Erich Sauer
Schriften von Erich Sauer
Das Morgenrot der Welterlösung
Dritter Teil: Die vorlaufende Heilsoffenbarung
B. Das Geheimnis des Volkes Israel
3. Kapitel: IsraelsBerufung und Dienstauftrag3. Kapitel: IsraelsBerufung und Dienstauftrag
- „In Abraham - das gnädige, schöpferische Walten des Gottes, der das Nichtseiende ruft, als sei es schon da (Röm 4,17),
- in Isaak - Leben aus den Toten (Röm 4,19-24; Heb 11,19).
- in Jakob - unverdiente Gnade und herrlicher Ausgang;
der Mann Gottes erscheint, der aus dem Ränkeschmied den Gotteshelden macht 208- das ist Israels Entstehen."
Auf Israels Berufung ist alles bei diesem Volk eingestellt:
I. Israels Aufgabe
Israels Aufgabe war eine doppelte. Es sollte der Empfänger der Gottesoffenbarung und das Absteigequartier für den Welterlöser werden und dadurch die Geburtsstätte für die christliche Gemeinde (Joh 4,22 vgl. Röm 11,16-24). Es sollte aber auch die Wege bahnen in die Völkerwelt und als Zeuge und Missionar Gottes an die Nationen der Kanal für die Heilsoffenbarung sein zum Zweck der Vorbereitung des Weltevangeliums.
„Beide Aufgaben widersprechen einander auf den ersten Blick und setzen scheinbar Unvereinbares voraus; und doch sind sie beide in Israel durchaus vereinigt. Um die Heimat des Messias und die Geburtsstätte des Christentums zu werden, mußte Israel ein in sich abgeschlossenes Volk sein, abgesondert von allen Heiden, ja, den Heiden scharf entgegengesetzt, als das Volk der Offenbarung, das allein den lebendigen Gott kennt, weil er ihm seinen Willen im Gesetz kundgetan hat.
Andererseits mußte es unter den Heiden verbreitet sein, mitten unter ihnen wohnend, und mit ihnen in steten Verkehr, um dem Christentum die Wege zu bahnen" (G. Uhlhorn) 209.
Erst diese Erkenntnis des zwei-einheitlichen Gegensatzes von Absonderung und Weltweite, Zusammenfassung und Ausdehnung, Mittelpunktsziehkraft und Mittelpunktsfliehkraft ist der Schlüssel zum Verständnis der Geschichte Israels. 210 Ohne sie bleibt alles unklar.
Am schärfsten zeigt sich diese Spannung auf dem Höhepunkt seiner Berufung: in der Erlöserverheißung.
II. Israels Messiaserwartung
Hier ist absolute Ausdehnung, Durchbrechung aller Begrenztheit und Beengtheit: der Messias ist Heiland der Welt (Mal 1,11; Joh 4,42). Die Menschheit ist eine Familie mit nur einem Ursprung und einem Ziel. 211 Alle Völker der Erde sind, mit Israel, Teilhaber der Erlösung. Und wie Israel, offenbarungsgeschichtlich, Gottes erstgeborener Sohn ist (2. Mose 4,22), so werden auch sie dereinst alle Söhne Gottes werden (Ps 87,4-6; Jes 25,6-8; 19,25). Mit diesen Gedanken umspannt die israelitische Prophetie den weltweitesten Rahmen, den überhaupt das Altertum kennt.
Und doch! Gerade hier zeigt sich die absoluteste Konzentration. Denn dieser Erlöser der Welt ist ein Mann (1Tim 2,5), ein Nachkomme Davids, ein Heiland! (Apg 4,12.) 212 Und das Gewaltigste ist, daß die Weltgeschichte ihr „Ja" zu dieser Erwartung gesprochen hat!
Jesus von Nazareth, der Eine, der Sohn Gottes, wird von Millionen von Menschen als HErr und Erlöser gepriesen, und sein Geistesgut wird gerade von führenden Völkern der Menschheitskultur als das sie führende Ideal für Charakter und Sittlichkeit anerkannt! Warum aber findet sich diese Erwartung nicht auch bei den Römern oder Griechen, sondern nur in der Offenbarung an das „geringste“ der Völker? (5. Mose 7,7.) War sie vielleicht etwa reines Erzeugnis politischen Hochgefühls oder gar krankhaft gesteigerter Nationalismus? Warum aber ist er dann gerade als Erfüllung dieser Weissagung auch tatsächlich erschienen und wirklich, als der Heiland der Welt, das „Panier der Völker“ geworden?! (Jes 11,10; Röm 15,12.) Etwa aus Zufall? Nein, hier gibt es nur eine vernunftgemäße Antwort:
Die Bibel ist Wahrheit! Die Weltgeschichte ist ihr Zeuge! Die Erfüllung ist der Beweis der Prophetie!
