John Gifford Bellet
Schriften von J.G. Bellet
1Kor 15,28 - „Dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der ihm alles unterworfen hat“1Kor 15,28 - „Dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der ihm alles unterworfen hat“
Es ist ein beglückender und erbaulicher Gedanke, dass der Herr Jesus, der hier auf der Erde war, derselbe ist, der jetzt im Himmel ist, und dass wir Ihn in alle Ewigkeit kennen werden. Wenn wir das in lebendigem Glauben festhalten, so wird jede Einzelheit seines Lebens hier auf der Erde mit immer neuer Frische und Kraft vor unsere Seele treten, und wir werden erfahren, dass die vier Evangelien weit wunderbarer und gesegneter zum Nachsinnen sind als wir vielleicht annehmen könnten.
In den Tagen seines Wandelns unter uns war für Christus alles eine lebendige, seine Person berührende Wirklichkeit. Er behandelte nichts oberflächlich. Wenn Er eine Wunde heilte beziehungsweise einen Schmerz oder Kummer stillte, so fühlte Er es tief. „Er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen“ (Jes 53,4). Sein Geist trank aus den Quellen wie aus dem Strom. Nicht nur waren seine Freuden und Leiden, seine Befürchtungen und Enttäuschungen wirklich und wahr, sondern Er ging auch auf jeden vorliegenden Fall, entsprechend dessen ganzem Charakter, ein. Er verstand die stumme Sprache jener verlangenden Seele, die Ihn inmitten der Menge von hinten anrührte (Lk 8,43-48). Er fühlte diese Berührung in ihrer ganzen Bedeutung. Ihn erfüllte der Glaube jenes heidnischen Hauptmanns mit großer Freude, der die dichte Wolke seiner Erniedrigung durchbrach und die hinter derselben verborgene göttliche Herrlichkeit seiner Person erblickte (Mt 8,8). Er erfreute sich an dem kühnen, aber nicht zu kühnen Glauben jener großen Sünderin, welche die finstere Wolke ihrer eigenen Sünde und Schande durchbrach und die göttliche Gnade erreichte, die allein imstande war, ihr völlige Heilung zu bringen (Lk 7). Er verstand den eiligen Schritt des Zachäus, als er den Maulbeerfeigenbaum bestieg (Lk 19.4), sowie das Sinnen von Nathanael, als dieser unter dem Feigenbaum saß (Joh 1,45). Er vernahm den Streit der Jünger, als sie nach Jerusalem hinaufgingen; ja, Er nahm ihn schon in der inneren Erregung ihrer Begierden wahr, noch ehe er offen zum Ausbruch kam. Er kannte auch die Liebe sowie das Selbstvertrauen, die Petrus aus dem Schiff auf das Wasser trieben (Mt 14,28).
Wahrlich, wir sollten versuchen, mehr in .eine Gefühle einzudringen, indem wir die wunderbaren Berichte des Herrn in Erinnerung an das eben Gesagte lesen. Ich bin überzeugt, wenn wir in dieser Weise mehr der Hand nachspürten, die die Tat vollbracht hat, oder dem Fuß folgten, der den Weg gegangen ist, so würden jede Tat und jedes Wort einen neuen, vorher ungekannten Eindruck auf uns machen — und was könnte gesegneter sein und mehr zu unserer Förderung dienen als dies? Wäre es nicht in hohem Maß erbaulich für uns, wenn wir auf diese Weise inniger mit einem lebendigen, persönlichen Heiland bekannt würden? In unserer Zeit ist die Neigung vorhanden, Ihn selbst in dem allge- meinen Zeugnis von seinem Werk zu vergessen. Das Gebiet der Lehre wird oft mit dem Maßstab oder der Richtschnur abgemessen, anstatt es mit bewunderndem, anbetendem Herzen als den Schauplatz zu betrachten, auf dem sich die Herrlichkeiten des Sohnes Gottes entfalten. Und doch schätzt Er gerade dieses in uns so hoch. Er hat uns persönlich zum Gegenstand seiner Liebe gemacht; und dies erwartet Er auch von uns.
Und, so möchte ich fragen, ist dies nicht in gewissem Sinn der Höhepunkt von allem? Ist nicht diese persönliche Sehnsucht Christi nach uns das Hervorragendste in seinen Wegen der Gnade? Erzählung, Vorherbestimmung, Vergebung und Sohnschaft — wie herrlich sind alle diese Dinge! Aber sie alle finden ihre Krone in jener Sehnsucht Christi nach uns, in der Tatsache, dass Er uns zum Gegenstand seiner Liebe gemacht hat.
Diese Tatsache setzt in Wahrheit allem anderen die Krone auf. Unsere Annahme als Söhne, unsere Einführung in die Familie Gottes, das Teilhaben am Reich, die Herrlichkeit, kurz gesagt, alles würde mangelhaft sein ohne dieses Geheimnis: dass nämlich der Sohn Gottes in uns einen Gegenstand seiner Sehnsucht gefunden hat. Es umschließt gleichsam alle anderen Werke und Ratschlüsse der Gnade und ist daher erhabener als alle.
Es ist die Freude des Heiligen Geistes, von dem Werk Christi zu zeugen und es in seiner Kostbarkeit und Vollkommenheit dem Herzen und Gewissen nahe zu bringen. Nichts könnte auch vor Gott für uns einstehen, wäre das Werk nicht genau das, was es ist, und wäre es nicht gerade so von Gott geplant und ausgeführt. Aber es kann, wie gesagt, dahin kommen, dass das Werk Jesu Christi uns mehr beschäftigt als seine Person, und dann erleidet die Seele einen großen Verlust!
Ehe wir diese Betrachtungen über den Sohn Gottes schließen, möchte ich noch einen anderen Gedanken vorstellen.
