Der Ninivit war zur Zeit der Königreiche der erste große Mann auf der Erde, so möchte ich es ausdrücken, so wie Nimrod, - in diesem Gebiet der Vorfahre der Niniviten der große Mann der Erde in dem früheren Zeitalter der Väter war. Nimrod hatte Gefallen an Herrschaft und Gewalt gefunden zu einer Zeit, als alles noch in einem einfacheren, ursprünglichen Zustand war. Nachdem aber nun Königreiche gebildet worden sind und sich ganze Nationen anstelle von Familien auf der Erde ausgebreitet haben, ist der König von Ninive nach dem Muster Nimrods in stolzer und weltlicher Gesinnung auf Herrschaft und Gewalt in der Mitte der Nationen bedacht.
Er gehört nicht zu den großen Weltreichen, die im Propheten Daniel gesehen werden. Er ist weder das Haupt von Gold noch die Brust von Silber, weder die Lenden von Erz noch die Schenkel von Eisen. Dieses prophetische Bild wurde nicht in den Tagen Ninives enthüllt, als der König von Assyrien die Oberherrschaft in der Welt hatte. Doch unter den Königreichen, die der Herrschaft des chaldäischen Hauptes von Gold vorausgingen, stand Ninive an erster Stelle. Assyrien hatte viele dieser Königreiche gefangen weggeführt. Amalek war vom Schauplatz verschwunden, und die Keniter waren verwüstet worden, bis sie schließlich durch den Assyrer weggeführt wurden (4Mo 24,20-22). Und dann war es auch der Assyrer, der das Volk, das Jehova, der Gott des Himmels und der Erde, als Sein Besitztum erwählt und für Sich Selbst gebildet hatte, beleidigt und erniedrigt hat.
Gott hatte ihn dazu als Rute für Sein ungehorsames, widerspenstiges Volk Israel benutzt; „er aber (der Assyrer) meint es nicht also“ (Jes 10,7). Er beabsichtigte, „Raub zu rauben und Beute zu erbeuten“ (Jes 10,6). In seinem Stolz spricht er: „Sind nicht meine Fürsten allesamt Könige? ... So wie meine Hand die Königreiche der Götzen erreicht hat — und ihre geschnitzten Bilder waren mehr als die von Jerusalem und von Samaria — werde ich nicht, wie ich Samaria und seinen Götzen getan habe, ebenso Jerusalem und seinen Götzen tun?“ (Jes 10,8.10-11). Jehova Gott war zornig. Er legt ihm das zur Last, und Nahum überbringt es: „Ein eifernder und rächender Gott ist Jehova“ (Nah 1,2).
Sowohl der Dienst Jonas als auch der Nahums richteten sich an Ninive. Wir haben das bereits in unserem Kapitel über Jonas Prophezeiung betrachtet. Jona lebte etwa 120 Jahre vor Nahum. Auf das Wort Jonas hin hatte Ninive Buße getan; doch das Wort, das jetzt durch Nahum folgt, ist eine Ankündigung des Gerichts, und zwar eines endgültigen Gerichts, das ein totales Ende herbeiführt. „Die Drangsal“, sagt der Prophet, „wird nicht zweimal erstehen“ (1,9).
Was sollen wir von der Buße Ninives in den Tagen Jonas denken? War sie wie eine Morgenwolke oder früher Tau, eine Frömmigkeit, die rasch dahinschwand? (Hos 6,4). Vielleicht war es eine Reformation und ein aufrichtiges Werk, geradeso wie das vor einigen Jahrhunderten in einer anderen heidnischen Welt, der Christenheit, der Fall war. Jene Reformation bewirkte zu ihrer Zeit Frucht und Segen, und davon war, wie es scheint, sogar noch ein Zeugnis in den Tagen Nahums übrig (siehe Kap. 1, 7). Vielleicht gab es einen Überrest in Ninive! Anders kann ich es nicht annehmen. Doch es war kein Segen von Dauer für alle. „Ich vergehe, ich vergehe“ mußte Ninive aussprechen (Jes 24,16). Die Buße in den Tagen Jonas, ähnlich wie die Reformation der Christenheit, war keine Garantie - sie machte Ninive nicht tüchtig für die Herrlichkeit oder einen Platz im Königreich Gottes. Was auch immer die moralische Wirkung dieser Buße in einem Überrest zur Zeit Nahums gewesen sein mag, Ninive, als eine Stadt oder ein Königreich, war wie eine gewaschene Sau zum Wälzen im Kot zurückgekehrt (vgl. 2Pet 2,22). Ninive reifte dazu heran, aus dem Land ausgerottet zu werden.
Das ist ein Bild, das wir ernstlich bedenken, und eine Sprache, die wir nicht überhören sollten.
