Schriften von Frederic Charles Jennings
Jes 52,13 - 53,12 - Der„Mann der Schmerzen“
Jes 52,13-15Jes 52,13-15
Jes 52,13-15: 13 Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln; er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein. 14 Wie sich viele über dich entsetzt haben – (so entstellt war sein Aussehen, mehr als irgendeines Mannes, und seine Gestalt, mehr als der Menschenkinder). 15 Ebenso wird er viele Nationen in Staunen versetzen1, über ihn werden Könige ihren Mund verschließen. Denn sie werden sehen, was ihnen nicht erzählt worden war; und was sie nicht gehört hatten, werden sie wahrnehmen.
„Siehe“ ist selbstverständlich eine Aufforderung Gottes, des Schöpfers des Himmels und der Erden, wie die einleitenden Verse des ersten Buches Mose – der Genesis – Ihn uns vorstellen. Er fordert uns auf, dem Einen, seinem Knecht, allerhöchste Aufmerksamkeit zu schenken. Wer kann denn dieser Knecht sein? Wo kann man Ihn ausfindig machen, um Ihm Beachtung zu schenken? Das Wort „Knecht“ in diesem Vers (siehe auch Jes 42) kann sich auf drei verschiedene Begriffe beziehen: zum einen auf das ganze Volk Israel, zum anderen auf den gläubigen Überrest und darüber hinaus auf den Messias. Wer genau ist in diesen Versen gemeint?
Der Großteil des leidenden jüdischen Volkes in der Zerstreuung hat diese Prophezeiung schon immer auf sich selbst bezogen und behauptet, dass Israel der besagte Knecht sei. In den folgenden Sätzen testen wir diese Hypothese: „Der Herr hat dieses Volk treffen lassen unser aller Ungerechtigkeit.“ – „Dieses Volk ist weggenommen worden aus der Angst und aus dem Gericht. Und wer wird sein Geschlecht aussprechen?“ – „Man hat das Grab dieses Volkes bei Gottlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist dieses Volk gewesen in seinem Tod.“ Müssen wir fortfahren? Eine Widerlegung dieser Theorie lohnt sich nicht, sie widerlegt sich selbst.2
Der bescheidene „Überrest“ würde gar nicht erst solchen Anspruch erheben. Somit drängt sich uns die schlichte Wahrheit auf, dass damit niemand anders als Jesus von Nazareth gemeint ist, der wahre Messias Israels, unser Erlöser. Die Übereinstimmung aller Einzelheiten ist so klar, so einfach, so wunderbar, dass es unerklärlich ist, wie jemand mit gesundem Menschenverstand seine Bedeutung in Frage stellen kann, dass ein logisch Denkender seinen Verstand ausschließt. Solch ein fleischlich Gesinnter widersetzt sich allem Göttlichen und steht unter der Herrschaft eines mächtigen und heimtückischen Feindes. Die ersten Worte offenbaren uns genau den Gleichen, von dem der Geist in den vorhergehenden Kapiteln sprach, die zu diesem Höhepunkt hinführen. Er war es, dessen Ohren geöffnet wurden; Er war es, der den vor Ihm liegenden Pfad des Leidens und der Schande erkannte und bereit war, ihn zu gehen. Er lernte, das Böse zurückzuweisen und das Gute zu wählen. Hier sieht man Ihn als jemand, der diese Wahl weise trifft. Er ging diesen Weg, weil die Schriftrolle Ihn klar auf das Kreuz und die darauf folgende Herrlichkeit hinwies.
Er handelte sehr weise, um seinen Erfolg sicherzustellen. Die Worte „einsichtig handeln“ bedeuten so viel wie „erfolgreich sein“, und man kann tatsächlich beide Begriffe hier erkennen: Mit ein und demselben Wort ist beides gemeint: klug handeln und Erfolg haben. Sein weises Handeln führte Ihn hin bis zu grenzenlosem Leiden, und dadurch erreichte Er sein Ziel. Die erste Zeile handelt also von diesem „weisen“ Leidensweg, der am Kreuz endete.
Die nächsten drei Zeilen beschreiben das dreifache Ergebnis seines weisen Handelns. Erstens wurde Er erhoben aus dem Abgrund der Erniedrigung, wo dieser Leidensweg Ihn hingeführt hatte: dem Grab. Dann wurde Er erhöht, als seine Füße sich vom Ölberg abhoben und eine Wolke Ihn einhüllte, und schließlich erhielt Er den allerhöchsten Platz im Universum. Diese wenigen Worte schildern die ganze Laufbahn des Messias: Er verließ den Thron als Gottessohn und nahm ihn wieder ein als Menschensohn. All das entfaltet sich in der Genese dieses Pentateuchs.