Wenn wir die tieferen und ferner liegenden Gebiete der Wege Gottes betrachten, so haben wir manchmal den Eindruck, als wären sie zu schwierig und zu tief für uns, und wir suchen Erleichterung, indem wir zu bekannten und einfacheren Wahrheiten zurückkehren. Dies braucht nicht so zu sein. Wenn wir jene ferner liegenden Geheimnisse richtig in uns aufnehmen würden, so würden wir erfahren. dass wir es nicht nötig haben, uns zu unserer Erleichterung von ihnen zurückzuziehen, denn sie sind tatsächlich nur andere und tiefere Ausdrücke derselben Gnade und Liebe, die wir ganz zu Anfang unseres Glaubenslebens kennen gelernt haben. Sie sind nur ein reicherer Ausfluss oder ein breiterer Kanal desselben Stromes, gerade weil sie etwas weiter von der Quelle entfernt liegen. Solange diese Gewissheit nicht unsere Seele durchdrungen hat, sind wir nicht imstande, uns mit jenen tieferen Wahrheitcn zu beschäftigen. Wenn wir die Befürchtung hegen, durch die Betrachtung der Herrlichkeiten den Ort der liebenden Zuneigungen zu verlassen, so tun wir der Wahrheit und unseren eigenen Seelen Unrecht. Es ist keineswcgs so. Je völliger sich die Herrlichkeiten vor unseren Blicken entfalten, desto mehr werden die Reichtümer der Gnade enthüllt. Das Verweilen an der Quelle eines Stromes, wo wir ohne Anstrengung den ganzen Gegenstand mit einem Blick in uns aufnehmen können, hat, wie wir wissen, seinen eigenen, besonderen Reiz. Wenn aber das anfänglich kleine Wasser vor unseren Augen zu einem mächtigen Strom wird, der in malerischen Windungen zwischen herrlichen Ufern dahinfließt, so erkennen wir umso mehr, warum er über- haupt jemals seinen Lauf begonnen hat. Es ist noch dasselbe Wasser, und wir können an ihm auf und ab schreiten mit stets wechselnder, aber ununterbrochener Freude. Wir brauchen keine Erleichterung zu suchen, indem wir uns zur Quelle zurückwenden. So ist es auch, wenn wir im Geist (wie jetzt anhand dieser Betrachtungen) den „neuen Himmel“ und die „neue Erde“ erreichen. Wir sehen uns immer noch in Gemein- schaft mit derselben Person sowie mit derselben grenzenlosen Gnade, die wir ganz zu Anfang kennen gelernt haben.
Möchte als Frucht dieser Betrachtungen unsere Seele diesem Einen näher gebracht und Er uns mehr verwirklicht werden! „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“ (Heb 13,8) Er ist dies sowohl in seiner eigenen Herrlichkeit als auch für uns.
In früheren Tagen offenbarte sich der Sohn Gottes manchmal in verhüllter, manchmal auch in unverhüllter Herrlichkeit. Für Abraham an der Tür seines Zeltes, für Jakob in Pniel, für Josua unter den Mauern von Jericho, für Gideon und für Manoah waren die Offenbarungen verhüllt. Der mehr oder weniger starke Glaube zog durch den Geist den Schleier weg und schaute die darunter verborgene Herrlichkeit. Den Propheten Jesaja, Hesekiel und Daniel erschien der Sohn Gottes in unverhüllter Herrlichkeit, und Er musste ihnen den Glanz der Herrlichkeit durch einen gewissen gnädigen Vorhang erträglich machen (Jes 6; Hes 1; Dan 10).
Aber ob verhüllt oder unverhüllt, die Person war stets dieselbe. So war auch in den Tagen, als der Sohn wirklich Fleisch und Blut angenommen hatte, die Herrlichkeit verhüllt und der Glaube musste sie zu entdecken suchen, wie zur Zeit Abrahams oder Josuas. Nach seiner Himmelfahrt erschien Er Johannes in einem solchen Glanz unverhüllter Herrlichkeit, dass Er in seiner Gnade wieder etwas tun musste, wie bei Jesaja oder Daniel, um seinem Knecht seine Gegenwart erträglich zu machen (Off 1).
In dieser Beziehung machten Zeit und Zeiten keinen Unterschied. Selbstverständlich wurde der Sohn nicht „von einer Frau geboren“ ehe die Zeit erfüllt war. Erst da wurde „der, der heilige“, mit den Kindern „Blutes und Fleisches teilhaftig“, wie wir dies in Heb 2,11.14 lesen. Erst da wurde Er in Wirklichkeit der Blutsverwandte des Samens Abrahams. „Er musste in allem den Brüdern gleich werden“ (Heb 2,17). Und alles dieses wartete seine bestimmte Zeit, „die Fülle der Zeiten“, die Tage der Jungfrau von Nazareth. Aber jene Offenbarungen des Sohnes Gottes in früheren Zeiten verbürgten dieses große Geheimnis, dass Gott zu seiner Zeit seinen Sohn senden würde, „geboren von einer Frau“. Sie waren, wenn ich mich so ausdrücken darf, Schatten der kommenden Wirklichkeit. Und diese Schatten waren von wunderbarer Genauigkeit. Sie enthüllten in herrlichen und gnadenreichen Formen im Voraus die Wege dessen, der später hier auf der Erde in demütiger, dienender Liebe umher ging, und der jetzt ewig verherrlicht im Himmel thront — die Wege des Sohnes des Menschen, des Samens der Frau.
