Erich Sauer
Schriften von Erich Sauer
Das Morgenrot der Welterlösung
Dritter Teil: Die vorlaufende Heilsoffenbarung
E. Die Heilszubereitung der Völkerwelt
11.Kapitel: Die „Zeiten der Nationen“ (Die vier Weltreiche Daniels)11.Kapitel: Die „Zeiten der Nationen“ (Die vier Weltreiche Daniels)
„Die Völker sind wie das brausende Meer, wie brandende Wogen, die im Aufruhr tosen” (vgl. Jes 17,13).
Mit Nebukadnezar (586) begannen die Zeiten der Nationen (Lk 21,24), das heißt, die Zeiten, in denen Israel in die Hände der Weltmächte hingegeben ist. Sie werden erst enden mit der Aufrichtung des sichtbaren Gottesreiches.
Nebukadnezar und Daniel wurden gewürdigt, die Gesamtentfaltung der Weltmächte in universal-historischer Prophetie zu schauen, doch beide von verschiedenen Gesichtspunkten aus, entsprechend ihrer Stellung im Heilsplan.
Nebukadnezar, der heidnische Herrscher, sieht die Außenseite der Weltgeschichte, ihr Menschenantlitz, 305 ihren organischen Zusammenhang (eine Figur -), das Großartige, Heldische, Imponierende an ihr: das menschliche Kolossalstandbild „von außerordentlichem Glanz” (Dan 2,31), und das Reich Gottes erscheint ihm nur wie ein „Stein” von dem Berge (Dan 2,34; 44; 45).
Daniel, der Staatsminister, aber geheiligte Seher zugleich, schaut die Innenseite der Geschichte, ihre untermenschliche Raubtiernatur (Dan 7. 4-7), 306 ihre disharmonische Zerrissenheit in dem Widerstreit der Völker untereinander (Dan 8,4; 6; 7; 11,2; 4; 11), das „Verschlingende" (Dan 7,5; 19), „Zermalmende"
(Dan 7; 7; 19), „Gottlästernde“ (Dan 7,8; 25) in ihr; und das Reich Gottes ist ihm das Reich des „Menschensohnes“ (Dan 7,13); 14; 27), das heißt, das Reich, in dem zum ersten Male auf der Erde eine Herrschaft wahren Menschentums im Sinne der Heiligen Schrift aufgerichtet werden wird.
Das erste Reich war eine Einheit (Babylonien, ein Haupt), das zweite eine Zweiheit (Medo-Persien, Brust und zwei Arme), das dritte eine Vierheit (die vier griechischen Diadochenstaaten, der Pardel mit vier Hörnern), das vierte wird eine Zehn-Einheit sein (das endgeschichtliche vierte Weltreich, zehn Zehen, zehn Hörner, die aber durch den Antichristen zu einer Gesamteinheit verbunden sein werden). Zuletzt aber, wenn Christus erscheint, wird dies alles zu einer Vielheit von Trümmern (Dan 2,35; Off 16,16; 19,11-18; Mt 21,44), und dann wird der HErr, als der eigentliche Menschheitsmonarch, alle Völker und Rassen unter einem Haupt, ihm selber, zu einer wahren Einheit zusammenbringen (Eph 1,10; Sach 14,9).
Ostwestlich ist der Entwicklungsgang der Geschichte, dem Sonnenlauf gleich - mit der Nacht abschließend. „Abwärts“, von Gott weg, geht Sünde und Welt. Vom Gold geht’s zum Silber (Dan 2,39!), vom Silber zum Kupfer, vom Kupfer zum Eisen 307, und auf tönernen Füßen steht Nebukadnezars Koloβ. (Dan 2,33). Auch der rang der Körperteile nimmt ab:
erst das Haupt , der Sitz des Geistes,
dann die Brust, der Sitz der Edelorgane,
dann der Bauch, der Sitz der Verdauung,
zuletzt die Füße, die im Staube wandeln.
