Schriften von Erich Sauer
Das Morgenrot der Welterlösung
Dritter Teil: Die vorlaufende Heilsoffenbarung
A. Das Verheißungsfundament des Evangeliums
1. Kapitel: DerHeilsumfang des Alten Testaments1. Kapitel: DerHeilsumfang des Alten Testaments
Das babylonische Gericht hatte die Uroffenbarung abgeschlossen. Mit Abraham begann eine vollständig neue Zeit. Er, der Stammvater Israels, ist zugleich der „Stammvater aller Gläubigen" (Röm 4,11.12). Der Segen, den die aus den Nationen Gewonnenen in der Folgezeit empfangen sollen, ist durchaus „Segen Abrahams" (Gal 3,14 vgl. V.9). Auch die Gemeinde der Gegenwart (Röm 15,27; Eph 3,6; 2,11-19; Röm 11,24), ja, selbst das Reich Gottes der Zukunft (Lk 1,72.73), bis hinein in das Neue Jerusalem (Off 21,12 vgl. Heb 11,16), ruhen auf abrahamitischem Verheißungsboden. Mit Abraham beginnt also die eigentliche Heils- und Erlösungsoffenbarung. Alles Vorangegangene war Einleitung und Vorbereitung.
Abraham war nicht der erste Gläubige. Abel, Henoch und Noah waren vor ihm, Melchisedek zu seiner eigenen Zeit Männer des Glaubens gewesen (Heb 11,4-7; 1. Mose 14,18). Darum liegt das Besondere an seinem Glauben nicht in seiner Tatsache, sondern in seiner Art. Der Glaube aller früheren war meist auf sie selbst oder ihre nähere Umgebung beschränkt gewesen, hatte also vorwiegend einem Punkte oder Kreise geglichen. Abrahams Glaube dagegen hatte über ihn hinausgehende Wirkungen. Es war ein Glaube von heilsgeschichtlicher Bedeutung, ein Zukunftsglaube, mehr einer fortschreitenden Linie vergleichbar. Abraham ergriff die Verheißung nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine leibliche und geistliche Nachkommenschaft. Dadurch wurde er - obwohl zunächst der „Eine" (Mal 2,15; Hes 33,24; Heb 11,12) - dennoch der Ahnherr der „Vielen" ( Hes 33,24), ja, der „Vater aller Gläubigen" (Röm 4,11), und also der „Felsengrund", aus dem das Volk Gottes „gehauen" wird (Jes 51,1; 2), der erste Empfänger der in besonderem Sinne auf Christus hinführenden, heilsvorbereitenden Bundesoffenbarung, der heiligen Wurzel, die den edlen Ölbaum des Gottesreiches trägt (Röm 11,16-24).
I. Der Ausgangspunkt
Im babylonischen Aufruhr hatte die Menschheit versucht, in gemeinsamer Kraft sich dem Höchsten zu widersetzen. Darum mußte ihrer widergöttlichen, himmelstürmenden Vereinigung eine göttliche, den Himmel erst wahrhaft öffnende Absonderung und Trennung entgegengestellt werden (Apg 14,16).
Dies geschah in der Berufung Abrahams. Sie ist also der heilsgeschichtliche Gegensatz zum Turmbau und zugleich dessen notwendige Folge.
II. Die Grundlage
- Gottes Freiheit. Daß Gott aber gerade Abraham erwählte und nicht irgendeinen anderen Gläubigen seiner Zeit - etwa Melchisedek (1. Mose 14,18-21) - war durchaus eine Handlung seiner freien Herrschaft. Er ist der HErr und Gebieter auf dem Weltenthron und verteilt die Figuren auf dem Schachbrett der Menschheitsgeschichte, wie er will (Röm 9,20). So zwingt er zwar die Gläubigen nicht zum Glauben und die Ungläubigen nicht zum Unglauben, sondern läßt jedem seine Freiheit und Selbstbestimmung (vgl. Mt 23,37; Off 22,17). Aber aus der Zahl der Bösen erwählt er sich einzelne Böse (z. B. den Pharao von Ägypten: Röm 9,17), um an ihnen ein besonderes Beispiel seiner Gerichtsmacht zu erweisen; und aus der Zahl der Gläubigen erwählt er sich einzelne Gläubige, um sie zu besonderen Trägern heilsgeschichtlicher Aufgaben zu machen (vgl. 1Kor 12,4-11; 30). In diesem Sinne wurde auch Abraham berufen. Er war gleichsam eine Amtsperson, ein Träger der Vorbereitung des Heilsmittlertums.