Es ist köstlich für die Seele, diese genauen Bilder und Schatten zu betrachten und sie mit den Berichten des Neuen Testaments zu vergleichen. Auf der Tenne zu Ophra sowie beim Brunnen zu Sichar begegnen wir derselben verhüllten Herrlichkeit. Am Ufer des Hiddekel wie auch auf der Insel Patmos schauen wir denselben Glanz unverhüllter Herrlichkeit. Abraham erschien der Sohn Gottes als ein Wanderer in der Hitze des Tages, und gerade so erschien Er den beiden Jüngem auf dem Weg nach Emmaus, als der Tag sich neigte. Er aß von Abrahams Kalb, das „zart und gut“ war; und Er aß von dem gebratenen Fisch und der Honigscheibe inmitten seiner Jünger in Jerusalem. In den Tagen nach seiner Auferstehung nahm Er verschiedene Gestalten an, um nach seiner göttlichen Gnade den Bedürfnissen des jeweiligen Augenblicke zu entsprechen. Genauso hatte Er es vor alters getan, indem Er als Fremdling, bzw. als Gast, Manoah und seiner Frau als ein einfacher „Mann Gottes“ auf dem Feld, oder Josua bei Jericho als bewaffneter Krieger erschien.
Das Wichtigste bei all diesem ist, wie wir schon wiederholt bemerkt haben und immer wieder hervorheben möchten, dass wir in Jesus stets und überall eine und dieselhe Person erblicken, und zwar als ganz nahe und voll Wirklichkeit. Wir brauchen ein klares, geübtes Auges, um einen solchen Himmel, wie der Himmel Jesu sein muss, zu erblicken und um unsere Freude an ihm zu haben. Bedeutet es uns nichts — so müssen wir unsere Herzen wohl fragen —, dass wir die Ewigkeit mit dem Herrn zubringen sollen, der einst aufblickte und dem Auge des Zachäus auf dem Maulbeerfeigenbaum begegnete, und der dann zur innigsten Freude des reichen Oberzöllners ihn bei seinem Namen rief“? Mit Ihm die Ewigkeit zu verbringen, der ohne ein Wort des Vorwurfs eine arme, überführte und aufgewachte Sünderin aus Samaria mit Freude und einem Geist der Freiheit erfüllte, der ihr Herz zum Überströmen brachte? Wahrlich, wir brauchen nichts anderes als einen kindlichen, einfältigen, gläubigen Sinn. Denn wir sind in Ihm nicht verengt, und für Ihn ist nichts köstlicher, als gerade dieser gläubige Sinn. Er verherrlicht Ihn mehr als der Dienst selbst, der Ihm in Ewigkeit dargebracht werden wird.
Die menschliche Natur ist zum Genuss solcher Dinge allerdings nicht fähig. Diese Fähigkeit kann nur durch das Wirken und das Zeugnis des Heiligen Geistes in uns hervorgebracht werden. Die Natur sieht sich überwältigt. Sie verrät sich immer als das, was die Herrlichkeit Gottes „nicht erreicht“, wie der Apostel es ausdrückt (Röm 3,23). Als Jesaja in die Gegenwart dieser Herrlichkeit berufen wurde, konnte er sie nicht ertragen. Er gedachte seiner Unreinigkeit und rief aus: „Wehe mir! Denn ich bin verloren; denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen“ (Jes 6,5). Alles, was er begriff, war, dass er sich angesichts dieser Herrlichkeit befand, und alles, was er in sich fühlte und erkannte, war seine Unwürdigkeit, vor ihr zu stehen. Das war die menschliche Natur. Es war die Tätigkeit des Gewissens, das, wie bei Adam im Garten Eden, der Gegenwart Gottes stets zu entfliehen versucht. Die Natur in dem Propheten entdeckte nicht den Altar, der zugleich mit der Herrlichkeit vor ihm stand. Er bemerkte das nicht, was allein imstande war, ihm vollkommene Ruhe und Sicherheit zu geben und ihn obwohl er in sich selbst ein Sünder blieb — mit der Herrlichkeit in all ihrem Glanz in Verbindung zu bringen. Die Natur konnte diese Entdeckung nicht machen; aber der Bote des Herrn der Heerscharen entdeckte nicht nur den Altar, sondern brachte ihn auch zur Anwendung. Der Prophet sah sich zur Ruhe gebracht durch den Besitz einer Reinheit oder Heiligkeit, die sich mit dem Allerheiligsten selbst und dem Glanz des Thrones des Herrn der Heerscharen messen konnte.
Der Geist geht in seinem Tun über die Natur hinaus, ja, Er handelt im Widerspruch zu der Natur. Die Natur in Jesaja, wie in uns allen, steht abseits, ist bestürzt und nicht fähig, aufzublicken; der Geist aber leitet uns in Freiheit einwärts und aufwärts. Wenn Simeon vom Geist in die Gegenwart der Herrlichkeit geführt wird, so geht er sofort in völligem Vertrauen und mit Freuden. Er nimmt das kleine Kind Jesus in seine Arme. Er bittet weder die Mutter um Erlaubnis dazu noch fühlt er sich irgendjemandem verpflichtet wegen des köstlichen Vorrechts, „das Heil Gottes“, welches seine Augen sahen, in seine Arme zu schließen. Er hatte durch den Geist den Altar entdeckt. Deshalb war die Herrlichkeit nicht zu erhaben für ihn (vg1. Jes 6; Lk 2).
Heute sind diese Dinge noch genauso wahr wie in den Tagen Jesajas oder Simeons. Der Geist leitet uns einen Weg, den die Natur nie betreten kann. Die Natur fürchtet sich, ja, sie tadelt, wo der Glaube voller Freiheit ist. Und diese verschiedenen Wege der Natur und des Glaubens sollten wir stets in Erinnerung behalten, zu unserem Trost und zu unserer Stärkung, wenn wir den Sohn Gottes betrachten und über die mit Ihm in Verbindung stehenden Geheimnisse und Ratschlüsse Gottes nachsinnen.