Der Unglaube muß noch Unglaublicheres glauben als der Glaube. Wir aber sind nicht leichtgläubig genug, um ungläubig zu sein!
Diesem doppelt gespannten Zielpunkt von höchster Zusammenfassung und weltweitester Ausdehnung entgegenzugehen, war der Sinn aller israelitischen Geschichte. Darum ist alles bei diesem Volke darauf angelegt, diesen zwei zusammengehörigen und doch entgegengesetzten Forderungen gerecht zu werden.
III. Israels Anlage
Kein Volk ist so auf Besonderheit und doch zugleich Weltweite angelegt wie der Jude. Keines ist so national und doch zugleich so universalistisch wie er. „Keines bewahrt so zähe seine Eigenart und bleibt auch mitten unter anderen Völkern so in sich zusammenhängend und abgeschlossen; und dennoch versteht keines es wiederum auch so, sich überall anzuschmiegen und den Verhältnissen anzupassen wie der Jude. Der Jude bürgert sich an allen Orten ein, weiß überall Raum für sich zu gewinnen und bleibt doch überall - Jude." 213
Dieser zwei-einheitlichen Spannung von Weltabsonderung und Weltverbundenheit entsprach auch das Land Palästina.
IV. Israels Land
Palästina ist ein abgeschlossenes Land, inselartig gelegen, einem Garten gleich, eingezäunt durch Gebirge, Wüsten und Wasser (Jes 5,1; 2). Hafenlos ist seine Küste; kein Fluß führt ins Innere, und wie eine trennende Mauer ist das sonst so völkerverbindende Meer. Feindliche Nachbarn umgeben es, sperren es ab nach allen Seiten, und fern sind die Mittelpunkte der Völkerkultur.
Und dennoch ist es der „Mittelpunkt der Erde" (Hes 38,12), die Brücke zwischen den Herrenvölkern der altorientalischen Welt, da gelegen, wo sich drei Erdteile am nächsten berühren, wo die zwei Staatengruppen der alten Geschichte, die des Morgenlandes und des Abendlandes, sich am meisten nahe kommen. Von hier aus gehen die Wege nach allen Seiten, und leicht sind die Hauptländer der Nationen zu erreichen. Kein Wunder darum, daß die Babylonier-Assyrer und die Ägypter immer wieder um den Besitz dieser Brücke gerungen haben. 214
Kein Wunder darum auch vor allem, daß gerade diese Lage die günstigste war, als es sich darum handelte, das Evangelium in alle Welt hinauszutragen. „Das ist Jerusalem. Mitten unter die Völker habe ich es gestellt und Länder rings um es her“ (Hes 5,5). So aber entspricht das Land ganz und gar der Berufung seiner Bewohner. Die Spannung zwischen Absonderung und Weltweite zeigt sich bei ihm als geographische Abgeschlossenheit und zentrale Lage. Israels offenbarungsgeschichtliche Stellung unter den Nationen war „abseits von den Völkern und doch für sie". 215
208 1. Mose 32,28-30. Jakob = „Fersenhalter", „Überlister", Israel = „Gottesstreiter".↩︎
209 Der Kampf des Christentums mit dem Heidentum, Stuttgart 1924, S, 68.↩︎
210 Anders ausgedrückt: die Polarität zwischen Partikularismus und Universalismus, Exklusivismus und Inklusivismus, Zentripetalkraft und Zentrifugalkraft.↩︎
211 Vgl. schon den „Völkerstammbaum" von 1. Mose 10. Mit Recht sagt der Geschichtsforscher J. v. Müller: „Von diesem Kapitel muß die ganze Universalhistorie anfangen." Und ebenso mit Recht fügt Mich. Baumgarten hinzu: „Und in diesem Kapitel wird sie, als ihrem letzten Ziel, auch dereinst enden." — Apg 17,26. Vgl. Anmerkung 195↩︎
212 Daß Jesus ein Arier gewesen sei, wird, jedenfalls solange es eine Geschichtswissenschaft gibt, schon rein menschlich als bloßes Produkt lediglichen Wünschens zu gelten haben. Denn
(1.) Jesu israelitische Abkunft ist unzweideutig und einstimmig in den biblischen Geschichtsurkunden bezeugt (z. B. Lk 1,32; Röm 1,3; 2Tim 2,8 u. v, a.), und Geschichtswissenschaft hat von den geschichtlichen Urkunden auszugehen.
(2.) Jesu leiblicher Bruder Jakobus war erster Vorsteher der gerade aus Judenchristen bestehenden Gemeinde zu Jerusalem (Gal 1,19).
