2); und Jesus von Nazareth war der Gott Israels oder die Herrlichkeit (s. Jes 6,1; Joh 12,41). Der Nazaräer verbarg und offenbarte eine Herrlichkeit, die in ihrer wesentlichen Fülle ein „unzugängliches Licht“ genannt wurde (1Tim 6,16).
Moses verweigerte die Annahme der Herrlichkeit; doch Jesus verbarg seine Herrlichkeit. „Durch Glauben weigerte sich Mose, als er groß geworden war, ein Sohn der Tochter des Pharaos zu heißen“ (Heb 11,24). Sicher war dies ein herrlicher Sieg über die Welt. Wir lassen uns gern ehren, wir brüsten uns gern mit dem, was wir sind, und wir nehmen sogar gerne mehr Ehre an als uns zusteht, wenn die Menschen sich darin täuschen lassen wollen. Doch Moses erniedrigte sich am ägyptischen Hof — und das war ein glänzender Sieg des Glaubens über den Geist der Welt. Aber der Herr Jesus tat mehr. Natürlich hatte Er keine bei Hof im Dienst stehende Personen in seiner Umgebung, denn in den Palästen war Er ein Fremdling. Doch die Bewohner von Nazareth sahen Ihn an als den „Sohn des Zimmermanns“; und Er wollte es so. Die Herrlichkeit der Herrlichkeiten, der Herr der Engel, der Schöpfer der Enden der Erde, der Gott des Himmels, war unter dieser niedrigen Gestalt verborgen und ließ sich dies alles gefallen.
In Hebräer 2 öffnet uns der Heilige Geist die Quelle dieses großen Geheimnisses. Die Gnade Gottes wollte sich offenbaren zur Verherrlichung dessen, „um dessentwillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind“ (Heb 2,10). Dort wird uns das unaussprechliche Geheimnis der Erlösung durch die Erniedrigung des Sohnes Gottes vor Augen gestellt. Die göttliche Gnade sucht sich zu befriedigen; und die göttliche Herrlichkeit muss in ihrer ganzen Fülle zur Schau gestellt werden. Hieraus entspringt alles. Fleisch und Blut wurden durch Ihn angenommen, „der da heiligt“. Er unterwarf sich dem Tod; Er wurde — die Sünde ausgenommen — in allem genauso versucht wie wir. Er war abhängig von Gott und voll Mitgefühl für die Heiligen. Sein Leben hier auf der Erde war ein Leben des Glaubens mit Gebet und Tränen zu dem, der mächtig war, Ihn vom Tod zu erlösen. Er ist jetzt im Himmel, um für uns zu beten. Er ist sowohl das vollkommene Opfer als auch der barmherzige Hohepriester. Er ist fähig, uns zu helfen, und würdig, uns zu reinigen — weil Er aus den Toten auferstanden und aufgefahren ist in den Himmel, unsere Erwartung für die Gegenwart und unsere Hoffnung für die herrliche Zukunft.
In Verbindung mit all diesem nahm der Herr seinen Platz hier auf der Erde ein. Er war abhängig und gehorsam. Er glaubte und hoffte, war betrübt und litt. Er wurde verachtet, gekreuzigt, begraben. Er unterwarf sich allem, was der ewige Ratschluss für Ihn notwendig machte. Er machte sich selbst zu nichts. Doch alles, was Er tat, war seiner würdig. Das Wort im Anfang: „Es werde Licht! Und es wurde Licht“ (1Mo 1,3), war seiner nicht würdiger als sein Bitten und Flehen mit starkem Schreien und Tränen in den Tagen seines Fleisches (siehe Heb 5,7). Er konnte sich unmöglich mit etwas vereinigen, das der Gottheit unwürdig war, obwohl Er sich auf Kosten all dessen, was Er besaß, in den trostlosesten Umständen befand, worin unsere Schuld und seine Gnade zur Wegnahme dieser Schuld Ihn gebracht hatten.