In unseren Betrachtungen haben wir den Herrn von Ewigkeit her, von dem Schoß des Vaters bis zu den kommenden Tagen des Tausendjährigen Reiches begleitet. Wir haben sein Auf- und Niedersteigen in den zwischen diesen beiden Endpunkten liegenden Zeitaltem beobachtet und uns die Bindeglieder zwischen den einzelnen Teilen dieses großen Geheimnisses oder die Übergangsmomente in den verschiedenen Abschnitten der wunderbaren Laufbahn Jesu versucht, klar zu machen. Die Bibel gibt uns nur wenig Freiheit — und sie ist der alleinige Wegweiser und Kompass für uns , dem Herrn Jesus weiter zu folgen. Die Psalmen und Propheten öffnen die Tür weit in das kommende Reich. Aber sie führen uns kaum darüber hinaus. Alles, was sie tun, ist, dass sie uns wissen lassen, dass es in weiterer Entfernung noch andere Gebiete gibt. Aber sie setzen uns nicht in den Stand, diese zu überschauen und zu ergründen.
Sie reden immer wieder von diesem kommenden Reich als ewig, und zwar als ewig in dem Sinn, dass es nie wieder von einem anderen Reich abgelöst wird. So sagt Daniel z. B., dass die Herrschaft dieses Reiches „keinem anderen Volk überlassen werden wird“ (Dan 2,44). Es ist ebenso unübertragbar wie das Priestertum Christi, des Sohnes Gottes. Es wird so andauernd sein wie die königliche Würde, so lange währen, wie die „von Gott verordnete“ Macht währen wird. Es wird nicht aufhören, solange der, dem alle Macht zukommt, noch irgendetwas mittels dieser Macht auszuführen hat. Zur bestimmten Zeit jedoch wird es sein Werk und seinen Dienst vollendet haben und dann aufhören zu bestehen.
Einer buchstäblichen Andeutung dieses Geheimnisses, des Aufhörens oder Übergebens des Reiches, begegnen wir in Psalm 8. Dieser Psalm preist die Herrschaft des Sohnes des Menschen in den Tagen seiner Macht über die Werke der Hand Gottes. Aber er enthält, wie gesagt, eine Andeutung — deren Sinn wir durch eine inspirierte Erklärung in 1Kor 15,27.28 verstehen —, dass dieser Tag der Macht einer anderen Ordnung der Dinge Platz machen wird.
Es gibt jedoch noch andere bildliche Andeutungen hinsichtlich desselben Geheimnisses. So soll z. B. das Zeitalter, das wir augenbliclich betrachten, den Charakter eines Königreiches tragen, ein Zepter soll herr-schen. Dieser Umstand deutet, wie mir scheint, darauf hin, dass dieses Zeitalter ein Ende haben muss. Oder könnte wohl ein Zepter ein Symbol der ,göttlichen Ewigkeit sein? Ein Zepter mag eine Zeit lang seine Autorität ausüben; aber nach den Belehrungen der Heiligen Schrift kann es kaum ein Symbol unserer Ewigkeit in der beglückenden Gegenwart Gottes sein. Selbst von Adam kann man eigentlich nicht sagen, dass er ein Zepter gehabt hätte. Er herrschte, aber nicht wie ein König. Er war Herr und Erbe der Schöpfung, aber er übte keine königliche Herrschaft aus, obwohl ihm alles völlig unterworfen war und die vollkommenste Ordnung herrschte. Der göttlichen Weisheit gemäß wurde eine lange Zeit hindurch kein Königreich eingesetzt. Alles dieses legt uns den Gedanken nahe, dass, wenn die Zeit eines Königreichs, die Herrschaft eines Zepters oder die Ausübung königlicher Gewalt er- scheint, eine solche Gestalt der Dinge nicht endgültig oder ewig sein wird. Ein Zepter der Gerechtigkeit ist kein so hoher Gedanke wie eine Wohnstätte der Gerechtigkeit; und die Heilige Schrift bestätigt uns, dass in den neuen Himmels und auf der neuen Erde Gerechtigkeit wohnen wird (2Pet 3,1.3).
Eine weitere Andeutung ähnlicher Art liegt in der Tatsache, dass das kommende Reich einen unvollkommenen Zustand der Dinge darstellen wird. Wir brauchen nicht zu bestimmen, wie weit die Notwendigkeit zur Ausübung einer königlichen Gewalt vorhanden sein wird; aber immerhin wird Macht da sein und ausgeübt werden. Die Propheten gestatten uns einen weiten Blick in dieses Reich hinein, in seine Stärke und Ausdehnung, seine Dauer und Herrlichkeit, seinen Frieden und seine Segnungen. Trotz allem aber wird das Vorhandensein des Bösen und des Schmerzes in diesem Reich bezeugt, mag auch Autorität da sein, um Böses in Schranken zu halten, und mögen Vorkehrungen getroffen sein, um diesen Schmerz zu stillen.
Auch dieses deutet sicherlich darauf hin, dass ein solcher Zustand der Dinge einem besseren Platz machen wird. Aber es gibt noch mehr als das: Das Reich ist auch etwas Anvertrautes, Übertragenes, eine Verwaltung; und weil es das ist, so dürfen wir den schriftgemäßen Schluss ziehen, dass einmal betreffs seiner abgerechnet und dass es übergeben werden muss. Damit haben wir den Punkt erreicht, der die Seele zu neuen Betrachtungen über Jesus selbst, den Sohn Gottes, anregt.
In dem eben angedeuteten Charakter gleicht das Reich Christi der vergangenen Zeit, die Er in Niedrigkeit auf der Erde zubrachte, und der gegenwärtigen Zeit seines Priestertums im Himmel. Alles war, ist und wird eine Verwaltung in erhabenem Sinn sein. Er kam auf diese Erde herab, um den Willen Gottes zu tun. Nachdem Er diesen Willen getan hatte, kehrte er zum Vater zurück.