(3.) Jesu israelitische Abkunft ist nie von seinen jüdischen Feinden in Zweifel gezogen worden, und doch haben gerade sie in der krampfhaftesten Weise versucht, seine Messianität vor Obrigkeit und Volk zu widerlegen. Hätten sie aber nun auch nur den leisesten Grund zu der Mutmaßung gehabt, Jesus sei nur Halbjude oder gar ganz heidnischer Abkunft gewesen, so wäre dies ja für sie der ein-leuchtendste Beweisgrund gewesen, ihn vor Gericht als den geweissagten Messias vor den Augen aller Zeitgenossen unmöglich zu machen. Daß sie dies nicht taten, beweist, daß sie es nicht tun konnte n. Auch die späteren jüdischen Schriftsteller, die Jesus mit wildestem Haß und in der gemeinsten Weise beschimpft haben, haben niemals seinen geburtlichen Zusammenhang mit dem israelitischen Volke in Zweifel gezogen; und so werden gerade die Feinde des HErrn zu den unverdächtigsten Zeugen seiner israelitischen Abkunft.
Andererseits aber war Jesus auch kein Volljude im gewöhnlichen Sinne des Wortes; denn obwohl „nach dem Fleische" durch Maria „aus dem Samen Davids" geboren (Röm 1,3; 2Tim 2,8), war er doch durch seine übernatürliche Geburt unendlich viel mehr als nur höchste Zusammenfassung und Blüte der menschlichen Möglichkeiten seines irdischen Volkes. Gerade die Aktivität und Dynamik des Mannes, die ja im Leben der Rassen das eigentlich Volkstum, Staat und Nation bildende Kraftelement ist, war bei der Geburt Christi ausgeschaltet (Mt 1,20).So ward er zwar im jüdischen Volke geboren, doch ohne in rein menschlichem Vollsinn des Wortes „Jude" zu sein. Als „Gott geoffenbart im Fleisch" (1Tim 3,16) ist er überrassisch, übervölkisch, allen Sündern artfremd und zugleich, als Erlöser der Welt, für alle Rassen der Heiland und HErr. Seine Jungfrauengeburt (Jes 7,14) hat es also nicht nur mit seiner Heiligkeit zu tun (Freiheit von Erbsünde), sondern auch mit seiner Heilandstätigkeit (Freiheit von rassischer Begrenztheit). Sie ist unerläßliche Voraussetzung für seine Person und sein Werk, den Kreismittelpunkt und den Kreisumfang, für ihn als den Heiligen wie für ihn als den Heilenden.↩︎
213 Uhlhorn, a. a. O. S. 68.↩︎
214 Ehe die Kinder Israel das Land einnahmen, besaßen es bzw. hatten dort die Oberherrschaft:
- vor 2100: vorkanaanitische Ureinwohner,
- vor 2000: die hamitischen Kanaaniter (1. Mose 10,15-20),
- um 2000: die Elamiter (1. Mose 14,1-4),
- um 1900: die Babylonier (Hammurabi),
- um 1500: die Ägypter (Mose- und Amara-Zeit).
Vgl. im 3. und 2. vorchristlichen Jahrhundert das Ringen um Palästina zwischen dem Ptolemäerreich Ägypten („König des Südens") und dem Seleukidenreich Syrien („König des Nordens"). Dan 11.↩︎
215 Der Name „Hebräer" kommt her von dem Personennamen „Eber" (der "Jenseitige": 1. Mose 10,21; 24; 11,14,15) und beruht offenbar auf einer wis unbekannten Familienwanderung in der Vorfahrenschaft Abrahams von „jenseit" des Jordan her; und da Eber, als der Siebente vor Abraham, auch der Stammvater anderer Semiten war (z. B. Ophir, Hawila: 1. Mose 10,25-30), ist das Wort „Hebräer" (vgl. ägyptisch Charibi) zunächst eine vorabrahamitisch-semitische Stammesgruppenbezeichnung (vgl. 1. Mose 14. 13; 39, 14; 17; 43, 32). In der Bileamsweissagung (4. Mose 24,24) wird „Eber" sogar geradezu neben „Assur" genannt. Erst später wurde es die nationale Bezeichnung des alttestamentlichen Bundesvolkes als einer politisch-völkischen Einheit anderen, auch stammverwandten Völkern gegenüber (2. Mose 5,3; 1Sam 4,6; 13,19; Jona 1,9).
Der Name „Jude" kommt her von dem Personennamen des vierten Sohnes Jakobs (1. Mose 29,35, Juda = „Lobpreis") und bezieht sich als Volksname zunächst nur auf den Stamm Juda („Judäer"). Erst seit der Reichsteilung (um 950 v. Chr.) bezeichnet er das gesamte südliche Reich Benjamin-Juda (2Kön 16,6; Jer 32,12) und schließlich, seit der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft (538), das ganze Zwölfstämmevolk im allgemeinen (z. B. Mt 27,29; 37).
Der Name "Israelit" kommt her von dem zweiten, dem Patriarchen Jakob nach seinem Gotteskampf in Pniel gegebenen Namen "Israel" („Gottesstreiter", 1. Mose 32,28), dem eigentlich theokratischen Namen des Erzvaters.↩︎