- Gottes Gnade. Hierbei aber gründete sich Israels Erwählung nicht etwa auf besondere, spätere Vorzüge dieses Volkes. Im Gegenteil, der Gott, der zur ersten Verkündigerin der Auferstehung Maria Magdalena, die einst von Dämonen Besessene (Mk 16,9; Joh 20,11-18) und zum ersten Zeugen des Neuen Testaments Matthäus den Zöllner bestimmte (Mt 9,9), der sich stets zu dem Niederen und Geringen herabläßt (1Petrr 5,5; Lk 1,52), hat das Volk Israel, was seinen Charakter betrifft, durchaus als einen „Dornbusch" gekennzeichnet (2. Mose 3,2; 3; Micha 7,4) und, was seine Zahl betrifft, schon im Alten Testament gesagt: „Nicht weil euer mehr wären als aller Völker, hat Jahwe sich euch zugeneigt und euch erwählt; denn ihr seid das geringste unter allen Völkern“ (5. Mose 7,7). Die Erwählung Israels gehört also mit zur Knechtsgestalt der göttlichen Offenbarung. Nirgends im Alten Testament handelt es sich um Anerkennung und Rassenverherrlichung des unwiedergeborenen Juden. Im Gegenteil, gerade das Alte (!) Testament ist voll von direkt glühenden Gerichtsworten des heilig zürnenden Gottes über das abtrünnige Israel. ( vgl. 9. Kapitel II ; III )
„Auserwähltes Volk" (1Chr 16,13; 2. Mose 19,5; Am. 3,2; Ps 147,19) heißt, im ;Sinne des Alten Testaments, nicht „auserlesen gutes Volk "(vgl. Jes 1,4; Röm 2,24), auch nicht, „zu ausbeuterischer Weltknechtung politisch zuvorbestimmtes Herrschervolk", sondern einfach „zum heilsgeschichtlichen Dienst abgesondertes Volk. Und gerade hier hat der Jude in der furchtbarsten Weise versagt (1Thes 2,15; 16). Nicht Judenverherrlichung ist bei dem Ganzen das Ziel (Hes 36,22; 23; 32), sondern Selbstverherrlichung der Gnade und Heiligkeit Gottes als des Gottes der Juden und Nichtjuden (Ps 115,1; Jes 44,23; Röm 3,29).
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Gottes Ehre. Und in der Tat! Gerade dies ist offenbar immer wieder die Meinung der Heiligen Schrift, daß der Jude an geistlicher Empfänglichkeit gar oft vom Nichtjuden übertroffen worden ist: an Glauben durch den Hauptmann von Kapernaum, einen Römer (Mt 8,10), an Liebe durch den barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37 vergl. 17,16), an opferbereitem Streben nach wahrer Weisheit durch die Königin von Reicharabien (Mt 12,42), an Bußfertigkeit durch die Leute von Ninive, also Assyrer (Mt 12,41).
„Viele Witwen“, sagt Christus, „waren in Israel zu Elias Zeiten, und zu deren keiner ward Elias gesandt denn allein gen Sarepta der Sidonier zu einer Witwe; und viele Aussätzige waren in Israel zu des Propheten Elisa Zeiten, und deren keiner ward gereinigt, denn allein Naeman der Syrer “ (Lk 4,25-27). „Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Bethsaida! Wären solche Taten zu Tyrus und Sidon geschehen, wie bei euch geschehen sind, sie hätten vorzeiten in Sack und Asche Buße getan . . . Und du, Kapernaum, . . . so zu Sodom die Taten geschehen wären, die bei dir geschehen sind, sie stünde noch heutigentags“ (Mt 11,21-24). Und in Jesaja sagt Gott vom Volk Israel als seinem „Knecht“: „Wer ist blind, wenn nicht mein Knecht, und taub wie mein Bote, den ich sende? Wer ist so blind wie mein Vertrauter, und so blind wie der Knecht des HErrn?“ (Jes 42,19). Fragen wir aber nach dem Grund, warum Gott trotz alledem gerade diese Wahl traf, so lautet die Antwort, daß sich vor ihm kein Fleisch rühmen soll, sondern „wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“ (1Kor 1,27-31). Je trauriger das Material, desto größer - bei gleicher Kunstleistung - die Ehre des Meisters. Je kleiner die Armee, desto gewaltiger - bei gleichem Siege - der Ruhm des Triumphators.