Sein jetziger Platz im Himmel ist ein Platz der Verwaltung. Dort als Hoherpriester ist Er treu, „treu dem, der ihn gesetzt hat, wie es auch Mose war in seinem ganzen Haus“ (Heb 3,2 vergl. 4Mo 12,7). Diesem Muster wird auch sein zukünftiges Reich entsprechen. Es wird eine Verwaltung darstellen, wie das übrige, aber dennoch eine Verwaltung von etwas Neuem, das Ihm früher nicht anvertraut war; wohl ist es etwas überaus Herrliches und Ausgezeichnetes, aber doch immer eine Verwaltung. Und weil es das ist, so muss auch zur bestimmten Zeit Rechnung von der Verwaltung abgelegt und das Reich übergeben werden. Dieses Geheimnis ist voll von Segen hätten wir nur Glauben und Herzen, es recht zu genießen! Denn auf diese wunderbare Art erhalten Gehorsam und Unterwerfung unter Gott — die der Mensch als ein Geschöpf einst verweigerte — infolge der unaussprechlichen Herrlichkeit Dessen, der sie Gott darbringt, einen sehr großen Wert.
Das ist eine köstliche Wahrheit, welche die Seele gerade in dem Maß verliert, wie es dem Feind gelingt, ihren Blick von der Person des Sohnes abzulenken. Es ist die Freude des Sohnes, der Verwalter oder der Diener des Willens Gottes zu sein, ob in Gnade oder in Herrlichkeit, in Niedrigkeit oder in Macht. Und wenn wir uns in einem anbetenden Geist daran erinnern, wer Er ist durch alle diese Veränderungen hindurch und in allen diesen Lagen, so können und müssen wir sagen, dass Veränderungen und Lagen nichts sind, seien sie noch so hoch oder niedrig. Was könnte Ihn, wenigstens in einem gewissen Sinn, noch höher erheben? Herrlichkeit und Königtum? Dem Glauben fällt es nicht schwer, Ihn als den Verwalter der Macht und Herrschaft und königlicher Ehren zu sehen, wenn Er kommt, um seinen Platz auf dem Thron einzunehmen, gerade so wie Er einst ein Verwalter war, als Er in Schwachheit und Niedrigkeit hier auf der Erde wandelte. Solche Entfernungen sind in gewissem Sinn für den Sohn Gottes nichts. Und doch wissen wir, dass sie in einem anderen Sinn unermesslich sind; denn zur bestimmten Zeit trat Er in das Leiden ein, und zur bestimmten Zeit wird Er auch in die Freude eingehen. Alles war, ist und wird für Ihn wirklich sein. Der „Mann der Schmerzen“ wird den Becher des Heils nehmen. Vor Ihm, der einst verachtet, verworfen, verspottet und verschmäht wurde, werden alle Knie sich beugen, und jede Zunge wird bekennen, dass Er Herr ist (Phil 2,11). Die Person ist überall dieselbe, Gott und Mensch in einem Christus. Daher nimmt der Glaube es an, dass Er so, wie Er in den Tagen seiner Erniedrigung der Verwalter des Willens und der Gnade des Vaters war, es auch in den Tagen der Erhöhung und Kraft der Verwalter des Reiches seines Vaters sein wird.
Dass es so sein wird, bezeugt uns die Heilige Schrift immer wieder. Christus sagt selbst im Vorausblick auf das Reich: „Wenn ich die bestimmte Zeit erreichen werde, will ich in Geradheit richten“ (Ps 75,3). Damit erkennt Er an, dass Er das Reich im Auftrag eines anderen regieren oder verwalten wird. Zu diesem Zweck erkennt Er auch an, dass die Zeit seiner Übernahme des Reiches und das Austeilen des Lohnes und der Ehren desselben nicht in seiner, sondern in der Hand des Vaters stehen (Mk 13,32; Mt 20,23). Gewiss wird an jenem Tag jede Zunge bekennen, dass Jesus Christus Herr ist; aber es wird „zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ dienen. Der Herr selbst nennt das Reich immer wieder das Reich. Auch wird Er zu seiner Wirksamkeit in diesem Reich gesalbt werden, wie Er einst zu der Wirksamkeit in den Tagen seines Fleisches gesalbt wurde (vergl. Jes 11,1-3; 61,1-3). Darf ich noch weiter gehen und sagen, dass Er in den Tagen seiner Kraft auch von Gott abhängig sein wird, wie Er es schon in den Tagen seiner Schwachheit und seines Leidens war? Wir lesen von Ihm in Ps 72,15: „man wird beständig für ihn beten, den ganzen Tag ihn segnen“, wie einst Salomo, der vorbildliche König, durch einen öffentlichen Akt der Fürbitte das Reich, das er empfangen hatte, unter die Obhut des Gottes Israels stellte (2Chr 6).
All dies sind deutliche, wenn auch indirekte Anzeichen dafür, dass eine Übergabe des Königreichs stattfinden muss; denn aus allem geht deutlich hervor, dass das Reich etwas Anvertrautes, eine Verwaltung ist. Dieses wird auch, wie wir bereits sagten, durch die göttliche Beweisführung in 1Kor 15 und Ps 8 bestätigt. Sowohl die königlichen Tage der Macht als auch die Tage des Leidens und der Selbstentäußerung, sowie die himmlischen Tage der priesterlichen Wirksamkeit — alles redet von Unterwerfung und Dienst. So wie Christus sich nicht selbst verherrlicht hat, um Hoherpriester zu werden, sondern von dem verherrlicht wurde, der zu Ihm sagte: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt“ (Ps 2.7), So hat Er sich auch nicht selbst verherrlicht, um König zu werden, sondern der HERR hat zu Ihm gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde hinlege als Schemel für deine Füße“ (Ps 110,1) „Ich schaute in Gesichten der Nacht: Und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie eines Menschen Sohn; und er kam zu dem Alten an Tagen und wurde vor ihn gebracht. Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben“ (Dan 7,13.14).
