Schriften von Frederic Charles Jennings
Jes 52,13 - 53,12 - Der„Mann der Schmerzen“
Jes 53,7-9Jes 53,7-9
Jes 53,7-9: 7 Er wurde misshandelt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf. 8 Er ist weggenommen worden aus der Angst und aus dem Gericht.6 Und wer wird sein Geschlecht aussprechen?7 Denn er wurde abgeschnitten aus dem Land der Lebendigen: Wegen der Übertretung meines Volkes hat ihn Strafe getroffen. 9 Und man hat sein Grab bei Gottlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod, weil er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Mund gewesen ist.
Hier geht es um die Rückschau auf diese Leiden, die nun der Vergangenheit angehören. Diejenigen, die beschämt und zerknirscht über diesen Abschnitt nachsinnen, sind überwältigt von der demütigen Hingabe des Leidenden. Seine demütige Einwilligung in das unverdiente Leiden spricht einerseits an, und andererseits treibt es zur Anbetung; dieser Tatbestand drückt ein grundlegendes Element des Erlösungsplans aus. Wenn der Leidende aus Protest auch nur einen einzigen Seufzer ausgestoßen hätte, wäre die Freiwilligkeit seines Opfertodes vereitelt und seine Folgen unvorstellbar gewesen. Dann hätten die ungerechten Richter, die den Unschuldigen für den Schuldigen bestraften, vielleicht einen Grund gehabt. Wir erinnern uns, dass es Pilatus die Sprache verschlug, denn in seinem Amt hatte er oft mit Menschen zu tun, die lautstark protestierten und ihre Unschuld beteuerten. Diesem Mann hingegen drohte ein schrecklicher Tod, und doch stand Er schweigend und gefasst vor ihm; ein Mann, dessen bloße Gegenwart Bände sprach, obwohl kein einziges Wort über seine Lippen kam. Niemals war Schweigen so beredt! Niemals verkündete ein geschlossener Mund solch tiefgehende Wahrheiten! Hätte Er ein einziges Mal aufbegehrt, sich beklagt oder vielleicht Freude gezeigt im Blick auf das Kreuz, wo Er die Sünden tragen sollte, hätte das die Vollkommenheit seiner Person und sein Erlösungswerk völlig ruiniert. Kein menschliches Gehirn könnte sich etwas so Ausgewogenes ausdenken und keine menschliche Hand so etwas beschreiben. Ich wiederhole: Niemals war Schweigen so beredt!
Gott hat offensichtlich jedes seiner Geschöpfe auf Erden erschaffen, um unsichtbare göttliche Wahrheiten zu vermitteln; die Majestätischen, die Schönen, die Sanften unter den Tieren versinnbildlichen die moralische Anziehungskraft seines Sohnes. Der Löwe drückt die Würde des Sohnes aus, der Ochse seinen geduldigen Dienst; wird das Lamm stumm bleiben? Wenn es so ist, wird nicht gerade das Stillschweigen Jesu im Angesicht des Todes seine Liebe beweisen, die Ihn befähigte, „das Kreuz zu erdulden und die Schande nicht zu achten“ [Heb 12,2], damit Gott dadurch die Macht hat, zu retten, und Er selbst die Freude, sündige Menschen zu retten und mit ihnen die Freuden zu teilen, die Er zur Rechten Gottes genießt, die Er ohne das Leiden ewig hätte alleine haben können?
Im Innenhof zog man Ihn aus und bekleidete Ihn zum Spott mit einem königlichen Mantel. Doch hörte man kein Schimpfwort als Antwort auf das Gelächter der rauen römischen Soldaten. Dann folgte Golgatha; dort herrschte die gleiche unterwürfige Stille, die der Prophet siebenhundert Jahre vorher angekündigt hatte und über die wir heute, Tausende von Jahren später, nachdenken. Und dieses Thema wird uns auch noch in der ganzen Ewigkeit beschäftigen!