So hat Gott von all den Sonnen und Sternen des Weltraums die winzige Erde erwählt und auf dieser das kleine Land Kanaan und in ihm das Volk Israel, das „geringste“ aller Völker (5. Mose 7,7), in Israel aber die Stadt Bethlehem, die zu gering war, um unter die Tausende von Juda gerechnet zu werden (Micha 5,1), in Bethlehem selbst aber - die Krippe. Und von der Krippe ging es dann weiter bis an das Kreuz! So erwählt sich Gott stets das Geringe: zum ersten Zeugen des Neuen Testaments Matthäus den Zöllner, zur ersten Verkündigerin der Auferstehung Maria Magdalena, die einst Besessene (Mk 16,9; Joh 20,11-18), zum hervorragendsten Apostel - Paulus, den „ersten“ aller Sünder (1Tim 1,15). Das Ganze aber geschieht zur Offenbarung der göttlichen Grösse. Es ist die „ törichte" Massnahme seines heiligen Eiferwillens (1Kor 1,21; 25; 27). Gerade die Erwählung des Geringen ist die Methode der göttlichen Ehre.
- Gottes Weisheit. Dazu kommt noch ein Grund, der in der Erziehungsweisheit Gottes in bezug auf das ganze Menschengeschlecht liegt. An Israels Geschichte, als einem „widerspenstigen“ Geschlecht (Apg 7,51), sollte allen Völkern der Welt die Furchtbarkeit der Sünde, aber auch die Herrlichkeit der Erlösung gezeigt werden, der Ernst der zerbrechenden Gerichte, aber auch die Tiefe der vergebenden Gnade (Ps 102,14-16). Dadurch aber wird Israels Geschichte zum Anschauungsunterricht(1. Kor.. 10,11),gegeben auf der offenen Bühne des Weltgeschehens, damit die Nationen der Erde erkennen sollen, was Gericht und was Gnade ist (Jes 52,10; Hes 39,23-27). Dazu aber war, wegen der Schwerfälligkeit der Menschen — aller Menschen — Gott gegenüber, ein ganz besonders offensichtliches Musterbeispiel erforderlich. Dies war ein Gebot der göttlichen Erziehungsweisheit, und gerade dies ist auch ein Grund der Erwählung des Volkes Israel.
- Gottes Gerechtigkeit. Bei dem allem aber blieb Gottes Handeln gerecht. Israel wurde in keiner Weise vorgezogen. Denn seinen höheren Vorrechten (Röm 9,4; 5; 3,1; 2) entsprach eine größere Verantwortlichkeit. Rechte und Pflichten hielten sich die Waage. Stellung verpflichtet (vgl. Lk 12,48; 1Petrr 1,17). Bei keinem Volk aber sind die Sünden so heimgesucht worden wie bei den Juden (vgl. 5. Mose 28,64-67). Bei Israel ist eben alles gesteigert : die Vorrechtstellung und das Gericht, der Segen und der Fluch. Und zwar ist gerade seine Erwählung der Grund zu ganz besonderer Strenge: „Euch allein habe ich aus allen Geschlechtern der Erde erwählt. Darum (!) will ich euch für alle eure Verschuldungen büßen lassen“ (Amos 3,2)! Und wenn das jüdische Volk in Zeiten großer Gerichte, unter Berufung auf seine Gnadenstellung, Gott gleichsam die Zuchtrute aus der Hand schmeicheln wollte: „Mein Gott! Wir kennen dich doch, wir, Israel!" so lautet die kurze, göttliche Antwort: „Israel hat das Gute verworfen. Der Feind verfolge es!" (Hos 8,1-3.)
III. Die Durchführung
Nach außen hin aber bedeutete die neue Offenbarungsbeschränkung nicht, daß Gott etwa jeglichen Zusammenhang mit der beiseitegesetzten Völkerwelt abschnitt. Im Gegenteil, auch den Nationen blieb noch eine fünffache - wenn auch mehr indirekte - göttliche Selbstbezeugung:
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Die Zeichensprache der Natur. Denn an den Werken der Schöpfung wird seit Anbeginn der Welt Gottes „ewige Macht und Göttlichkeit“ mit dem geistigen Auge wahrgenommen (Röm 1,19-21).
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Die Gewissenssprache der Seele. Denn auch die Heiden, „die kein Gesetz haben“, sind sich selbst ein Gesetz, „indem ihr Gewissen mitzeugt und ihre Gedanken sich untereinander anklagen oder auch entschuldigen“ (Röm 2,14; 15).