Darum ist das Ende „Zusammenbruch". Das Riesenstandbild wird „zermalmt" (Dan 2,35; 45), und „die Herrschaft der Tiere” wird weggenommen" (Dan 7,12). Aber dann geht, mitten in der tiefsten Nacht, plötzlich die Sonne auf.
Der Menschensohn richtet, vom Himmel her kommend (Dan 7,13; Mt 26,64), das Reich wahren Menschentums auf. Der „Stein” wird zum „Berge” und erfüllt die ganze Erde (Dan 2,35), und „das Reich und die Herrschaft und die Größe der Königreiche unter dem ganzen Himmel werden dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben“ (Dan 7,27).
Vom 8. bis 6. Jahrhundert vor Christi Geburt war es „Frühlingszeit” in der Völkerwelt. Kein anderer Zeitabschnitt der vorchristlichen Weltgeschichte ist für die Gestaltung des geistigen Lebens der Menschheit von so grundlegender Bedeutung geworden. Geradezu eine Woge von Inspiration ging über die gesamte Kulturwelt dahin. In Ostasien lebten Konfuzius und Laotse, die größten Chinesen, in Südasien Buddha, der einflußreichste Inder, in Persien Zarathustra, der Prophet der Religion des Kores. In Westasien war die Hochblüte der israelitischen Prophetie unter Jesaja. Jeremia, Hesekiel und Daniel, und in Griechenland das erste Aufkeimen der Philosophie (Tales, Heraklit, Pythagoras, Sokrates), und die Blütezeit der klassischen Dichtkunst (Sophokles, Euripides, Äschylos).
Politisch aber brausten die Frühlingsstürme. Noch 650 stand Ninive da, und der Großkönig von Assur war der Herr Vorderasiens. Doch 612 fiel Ninive, und von nun an rollten die Ereignisse förmlich dahin. Das Neubabylonische Reich wurde schon nach wenigen Jahrzehnten durch Kores gestürzt (538). Dessen Reich brachte Alexander der Große zu Fall (333), und auch Alexanders Reich zerfiel gleich nach seinem Tode in vier Teilstaaten (301). Das Erbe des Ganzen aber übernahmen die Römer. Erst mit dem Römischen Reich trat für einige Jahrhunderte „Sturmstille“ ein.
I. Das Neubabylonische Weltreich: 612—538
„Du bist das goldene Haupt”, so deutet Daniel das Standbild für Nebukadnezar. 308 Von den vier Tieren, die er selbst geschaut, entspricht das erste diesem Königreich. Das Neubabylonische Reich ist der (Dan 7,4). Denn was das Gold unter den Metallen und das Haupt unter den Gliedern ist, das ist der Löwe unter den Tieren der Erde und der Adler unter den Tieren in der Luft, und das Neubabylonische Reich vereinigte löwenstarke Königsmacht mit adlerartiger Schnelligkeit und Raubtiernatur.
Begründet wurde es von Nabopolassar (625), befestigt durch Nebukadnezar (604-562), zerstört durch Kores von Persien (538). Es bestand ziemlich genau 70 Jahre und fiel zeitlich fast mit der babylonischen Gefangenschaft der Juden (606—536) zusammen. Mit seiner Zerstörung wurde die Weissagung Jeremias erfüllt: „Der HErr hat die Wut der Könige von Medien erweckt; denn sein Absehen ist wider Babylon gerichtet, um es zu vernichten; denn die Rache des HErrn ist da, die Rache für seinen Tempel!” (Jer 51,11; 24; Jes 13,17). Zugleich aber brach mit dem Fall Babylons die gesamte Weltherrschaft der semitischen Rasse für immer zusammen (538).