Wir sehen dieselbe Person in der Krippe wie am Kreuz. Es war Gott, offenbart im Fleisch. Nur wenn wir der ausgedehntesten Vorstellung dieser Herrlichkeit ihren Platz ungeschmälert lassen, dürfen wir von seiner Erniedrigung sprechen, die wir vom ersten bis zum letzten Augenblick seiner bewunderungswürdigen Laufbahn entdecken. Er wurde in der Krippe angebetet. Die von Gott geleiteten Magier aus dem Morgenland huldigten Ihm (Mt 2). Simeon tat dies im Tempel. Aber zu unserer Befremdung sehen wir, dass er zwar die Mutter, aber nicht das Kind segnete. Er hatte es in seinen Armen. Nichts wäre bei dieser Gelegenheit natürlicher gewesen, als das Kind zu segnen; dennoch geschah es nicht. Und warum? Weil er, erleuchtet durch das Licht des Heiligen Geistes, das Bewusstsein hatte, dass er das Kind nicht als ein schwaches, hilfloses Geschöpf vor sich hatte, das der Sorge Gottes anbefohlen werden musste, sondern als das Heil Gottes in seinen Armen trug. In diesem Charakter nahm er das Kind — in dem Augenblick der größtmöglich natürlichen Schwäche desselben — in seine Arme und erfreute sich in Ihm. Mochte er, ohne irgendein Unrecht zu begehen, die Mutter dieses Kindes segnen, so stand es ihm doch nicht zu, Jesus zu segnen. „Ohne allen Widerspruch aber wird das Geringere von dem Besseren gesegnet“ (Heb 7,7).
Auch Anna, die Prophetin, empfing Jesus in demselben Geist (Lk 2.36-38). Und noch früher, ja, noch vor seiner Geburt wurde Ihm, als beim Gruß Marias das Kind im Leib der Elisabeth vor Freude hüpfte, Anbetung dargebracht. Ebenso erkennt der Engel Gabriel Ihn, noch ehe Er empfangen war, als den Gott Israels, vor dessen Angesicht der Sohn des Zacharias vorangehen musste. Und Zacharias selbst, erfüllt mit Heiligem Geist, erkennt Ihn als den Herrn, dessen Volk Israel war, und als den „Aufgang aus der Höhe“ (siehe Lk 1,76.78).
Wir sehen daher in jedem Zustand und in jeder Handlung Jesu einen Gehorsam mit gänzlicher Selbstverleugnung und eine Unterwürfigkeit der seltensten Art. Und was war der Dienst nach der Beurteilung dessen, vor dem derselbe ausgeübt wurde? Als der in Bethlehem Geborene, der Beschnittene, der Getaufte und der Gesalbte, als der Dienende, der Leidende, der Gekreuzigte, und schließlich als der Auferstandene, hat Er hier auf Erden vor den Augen Gottes gewandelt. In dem Schoß der Jungfrau, in der Stille von Nazareth, in dem Opfer seiner selbst am Kreuz, sowie in dem Glanz der Auferstehung — kurz, in allen Umständen war Er, dessen Name „Wunderbarer“ ist, unter der Sorge Gottes und war fortwährend zum Wohlgefallen Gottes. In allem vollkommen und fleckenlos, erneuerte Er die Wonne Gottes an dem Menschen zu einem weit höheren Maß, als sie zu dem Zeitpunkt gewesen war, als der Mensch zuerst nach dem Bild Gottes erschaffen wurde.
Die Majestät der Person Jesu verlieh seinem ganzen Leben des völligen Gehorsams eine Herrlichkeit, die es unbeschreiblich wertvoll machte. Diese Herrlichkeit bestand nicht nur darin, dass sein Gehorsam und sein Dienst freiwillig waren, sondern vornehmlich in der Majestät seiner Person, die durch den HERRN der Heerscharen als sein „Genosse“ bezeichnet wird (Sach 13,7). Und wer ist imstande, die Größe dieser Majestät zu ermessen‘? Wir werden dies in etwa aus eigener Erfahrung verstehen. Je höher die Stellung dessen ist, der uns einen Dienst erweist, desto größeren Wert werden wir seinem Dienst beimessen. Und dies zu Recht; denn er hat sich, um unser Diener zu sein, weit mehr verleugnen müssen als ein anderer von geringerer Stellung. Unser Herz fühlt dann auch, dass er nicht sein eigenes Interesse, sondern unseren Vorteil gesucht hat; und dass er bemüht ist, unseren Wünschen und Bedürfnissen zu dienen. Wir können nie den Wert der Person von ihrem Dienst trennen. Und so verhält es sich auch mit dem Geheimnis, welches uns jetzt beschäftigt. Der Gehorsam Jesu war vollkommen und aller Annahme wert. Doch über dem Charakter seiner Handlungen steht die Würdigkeit der Person, die diese Handlungen vollbrachte und die diese in tausendfacher Weise verherrlichte.
