Schriften von Frederic Charles Jennings
Jes 52,13 - 53,12 - Der„Mann der Schmerzen“
Jes 53,10-12Jes 53,10-12
Jes 53,10-12: 10 Doch dem Herrn gefiel es, ihn zu zerschlagen10, er hat ihn leiden lassen. Wenn seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird er Samen sehen, er wird seine Tage verlängern; und das Wohlgefallen des Herrn wird in seiner Hand gedeihen. 11 Von der Mühsal seiner Seele wird er Frucht sehen und sich sättigen. Durch seine Erkenntnis11 wird mein gerechter Knecht die Vielen zur Gerechtigkeit weisen, und ihre Ungerechtigkeiten wird er auf sich laden. 12 Darum werde ich ihm Anteil geben an den Vielen, und mit Gewaltigen wird er die Beute teilen: dafür, dass er seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und den Übertretern beigezählt worden ist; er aber hat die Sünden Vieler getragen und für die Übertreter Fürbitte getan.
Von allen Worten, die jemals geschrieben oder gesprochen worden sind, sind keine so unglaublich tiefgründig; keine haben eine so vielschichtige Symbolik, und keine enthalten eine so Ehrfurcht gebietende Wahrheit als diese: „Dem Herrn gefiel es, ihn zu zerschlagen.“ Mit Zittern und Zagen nähern wir uns jetzt diesem heiligen Wort und denken über jeden Begriff nach. Wer wurde so geschlagen? Kein anderer als der, dessen Freude es war, den Willen dessen zu tun, dem es gefiel, Ihn zu zerschlagen.
Wenn Er doch so demütig und gehorsam war, warum hat der Herr Ihn denn geschlagen? Ja noch mehr: Ihm gefiel es sogar, Ihn zu zerschlagen. War Er erbost über einen schwerwiegenden Fehltritt dieses geliebten Knechts? Nein, dieser hatte selbst bezeugt, dass Er immer das Gott Wohlgefällige tat (Joh 8,29). Niemand konnte Ihn der kleinsten Schwäche überführen, schon gar nicht einer Sünde. Wirklich nicht. Fast droht der Himmel auseinanderzubersten, so glücklich ist der Herr über dieses sünd- und fleckenlos gelebte Menschsein. Jene Worte bei seiner Taufe und auf dem Berg der Verklärung bezeugen ein Wohlgefallen Gottes, das ungetrübt war. Und doch steht hier: „Es gefiel dem Herrn, Ihn zu zerschlagen!“ Warum nur hatte dieser allmächtige Arm so hart zugeschlagen und Schmerz und Kummer auf den Geliebten gebracht? Was konnte den Herrn dazu bewegt haben, sich selbst solches Leid zuzufügen, wie es einen Vater schmerzt, wenn Er seinem geliebten Sohn Leid zufügt?
Seine Liebe zu den Sündern war so groß, dass Er seinen eigenen, geliebten Sohn nicht verschonte. Können wir solch eine Liebe ermessen? Die Nöte, die uns das Leben oder der Tod bescheren, könnten wir mit Freuden durchstehen, wenn wir nur das erfasst hätten.
Wie kann man das „gefallen“ verstehen? Für den Sohn war es eine Freude, den Willen des Vaters zu tun, und doch führte Ihn das zu großen Qualen. Als seine Seele nur einen Schatten dieser Leiden durchmachte, betete Er mit starkem Schreien und Tränen, dass, wenn möglich, dieser Kelch an Ihm vorübergehe. Darum, nur darum, gefiel es dem Herrn, Ihn zu zerschlagen. Seine Liebe schreckte vor dem Schlagen zurück, genauso wie der geliebte Sohn vor dem Leiden. Aber seine Liebe zu uns armen Sündern bewegte den Vater, die Strafe auszuführen, und bewegte den Sohn, sie zu erdulden.
Beachten wir, dass es seine Seele war, die ein Opfer für Sünden wurde. Die Seele wird physisch durch das Blut dargestellt. Sie ist das Verbindungsglied zwischen dem Himmlischen und dem Irdischen. Jemand hat gesagt: „Die Seele scheint die gleiche Beziehung zum Geist zu haben wie die Frau zum Mann: Der eine ist überwiegend emotional veranlagt und der andere vor allem geistig aktiv; beide ergänzen sich. So wie die Sünde anfing durch die Verführung Evas, so wurde die Seele zum Opfer für die Sünde.“
Was war das Ergebnis? „So wird er Samen sehen.“ Das Weizenkorn ist gestorben und bringt jetzt durch seine Auferstehung viel Frucht. Er hat gelitten so wie ein Geschöpf, das gebärt. Diese sühnenden schweren Leiden sind wie die Geburtswehen, durch die der Samen aufgeht. Niemand konnte sein Geschlecht beschreiben, denn Er hatte keinen natürlichen Samen, aber geistlichen in großer Anzahl. Der Psalmist schließt sich dem Propheten an und ruft aus: „Ein Same wird ihm dienen“ (Ps 22,31).