II. Das Medo-Persische Weltreich: 538 - 333
Kores, der Anführer der Indogermanen, wird von dem Alten Testament geradezu einzigartig begrüßt. Er ist der einzige Kriegsheld der Völkergeschichte, der schon Jahrhunderte vor seiner Geburt von der israelitischen Prophetie mit Namen genannt wird (von Jesaja, ungefähr 200 Jahre vor Kores selbst: Jes 44,28; 45,1). Der HErr hat ihn, um Israels seines Knechtes willen, bei der Rechten ergriffen, um Völker vor ihm niederzuwerfen (45,1; 4). Er nennt ihn seinen „Hirten" (44, 28), seinen „Gesalbten", der all seinen Willen ausführt (45, 1), und er spricht zu ihm: „Ich selbst will vor dir herziehen und das Unwegsame ebnen, eherne Pforten will ich sprengen und eiserne Riegel zerschlagen. Ich will dir die im Dunkel verborgenen Schätze übergeben und die wohlversteckten Kostbarkeiten, damit du erkennest, daß ich, der HErr, es bin, der dich bei deinem Namen gerufen hat, der Gott Israels” (Jes 45,3; 4). So begrüßt das Alte Testament den Begründer der arischen Weltherrschaft.
Das Medo-Persische Reich war die silberne Brust mit den zwei Armen (Dan 2,32), der Bär, der sich auf der einen Seite aufrichtete (Dan 7,5), der Widder mit den zwei ungleichen Hörnern, von denen das höhere zuletzt emporwuchs (Dan 8,3; 20).
Die Meder und Perser waren Brudervölker; doch standen die Perser zunächst unter der Oberhoheit der Meder. Da vollzog der persische Prinz Kurusch (Kuras) von Ansan (Cyrus, Kores) gegen den Mederkönig Astyages um 559 einen Umsturz, und von nun an war das medische Reich persisch geworden. Der Bär hatte sich gleichsam auf der einen, der persischen Seite ,,aufgerichtet", während die andere, die medische, nach unten lag; von den zwei Hörnern des Widders hatte das später gewachsene das erste überflügelt.
Mit gewaltiger Stoßkraft stürmte das Perserreich voran, besonders seit Babylons Fall (538). „Ich sah, wie der Widder nach Westen, nach Norden und nach Süden stieß“ (Dan 8,4). Bezeichnend ist, daß der Osten nicht genannt wird; denn in der Tat haben die Perserkönige keine Eroberungszüge nach Indien unternommen. Aber in den andern Himmelsrichtungen hat dies unersättliche Reich geradezu Land über Land „verschlungen". „Stehe auf, friß viel Fleisch" (Dan 7,5). In dem „Maule" des Bären waren besonders drei „Rippen", das lydische (seit 546), das babylonische (seit 538) und das ägyptische Reich (seit 525), und mit seinen 127 Provinzen umspannte es fast die ganze damalige Kulturwelt (Est 1,1). Nur gegen Griechenland waren seine Unternehmungen erfolglos, und hierin lag der Keim seines späteren Untergangs (Dan 11,2).
III. Das Griechisch-Mazedonische Weltreich: 333 v. Chr. und Folgezeit
Den Zusammenbruch des Perserreiches bewirkte, nach 206 jährigem Bestehen (538—332), Alexander von Mazedonien, der Sohn König Philipps. Sein Reich ist der kupferne Bauch und die Lenden im Standbild Nebukadnezars, der Panther mit den vier Flügeln und den vier Köpfen im Traumgesicht Daniels (Dan 7,6), und er selbst ist das „große Horn“ des Ziegenbocks, der „von Westen her" kommend in „grimmigem" Ansturm den persischen „Widder“ zu Fall bringt (Dan 8,5-7; 21). 309
Der Siegeszug Alexanders ist das gewaltigste Schauspiel des Altertums. Mit rasender Geschwindigkeit, gleichsam als ob der schnellfüßige Ziegenbock, fliegend, die Erde nicht berührte (Dan 8,5), einem vierfach geflügelten Leoparden gleich (Dan 7,6), stürmte Alexander gegen den minder beweglichen Widder, den plumpen, massiven, persischen Bär. In unvergleichlichen Siegen am Granikus (in Westkleinasien, 334), bei Issus (in Cilicien, nicht weit von Tarsus, 333) und bei Gaugamela (bei Ninive, 331) vernichtete der jugendliche Kriegsheld die riesenhaften Heere) 310 des schwachen Darius Codomannus. „In dem Widder war keine Kraft, um vor ihm zu bestehen; und er warf ihn zu Boden und zertrat ihn, und niemand rettete den Widder aus seiner Hand" (Dan 8,7). Nach knapp dreijährigem Kampfe war der fünfundzwanzigjährige Jüngling der Herr des zweitausendjährigen Orients. Dem Pardel „wurde Herrschaft gegeben" (Dan 7,6); der Ziegenbock „wurde groß über die Maßen" (Dan 8,8).