Ebenso war es in Bezug auf seinen Tod. Es war seine Person selbst, die seinem Opfer oder seinem Tod alle Kraft verlieh. Und es war seine Person, die allem, was Er in seinem Leben des selbstverleugnenden Gehorsams tat, eine ganz besondere Herrlichkeit beifügte. Das Sinnbild des zerrissenen Vorhangs zeigt dem Glauben das vollkommene Wohlgefallen Gottes an jeder Handlung des Lebens Jesu. Möchte Gott, indem wir den Pfad Jesu von der Krippe bis zum Kreuz genau verfolgen, uns Augen geben, um zu sehen, und Ohren, um zu hören! Das Auge Gottes ruhte, während seines ganzen Erdenlebens voller Gehorsam, mit unbeschreiblicher Wonne auf allem, was Er tat, und auf allem, was Er war.
Die Knechtsgestalt war in Jesus ebenso eine Wirklichkeit wie die Gestalt Gottes. Die Knechtsgestalt war nur eine angenommene, die Gestalt Gottes hingegen eine Ihm von Ewigkeit her ganz angehörende. Dieses vorausgesetzt, waren seine Handlungen diejenigen eines Dieners, seine Herrlichkeiten und Vorrechte diejenigen Gottes. Er betete, Er verharrte die ganze Nacht im Gebet, Er lebte durch den Glauben als das vollkommene Vorbild für den Gläubigen, so wie Er der „Anfänger und Vollender des Glaubens“ genannt wird (Heb 12,2). In den Leiden nahm Er zu Gott seine Zuflucht. In Gegenwart seiner Feinde übergab Er sich dem, der gerecht richtet. Er tat nie seinen eigenen Willen, so vollkommen dieser Wille auch immer war, sondern den Willen dessen, der Ihn gesandt hatte. In diesen und allen ähnlichen Wegen zeigt sich die Knechtsgestalt des Herrn Jesus in ihrer ganzen Fülle. Es war eine erhabene und lebendige Wirklichkeit. Von Anfang bis Ende war das Leben dieses vollkommenen Dieners ein Leben des Glaubens.
Im Brief an die Hebräer wird Jesus uns als der „Apostel und Hohepriester des Bekenntnisses “ vor Augen gestellt (Heb 3,1; 12,2.3). Als der Hohepriester steht Er vor uns, um unsere beunruhigten Gewissen zu erleichtern und um uns in unseren verschiedenen Versuchungen zu Hilfe zu kommen. Als Anfänger und Vollender des Glaubens ermutigt Er unsere Herzen zu dem Leben des Glaubens in seiner Nachfolge. Im ersten Fall steht Er allein, im zweiten Fall ist Er mit einer großen Wolke von Zeugen in Verbindung (Heb 12,1). Im ersten Fall handelt Er für uns; im zweiten steht Er als Vorbild vor unseren Augen. Doch selbst in dieser Beziehung besteht zwischen Ihm und den Seinen ein großer Unterschied; denn der Heilige Geist fordert uns auf, auf Jesus zu sehen, und nicht auf die Wolke von Zeugen, von denen wir rundherum umgeben sind.
Ferner hat das Erdulden des Widerspruchs von den Sündern gegen Ihn (Heb 12,3) das Leben des Herrn Jesus zu einem Leben der Prüfung und des Glaubens gemacht. Diese Worte sind bemerkenswert. Eine große Zahl von Heiligen, die, wie Er, zu dem guten Kampf des Glaubens berufen waren, hatten Spott und Hohn, Geißelungen und die Schärfe des Schwertes erduldet. Sie waren in den Höhlen der Erde umhergeirrt und in Unterdrückung, in Fesseln und Gefängnissen gewesen. Doch von ihrem Kampf inmitten dieser Dinge, von dem Erdulden des „Widerspruchs von den Sündern gegen sich“ wird nichts gesagt. Diese Worte besitzen eine Kraft und Erhabenheit, die nur ganz allein auf das Glaubensleben des Herrn eine Anwendung finden, wovon der Heilige Geist in Psalm 16 eine Beschreibung gibt. Dort wird uns der Sohn Gottes als der vorgestellt, für den „der Glaube ... eine Verwirklichung dessen ist, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht“ (Heb 11,1). Er genießt das priesterliche Teil und Los. Er stellt den Herrn beständig vor sich. Er weiß, dass Er nicht wanken wird, weil der Herr zu seiner Rechten ist. Er richtet seinen Blick auf die Lieblichkeiten, die zur Rechten Gottes sind, und auf die Fülle der Freude, die vor dem Angesicht Gottes ist. Psalm 116 beschreibt das Ende seines Glaubenslebens in der Auferstehung unter Lob und Anbetung, und der Apostel Paulus kann in „demselben Geist des Glaubens“ von dem Anteil reden, den er mit seinem Anführer und Herrn an der Auferstehungsfreude hatte (2Kor 4,13.14).
„Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen“ (Heb 2,13). Das ist die Sprache Jesu während seines ganzen Lebens. Aber sein Glaube war Gold, ja, reines Gold. Durch Feuer erprobt kam sein Glaube ebenso rein wieder aus dem Schmelztiegel hervor wie er hineingegangen war, und nirgends zeigten sich Schlacken. Es ist nötig, dass die Gläubigen durch die Feuerprobe geläutert werden. Ihre Ungeduld, ihre Eigenliebe, ihr Murren usw. — alles muss vernichtet und zum Schweigen gebracht werden (s. Ps 72 u. 77). Hiob unterlag der Prüfung, obwohl er selbst oft die schwachen Arme gestärkt und die Strauchelnden durch seine Worte aufgerichtet hatte. Der Stärkste fällt oft zuerst. Petrus schläft in Gethsemane; er spricht Lügen und Flüche aus in der Nähe des Gerichtshofes. Doch ein Mensch hat hier auf der Erde gelebt, bei dem der siebenfach geheizte Ofen nur umso mehr seine unaussprechliche Würdigkeit ans Licht stellte!
Man lese Lukas 23 und betrachte dort den Herrn Jesus in dem Feuer der Glaubensprüfung. Zuerst sehen wir Ihn gegenüber den Leiden, die auf Ihn warteten. Danach ist er mit seinen Jüngem, dann mit seinem Vater, und schließlich mit seinen Feinden beschäftigt. Wie unbeschreiblich vollkommen war dieser Glaube in stets unverfälschter Reinheit, als er durch das Feuer erprobt wurde! Das ganze Leben Jesu war das Leben und der Gehorsam des Glaubens. Von der einen Seite betrachtet, war es sicher das Leben des Sohnes Gottes, der in „Knechtsgestalt“ sich selbst bis zum Tod erniedrigte, obwohl Er in Gestalt Gottes war und „es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein“ (Phil 2,6). Doch andererseits hat Jesus wahrlich das Leben des Glaubens gekannt, wenn Er sagt: „Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen“ (Heb 2,13). „Ich habe den HERRN stets vor mich gestellt; weil er zu meiner Rechten ist, werde ich nicht wanken“ (Ps 16,8). Das waren seine Gedanken; und wir beten lhn an in diesem Glaubensleben. Ja, voll Bewunderung heben wir unsere Blicke zu Ihm empor und preisen seine unaussprechliche Liebe. Und dieses kostbare Glaubensleben fand in der Sorge und Bewahrung Gottes seine Antwort. „Wer im Schutz des Höchsten sitzt, wird bleiben im Schatten des Allmächtigen“ (Ps 91,1) Der Glaube des Knechtes Gottes auf der Erde war ebenso vollkommen wie die Antwort dessen, der im Himmel wohnt.
Vom Schoß seiner Mutter an bis in sein Grab war Gottes Sorge, die über Jesus wachte, ununterbrochen. Sein Geist hat dieses bereits durch den Mund seiner Propheten verkündigt. „Du bist es, der ... mich vertrauen ließ an meiner Mutter Brüsten. Auf dich bin ich geworfen von Mutterschoß an; von meiner Mutter Leib an bist du mein Gott“ (Ps 22,10.11). — Es war eine unermüdliche Sorge. „Du erhältst mein Los“ (Ps 16,5). „Mein Fleisch wird in Sicherheit ruhen. Denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht lassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe“ (P 16,9.10). Die Hilfe, die Sorge, die Wachsamkeit des Vaters über den Sohn — alles war für Ihn. Gott wachte über Ihn in jener Nacht, als Joseph durch den Engel gewarnt und aufgefordert wurde, nach Ägypten zu fliehen. Es war des Vaters unaussprechliche Freude, in dieser Stunde über den geliebten Sohn Wache zu halten. Der Wächter Israels konnte auch damals nicht schlummern: „Siehe, der Hüter Israels, er schlummert nicht und schläft nicht“ (Ps 121,4).
