John Gifford Bellet
Schriften von J.G. Bellet
Die moralische Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus als Mensch
Er brauchte sich nie zu entschuldigen oder zu rechtfertigenEr brauchte sich nie zu entschuldigen oder zu rechtfertigen
Wir haben also gesehen wie vollkommen an sittlicher Herrlichkeit und Schönheit die Wege des Sohnes des Menschen waren. Das Leben des Herrn Jesus war wie das glänzende Licht einer Lampe. Ja, ein Leuchter stand im Hause Gottes, der weder „Lichtschneuzen” noch „Löschnäpfe von reinem Golde” nötig hatte (vgl. 2Mo 25,38), und der stets vor dem Angesicht des Herrn zugerichtet und mit dem „reinen, zerstoßenen Olivenöl” gefüllt war (2Mo 27,20). Er erleuchtete alles, was Ihn umgab, verurteilte und strafte alles, was verurteilt und gestraft werden mußte, und verrichtete Seinen Dienst, ohne selbst jemals Anlaß zu einem Tadel zu geben.
Wie oft der Herr auch durch Seine Jünger oder durch Seine Widersacher beschuldigt werden mochte, so suchte Er Sich doch nie zu entschuldigen. Bei einer Gelegenheit beklagen sich Seine Jünger über Ihn; sie sagen: „Lehrer, liegt dir nichts daran, daß wir umkommen?” (Mk 4,38). Aber Er denkt nicht daran, Sein Schlafen zu rechtfertigen, das sie mit ihren vorwurfsvollen Worten stören. Zu einer anderen Zeit machen sie die Bemerkung: „Meister, die Volksmenge drängt und drückt dich, und du sagst: Wer ist es, der mich angerührt hat” (Lk 8,45)? Doch Er hatte nicht nötig, Seine Frage zu rechtfertigen; das zeigt die sofortige Heilung jener Frau. - Wieder zu einer anderen Zeit sagt Martha zu Ihm: „Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben” (Joh 11,21). Aber Er entschuldigt Sich nicht wegen Seines langen Ausbleibens, sondern belehrt Martha über den wunderbaren Charakter, den Sein Zögern hier hatte. Und wie herrlich wurde Sein Zögern gerechtfertigt!
So war es bei jeder ähnlichen Gelegenheit. Mochte Er beschuldigt oder getadelt werden, Er widerrief nie ein Wort, trat niemals einen Schritt zurück. Er strafte jede Stimme, die sich richtend wider Ihn erhob. Seine Mutter weist Ihn in Lukas 2,48 zurecht; aber statt ihre Beschuldigung aufrecht erhalten zu können, muß sie sich durch Ihn von ihrem Irrtum überführen lassen. Petrus nimmt sich heraus, Ihn mit den Worten zu ermahnen: „Gott behüte dich, Herr! dies wird dir nicht widerfahren” (Mt 16,22). Aber er muß lernen, daß Satan selbst es war, der ihm diesen Rat eingeflüstert hatte. Der Diener im Palast des Hohenpriesters geht noch weiter, indem er den Herrn scharf zurückweist und Ihm einen Backenstreich gibt (Joh 18); aber er wird überführt, angesichts des Gerichtshofes die Gesetze schändlich übertreten zu haben.
Alles das zeigt den Weg des vollkommenen Lehrers. Der Schein mochte zuweilen gegen Ihn sein. Warum schlief Er in dem Schiff, während Wind und Wellen tobten? Warum ließ Er Sich auf dem Wege aufhalten, während die Tochter des Jairus im Sterben lag? Warum blieb Er an dem Ort, wo Er war, als Sein Freund Lazarus in dem abgelegenen Bethanien krank lag? Der Schein war tatsächlich gegen Ihn; aber auch nur der Schein, und auch das nur für einen kurzen Augenblick. Wir haben von diesen Wegen des Herrn Jesus, von Seinem Schlafen, gehört, von Seinem Zögern auf dem Wege und Seinem Bleiben an einem Ort; aber wir haben auch das Ende dieser Wege gesehen, daß in allem nur Seine Vollkommenheit hervortrat. Auch in den Tagen der Patriarchen war der Schein gegen den Gott Hiobs. Eine Trauerbotschaft folgte auf die andere; war das nicht zu hart und grausam? Aber der Gott Hiobs hatte Sich ebensowenig zu entschuldigen wie der Jesus der Evangelien (Jak 5,11).