Dann aber kam in das gewaltige Schauspiel die Tragik. Auf der Höhe seiner Macht, in der Blüte seiner Jahre, 311 in der Weltstadt Babylon, starb Alexander, nach einem Gelage, an einem hitzigen Fieber, ohne Thronerben eines plötzlichen Todes (323). Das „Horn“ wurde „zerbrochen“ (Dan 8,8; 22). „Ein Heldenkönig wird auftreten und über ein großes Reich herrschen und alles ausführen, was ihm beliebt. Doch kaum ist er aufgetreten, so wird sein Reich zerfallen“ und nach den vier Himmelsgegenden hin zerteilt werden, aber weder an seine Nachkommen gelangen noch bei der Macht bleiben, mit der er geherrscht hat" (Dan 11,3; 4).
Nach zwanzigjährigem Ringen der Generäle um das Erbe Alexanders gingen' im wesentlichen vier Hauptreiche hervor:
1. Das Syrisch-Babylonische Reich des Seleukus (der „König des Nordens": Dan 11,6; 7; 11),
2. Das Ägyptische Reich des Ptolemäus-Lagi (der „König des Südens": Dan 11,5; 9; 11),
3. Das Mazedonisch-Griechische Reich des Kassander und
4. Das Thrazisch-Bithynische Reich des Lysimachus.
So erfüllte sich buchstäblich im Jahre 301 durch die Schlacht bei Ipsus (Phrygien) die Weissagung Daniels aus dem 6. Jahrhundert (Dan 7,1; 6; 8,1): „Der Ziegenbock wurde überaus groß; aber als er am stärksten war, brach das große Horn ab, und vier andere ansehnliche Hörner wuchsen an seiner Stelle hervor nach den vier Himmelsgegenden” (Dan 8,8). Darum hat auch der Panther nicht nur vier Flügel, sondern auch vier Köpfe (Dan 7,6).
Von diesen vier „Diadochen"- (d. h. „Nachfolger")staaten kommen für die Heilsgeschichte vornehmlich die beiden größten, der ägyptische „König des Südens" und der syrische „König des Nordens", in Betracht, und von diesen wiederum namentlich der letztere. Darum wird ihnen auch eine besondere, bis ins einzelne gehende Prophetie gewidmet (Dan 11). Vom Jahre 301 bis 198 stand Israel unter der Herrschaft Ägyptens; dann, nach der Schlacht bei Paneas, gehörte es zu Syrien.
Hier kam es schon nach wenigen Jahrzehnten zu jenem gewaltigen Zusammenstoß zwischen Weltkultur und Offenbarung, der in den Namen Antiochos Epiphanes und Judas Makkabäus verkörpert ist.
Aus einem der vier Hörner des Ziegenbocks, die an der Stelle des abgebrochenen Alexander-Horns emporgewachsen waren, ging ein besonders „kleines Horn“ hervor, „das außerordentlich groß wurde gegen Süden und Osten und gegen (Palästina) das Prachtland der Erde. Und es wuchs bis zum Heer des Himmels empor und warf einige von dem Heer und von den Sternen zur Erde nieder und zertrat sie" (Dan 8,9; 10). „Ein König wird auftreten, frechen Angesichts und ein Meister in Ränken. Seine Macht wird bedeutend sein; er wird außerordentliches Unheil anrichten; er wird Mächtige und auch das Volk der Heiligen ins Verderben stürzen“ (Dan 8,24).
Gemeint ist Antiochus IV. Epiphanes, der achte König des Nordens (175-164). Dennoch dürfen wir ihn uns, trotz seiner oft wahnwitzigen Ideen 312 und Grausamkeiten, nicht etwa als einen nur rohen Barbaren vorstellen, sondern als einen begeisterten Anhänger des Griechentums.