Doch weit entfernt, den göttlichen Rechten Jesu Abbruch zu tun, erhalten diese Umstände vielmehr gerade dadurch ihre Bedeutung. Die Herrlichkeit des Verhältnisses zwischen Vater und Sohn sowie die damit verbundene Freude und Wonne sind verloren, wenn die Herrlichkeit der Person Jesu nicht im Auge behalten und verehrt wird. Zur Zeit der Flucht nach Ägypten in den Armen seiner Mutter war Er ebenso Gott, „offenbart im Fleisch“, wie während des Augenblicks im Garten Gethsemane, wo die Feinde angesichts seiner Macht und Hoheit zu Boden fielen. Er war als Kind zu Bethlehem ebenso Immanuel, wie Er es jetzt ist zur Rechten der Majestät in der Höhe4. Der ganze Weg von dem Schoß seiner Mutter bis zum Kreuz war ein Weg der Selbsterniedrigung. Wenn man hieran zweifelt, dann vergisst man, wer Er war. Betrachten wir aber dieses herrliche Geheimnis aus einem anderen Blickwinkel, dann sehen wir seine Abhängigkeit vom Vater sowie die zärtliche und vollkommene Sorge, die der Vater unaufhörlich hat.
In den vier Evangelien wird uns die Person des Herrn auf verschiedene Weise und in einem verschiedenen Charakter dargestellt. Er war der Gegenstand der fortdauernden Sorge des Vaters und zugleich der „Genosse“ des HERRN (Sach 13,7). Es wird uns erlaubt, unseren Blick auf den Pfad zu richten, auf dem Er durch göttliche Sorge und Wachsamkeit Beschirmung fand. Voll Bewunderung sehen wir das helle Licht und schauen die vortreffliche Herrlichkeit an, wo seine Rechte und Ehren als Sohn Gottes vor unserem Auge enthüllt werden.
Jesus konnte sagen: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten“ (Joh 2,19). Zugleich konnte der Heilige Geist erklären, dass „der Gott des Friedens ... aus den Toten wiederbrachte ... den großen Hirten der Schafe“ (Heb 13,20). Die Feinde, die Ihn töten wollten, fielen zu Boden, als sie seine Stimme hörten; aber genauso sehr erkannte sein völliger Glaube so vollkommen die Sorge und Obhut Gottes an, dass Er sagte: „Oder meinst du, dass ich nicht meinen Vater bitten könnte und er mir jetzt mehr als zwölf Legionen Engeln stellen würde?“ (Mt 26,53). Durch eine Berührung des Ohres heilte Er den Diener des Hohenpriesters, während Er Stunden später zuließ, dass sein eigenes Haupt unter der Dornenkrone blutete.
In der Vollkommenheit seines Zustandes als der, welcher sich selbst erniedrigt hatte, konnte Er das Mitgefühl der Seinigen fordern und sagen, „Nicht eine Stunde vermochtet ihr mit mir zu wachen?“ (Mt 26,40) — und einige Stunden später, und zwar in gewissem Sinn in einem Augenblick von größerem Schmerz, konnte Er das Mitleid der Töchter Jerusalems von sich weisen und den Glauben eines sterbenden Schwerverbrechers dadurch krönen, dass Er ihm das Paradies verhieß. Dann selbst in der Stunde der tiefsten Erniedrigung strahlt uns seine Herrlichkeit entgegen. Er lässt die Sünder verstehen, dass sein Kreuz nicht das Mitleiden der Menschen, sondern ihren Glauben erfordert, und dass Er kein bloßes Gefühl aufwecken möchte, sondern sie durch den Glauben an das Kreuz mit dem vollen Frieden des Gewissens segnen will. Er will nicht, dass man sein Kreuz beklagt, sondern dass man sich darauf stützt und weiß, dass dasselbe — obwohl in Schwachheit vollbracht — dennoch ein Stützpfeiler ist, worauf die Schöpfung Gottes in Ewigkeit ruht.
In verschiedenen und dennoch harmonischen Zügen finden wir das Leben Gottes im Fleisch. Sollte, weil seine göttliche Natur wahr ist, deshalb seine menschliche Natur weniger wahr sein? Nein! Die Tränen Jesu über Jerusalem waren so wirklich, als ob nichts anderes in seinem Herzen war als der Schmerz über ein widerstrebendes, ungläubiges Volk, das seinen Messias und Heiland verwarf. Und dennoch war in demselben Augenblick seine Freude an dem Vorsatz der göttlichen Weisheit und Gnade ebenso ungeteilt. Das „Wehe dir, Chorazin!“ war ebenso der Ausdruck der lebendigen und wahrhaftigen Liebe in der Seele Jesu wie seine kurz nachher gesprochenen Worte: „lch preise dich, Vater!“ (Lk 10,13.21). So wurden durch die Knechtsgestalt in all ihren Vollkommenheiten sowie durch die Gestalt Gottes, in der ganzen ihr eigentümlichen Herrlichkeit, in ein und derselben Person so wahrhaftige und lebendige Geheimnisse offenbart.
