Schriften von Frederic Charles Jennings
Mt 26,36-46 , Mk 14,32-42 Lk 22,39-46 Joh 18,1-3 Ps 102 - Gethsemane
Paradox: Schlaft weiter, steht aufParadox: Schlaft weiter, steht auf
Aber die Heilige Szene nähert sich dem Ende mit einem jener Paradoxons, in dem es keinen Widerspruch gibt. Als Er sich zum letzten Mal zu seinen Jüngern wendet, spricht Er: „Schlaft nun fort und ruht aus. Siehe, die Stunde ist gekommen, der Sohn des Menschen wird in die Hände der Sünder überliefert. Steht auf, lasst uns gehen. Siehe, der mich überliefert, ist nahe gekommen.“ – „Schlaft weiter … steht auf.“ Wie kann man beides zur selben Zeit tun? Lasst uns wenigstens ein wenig über diese Merkwürdigkeit nachdenken. Schlaft jetzt weiter, denn die einzige Gelegenheit für euch, eine Stunde mit mir zu wachen, ist für immer vorbei. Deswegen schlaft weiter. Was für ein trauriges Wort für sie alle. Doch Er zeigte, dass Er unsere Gebilde kennt und sich erinnert, dass wir Staub sind. Denn Er kannte die Willigkeit des Geistes genauso wie die Schwachheit des Fleisches (Mt 26,41). Es war Nacht und diese Nacht förderte den Schlaf. Die Übungen, durch die sie am Tag gegangen waren, müssen tief gewesen sein. Das förderte auch ihren Schlaf. Dazu waren sie erfüllt von Trauer, und auch das begünstigt eine Flucht in den Schlaf. Und doch war jene einzigartige Gelegenheit vorbei und so mögen sie jetzt ruhig weiterschlafen. Petrus soll gebraucht werden wie kein anderer zu Pfingsten, aber niemals wird er wieder mit Christus in Gethsemane wachen. Jakobus wird sein Zeugnis mit seinem Blut besiegeln, aber niemals jene Stunde wachen. Johannes wird in Patmos leiden um des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen, aber niemals in Gethsemane wachen, denn das ist vorüber; so lasst sie weiterschlafen.
Es ist immer noch Nacht, und immer noch drücken die Mächte der Finsternis uns, seine armen und schwachen Nachfolger, nieder – dieselben Mächte, die sich auf unseren Herrn in Gethsemane drückten. Immer noch gibt es deswegen diese schnell vorübergehenden Gelegenheiten, die dieses kurze Leben allein gibt, damit wir die Gemeinschaft seiner Leiden in der Verwerfung durch eine religiöse, aber in Wahrheit unchristliche Welt erkennen. Wie wertvoll ist dann dieses Leben wegen der Gelegenheiten, die es uns in einer Szene der Sünde und der Trauer gibt, von Gottes Heilmittel zu zeugen. Für beides hat Er nur ein Heilmittel, eine Person – nämlich die Person unseres Herrn Jesus Christus. Was würden solche, die jetzt unbekleidete Geister sind, geben für solch eine Stunde, eine Gelegenheit, wie sie sich uns heutzutage bietet, die aber vielleicht morgen schon nicht mehr da ist. Denn vielleicht ist es schon heute, dass wir dieses Wort hören: „Schlaft nun weiter“, und wir folgen auch der „großen Mehrheit“ und eine Gelegenheit dieser Art ist für immer vorbei.
Aber es gibt zwei Möglichkeiten, wie diese Zeit des Wachens und Zeugens zu Ende gebracht wird und diese unterschiedlichen Wege werden möglicherweise (ich möchte da nicht dogmatisieren) auch vorgestellt in den paradoxen Worten des Herrn „Schlaft weiter“ und „Steht auf“. An wie viele sind die Worte „Schlaft weiter“ gerichtet worden, seit der erste geliebte Zeuge entschlafen ist, zerschmettert unter den Steinen seiner Mörder. Aber es gibt sicherlich eine Alternative dazu; „wir werden nicht alle entschlafen“, und eine Stunde wird kommen, wenn der Ruf des Herrn all die erwecken wird, die in Ihm entschlafen sind, und dann wird das andere Wort erklingen: „Steh auf“ oder „steig auf“, denn wir werden aufgenommen werden, um Ihm zu begegnen in der Luft, um für immer bei Ihm zu sein. Und dann gibt es keine Trennung mehr unter denen, die Ihn lieben. Kein Schlaf wird ihren Dienst dann schmälern.
Aber jetzt müssen wir Abschied nehmen von dieser heiligen Szene, die – indem sie den Schatten vor unsere Augen und Ohren gebracht hat – uns etwas von der schrecklichen Wirklichkeit berichtet hat, die alles Beschreiben übersteigt. Wir können sicherlich sagen, dass es wegen ihrer Grenzenlosigkeit war, die alle unsere Kräfte übersteigt, dass es durch mittägliche Finsternis verborgen wurde. Möge Gott in seiner Gnade es schenken, dass wir niemals Gethsemane vergessen, bis wir sein Angesicht sehen, auf dem große Tropfen waren wie von Blut. Diese Betrachtung sollte uns zu einem heiligeren, engeren Wandel mit Gott führen, bis wir bei Ihm sind.
Aber sicherlich werden wir dann niemals Gethsemane vergessen, denn die Ewigkeit wird nicht nur von der Liebe des Sohnes erzählen, der den bitteren Kelch genommen und getrunken hat, sondern auch von der Liebe Gottes des Vaters, der um unsertwillen seinen Geliebten nicht geschont hat, sondern jenen Kelch in seine willige und doch zurückschreckende Hand gegeben hat. Vielleicht werden wir dort das bekannte Lied singen – aber mit bewegteren Herzen als oftmals hier und niemals ohne tiefe Gefühlsbewegungen:
Gemessen an jenem Kreuz, jener Finsternis,
oh, wie tief muss Gottes Liebe sein.
So tief wie Christi Leiden sind,
so tief ist die Liebe des Vaters zu mir.6
6 Wörtliche Übersetzung aus dem Lied „As I was, the Father loved me“:Measured by that cross, that darkness | o how deep God’s love must be: | deep as were Christ’s depths of anguish | i s the Father’s love to me. Autor unbekannt.↩︎