Seitdem er, nach der Besiegung seines Vaters Antiochus III. durch die Römer (190) 13 Jahre lang als Geisel in Rom geweilt hatte, war von den römisch-griechischen Ideen derart durchdrungen, daß ihn Mommsen geradezu den „Römeraffen von Profession" nennt. Namentlich seit 168, als ihm die Römer die Eroberung Ägyptens untersagt hatten (Dan 11,30), wollte er zur inneren Erstarkung seiner Macht, eine religiös-politische Verschmelzung aller Teile seines Reiches durchführen. Dabei stieß er nur in Palästina auf Widerstand. Nur um diesen dennoch zu brechen und die Parole: ein König, ein Reich, eine Kultur durchzuführen, verfolgte er die jahwegläubigen Juden. Sein eigentliches Ziel hierbei war die Einführung der griechischen Kultur in das Judentum, verbunden mit der Verehrung des olympischen Zeus.
Darum verbot er die Beschneidung und den Tempelgottesdienst (Dan 8,11; 11,31-36), untersagte die Feier der Sabbate und Feste, ließ die heiligen Schriften einziehen, zerreißen und verbrennen und diejenigen töten, bei denen man solche fand (Dan 11,33). Darum raubte er aus dem Tempel den mit Goldplatten belegten Rauchaltar, den goldenen Leuchter und den Schaubrottisch und den Vorhang zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten (169). Darum zwang er auch die Bevölkerung, Schweinefleisch zu essen, ja ließ am 25. Kislew (ungefähr Dezember) 168, am Jahresfest des olympischen Zeus, einen diesem Gott geweihten Götzenaltar auf dem Brandopferaltar zu Jerusalem aufstellen (1 Makk. 1,20-24; 41-64), diesen „Greuel der Verwüstung“ an heiliger Stätte, auf den der HErr Jesus als auf eine vorbildliche Prophetie für die Zukunft in seiner Ölbergsrede hinweist (Mt 24,15 vgl. Dan 11,31; 9,27; 12,11). Durch dies alles aber wurde er zum Typus dessen, den der Apostel Johannes den „Antichristen" nennt. Darum wird er auch in der Prophetie als das „kleine Horn“ des dritten Weltreiches dargestellt (Dan 8,9; 23), so wie dieser das „kleine Horn“ des vierten Weltreiches ist (Dan 7,8; 20; 24; 25).
Gegen diese Kulturvergewaltigung des Offenbarungsglaubens erhoben sich die Freiheitshelden des Makkabäeraufstandes (168—141). „Das Volk derer, die ihren Gott kennen, wird sich stark erweisen und danach handeln“ (Dan 11,32). Nach heldenhaftem Ringen gewannen sie die Religionsfreiheit zurück (165) und schließlich sogar die politische Selbständigkeit (141). Dennoch zeigte gerade die Geschichte ihres Gegners, daß inzwischen eine neue Zeit für die Völkerwelt angebrochen war. Denn im Hintergrund des Lebens des Antiochus stand, ihn selbst hemmend und einschränkend (Dan 11,30), eine neue, dem Orient bisher fremde Macht: Rom.
IV. Das Römische Weltreich: 201 (133) v. Chr. — Wiederkunft Christi
Das Aufkommen einer abendländischen Weltmacht und den Zusammenbruch des semitisch-assyrischen Orients hatte schon Bileam, der Zeitgenosse Moses, in der Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christi Geburt geweissagt: „Wehe! Wer wird am Leben bleiben, wenn Gott dies eintreten läßt? Denn Schiffe kommen von den Kittäern (d. h. Zypern) 313 her; die demütigen Assur und demütigen Eber (1. Mose 10,21); aber auch er wird dem Untergang verfallen” (4. Mose 24,23; 24). Dies wurde, nach 1200 Jahren, im Römerreich erfüllt.