So ist also das Reich Christi etwas Anvertrautes, eine Sache, die aus der Hand eines anderen empfangen wird, um zu seiner Zeit wieder zurückgegeben zu werden. Sicherlich wird der Sohn da treu sein, wo alle anderen fehlerhaft erfunden wurden, von denen es heißt: „Gott steht in der Gemeinde Gottes, inmitten der Götter richtet er“ (Ps 82,1). Von dem Sohn aber steht geschrieben: „Dein Thron, o Gott, ist immer und ewig, ein Zepter der Aufrichtigkeit ist das Zepter deines Reiches. Gerechtigkeit hast du geliebt und Gottlosigkeit gehasst; darum hat Gott, dein Gott, dich gesalbt mit Freudenöl, mehr als deine Genossen“ (P 45,7.8; Heb 1,8.9).
All dieses bestätigt wiederum, dass Christus das Reich als ein Verwalter empfangen wird. Und wir dürfen hinzufügen: Mag das Schwert oder das Zepter des Reiches in Anwendung kommen, mag Er wie David oder wie Salomo handeln, in allem wird Er gleich treu erfunden werden. Er wird treu sein, ob Er aufsteht, um Gericht zu halten oder um die Schlachten des Herrn zu schlagen; wie von Ihm geschrieben steht: „Der Herr zu deiner Rechten zerschmettert Könige am Tag seines Zorns“ (Ps 110,5). Und wiederum: „Kommt, schaut die Großtaten des HERRN, der Verheerungen angerichtet hat auf der Erde“ (Ps 46,9). Er wird treu sein, wenn Er auf dem Thron sitzt oder wenn Er das Land in Frieden regiert. Er selbst sagt: „Im Innern meines Hauses will ich wandeln in Lauterkeit meines Herzens“ (Ps 101,2), und von Ihm wird zu dem HERRN gesagt: „Er wird dein Volk richten in Gerechtigkeit, und deine Elenden nach Recht“ (Ps 72,2).
All dieses bekundet von neuem eine anvertraute Gewalt, wenn sie auch in besonderer Hand ruht. Das Reich Christi wird alles zur Vollendung bringen, was dieses Reich angeht, wie sein Tod dies in anderer Hinsicht ein für alle Mal getan hat und wie sein himmlisches Priestertum es jetzt Tag für Tag tut. Dann wird sein Zepter beiseitegelegt werden, das Reich wird aufhören, wie geschrieben steht: „Dann das Ende, wenn er das Reich dem Gott und Vater übergibt“; und weiter: „Dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei“ (1Kor 15,24.28).
Diese Unterwerfung bezieht sich auf den Dienst oder das Amt, das Christus anvertraut ist. Es ist die Unterwerfung dessen, dem alle Dinge unterworfen worden sind Gott gegenüber, der Ihm alles unterworfen hat. Das ist der Charakter der Unterwerfung. Was die Person angeht, so ist sie, im Gegensatz zu dem Amt, ewig. Der Sohn besitzt die Herrlichkeit der Gottheit, so wie der Vater und der Heiligc Geist.
Das Geheimnis aller Geheimnisse ist und bleibt die Person, die wir hier betrachten. Wenn wir Ihn recht erkennen und richtig von Ihm denken, so erscheint selbst aller Glanz des kommenden Reiches nur wie ein Vorhang, wie ein Schleier. Könnte die Pracht des Thrones darstellen, wer und was Er ist‘! Würde nicht die Herrlichkeit Salomos, ja aller Reiche dieser Welt, die Herrlichkeit des Sohnes ebenso wirklich verhüllen, wie der Spott in der Gerichtshalle des Pilatus oder wie die Dornen Golgathas es einst getan haben? Bildet der Bethlehemit einen Maßstab seines persönlichen Wertes, einen kleinen Titel mehr als der Nazaräer? Dem Glauben fällt es daher nicht schwer, den Diener sowohl in den Tagen seiner Erhöhung als auch in den Tagen des Leidens zu sehen. Er diente als Knecht, Er diente als Priester, und Er wird dienen als König.
Der lebendige Glaube an dieses wunderbare Geheimnis lässt alle Entfernungen und Zwischenräume verschwinden. Himmel und Erde, Gott und Mensch, der Heiligende und die Geheiligten, das Höchste und das Niedrigste, alles, ja alles wird hier einander nahe gebracht in Wegen, die zur unaussprechlichen Verherrlichung Gottes und uns zu ewigem Segen gereichen.
Wahrlich, wir müssen ausrufen: Was für Verbindungen, was für Geheimnisse, was für Harmonien, was für Ratschlüsse bezüglich der Enden der Schöpfung in den verborgenen Zeitaltern der göttlichen, ewigen Weisheit, ehe die Welt war! So unermesslich weit der Lauf auch ist, den die Heilige Schrift vor unsere erstaunten Blicke zeichnet, so trägt er doch die Gestalt eines Kreises, und er kehrt in dieser vollkommensten Gestalt zu dem Punkt zurück, von dem er ausgegangen ist. Der Himmel, der seit 1Mo 3 verschwunden war, erscheint in den letzten Kapiteln der Offenbarung wieder vor unseren Augen. Der Lebensbaum steht von neuem am Ufer des Stromes des Lebens, und wieder gibt es keinen Fluch mehr.