Vers 8 führt uns ein Stück weiter auf dieser Via Dolorosa: Der Prophet sieht, wie der Leidende nach der Parodie eines Prozesses und gelöst von seinen Fesseln weitergetrieben wird bis hin zum Tod. Adams Stammbaum finden wir in 1. Mose 5, doch wer wird seinen aufzeichnen? Wo sind die Nachkommen, die seine Linie fortführen und damit auch seinen Anspruch auf den Thron Davids aufrechterhalten, seines Stammvaters „nach dem Fleisch“? Seine Linie wird mit Ihm erlöschen; die Verheißung, die Ihm galt, wird mit seinem Tod hinfällig; die Hoffnung des Volkes scheint erloschen zu sein. Sehr bekümmert sind auch die Jünger während dieser dunklen drei Tage, denn sie hatten „gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen solle“ (Lk 24,21). Doch nun liegt ihre Hoffnung tot und begraben in Josephs Grab. Wer kann die wahre Bedeutung dieser Leiden und dieses allzu kurzen Lebens erkennen? Wer versteht, dass Er nicht für seine eigene Sünde, sondern für die des Volkes Gottes bestraft wurde? Und das Strafgericht wurde nicht von Menschen, sondern von Gott vollstreckt! Wer verstand damals das tiefe Geheimnis dieser Leiden? Doch jetzt endet der Schmerz: Die Schande ist für immer vorbei. Von dem Moment an, als sein Tod durch den Speer des römischen Soldaten festgestellt wird, gestattet Gott keine Spur von Demütigung mehr, sondern „von jetzt an legt die Liebe nur das zu seinen Füßen, was aus seiner Fülle kommt“!
Die Menschen, denen es gelungen war, Ihn zu töten, hatten vorgehabt, Ihn begraben zu lassen zusammen mit den Verbrechern, zu denen Er gezählt worden war. Obwohl Gott diesen schändlichen Tod erlaubt hatte, weil es die Erfüllung seines genau festgelegten Plans und seiner Vorsehung bedeutete, gebietet Er jetzt der menschlichen Bosheit Einhalt: Bis hierher und nicht weiter! Nur eine ehrfürchtig liebende Hand darf den heiligen Körper berühren, und nur ein Grab, das nicht verunreinigt ist durch einen sterblichen Körper, darf dieses „heilige Etwas“ aufnehmen. Wie schon erwähnt, ein von einer Jungfrau Geborener kann nur in ein unberührtes Grab gelegt werden. Daher wird das Grab dieses reichen Mannes die Ehre haben, den Körper des Herrn der Herrlichkeit zu beherbergen. Wo immer das Evangelium verkündigt wird, wird auch der Name dieses Reichen erwähnt werden. Beim Betreten solch heiligen Bodens kann ich nicht glauben, dass man seinen Namen erwähnen kann, ohne seine tiefgehende Bedeutung zu erklären: „Joseph von Arimathia“. „Joseph“ (mit der verheißungsvollen, fröhlichen Bedeutung „Er wird hinzufügen“) war der Name, den Rahel ihrem Erstgeborenen gab, denn – so fragt die glückliche Mutter – wird diese kostbare Gabe der letzte Beweis der Gnade Gottes sein? Nein, denn „der Herr füge mir [d.h. Joseph] einen anderen Sohn hinzu“, und Gott tat es. Vielleicht fragen wir: Sind dieses Kreuz, dieses Grab das Ende? Kann nichts hinzugefügt werden? Gibt es keinen Benjamin, keinen „Sohn meiner Rechten“? Der Name „Joseph“ kann darauf Antwort geben, denn in Prophezeiungen bezieht er sich immer auf die Geschichte einer Errettung, zum Beispiel in Psalm 81,6. Der fröhliche Posaunenklang ist „gesetzt als ein Zeugnis für Joseph“ und verkündet dem geöffneten Ohr, dass, so wie Israel aus Ägypten errettet wurde, dies hinzugefügt werden wird; Israel wird aus dem Staub der Erde erwachen (Dan 12,2). Genauso wird Gott noch das überaus mächtige Werk zu jenem Begräbnis „hinzufügen“; ein „Joseph“ muss noch, allerdings unbewusst, mit seinem Namen das verkünden. Aber was ist das gewaltige Werk? Der Name der Geburtsstadt Josephs gibt die Erklärung: „Arimathia“ bedeutet „erhoben werden“8 wie in Jesaja 52,13, und das ist es, was „hinzugefügt“ wird. Obwohl das Grab unbenutzt war, kann es Ihn nicht zurückhalten: Er wird daraus „erhoben“ werden. Diese kostbarste aller Wahrheiten wird ebenso reden wie der Name und Geburtsort dieses bescheidenen, aber echten Jüngers und ehrenwerten Ratsherrn, dieses reichen Joseph von Arimathia, und es wird noch von willigen Ohren vernommen werden.