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Die Geistessprache edler Weisheit. Denn auch in der Heidenwelt findet sich so viel Edles und Tiefes, daß es geradezu auf eine Art Erkenntniswirken der göttlichen Weisheit im menschlichen Geist zurückgeführt werden kann; so bei Sokrates, Plato, Laotse, Zarathustra und überhaupt bei so vielen Dichtern und Denkern der Nationen. Mit Recht sprachen darum schon die Kirchenväter von den „Samenkörnern des Wortes“ in der heidnischen Welt. (bes. Justin von Sichem, 2. Jahrhundert). Und dazu kommen noch, neben den sittlichen Schöpfungsanlagen des Menschen, gewisse allgemein moralische Resterinnerungen der Völker aus der Uroffenbarung.
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Die gebietende Sprache der Obrigkeit. Die menschliche Regierungsgewalt ist „Gottes Dienerin“ (Röm 13,4), von Gott selbst eingesetzte Geschichtsordnung seit dem Bunde mit Noah (1. Mose 9,6). Ohne obrigkeitliche Gewalt würde die menschliche Gesellschaft bald vom Bösen überflutet werden und in absolute Teufelei und religiös-geistig-sittliche Barbarei versinken. In der Obrigkeit aber hält Gott seine bewahrende Hand ausgestreckt. Er steht hinter der Obrigkeit und wirkt durch sie. Die Herrscher der Erde sind seine Werkzeuge. Darum bezeugt im Worte Gottes die ewige „Weisheit“ sogar selber von sich: „Durch mich üben die Könige ihr Herrscheramt aus und erlassen die Regenten gerechte Verordnungen. Durch mich herrschen die Herrscher und die Fürsten, alle Gewalthaber auf Erden” (Spr 8,14-16).
- Die Tatensprache der Weltgeschichte. Auch nach der Erwählung Abrahams und Israels blieb die Geschichtsführung der Völkerwelt durch Gott unverändert bestehen. Er lenkt die Herzen der Könige wie Wasserbäche und leitet sie, wohin immer E r will (Spr 21,1). Er erweckt Hadad von Edom (1Kön 11,14) und Reson von Damaskus (1Kön 11,23), Tiglatpileser von Assur (1Chr 5,26) und Kores den Perser (Esra 1,1), ja nennt letzteren - den großen Indogermanen (!) - schon im Alten (!) Testament geradezu seinen „Gesalbten“, vor dem Er „einherzieht“, um Nationen vor ihm niederzuwerfen, um Israels seines Knechtes willen (Jes 45,1-7; Jer 51,11). Und zu Babel spricht er: „Du bist mein Hammer, meine Kriegswaffe; durch dich zerschmettere ich die Heiden und zerstöre die Königreiche” (Jer 51,20). Und schließlich über die äußere Geschichtsführung Israels sagt er: „Seid ihr, Kinder Israel, mir nicht gleich wie die Mohren? Habe ich nicht Israel aus Ägyptenland geführt und die Phil..ister aus Kaphthor und die Syrer aus Kir?” (Amos 9,7.) Die Beiseitesetzung der Völkerwelt war also keineswegs eine Entgöttlichung der Geschichte. Auch als der Gott Abrahams und Israels blieb Gott durchaus der „Gott der Nationen" (Röm 3,29). Die Geschichte der Gesamtmenschheit war und blieb „Gottes werk" (Luther).
Dies alles aber geschieht, damit sie „den HErrn suchen sollen, ob sie ihn etwa fühlen und finden möchten" (Apg 17,27). Die einzelnen Nationen sind heilsgeschichtliche „Hürden" (vgl. Joh 10,16), das heißt, göttlich angeordnete Gemeinwesen zur Vorbereitung auf das Evangelium,190 zur friedvoll geschützten Verkündigung der Heilsbotschaft, zur Erhaltung der einzelnen in Anstand und Sitte,191 mit einem Wort:
Die Weltgeschichte ist das Baugerüst der Heilsgeschichte. Nicht nur die Offenbarung hat eine Geschichte, sondern die Geschichte ist eine Offenbarung. Sie ist nicht nur Werk, sondern anregendes Wort Gottes. Sie ist verhüllende Enthüllung des sich offenbarenden, „verborgenen" Gottes. 192 Sie ist Macht-, Gnaden- und Gerichtsbereich des völkerregierenden Weltenherrn.