Selbst die verschiedenen Gestalten, unter denen das himmlische Königreich wieder erscheint, sind äußerst charakteristisch, indem sie nicht nur bekunden, dass alles zurückgewonnen ist, sondern auch zurückgewonnen in weit herrlicherer Gestalt als zu der Zeit, da es verloren ging — weil zurückgewonnen in dem Sohn. Es ist nicht mehr der Garten Eden, sondern die Stadt Gottes; nicht mehr der Garten, frei und unbearbeitet, wie die Glückseligkeit des Menschen in dem Zustand der ersten Unschuld gewesen wäre, sondern die himmlische Stadt, und diese nicht nur kostbarer, stattlicher und herrlicher als der Garten, sondern gleichzeitig auch das Ergebnis hingebungsvoller Mühe und Arbeit — die himmlische Stadt, die zu einer edleren und bleibenderen Wohnstätte hergerichtet ist und aus Steinen besteht, von denen jeder nach dem Muster des „auserwählten, kostbaren Ecksteins“ zu seiner Zeit sorgfältig behauen und mühsam für den Platz zubereitet worden ist, den er ausfällt.
Nachdem wir so die Übergabe des Reiches erreicht haben, sind wir an den Grenzen des „neuen Himmels“ und der „neuen Erde“ angelangt. Himmel und Erde, so wie wir sie jetzt kennen, haben dann aufgehört. der Schauplatz der Entfaltung der Kräfte des Sohnes zu sein. Sie sind dann auch keine Zeugen mehr von seiner Vollkommenheit in Gnade und Herrlichkeit, in Erniedrigung und Macht, in dem Dienst des Knechtes, des Priesters und des Königs, in dem Leben des Glaubens und in der Herrschaft über alle Dinge. Und wenn der Sohn so dargestellt ist, in Schwachheit und Kraft, auf der Erde und im Himmel, von der Krippe bis zum Thron, als Nazaräer und als Bethlehemit, als Lamm Gottes und als gesalbter Herr über alle Dinge, so werden dieser Himmel und diese Erde, dem göttlichen Ratschluss gemäß, alles getan haben, was sie tun sollten. Wenn sie bis zur Vollendung dieser Darstellung des Sohnes bestanden haben, so haben sie lange genug bestanden. Sie dürfen dann anderen Dingen Platz machen, und wir sind vorbereitet auf das Wort des Propheten Gottes: „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen“ (Off 21.1).
Obwohl die Heilige Schrift, wie bereits gesagt, uns nur wenig Freiheit gibt, den Herrn weiter als bis zum Reich zu verfolgen, so teilt uns der Geist doch in gelegentlichen Andeutungen manches Charakteristische über den neuen Himmel und über die neue Erde mit.
Jesaja sagt, man werde des früheren Himmels und der früheren Erde nicht mehr gedenken, sobald die neue Schöpfung erschienen sei, und deutet dadurch die unbeschreibliche Schönheit der neuen Schöpfung an.
Paulus sagt, dass Gott alles in allem sein wird, nachdem das Reich übergeben ist. Er weist damit, nach meinem Dafürhalten, auf die Tatsache hin, dass alle anvertraute Gewalt, alle Verwaltung, von der wir gesprochen haben, selbst in der Hand des Sohnes, für immer vorüber ist, weil sie ihren Zweck erreicht hat.
Petrus nennt den neuen Himmel und die neue Erde eine Wohnstätte der Gerechtigkeit und versetzt uns durch diesen Gedanken über die Zeit des Zepters der Gerechtigkeit hinaus.
Johannes geht in der Offenbarung noch einen Schritt weiter. Er sagt: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen und das Meer ist nicht mehr“. Und weiter sagt er von demselben neuen Himmel und der neuen Erde: „Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott. Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen“ (Off 21.3.4).
Welch kostbare Worte: „Das Erste ist vergangen“! Tränen sind nicht mehr; der Tod ist nicht mehr; Trauer und Schmerz, Leid und Geschrei sind für immer vorbei, Keine Spur von den früheren Dingen bleibt zurück. Nichts erinnert mehr an Sünde und Tod. Das ist ein Zustand der Dinge, wie ihn die Erde im Tausend- jährigen Reich in gleicher Erhabenheit nicht kennen wird. „Das Erste ist vergangen“. Das bedeutet nicht, dass wir etwas von dem verlieren könnten, was uns gegeben oder mitgeteilt worden ist bezüglich der göttlichen Ratschlüssen der Gnade und Herrlichkeit, oder von den verschiedenen Diensten des Sohnes und der Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Nichts kann uns verloren gehen von dem, was wir im Verlauf der göttlichen Haushaltungen gelernt und eingesammelt haben. Selbst die vorübergehende Erquickung des Geistes, die uns hier durch die in uns wohnende Verderbtheit so oft abhandenkommt, wird nicht verloren sein. Sie werden zeugen von dem, was seinem innersten Wesen nach ewig ist. ln gleicher Weise wird auch die ganze Weisheit Gottes, die sich entfaltet hat, ewig in ihren herrlichen Ergebnissen genossen werden. Diese Offenbarungen Gottes — in seiner Weisheit und Macht, in Gnade und Herrlichkeit — haben sich im Laufe der Jahrhunderte durch viel Kampf auf dem verderbten Schauplatz dieser Welt gezeigt. In dem neuen Himmel und auf der neuen Erde ist dieser Kampf in allen seinen Formen jedoch vorüber und diese Offenbarungen werden dann in ihrem vollen, triumphierenden und herrlichen Resultat bekannt sein.
Vor dem, der auf dem weißen Pferd sitzt, werden die abtrünnigen Mächte des gegenwärtigen bösen Zeitlaufs zur Zeit ihres größten Stolzes und Übermuts zu Boden geschmettert werden. Dann wird der Herr mit seinen Heiligen die gerechte Regierung über diese Erde für die festgesetzten tausend Jahre antreten. Vor dem, der auf dem weißen Thron sitzt, werden die jetzigen Himmel und die jetzige Erde vergehen und keine Stätte wird für sie gefunden werden (Off 20,11). „Der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu“ (Off 21,5). Das sind sicherlich Unterscheidungen, die ihre volle Bedeutung haben und einen Fortschritt und eine Entwicklung in den göttlichen Ratschlüssen und Wegen bezeichnen, wie in früheren Zeiten.