„Er wird seine Tage verlängern.“ – „Leben erbat er von dir, du hast es ihm gegeben: Länge der Tage immer und ewig“ (Ps 21,5). Da Er das Leben von Ihm empfangen hat, ist sein Samen ebenfalls da, wo es keinen Tod gibt; nicht einer von denen, die dieses ewige Leben empfangen haben, wird den Tod jemals sehen (Joh 8,51). „Das Wohlgefallen des Herrn wird in seiner Hand gedeihen.“ Diese Worte fallen wie ein Sonnenstrahl auf eine Wetterwolke und werfen einen verheißungsvollen Bogen darüber. Von dem traurigen Geschehen auf Golgatha, wo es dem Herrn gefiel, Ihn zu zerschlagen, sehen wir dieses Wohlgefallen eingebettet in eine Umarmung, aus der nichts in der ganzen Schöpfung uns arme Sünder, schuldige und verirrte Geschöpfe herausreißen kann. Welche Freude muss es Gott bereiten! Es gab keine Alternative, um zu dieser Freude zu gelangen, als das Zerschlagen seines Sohnes. Allein deshalb hat Er Ihn nicht verschont. Und diese Freude wird andauern, bis Er alle Dinge neu gemacht hat.
Und was ist mit dem, der gelitten hat? „Er wird seinen Samen sehen“, und dadurch wird Er „sich sättigen“. Wie tief ist doch die Liebe, von der diese wenigen Worte handeln! Er hätte zu jeder Zeit seines Erdenlebens zurückkehren können zu dem Schoß, woher Er kam; allerdings wäre Er unbefriedigt gewesen. Ihm wären die Schande und die Angst des Kreuzes erspart geblieben, aber Er würde nicht glücklich gewesen sein. Er hätte nach seiner Auferstehung alleine zurück zur Rechten Gottes auffahren können, dahin, wo ewige Freuden sind; aber selbst da, bei ebendiesen Freuden, hätte Ihm etwas gefehlt. Seht die Myriaden von Menschen: Alle haben Bekanntschaft gemacht mit der Sünde und ihren Folgen: Schmerzen und Leiden. Alle haben Gottes Zorn verdient. Jetzt aber erwartet jeden von ihnen eine Ewigkeit, wo Freude herrscht. All diese Menschen hat Er vor Augen. und daher ist seine Seele gesättigt. Das alles haben wir Ihm zu verdanken. Welch ein Vorrecht, die Liebe zu kennen, die allen Verstand weit übersteigt!
Mit den Worten „durch seine Erkenntnis“ ist nicht die Weisheit gemeint, die seine Kinder von Ihm erhalten können. Hier lenkt Gottes Geist unsere Herzen auf den Herrn Jesus allein. Das Wort, das Ihm Weisheit zuschreibt, verbindet die letzte Serie der Gruppe von je drei Versen mit der ersten. Dort hieß es, dass der Knecht „weise handeln“ würde. Durch diese Weisheit oder Einsicht, die Er sich „Morgen für Morgen“ aneignet, erkennt Er den vor Ihm liegenden Weg. Dieser erreichte seinen Höhepunkt dadurch, dass Er viele mit Gott versöhnte, indem Er ihre Sünden trug.
Das einfache Lesen von Jesaja 53,12 wirft zumindest Fragen auf. Es scheint nicht normal zu sein, dass die, die weder gelitten hatten noch hätten mitleiden können, an der Belohnung dessen teilhaben sollten, der so unvergleichlich schwere Schmerzen und Demütigungen erlitten hat. Der Geist widersetzt sich heftig jedem Geschöpf, das einen derartigen Platz einnehmen könnte. Falls die hebräischen Worte mit Recht die Anfechtung dieser offenbar so ungebührenden Rivalität zulassen, möchten wir gern dieser Übersetzung zustimmen, wobei wir uns gegen die geringste Abweichung von der Wahrheit der Schrift wehren. Die Schrift braucht nicht verteidigt zu werden. Wir finden genau die gleiche Struktur in Hiob 39,17: „Keinen Verstand teilte er ihr zu.“ Hier ein Vergleich der beiden Verse: Hiob 39,17: „Keinen Verstand teilte er ihr zu.“
Jesaja 53,12: „Darum werde ich ihm Anteil geben an den Vielen …“
Auf den ersten Blick ist hier keine Unklarheit erkennbar, aber so wie Gott dem Strauß keinen „Verstand“ gegeben hat, so hat Er doch diese „Vielen“ seinem Knecht gegeben. Der Strauß teilt nicht mit Verstand – das ergäbe keinen Sinn –, aber genauso teilt der Herr Jesus nicht mit den Vielen. Es sind nicht die Vielen, die mit diesem einzigartigen Knecht teilen, sondern sie sind die Objekte, die Er empfängt. Damit sind wohl die Nichtjuden gemeint.12
Die Bedeutung des zweiten Satzes: „Mit Gewaltigen wird er die Beute teilen“13, ist nicht sicher. Wir können nicht ohne weiteres denen zustimmen, die so wie Luther übersetzen: „Er soll die Starken zum Raube haben“, denn die Präposition ändert sich. Dazu müssen wir wieder eine ähnliche Stelle in einem anderen Vers berücksichtigen. Sprüche 16,19 ist ähnlich in seiner Struktur: „… als Raub teilen mit [eth] den Stolzen.“ Daher habe ich mich gedrungen gefühlt, es zu übersetzen wie oben.