Was bedeuteten die Tage Josaphats oder Hiskias oder Josias für Jerusalem? Kam nicht nach solchen Tagen das Gericht durch die Chaldäer über sie, obwohl diese Tage so schön und verheißungsvoll waren? Verschonte der Tag Jehovas Ninive, obwohl damals der König von seinem Thron herabstieg und in der Asche saß und Menschen und Vieh in Sacktuch gekleidet waren und weder aßen noch tranken? Wir wissen, daß es nicht verschont wurde. Ich frage wiederum: Was hat die Reformation für die Christenheit getan? Nicht die Reformation und nicht Fortschritt und keine Erziehung der Millionen von Menschen, sondern die kommenden Gerichte werden die Welt für die Herrlichkeit und das Königreich des Herrn zubereiten. Doch gehen wir weiter. Der erste Bericht über das Handeln Gottes mit Ninive durch Jona bezeugt uns — und das gilt auch für das jetzt von Nahum angekündigte Gericht daß Gott „langsam zum Zorn“ ist, denn Er sandte einen Prediger, um sie zu warnen und zu einer Buße zu leiten, die Er anerkennen konnte, um sie zu verschonen. Aber Der, der „langsam zum Zorn“ ist, „hält keineswegs für schuldlos den Schuldigen“ (Kap. 1, 3). Es besteht ein Unterschied zwischen dem „Köstlichen und dem Gemeinen“ (Jer 15,19). „Er kennt die, welche auf ihn vertrauen“ (Kap. 1,7), auch einen möglichen Überrest in Ninive, wie ich ihn zuvor erwähnt habe. Der „Richter der ganzen Erde“ wird, so wie Er einstmals wegen Sodoms bei Abraham stand, „Recht üben“ (1Mo 18,25). „Ich zweifle nicht daran“, sagt ein anderer10, „daß der Einfall Sanheribs der Anlaß zu dieser Prophezeiung war. Doch es ist ganz offensichtlich, daß diese Prophezeiung über dieses Ereignis hinausgeht und daß es sich um das endgültige Gericht handelt. Dies ist ein weiteres Beispiel für das, was wir so häufig in den Propheten feststellen — eine teilweise Erfüllung des Gerichts, die dem Volk Gottes als Warnung dient oder zur Ermutigung, obwohl es sich lediglich um einen „Vorläufer“ eines zukünftigen Gerichts handelt, in dem dann die ganze Handlungsweise Gottes zusammengefaßt und geoffenbart wird.“ Es ist sicherlich so, daß der Assyrer sowohl eine mystische Gestalt ist, die einen Grundsatz repräsentiert, als auch eine Person, die wirklich gelebt hat. Jesaja sieht ihn so. Das ist ganz natürlich und auch leicht verständlich: denn der Assyrer begann damit, das Volk Gottes gefangenzunehmen, und zu seiner Zeit stellte er die Feindschaft der Erde dar, die Feindschaft der heidnischen Welt gegenüber Gott und Seinem Volk. Deshalb sieht der Geist in den prophetischen Büchern in ihm den Heiden und beschreibt den Ausblick, der sich dann bis hin zum Ende der Geschichte der Erde eröffnet, die unter der Herrschaft des Heiden oder des Menschen dieser Welt stehen wird. Dann wird die überfließende und ausgereifte Bosheit des Menschen die abschließenden, reinigenden Gerichte Gottes hervorrufen.
Doch wird das Ende dieser Geschichte Gericht sein? Das ist nie so gewesen und wird auch nicht so sein. Das Gericht macht den Weg frei, damit Gott Seine Absichten verwirklichen kann. Das Gericht dieser „gegenwärtigen, bösen Welt“ wird das Tausendjährige Reich oder „die zukünftige Welt“ einleiten. Und Israel wird angenommen werden als Siegel und Pfand dieses glänzenden und glücklichen Zeitabschnittes - wie der Prophet hier sagt, „und habe ich dich auch niedergebeugt, ich werde dich nicht mehr niederbeugen; sondern ich werde nun sein Joch von dir zerbrechen und deine Bande zerreißen.... Feiere Juda, deine Feste, bezahle deine Gelübde! denn der Nichtswürdige wird fortan nicht mehr durch dich ziehen; er ist ganz ausgerottet“ (siehe Kap. 1, 12-15). Oder mit den Worten eines Bruders, eines Gläubigen unserer Tage, ausgedrückt: „Die Rache Gottes ist die Befreiung der Welt von der Unterdrückung und dem Elend des Joches des Feindes, damit sie blühe unter dem friedliebenden Auge ihres Befreiers.“
Komm, Herr Jesus! Zeigt nicht das gegenwärtige Wirken des Geistes ein schnelles Sammeln der Auserwählten, damit diese Stunde beschleunigt wird?
10 J. N. Darby, vergleiche „Betrachtungen über das Wort Gottes" über Nahum (Anm. d. Übersetzers)↩︎