Klein wie ein Weizenkorn am Anfang - die Herrin der Völker vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang in der Blüte: das ist Roms Entwicklung. Noch in den Tagen der Gründung des Perserreiches ein kleines Städtchen in Mittelitalien, das der griechische Geschichtsschreiber Herodot nicht einmal erwähnt, war Rom in den Tagen des HErrn Jesu „die gemeinsame Stadt“, „die Versammlung des Erdkreises“.
Den Antrieb zu seiner Entwicklung bekam Rom von Griechenland her. Die Römer selbst wären wohl niemals imstande gewesen, eine eigene, höhere, künstlerische und philosophische Kulturschöpfung ins Dasein zu rufen. Ihre Stärke lag vornehmlich im Militärischen und Staatlich-Juristischen. In Manneszucht und Hingabe an den Staat leisteten sie Unvergleichliches; aber selbst in den Zeiten ihrer höchsten Machtfülle blieben sie innerlich Halbbarbaren. Dies beweist schon das rohe Amphitheater, diese scheußliche Vergnügungsstätte römischer Brutalität. Das Römische Reich war eben wie aus Erz und aus Eisen (Dan 2,40). Es entsprach den Beinen im Monarchienbild Nebukadnezars (Dan 2,33) und dem vierten „Tier“ in dem Nachtgesicht Daniels, 314 „schrecklich und furchtbar und außerordentlich stark; es hatte gewaltige Zähne von Eisen, fraß und zermalmte und zertrat, was übrig blieb, mit seinen Füßen” (Dan 7,7).
Ursprünglich ein kleiner Bauernschaftsstaat, trieb ihn, bei wachsender Bevölkerungszahl, der Landhunger fast notwendig zu Eroberungen. Nach siegreichen Kriegen gegen gleichartige Nachbarn (bes. die Samniten, 343-290) war Rom um 300 italische Großmacht. Damit war der Eintritt in die Weltpolitik unumgängliche Folge, und gleichzeitig war die Rivalität mit Karthago, dem Italien gegenüber liegenden Mittelmeernachbarn, von selbst gegeben. Mit der Niederringung dieses gefährlichsten Gegners (201) 315 war Rom unumstritten westmittelländische Vormacht; und geradezu zwangsläufig - selbst ohne einen direkten Willen zur Weltmacht - war ein Eingreifen Roms in den Orient unvermeidlich.
Hier aber ging es nun „wie zerschmetterndes Eisen“ (Dan 2,40) Schlag auf Schlag. Schon nach vier Jahren war Mazedonien gebrochen (197) 316 , nach weiteren sieben Jahren Syrien 317 (190). 168 war Mazedonien vernichtet, 318 146 wurde Nordafrika „Provinz“, 319 im gleichen Jahre auch Griechenland. 320 133 wurde Spanien erobert, 321 durch die Pergamenische Erbschaft (133), das westliche (Klein-)„Asien" einverleibt (129). So hatte sich — vornehmlich im zweiten Jahrhundert — die Weissagung Daniels erfüllt: „Es wird die ganze Erde verschlingen und sie zertreten“ (Dan 7,23), „wie das Eisen alles zermalmt und zertrümmert" (Dan 2,40). 322 Mit dem Ganzen aber hatte Rom die Erbschaft Alexanders des Grossen übernommen und war seit 146 (bzw. 133), allgemein anerkannt, die alles beherrschende Ost-West-Mittelländische Welt-Militärrepublik geworden. „Es war, als wenn der Kriegsgott mit eisernen Füßen über den Erdkreis dahinging und bei jedem Schritt Ströme Blutes hervorquellen ließ" (Herder).
Doch nun kam die Zeit der Gärung. Der Aufstieg war ein zu gewaltiger gewesen. Ein Revolutionszeitalter mußte folgen (133 bis 31). „Möchte es dem Himmel gefallen, daß ich ein Lügner wäre; aber ich sehe Rom, das stolze Rom, fallen als ein Opfer seines Glücks“ (Propertius, 1. Jahrh. v. Chr.).