Auf der neuen Erde wird nicht nur das Zepter der Gerechtigkeit herrschen, sondern die Gerechtigkeit wird dort wohnen. Aus diesem Grund begegnen wir nicht dem Thron des Sohnes, sondern der Hütte Gottes. Es handelt sich dann nicht mehr um die Ausübung göttlicher Autorität über die Szene, sondern um das Wohnen Gottes inmitten der Szene. Es ist nicht länger die Erde, die einst mit dem Blut Christi befleckt und hunderten von Geschlechtern zur Grabstätte wurde, sondern sie ist eine neue Erde. Es ist nicht länger mehr der Himmel, der sich in Sacktuch hüllte, und unter dem Donner, Stürme und Fluten das Werk des Gerichts ausführten und Zeugnis von dem gerechten Zorn Gottes ablegten, sondern es sind neue Himmel.
Wen da dürstet, der soll aus der Quelle des Wassers des Lebens trinken; wer überwindet, soll dies alles erben (Off 21,6.7). Welch gesegnete Charakterzüge der Heiligen! Wie wenig finden sie sich in den Seelen mancher von uns verwirklicht! Aber es ist schon gesegnet, wenn wir nur von ihnen lesen und an sie denken können.
Wir dürfen und müssen keine Spekulationen anstellen, wo wir nicht mehr lehren können; wir müssen nicht zuhören, wo wir nicht von Ihm lernen können. Sein geschriebenes Wort ist die Richtschnur für die Gedanken all seiner Heiligen — mögen auch manche durch den Geist dieses Wort ihren Seelen mehr zu eigen gemacht haben als andere. Wir sollten diese gemeinsame Richtschnur kennen aber auch unser persönliches Maß im Geist.
Ich möchte deshalb mit der Betrachtung schließen und nur noch einen Gedanken hinzufügen, der mir selbst zum Segen gewesen ist. Wenn wir jene fernen Regionen auch nicht sehen können, so dürfen wir ihnen jedoch vertrauen — oder vielmehr dem vertrauen, der der Herr derselben ist. Wir können unseren Herzen in seiner Gegenwart versichern, dass sie gerade so sein werden, wie wir sie gern haben möchten, ja ganz so, wie es unserem neuen Zustand entsprechen wird.
Der Himmel ist immer das gewesen, was die Erde nötig hatte. Im Anfang waren die Sonne, um den Tag zu regieren, sowie der Mond und die Sterne, um die Nacht zu regieren, da. Diese Gesetze wurden damals bestimmt (1Mo 1), denn sie entsprachen dem Bedürfnis der Erde in jener Zeit. Es gab aber keinen Regenbogen am Himmel, denn die Erde bedurfte keines Zeichens, dass Gott sie nicht wieder durch eine Wasserflut verderben würde. Das Gericht war eine völlig unbekannte Sache. Als aber das Gewissen des Menschen erwachte und das Gericht verstanden und gefürchtet wurde, als man aus dem Tun Gottes erkannte, dass Er gerecht war, und dass die Erde ein Pfand dafür brauchte, dass Er auch in seinem Zorn seiner Barmherzigkeit bewusst sein würde, da empfing der Himmel das Zeichen dieser Barmherzigkeit, den Regenbogen (1Mo 9,13-16). Er hing es sozusagen an seiner Stirn aus.
Auf diese Weise hat der Himmel sich bereits verändert oder sich neu angetan — je nach den wechselnden Bedürfnissen der Erde. Diese Ereignisse der Vergangenheit bürgen für die Zukunft, obwohl ein neuer Himmel und eine neue Erde offenbart werden sollen. Ja, ich darf wohl hinzufügen, dass die Erde im Tausendjährigen Reich zu ihrer Zeit dieselbe Treue des Himmels ihr gegenüber erfahren wird. Denn dann wird man dort die Wohnstätte der Herrlichkeit erblicken, so wie der Glaube heute schon das Heiligtum des Friedens dort schaut. Die himmlische Stadt jenes Zeitalters wird gerade in dem Charakter herniederkommen, den die Nationen der Erde, ihre Könige und ihre Herrlichkeit brauchen und an dem sie ihre Lust haben werden. Der Gott des Himmels und der Erde wird in seiner schrankenlosen und unendlichen Güte seine Geschöpfe immer gleichbleibend segnen. „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab, von dem Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung ist noch der Schatten eines Wechsels“ (Jak 1,17). Die neuen Himmel und die neue Erde werden nur die alte Geschichte der mannigfaltigen, aber unerschöpflichen Güte Gottes wieder aufnehmen und in Ewigkeit fortsetzen.
Was wir brauchen, ist der einfältige, beglückende Glaube, welcher der Seele alle diese Dinge verwirklicht.
Möchten diese Betrachtungen dazu dienen, dass unsere Seelen die Nähe und die Wirklichkeit dieser kostbaren Gegenstände des Glaubens besser erkennen und genießen! Amen.
Der Autor möchte die Aufmerksamkeit des Lesers auf die herrliche Erscheinung dessen richten, „der offenbart worden ist im Fleisch“, und ihm seinen Weg von der Krippe bis zum Kreuz, vom Kreuz durch das Grab bis zur Auferstehung und von dort bis in den Himmel und bis in alle Ewigkeit durch den Glauben vorstellen.
Wie herrlich zeigt der Heilige Geist uns in Gottes Wort die verschiedenen Einzelheiten des Herrn Jesus in seinem Leben hier auf der Erde auf! und überall erblicken wir denselben ]esus: Im Fleisch offenbart, geht der Sohn Gottes von Bethlehem nach Golgatha.
Diese Betrachtung über den Herrn Jesus soll das Herz des Lesers für Ihn erwärmen und seine Köstlichkeiten neu aufheben lassen.