Der Vers 14 handelt wieder von den Tiefen seiner Erniedrigung: „Wie sich viele über dich entsetzt haben …“, gefolgt von einer erklärenden Zwischenbemerkung: „so entstellt war sein Aussehen, mehr als irgendeines Mannes, und seine Gestalt, mehr als der Menschenkinder“. Hier müssen wir uns nun wirklich von manch einem Kommentatoren distanzieren (auch von Delitzsch), denn sie beziehen dieses entstellte Aussehen auf das Äußere unseres Herrn: als ob zu seinen Lebzeiten seine Erscheinung bis zur Unkenntnis verzerrt gewesen sei. So eine Deutung muss mit Entsetzen abgelehnt werden. Kleine Kinder, deren Gespür unfehlbar ist, kamen gern zu Ihm, saßen auf seinem Schoß oder bargen sich an seiner Brust. Sie wurden von Ihm angezogen und nicht abgestoßen, weder von seinem Gesicht noch von seiner Erscheinung. Wie hätte Er zu diesem Zeitpunkt unmenschlich aussehen können?
Ohne Frage weisen jedoch diese Worte hin auf die Tiefen seiner Leiden und dessen Folgen auf sein Äußeres. Bis zum Glockenschlag zwölf an diesem fatalen Tag im April des Jahres 32 unseres Zeitalters (nach der ziemlich sicheren Chronologie von Sir Robert Anderson) werden die Verbrecher rechts und links von Ihm gleichermaßen gelitten haben. Vielleicht war Jesu Leiden auch schwerer aufgrund der vermehrten Empfindsamkeit seines makellosen menschlichen Körpers. Doch drei Stunden lang, und nur drei Stunden, litt Er tatsächlich „mehr als irgendein Mensch“, so dass sein Gesicht über die Maßen verzerrt wurde. Ohne Zweifel hat Gott einen Schleier gezogen über diese Qual, um feierlich anzudeuten, dass niemand die ganze Tiefe dieses Martyriums „sehen“ oder erfassen kann. Doch das heilige Schweigen der Evangelien wird ergänzt durch die göttlich inspirierte Beschreibung des Propheten Jesaja. Von diesem unvergleichlich harten Todeskampf berichtet uns Gott selbst das, was Er in dieser großen Finsternis sah. Wie groß muss sein eigener Schmerz gewesen sein, denn dieser am Kreuz Leidende war sein geliebter Sohn!
Wir müssen besonders beachten, dass sein Antlitz verunstaltet wurde, das heißt, es war nicht so von Geburt an. Etwas war also vorgefallen, dass dieses Gesicht entstellt wurde. Es war so anziehend gewesen für kleine Kinder und besonders für reumütige Sünder. Es wäre nicht richtig, die Reichweite der ersten Linie des Verses 14 zu begrenzen und zu glauben, dass nur geistlich blinde, verachtungswürdige Menschen sich entsetzt hätten. Auch Engel, die darauf brannten, einen Einblick in dieses heilige Geheimnis zu gewinnen, fehlten gewiss nicht bei diesem schrecklichen Geschehen. Sie waren sicher zutiefst überwältigt von dem freiwilligen, stellvertretenden Todeskampf ihres Schöpfers.
Der Vers 15 nimmt die Aussage der ersten Linie von Vers 14 wieder auf: „Wie sich viele über dich entsetzt haben“ (wegen der beispiellosen Erniedrigung des Einen, der so vollkommen war), „ebenso wird er viele Nationen in Staunen versetzen.“ Selbst Könige werden sprachlos vor Verwunderung, denn so etwas übersteigt alles bisher Dagewesene.
Der erste Abschnitt, oder die Genese, endet mit der Vorhersage von etwas Wunderbarem für diejenigen, die so etwas noch nie gesehen oder gehört hatten: die anderen Nationen, die keine Offenbarungen und keine Prophezeiungen von Gott empfangen hatten so wie Israel. Am Anfang des zweiten Abschnitts des Pentateuchs (Exodus) identifiziert sich der Prophet mit dem Volk in seinem demütigen Sündenbekenntnis und klagt bitterlich über dessen Verblendung und Unglauben. Daher ähnelt dieser Text stark dem Exodus des Alten sowohl als auch dem des Neuen Testaments (der Apostelgeschichte). In beiden Büchern wird Israel die Rettung angekündigt, und in beiden wird auch die Ablehnung derselben beschrieben: „Diesen Mose, den sie verleugneten, indem sie sagten: Wer hat dich zum Obersten und Richter gesetzt?, diesen hat Gott zum Obersten als auch zum Retter gesandt.“ – „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herz und Ohren! Ihr widerstreitet allezeit dem Heiligen Geist; wie eure Väter, so auch ihr“ (Apg 7,35.51). Die Geschichte wiederholt sich. Aber jetzt steht der Prophet mit niedergeschlagenen Augen, ganz so wie der Zolleinnehmer oder wie dieser andere bedeutende Mann, Daniel. Er macht sich eins mit seinem Volk, bekennt ihre Sünden und klagt.