In bezug auf die Heilsoffenbarung jedoch wurde die Völkerweit beiseitegesetzt, und gerade dies war die Hauptsache. Fortan gibt es einen besonderen Weg Gottes in Beschränkung auf eine „Auswahl", einen Fluß eigener Strömung im gewaltigen Völkermeer, eine lebendige Gottesgeschichte im menschheitlichen Gesamtgeschehen. 193 Aber auch hier war der einstweilige Ausschluß nur der Weg zu der desto sichereren, späteren Wiederannahme.
IV. Das Ziel
In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde (1. Mose 12,3). Hier wird gleich am Anfang der Endzweck genannt. Die Aussonderung Abrahams sollte die allgemeine Heilsgeschichte zwar notwendigerweise verlangsamen, sie aber desto weisheitsvoller erleichtern und desto sicherer zum Ziele führen. Im Besonderen war es auf das Allgemeine, im Einzelnen auf das Gesamte, im Kleinen auf das Große abgesehen.
Die mit Abraham beginnende Offenbarungsbegrenzung war nur die göttliche Methode der Unbegrenztheit des Heils. Die Schranke war da; aber ihre Einsetzung hatte ihre Wiederaufhebung zum Ziel. Gott wandte sein Heil von der Völkerwelt ab, um es ihr desto gewisser verklären zu können. 194 Dies ist der Sinn und die Seele des Alten Testaments! Darum ist es geradezu voll von Heilsweissagungen auch für die Gesamtmenschheit, besonders bei Jesaja. Von allen Büchern der vor-christlichen Welt ist das Alte Testament das universalste und völkerumspannendste. Es hat, als das einzige Schrifttum des alten Orients, den Gedanken der Einheit des Menschengeschlechts und die Hoffnung auf eine einheitliche Bewegung der Menschheit zu einem gemeinsamen Ziel. 195
190 Daher auch die paulinische Kulturbildersprache vom Militär-, Sport- und Rechtsleben seiner heidnischen Umwelt.↩︎
191 In der „bürgerlichen Gerechtigkeit" (justitia civilis).↩︎
192 Des „deus absconditus" (Luther).↩︎
193 Eine "historia divina" (Melanchthon).↩︎
194 „Heilsgeschichte" im vollen Umfange des Wortes ist also nicht ein eindeutig abgegrenzter Bezirk innerhalb der allgemeinen Geschichte, sondern Betrachtung und Sinndeutung der Gesamtgeschichte von Gott und vom Glauben her. „Der Zug des Evangeliums durch die Welt ist das eigentliche Thema der Weltgeschichte" (H. Lilje). Dies ist der eine Sinn aller Geschichte. Darum ist Heilsgeschichte in ihrem Gesamtumfang „Theologie der Weltgeschichte". Gott selbst, als Herr aller Geschichte, steht in ihr im Mittelpunkt. Inmitten der allgemeinen (der „Welt"-) Geschichte hebt er eine besondere (die „ Offenbarungs-) Geschichte an, in der er sich der Menschheit persönlich gegenwärtig macht. In jener wirkt er vornehmlich als der „verborgene" Gott, in dieser vornehmlich als der sich „offenbarende" Gott. In ihm selbst aber haben sie beide, Weltgeschichte und Offenbarungsgeschichte, ihre gemeinsame, zentrale Einheit. Von ihm aus gesehen gehören sie beide zur „Heils"geschichte.↩︎
195 Dies zeigen sofort die ersten Kapitel des Alten Testaments und dort namentlich die sog „Völkertafel" (1. Mose 10). Denn diese ist nicht nur der „Abschiedsbrief" der Offenbarung an die nun beiseitezusetzende Völkerwelt; sondern zugleich auch der „Garantiebrief" für ihre spätere Wiederannahme. Denn indem da, wo die heilige Geschichte beginnt, sich auf Israel zu beschränken, noch einmal alle Völker der Welt aufgezählt werden, wird ihnen somit ein dauernder Platz in der göttlichen Offenbarungsurkunde eingeräumt und ihnen dadurch bezeugt, daß sie im Liebesrat Gottes nicht vergessen sind und nimmermehr spurlos aus dem Gesichtskreis der Erlösung verschwinden. „Unsichtbares Grün der Hoffnung windet sich durch das dürre Geäst dieses Völkerregisters." Damit aber tritt diese Liste von siebzig Urvölkern unter den Gesichtspunkt der Weltmission und verkündet, wie eine „Missionswandkarte" (Krämer), die große Wahrheit:
„Also hat Gott die Welt geliebt" — Vgl. Anmerkung: 211↩︎