Mit der Ausbreitung der Römerherrschaft war Rom zum Mittelpunkt der Welt geworden. Alle Schätze der Nationen strömten in den herrschenden Kreisen zusammen. Die Folge war sinnloser Luxus, wüsteste Verschwendung, Prasserei und Bestechung. Schon um 190, als der junge Antiochus Epiphanes in Rom weilte, war ein Prozeß gegen nicht weniger als 10 000 Personen im Gange, die der Mehrzahl nach mit dem Tode bestraft werden mußten. Mit seiner Welteroberung grub sich das republikanische Rom selber sein Grab. Der römische Staat war ursprünglich ein Bauernstaat gewesen. Doch seitdem er, namentlich vom 2. Jahrhundert v. Chr. an, Gesamt- Mittelmeer-Weltmacht geworden war, änderte sich alles. Um die Herrschaft über das riesige Reich zusammenzuhalten, war man gezwungen, ein großes, stehendes Bürgerheer zu halten. Da aber in der langen Militärzeit dem Kleinbauern Haus und Hof verdarb, verkaufte er es an die reicheren Grundbesitzer. So entstand das Großagrariertum mit seinen Riesengütern, die man durch Sklaven bewirtschaften ließ. Der Mittelstand ging zugrunde. Die bäuerliche Landbevölkerung wurde in die Großstädte getrieben. Die „Flucht vom Lande" setzte ein. Der große Gegensatz Kapitalismus und Proletariat war entstanden. Da infolge der Ausleerung der Landbezirke das bisherige Aushebungssystem nicht mehr möglich war, griff man zum Söldnersystem.
Blind waren die Soldaten dem anwerbenden Feldherrn ergeben. Entscheidend für sie war, wer sie am meisten zu Raub und Beute führte und ihnen den höchsten Sold versprach. Die Persönlichkeit des einzelnen Demagogen wurde ausschlaggebend. Aus dem Hervortreten der verschiedenen ehrgeizigen Führerpersönlichkeiten folgten die Bürgerkriege, welche mehr als einhundert Jahre lang den römischen Staat zerwühlten (133—31 v. Chr.), 323 und aus den Bürgerkriegen ging endlich die Allein-Herrschaft, das Kaisertum der Zeit Christi, hervor. Damit war Rom in sein sechstes Stadium eingetreten: es war Welt-Militär-Monarchie geworden (von 31 v. Chr. ab).324
Einzigartig ist diese Entwicklung, ohne jegliche Parallele in der Weltgeschichte. Das vierte Tier „war von allen anderen Tieren verschieden“ (Dan 7,7). Geradezu zwangsläufig folgte bei ihm eins aus dem andern. Der Wille des Weltenlenkers waltete über Roms Geschichte wie mit schicksalhafter Macht. Rom mußte das werden, was es geworden ist, um Christi willen. Wohl waren die Römer „die Räuber des Erdkreises"; aber ihr Rauben hatte, ohne daß sie es wußten, einen heilsgeschichtlichen Sinn. Sie mußten das Sammelbecken der Menschheitskultur schaffen zur Vorbereitung der Verkündigung des Menschheitsevangeliums. Darum war Roms Aufgabe, „zu sammeln, oder sagen wir gleich deutlich, zu sammeln für Christum".
305 Ihre „Humanität".↩︎
306 Ihre „Brutalität".↩︎
307 Ovids vier Weltalter.↩︎
308 Schon das alte Babel der Hammurabi-Zeit (1900 v. Chr.) war das „Gehirn" Vorderasiens und das geistige „Haupt" der Kultur.↩︎
309 „Widder" und „Horn" sind an sich schon naheliegende Bilder für Heerführer und Königsmacht (Jer 50,8; Sach 10,3). Für Persien paßten sie noch besonders, namentlich im Unterschied zu Alexanders Reich, dem „Ziegenbock". Denn wie der Widder friedlicher ist als der sprungfertige, wehrhafte Ziegenbock und auch lenksamer als jener in dessen Wildheit und Störrigkeit, und wie er in seinem reichen Vollpelze ein passendes Bild des Wohlstandes sein kann, so auch das Perserreich zur Zeit Alexanders. Außerdem trugen die persischen Könige, wenn sie an der Spitze des Heeres erschienen, buchstäblich anstatt des Diadems oft einen Widderkopf, und ebenso waren an den Pfeilern ihrer Hauptstadt Ferse-polis Widderköpfe.