Wenn wir daher den Herrn Jesus als den Leuchter des Heiligtums, das Licht des Hauses Gottes, betrachten, so finden wir, daß die „Lichtschneuzen und Löschnäpfe” im Blick auf Ihn ganz und gar unnötig waren. Aus diesem Grund mußten auch alle, die sich anmaßten, Ihn zu tadeln und zu beschuldigen, selbst bestraft und beschämt davongehen. Sie gebrauchten die Löschnäpfe und Lichtschneuzen für eine Lampe, die ihrer nicht bedurfte, und verrieten dadurch nur ihre eigene Torheit; und das Licht dieser Lampe strahlte um so heller, nicht weil die Lichtschneuzen gebraucht worden waren, sondern weil es durch ihren Gebrauch in den Stand gesetzt wurde, ein neues Zeugnis - und das geschah bei jeder Gelegenheit - von der Tatsache abzulegen, daß es jene Geräte nicht nötig hatte.
Alle diese Beispiele geben uns die nützliche Unterweisung, daß es für uns weitaus das Beste ist, uns als ruhige Zuschauer zu verhalten und den Herrn in Seinem Tun nicht zu stören. Wir dürfen anschauen und anbeten, aber nicht uns einmischen und Ihn unterbrechen, wie die Feinde, die Verwandten und selbst die Jünger der damaligen Zeit es taten. Sie konnten dieses hell leuchtende Licht nicht glänzender machen; sie sollten sich nur des Lichts erfreuen und in seinen Strahlen wandeln, ohne es putzen und zurichten zu wollen. Möchte unser Auge einfältig sein; dann wird sicher die Lampe des Herrn, auf den Leuchter gestellt, unseren ganzen Leib mit Licht erfüllen!
Doch gehen wir weiter. So wie der Herr Jesus Sich während Seines Dienstes nie vor dem Urteil der Menschen zu rechtfertigen suchte, so machte Er auch keinen Anspruch auf menschliches Mitleid in der Stunde Seiner Schwachheit, als alle Mächte der Finsternis wider Ihn losgelassen waren. Als Er der Gefangene der Juden und Heiden geworden war, flehte und bat Er in keiner Weise um Erleichterung oder Freilassung. Er appellierte nicht an das Mitgefühl Seiner Umgebung und trat auch nicht für Sein Leben ein. Im Garten Gethsemane war Sein Gebet zum Vater emporgestiegen; aber durch kein Wort suchte Er das Herz des jüdischen Hohenpriesters oder des römischen Landpflegers zu rühren. Alles, was Er in jener Stunde zu Menschen sagte, diente nur dazu, die Sünde ans Licht zu stellen, die der Mensch, Jude wie Heide, im Begriff stand, zu begehen.
Welch ein Gemälde! Wer könnte ein solches Thema bis in seine Tiefen erfassen! Es war der vollkommene Mensch, der einmal hier auf der Erde in der Fülle jener moralischen Herrlichkeit wandelte, deren Strahlen der Heilige Geist auf den Blättern der Evangelien aufgezeichnet hat. Nächst der einfältigen, glückseligen und festen Gewißheit Seiner persönlichen Liebe zu uns (der Herr möge sie in unseren Herzen vermehren!) gibt es wirklich nichts, was unser Verlangen, bei Ihm zu sein, brennender machen könnte, als die Entdeckung dessen, was Er Selbst ist. Ich habe einen Bruder, der in den vier Evangelien die herrlichen, lichtvollen Wege des Herrn verfolgt hatte, mit einem Herzen voller Liebe und unter Tränen ausrufen hören: „Oh, daß ich bei Ihm wäre!” Wenn es mir erlaubt ist, für andere zu sprechen, dann, geliebte Freunde, muß ich sagen, daß es das ist, was uns mangelt und was wir begehren. Wir kennen diesen Mangel, aber wir dürfen auch hinzufügen: der Herr kennt unser Begehren.