Die Heiligkeit unseres Heilands war vollkommen: Er war ohne Falschheit und Gewalttätigkeit. Aber sein Begräbnis in einem unberührten Grab genügte nicht, um Ihm gebührende Anerkennung zu zollen – es wäre wirklich nutzlos gewesen. Denkmäler, auf denen die angeblichen Tugenden der darunter Verwesenden aufgeführt sind, beweisen das Gegenteil und mögen gut sein für die Nachkommen Adams. Aber die Heiligkeit des Herrn Jesus konnte nur durch seine Auferstehung bewiesen werden. Als Er während seines Erdenwandels „Schreie und Tränen darbrachte“, wurde Er wegen seiner „Frömmigkeit {oder heiliger Furcht} erhört“ [Heb 5,7]. Die „Furcht“ davor, zu einem von uns gemacht zu werden, ließ Ihn zurückschrecken. Doch sein Gehorsam bewies sein Vollkommensein und seine Heiligkeit. Seine Auferstehung bezeugte, dass Er erhört worden war um seiner Gottesfurcht willen (Heb 5). In zwei scheinbar unbedeuteten Namen finden wir, wie ein duftendes Veilchen unter Blättern versteckt, einen dieser Verse, durch den der Geist die Auferstehung belegt: Er wurde auferweckt am dritten Tag „nach den Schriften“. „Joseph von Arimathia“ lehrt uns, dass die Auferstehung auf das Kreuz folgen muss („hinzugefügt wird“). An diesem Ort fühlt man sich wohl, vor allem nach dem Sturm, der das hochgelobte Haupt beugte, einem Sturm, der jetzt für immer gestillt ist. Noch ist die dunkle Wolke sichtbar, doch verzieht sie sich langsam, um nie mehr auf Ihn zurückzukommen. Wir aber stehen im hellen Sonnenlicht, errettet für die Ewigkeit. Wir dürfen und werden bis zu seiner Wiederkunft von Zeit zu Zeit Rückschau halten: Beim Brechen des Brotes und beim Trinken aus dem Kelch erinnern wir uns an sein Kreuz und an den Speerstoß, das Gerichtsurteil und den Tod, den Er für uns erlitt.