Zu dem „Ziegenbock" als Symbol Alexanders des Großen bemerkt Hävernick: „Die Stadt Edessa in Mazedonien bekam von dem König Caranus den Namen Aegä (vgl. griechisch nix, aigos, die Ziege) und die Mazedonier davon selbst den Namen Aegeaden, den Klassikern zufolge ausdrücklich von den Ziegen, die dem König die Einnahme jener Stadt verschafften (Justin). Jene Stadt blieb unter diesem Namen lange die Residenz der alten, mazedonischen Herrscher (Diodor. Sic.). Der Sohn Alexanders des Großen von der Roxane wurde Alexander Aegus genannt. Mehrere Könige von Mazedonien findet man auf ihren Münzen mit Bockshörnern dargestellt, und zu einem Abzeichen auf den Panieren und Standarten des mazedonischen Heeres dienten Ziegen (Justin)." Vgl. auch das „Ägäische Meer". Ebenso Aeguspotamoi (Ziegenfluß). Vgl. Hävernick, Kommentar über das Buch Daniel, Hamburg 1832, S. 256-259.↩︎
310 Bei Gaugamela war Alexanders Armee zwanzigmal schwächer an Zahl als die persische.↩︎
311 Im Alter von 32 Jahren, am 13. Juni 323.↩︎
312 Wegen seiner vielen Tollheiten nannten ihn schon seine Zeitgenossen statt, „Epiphanes" (Lichtglanz) gelegentlich „Epimanes" (den Wahnsinnigen).↩︎
313 Vgl. 1. Mose 10,4; Jes 23,1; 12; Hes 27,6; Dan 11,30.↩︎
314 Die Deutung des Monarchienbildes Nebukadnezars (Dan 2,31-43) und der vier entsprechenden Tiergestalten des Nachtgesichts Daniels (Dan 7) auf das babylonische, persische, mazedonische und römische Weltreich findet sich schon bei Irenäus (gest. 202 n. Chr.), ebenso bei Josephus und den jüdischen Rabbinen. Luther sagt: "In dieser Deutung und Meinung ist alle Welt einträchtig, und das Werk und die Historien beweisen's auch gewaltig." Von den Neueren nennen wir Hengstenberg, Ebrard, Kliefoth, v. Hofmann, Dächsel, Hävernick, Keil, Auberlen, Schmieder, auch Ströter, Peters, B. Keller. Und bedenkt man, daß der allwissende Gott seinen Knechten die allerfernste Zukunft ebenso leicht kundtun kann wie die allernächste, so schwinden alle Schwierigkeiten. Vgl. Jes 42,9; 44,7. Vgl. Stokmann, a. a. O. S. 49; 106↩︎
315 Besonders Sieg des Publius Cornelius Scipio über Hannibal bei Zama (202), Vgl. 2. Teil Kp.6, III; 3.↩︎
316 Sieg bei Kynoskephalä (in Thessalien) 197.↩︎
317 Sieg bei Magnesia (nordöstlich von Smyrna) 190.↩︎
318 Sieg bei Pydna (in Mazedonien) 168.↩︎
319 Karthago zerstört 146↩︎
320 Korinth erobert.↩︎
321 Numantia erobert 133.↩︎
322 Zama, Kynoskephalä, Magnesia, Pydna, Numantia — das sind die fünf Hauptstufen, auf denen Rom zur Weltmacht emporgestiegen ist.↩︎
323 Besonders Marius und Sulla, Cäsar und Pompejus, Antonius und Oktavian (Augustus).↩︎
324 Das siebente und letzte Stadium ist dann der schon von Bileam (4. Mose 24,24) geweissagte Niedergang, besonders 476: Untergang des Weströmischen Reiches, 1453: Untergang des Oströmischen Reiches.↩︎