Sollten wir nicht oft bei der herrlichen Person Jesu verweilen und die verschiedenen Handlungen seines Lebens und das Geheimnis seiner Liebe und Wahrheit betrachten? „Die Furcht des Herrn ist rein“ (Ps 19,10). Es gibt aber auch eine unreine Furcht, die einen Geist des Unglaubens und der Gesetzlichkeit in sich birgt — und das hindert, in solche Wunder einzudringen. Wahrlich, das Geheimnis ist „groß“. Doch dasselbe konnte man auch von jenem wunderbaren Ereignis sagen, zu dem Mose sich mit unbeschuhten Füßen nahte, um es zu betrachten. Hätte er dies nicht getan, dann wäre er ungesegnet geblieben. Aber nein, er lauschte, bis er entdeckte, dass der große „Ich bin, der ich bin “ (1Mo 24,40), der Gott Abrahams, in dem Dombusch war. Wie seltsam die Weise auch war, in welcher eine Majestät sich verbarg, so war dennoch der HERR, Gott, der Allmächtige, in dem brennenden Dornbusch.
Und wenn wir auf Golgatha den „geschlagenen Hirten“ anschauen, wer anders könnte es sein, als „der Mann“, der der „Genosse“ des HERRN der Heerscharen ist (Sach 13,7)? Und jener verspottete, angespiene, misshandelte Mensch inmitten des den Gerichtshof des Pilatus umringenden Volkes — wer anders könnte es sein als Er, der in den vorigen Tagen das Rote Meer trocken machte und Ägypten mit Finsternis schlug?
Der Heilige Geist liefert in dem Brief an die Hebräer unter anderem den Beweis, dass die Kraft des Priestertums Christi ganz und gar von der Majestät seiner Person abhängt. Man lese die sieben ersten Kapitel.
In unserem Hohenpriester müssen wir einem Menschen begegnen, einem, der fähig ist, den Brüdern Hilfe zu bringen, weil Er, genauso wie wir, in allem versucht worden ist, ausgenommen die Sünde (Heb 4,15). Wir müssen unseren Hohenpriester aus den Schmerzen und Leiden dieser Erde in den Himmel eingehen sehen. Aber genauso notwendig ist es, dass wir in unserem Hohenpriester den Sohn finden, weil kein anderer, der an Fleisch und Blut teil hat, die „Kraft eines unauflöslichen Lebens“ besaß (Heb 7,16). In Übereinstimmung hiermit repräsentiert Melchisedek sowohl die Person als auch die Tugenden, die Hoheit, die Rechte und das Ansehen des wahren Priesters Gottes (siehe Heb 7,1-3). Wir lesen: „Ohne Vater, ohne Mutter, ohne Geschlechtsregister, weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens habend, aber dem Sohn Gottes verglichen, bleibt [er] Priester auf immerdar“. Welch eine Einsicht verleiht uns dies bezüglich des „Apostels und Hohenpriesters unseres Bekenntnisses“ (Heb 3,1). Er kam aus dem Himmel hernieder in der vollen persönlichen Herrlichkeit des Sohnes; und Er kehrte in den Himmel zurück, mit sich führend die Kraft seines Opfers für die Sünde sowie jenes unendliche Mitleiden, wodurch Er den Gläubigen auf der Erde zu Hilfe kommt.
Der Glaube nimmt Kenntnis von Jesus in allen seinen Wegen. Er erkennt in Ihm den Sohn, während Er im Fleisch unter uns wohnte; und als sein Leben der Erniedrigung und der Leiden hier auf der Erde zu Ende ging, erblickte der Glaube den einmal verworfenen und gekreuzigten Menschen verherrlicht im Himmel. Er ist ein und dieselbe Person: Gott, offenbart im Fleisch hier auf der Erde, und der Mensch in der Herrlichkeit droben. Das Wort Gottes sagt von lhm und seiner bewunderungswürdigcn Laufbahn: „Er, der offenbart worden ist im Fleisch, ist gerechtfertigt im Geist, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit“ (1Tim 3,16).