Aber wer sind nun diese „Starken“? Es muss sein „williges Volk“ gemeint sein, dessen Angehörige wie ihre Vorfahren, die Makkabäer, „aus der Schwachheit Kraft gewannen“ (Heb 11,34) und die auch große Taten ausführten, „sich stark erwiesen und handelten“ (Dan 11,34). Er identifiziert sich mit ihnen, wie schon einmal, und stellt sich an die Spitze des Volkes, mit dem Er die Beute seiner und ihrer Feinde teilen will: „Denn ich habe mir Juda gespannt, den Bogen mit Ephraim gefüllt; und ich erwecke deine Söhne, Zion, gegen deine Söhne Griechenland, und mache dich wie das Schwert eines Helden“ (Sach 9,13). Auch davon hat uns Gott ein Beispiel gegeben in David, der so ausgezeichnet den Messias verkörperte, indem er die Beute mit Israel teilte (1Sam 30,26-31). Wenn ich mich nicht irre, bezieht sich der erste Ausdruck auf die feindlichen Nichtjuden und der zweite auf das reumütige Israel, den gläubigen Überrest. Die Ersteren werden zu seiner Beute, die Er mit den Letzteren teilt.
Wieder verleitet uns der Text, uns selbst zu fragen: „Warum diese Erhöhung?“, und wieder geben wir vier Antworten:
Er hat seine Seele ausgeschüttet in den Tod.
Er ist den Übertretern beigezählt worden.
Er hat die Sünde Vieler getragen.
Er hat für die Übertreter Fürbitte getan.
Wie sehr gleicht das dem fünften Buch Mose: Es gibt einen umfangreichen Rückblick auf alles vorher Gesagte. Wie tief liebt doch Gott die arme Menschheit! Er erhöht seinen Sohn, weil Er durch dessen Tod seine Segnungen auf die verlorene Menschheit ausgießen kann. Jede Offenbarung der Liebe Christi zu den Menschen, bringt auch die Liebe des Vaterherzens zum Ausdruck. „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, damit ich es wiedernehme“ (Joh 10,17). Werden wir dadurch nicht freudig berührt? Gab es je einen Augenblick, wo der Vater seinem Sohn nicht mit zarter, grenzenloser Liebe zugetan war? Und doch sagt dieser Sohn, dass es keine größere Liebe gibt, als sein Leben für die Schafe hinzulegen, um es durch die Auferstehung wiederzunehmen. Dadurch konnte Er seinem armen Volk ein von jeder Verdammnis befreites Leben schenken. Darum liebt Ihn der Vater.
Ich wiederhole: Unermesslich ist die Liebe Gottes, des Vaters, zu armen Menschenkindern – ja, zu uns! Ja, zu mir! Das ist die göttliche Triebfeder für wahre Heiligkeit. Verunehren wir Ihn nur nicht durch die Annahme, dass „Fürbitte für die Übertreter“ einen strengen Gott gnädig stimmen könne. Die Fürsprache von Blastus (Apg 12,18-23) bei dem „sehr verärgerten“ Herodes bietet kein Gott wohlgefälliges Beispiel für seine Fürbitte. Die Königin Esther dagegen erlangte des Königs Gunst durch ihre natürliche Schönheit und weil sie bekleidet war mit königlichen Prachtgewändern. Als er ihr das goldene Zepter entgegenstreckte, war jeder Angehörige ihres Volkes ebenso sicher wie sie selbst (Est 5). Aber was ist der Schatten verglichen mit der Wirklichkeit? Wer kann sich die Freude Gottes über seinen Sohn vorstellen, als Er zu Ihm zurückkehrte, nachdem Er seine Seele ausgeschüttet hatte in den Tod, den Übertretern beigezählt worden war und die Sünden Vieler getragen hatte? Muss dieser geliebte Sohn noch mit eindringlichem Flehen, auf den Knien liegend, einen unwilligen Gott zum Ändern seiner Haltung bewegen? Weit, sehr weit gefehlt! Seine Wundmale bewirkten die Erlösung und legen Fürsprache ein für die Ärmsten seines Volkes, nach denen sein Verlangen steht. Dadurch kann seine Liebe uneingeschränkt fließen. Falls es doch ein Hindernis geben sollte, liegt es an den kalten, ungläubigen Menschenherzen.
Wir sehen Ihn nun vom Ölberg himmelwärts fahren, mit segnend erhobenen Händen, noch immer bittend für die, deren Sünde Er getragen hat, und wir trennen uns hier von Ihm. Der uns all dieses mitteilt, ist der Prophet, der für Israel spricht und „bitterlich klagt, dass es so spät geliebt hat“.