Schweigend verweilen wir hier noch einen Augenblick, denn sicher lag das Grab nicht ohne göttliche Absicht in einem Garten. Wir besuchen im Geist den ersten Garten in Eden, den Gott selbst pflanzte. Logischerweise herrscht dort eine gedrückte Stimmung, denn hier wurde das Todesurteil verkündet über unsere Vorfahren, die gesündigt hatten. Infolgedessen vererbten sie ihre sündige Natur ihrer ganzen Nachkommenschaft (Röm 5,12). In Josephs Garten dagegen erwachen in den ersten Apriltagen im Jahr 32 n.Chr (nach Sir Robert Andersons vorsichtiger Chronologie). gerade die Vögel und singen, als die Frauen sehr früh (Mk 16,1) dorthin kommen. Blumen und Obstbäume treiben Knospen, ein Zeichen, dass die Natur vom Winterschlaf wieder zum Leben erwacht. Alles verkündet die frohe Nachricht, dass die düstere Stimmung des Gartens Eden vertrieben ist. Der Tod ist zunichtegemacht9, aber Leben und Unverweslichkeit sind ans Licht gebracht worden (2Tim 1,10). Werft einen Blick ins Grab! Es ist leer, außer den Leintüchern. Sie sind aus zwei Gründen zurückgeblieben: einerseits, um die übernatürliche Kraft zu bekunden, durch die das Grab leer geworden ist.
Kein eiliger „Totendieb“ hätte die Grabtücher gelöst und sie so sorgfältig gefaltet, dass man genau erkennen konnte, wo der Tote gelegen hatte. Andererseits sollten die verbliebenen Tücher klarmachen, dass Er sie nie mehr brauchen würde (im Gegensatz zu Lazarus, der sie mit sich aus dem Grab brachte).
Wie ein Bruder im Herrn (C.H. Burchell, aus Birmingham, England) bemerkte, erscheint im letzten Garten der Bibel, in Offenbarung 22, nicht der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, sondern nur der Baum des Lebens, der in Eden stand. Aber er wird jetzt nicht mehr bewacht durch den Cherubim mit seinem flammenden Schwert. Der Zugang ist offen für alle, die nicht auf ihre eigene Gerechtigkeit pochen, dagegen symbolisch ihre Kleider im Blut des Lammes gewaschen haben, das das Feuer für immer gelöscht hat.
Der letzte Satz („weil er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Munde gewesen ist“) gleicht einem zusätzlichen Schutzmantel für den Heiligen des Herrn, allerdings ist für das Begräbnis nötiger als für den Tod. Böse Männer wollten Ihn mit den Verbrechern begraben – das war zugelassen – und damit Ihn ihnen gleichstellen. Aber nicht sie hatten über die Bestattung des heiligen Toten zu bestimmen. Seine Grabstätte sollte bezeugen, dass nicht eine Spur der beiden Elemente Gewalttätigkeit und Verderbtheit in Ihm war. Was macht es aus, dass die, die Christus verwerfen, mit Fingern auf seine inkonsequenten Nachfolger zeigen? Sie versuchen damit vergeblich, ihre eigene Entscheidung, die zur ewigen Verdammnis führt, durch gerade diese Widersprüchlichkeit zu rechtfertigen. Nicht einen Hauch von Bösem werden sie an Ihm finden. Ein höherer Wille, der weit über Hohepriester und Herrscher, über Schriftgelehrte und Pharisäer steht, wacht darüber, dass seine Grabstätte von seiner Vollkommenheit zeugt und dass der bittere Schrei „Eli, Eli, lama sabachthani“ nicht für Ihn selbst erklang. Lieber Leser, du und ich, wir wissen um den wahren Grund.
Wir kommen zum letzten, zum deuteronomischen Teil dieses Pentateuchs, und wie das fünfte Buch Mose (Deuteronomium) ist er eine Zusammenfassung von Gottes Handeln mit Israel. So wie sie nach ihrer Wüstenreise an der Grenze zum verheißenen Land stehen und es auf der anderen Seite des dazwischenliegenden Flusses erblicken, so wird hier der Weg des Knechts noch einmal betrachtet. Seine Reise durch die Wildnis ist vorüber. Wir sehen Ihn hier vorwärtsschauen auf das lange Leben, das vor Ihm liegt, ein Leben für immer und ewig. Aber nicht danach verlangte sein liebendes Herz am meisten. Er wollte zu seiner Genugtuung die Ewigkeit mit anderen teilen, so wie wir im Folgenden sehen werden.