In der Gestalt Gottes war Er wirklich Gott und in der Knechtsgestalt war Er wirklich Knecht. Er hielt es „nicht für einen Raub ... Gott gleich zu sein“ (Phil 2,6), Sondern übte alle göttlichen Rechte aus und bediente sich aller göttlichen Schätze und Hilfsquellen mit völliger Autorität. Und genauso hat Er „sich selbst erniedrigt“ und wurde gehorsam (Phil 2,6-8). Dies ist das Geheimnis. Alles, was wir in der Geschichte Jesu finden, wird durch dieses Geheimnis erklärt. So verhielt es sich mit der Herrlichkeit der Wolke auf der Wüstenwanderung. Der Gefährte der Pilger, der alle ihre Verlegenheiten teilte, war gleichzeitig der Herr des Heeres. Die Herrlichkeit, welche während der Streifzüge Israels die Wüste durchzog, war zugleich auch die Herrlichkeit, welche zwischen den Cherubim im Allerheiligsten wohnte.
Verweilen wir noch einen Augenblick bei Philipper 2,5-11, wo wir die Worte lesen: „Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben“. Hier wird aufs Neue unsere Bewunderung wachgerufen. Denn was konnte Jesus noch mehr erhöhen? Bevor Er in sein Leben des Leidens und der Herrlichkeit eintrat, war Er schon in sich selbst unendlich groß und erhaben. Nichts war imstande, Ihn persönlich zu erhöhen, weil Er der „Sohn“ war und die unendliche und unermessliche Herrlichkeit Gottes bereits besaß. Keine andere Ehre hätte je seine persönliche Herrlichkeit vergrößern können. Und dennoch sehen wir Ihn einen Weg betreten, der Ihn zu einer noch höheren und — in gewissem Sinne — noch kostbareren Majestät und Herrlichkeit führte. Welch ein wunderbares Geheimnis!
Da die Heilige Schrift uns erlaubt, göttliche Dinge durch Gleichnisse zu erklären, so wollen wir uns diese Gedanken auf diesem Weg zu verdeutlichen suchen. Ein Königssohn zieht aus, um durch eigenen Verdienst den Rang und die Würde zu erlangen, die ihm bereits zufolge seiner Geburt zukommt. Diese erworbene Größe wird, obwohl sie ihn persönlich nicht weiter erhöhen kann, dennoch einen großen Wert für ihn haben und zugleich ein Grund sein, dass ihm noch mehr Achtung und Anerkennung seitens seines Volkes zukommt. Dieser Vergleich mag Licht auf das bewunderungswürdige Geheimnis des Sohnes Gottes werfen. Nach ewigem Ratschluss hat Er sich zum Streit gegürtet; und die Ehre, die Er sich erworben, sowie die Siege, die Er erlangt hat und noch erlangen wird, werden für ewig seine Wonne ausmachen. Er wird in dem Licht und in dem Charakter dieser Tatsachen erkannt und für immer gerühmt werden, obwohl Er, was sein Wesen betrifft, ein für den Menschen unzugängliches Licht bewohnt.
In 2Mo 3 teilt Gott seinem Knecht Mose, redend aus dem brennenden Dornbusch, den Namen mit, den Er allein besitzt: „Ich bin, der ich bin“(2Mo 3,14). Doch zugleich lässt Er den Namen erkennen, den Er sich erworben hat, indem Er sich als „der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“ bezeichnet. Und diesem zweiten, dem erworbenen Namen, fügt Er die Worte hinzu: „Das ist mein Name auf ewig, und das ist mein Gedächtnis von Geschlecht zu Geschlecht“ (2Mo 3,15). Diese Worte verkündigen uns den Wert, den Er auf die Herrlichkeit setzt, die sein — zugunsten armer Sünder — vollbrachtes Werk Ihm erworben hat. Ebenso war es auch bezüglich der Stiftshütte und des Tempels. Nicht der Name, der seinem Wesen eigentümlich ist, war dort zu lesen und aufgezeichnet, sondern derjenige, den Er sich erworben hatte. Die Geheimnisse des Heiligtums reden nicht von der Allmacht, nicht von der Allwissenheit, nicht von der Ewigkeit oder von übrigen Herrlichkeiten seines Wesens, sondern von einem, bei dem „Barmherzigkeit ... sich gegen das Gericht rühmt“ (Jak 2,13), und der einen Weg gefunden hat, auf dem Er seine Verbannten zu sich heimbringt. — Wahrlich, das sind Zeugnisse von dem Wert, den Jesus auf den Namen setzt, den Er dadurch erwarb, dass Er sich uns weihte. Doch „Gott ist Liebe“ (1Joh 4,8). Dies ist die Ursache von allem; und dies ist die Erklärung des Geheimnisses. Wie vortrefflich und bewunderungs- würdig die Offenbarungen auch sein mögen, so lassen sie doch nur die verborgenen Quellen erkennen, die in Ihm selbst geöffnet sind.
Wir sollten Jesus sowohl als „geboren unter Gesetz“, als auch in seiner persönlichen Herrlichkeit, weit über jedes Gesetz erhaben, kennen. Sein ganzes Leben war das eines gehorsamen Knechtes. Wiewohl Er Gott über alles, der HERR Israels und der Schöpfer der Enden der Erde war, so war Er doch zugleich der Mensch Christus Jesus. Er war Jesus von Nazareth, der gesalbt mit dem Heiligen Geist das Land durchzog, Gutes tat, sowie Kranke und Besessene heilte; denn Gott war mit Ihm.
In dem Licht dieser Wahrheiten schauen wir Ihn, und in diesem verschiedenen Licht lesen wir seine Geschichte. Er teilte den Heiligen Geist mit; und war dennoch selbst mit dem Heiligen Geist gesalbt. Der Sohn kam, um Teil zu haben an Fleisch und Blut. So hatte es der Weg und die Gnade des ewigen Ratschlusses Gottes gewollt — und so hatten es unsere Bedürfnisse notwendig gemacht. Er ist „in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden“ (Phil 2,7), Er wurde in einem Leben gänzlicher Abhängigkeit von Gott erprobt und vollbrachte ein Sterben, welches, neben anderen grossen Zwecken, in vollkommener Unterwerfung unter Gott ins Werk gestellt wurde. Das war der Zustand, den Er zufolge des ewigen Bundes auf sich nahm. Und in diesem Zustand war Er vollkommen im Wirken, Leiden und Dienen, vollkommen in den Schmerzen, den Seufzern, den Tränen, der Arbeit und der Mühe als Sohn des Menschen auf der Erde.
Und noch mehr. Selbst jetzt, während Er im Himmel ist, hat Er sich in einem gewissen Sinn nicht ganz von diesem Zustand getrennt. Er erwartet dort eine Verheißung des Vaters; und nachdem Er diese Verheißung empfangen hat, lebt Er darin bis auf diesen Tag. „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde hinlege als Schemel für deine Fülle“ (Ps 110,1). Dies wurde zu Jesus bei seiner Himmelfahrt gesagt; und im Glauben an dieses Wort und in der Hoffnung desselben nahm Er seinen Platz im Himmel ein und „hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes, fortan wartend, bis seine Feinde hingelegt sind als Schemel seiner Füße“ (Heb 10,12.13).
Hier ist die Hoffnung als Antwort auf die Verheißung; und diese wurde im Herzen Jesu gefunden, sowohl als Er hier auf der Erde der glaubende, hoffende und gehorsame Sohn war, als auch dann, als Er zum Himmel auffuhr und sich zur Rechten Gottes niedersetzte. Und wenn wir den Kreis noch weiter bis zu seiner künftigen Herrlichkeit ausdehnen, so sehen wir Ihn auch dann noch unterwürfig. „Jede Zunge“ soll bekennen, „dass Jesus Christus Herr ist“, doch es wird „zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ sein (Phil 2,11).
Wenn das Reich übergeben werden wird, so lesen wir: „dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei“ (1Kor 15,28). Und auch in dieser Stellung des Unterworfenseins wird es in der Herrlichkeit seine Wonne sein, den Heiligen zu dienen, so wie wir lesen: „Er wird sich umgürten und sie sich zu Tisch legen lassen und wird hinzutreten und sie bedienen“ (Lk 12,37). Und wiederum: „Der, der auf dem Thron sitzt, wird sein Zelt über ihnen errichten. Sie werden nicht mehr hungern und nicht mehr dürsten, noch wird je die Sonne auf sie fallen, noch irgendeine Glut; denn das Lamm, das in der Mitte des Thrones ist, wird sie weiden und sie leiten zu Quellen der Wasser des Lebens, und Gott wird jede Träne von ihren Augen abwischen“ (Off 7,15-17).
4Ich will hierdurch nicht behaupten, dass bei der Flucht nach Ägypten das „Kind“ selbst irgendeinen Willen betätigte. Eine solche Behauptung würde über die Schrift hinausgehen. Aber diese Handlung, wie alles andere von Bethlehem bis nach Golgatha hin, trägt den Charakter eines sich selbst verleugnenden Gehorsams.↩︎