Erich Sauer
Schriften von Erich Sauer
Das Morgenrot der Welterlösung
Vorwort zur 1. AuflageVorwort zur 1. Auflage
Die Heilsgeschichte steht und fällt, nein, sie steht
mit der Autorität des Herrn Jesu. Es ist eine unleugbare Tatsache, dass
Christus sich gerade zu den umstrittensten Teilen des Alten Testamentes
bekannt hat, so zu der buchstäblichen Geschichtlichkeit von Adam und
Eva
(Mt 19,8; Joh 8,44), der Tatsächlichkeit der Sintflut (
(Mt 26,63; 64; Dan 7,13; 14)! 2 Und was die Zukunft
betrifft, so erwartet er seine persönliche Wiederkunft in Herrlichkeit
(Mt 24,27-31) und die buchstäbliche Aufrichtung des von den Propheten
geweissagten Gottesreiches (Mt 19,28; 25,13ff.; Apg 1,6; 7). Dasselbe
tun seine Apostel. 3
3808mal bezeugt das Alte Testament, diese Bibel des Herrn Jesu (Joh 5,39; 10,35): „So spricht der Herr! “ 4 Für Christus, das personhaft lebendige „Wort“ (Joh 1,1; 14; Off 19,13), war schon ein Tüttel oder Jota des geschriebenen Wortes mehr wert als alle Sternenwelten und Sonnensysteme des gesamten Universums! „Wahrlich ich sage euch: Bis dass Himmel und Erde zergehen, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetz, bis dass es alles geschehe“ (Mt 5,18 vgl. 24,35; Joh 10; 35).Und Paulus, sein grösster Apostel, bekennt: „Ich glaube an alles, was im Gesetz und in den Propheten geschrieben steht» (Apg 24; 14). Der Glaube an den Offenbarungscharakter der Heiligen Schrift und ihre unzerstörbare Autorität ist darum keine geistlose Vergötterung des Buchstabens, keine kleingeistig unchristliche Buchstabenknechtschaft, sondern hat die grössten Geister der Heilsgeschichte, ja, Christus, den Sohn Gottes, selber auf seiner Seite. „Die Offenbarung steht, nein, sie geschieht für uns in der Schrift; sie - es gibt kein Ausweichen - in den biblischen Texten, in den Worten und Sätzen, in dem, was die Propheten und Apostel als ihre Zeugen sagen wollten und gesagt haben“ (Karl Barth)
So lösen wir die Frage der Heilsgeschichte von dem König der Heilsgeschichte aus. Die ganze Offenbarung ist ein Kreis, und Jesus Christus ist der Mittelpunkt diese Kreises. Er ist die Sonne, und von ihm aus wird der ganze Kreis licht. 5
Die Bibel aber ist, als die Urkunde dieser Heilsgeschichte, ein einheitliches Ganzes, ein lebensvoller Organismus, ein planmässiges, prophetisch–geschichtliches System. Sie ist ein „kunstreiches Gebäude, zu welchem der Grundriss schon vorher entworfen ward“, ein auf Christus hinzielendes, harmonisch abgestuftes Ganzes mit vollendetem Gleichmass und Zusammenklang aller Teile. Das Thema vom Reich Gottes aber und dem Rhythmus seiner stufenmässig voranschreitenden Epochen und Perioden ist die leitende Grundmelodie dieser gewaltigen, göttlichen Gesamtsymphonie. 6
Wir aber haben uns „schauend und lauschend niederzubeugen, um die Harmonie des Gegebenen und Seienden zu erfassen. “ Das ist heilsgeschichtliche Schriftauslegung. Erst sie wird dem Wesen der Bibel gerecht. Sie liest die Heilige Schrift „äonenmässig“, d. h. nach Zeitaltern, Haushaltungen, Abstufungen, Gliederungen. In ihr steht der menschliche Geist auf allerhöchster, prophetischer Warte. Hier weitet sich sein Blick zu welten- und zeitalter- umspannenden Schau. Hier sieht er hinaus über den engen Kreis seiner Persönlichkeit, hinaus über die Grenzen des Volkstums und der Kultur, ja hinaus über alle Schranken der Gegenwart und Zeit. Hier fasste er Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen, überblickt das Werdende und Seiende zugleich, ja tut Lichtblicke hinein in das Herz des Allerhöchsten, in die Tiefen der Gottheit selbst.
In diesem Sinne wollen wir nun an unsere Aufgabe herantreten: den Versuch einer umrissartigen Schilderung der durch die Jahrtausende hindurch wandernden „Pilgerreise“ der göttlichen Heilsentfaltung von der Weltschöpfung an bis zu Christus, dem Welterlöser.
Auf Vollständigkeit ist es nirgends im Folgenden abgesehen. Auch eine Auseinandersetzung zwischen dem biblischen und dem modern-philosophischen Weltbild konnte naturgemäss nicht in Frage kommen, ebensowenig eine Auseinandersetzung zwischen der positiven und der liberal-kritischen Einstellung zur Bibel überhaupt. Das Buch ist keine Glaubensverteidigung, sondern eine Heilsgeschichte. Ein Zuweitfassen seiner Aufgabe hätte den Rahmen des ganzen gesprengt. Wohl aber handelt es sich darum, mit der Geschichtseinheit der Bibel vollen Ernst zu machen und den biblischen Geschichtsplan und die Menschheitsentwicklung so anzuschauen, wie sie sich in ihrer harmonischen Mannigfaltigkeit, ihrer kosmischen Weltweite und ihrer etappenmässigen Ordnung, von Gott aus gesehen, darstellen, wenn die Bibel recht hat.
Was das Äussere der vorliegenden Arbeit betrifft, so ist angestrebt: Allgemeinverständlichkeit des Ausdrucks sowie Einteilung des Ganzen in viele kleine Abschnitte. Besonders für solche, die das Folgende zu Vorbereitungen für die Wortverkündigung bzw. zu persönlichem Schriftstudium benutzen wollen, sind die zahlreichen Bibelstellen (über 1600) berechnet. Vielfach sind sie zugleich eine Erweiterung des Gedankengangs. Die Bibelstellen sind, wo nicht anders vermerkt, nach der Luther- oder Menge- Bibel wiedergegeben.
Der grossen Unvollkommenheit und Lückenhaftigkeit des hier Vorliegenden bin ich mir sehr bewusst. Doch befehle ich die Arbeit dem HErrn und seiner Gnade. Mein Gebet zu ihm ist, dass er sie gebrauchen möge zum Dienst an seinen Heiligen. Ihm selbst aber, „dem Könige der Zeitalter, dem unverweslichen, unsichtbaren, alleinigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“ (1Tim 1,17)
Bibelschule Wiedenest, im August 1937
Erich Sauer
3 Z. B. Paulus: Röm 5,12-21; 1Tim 2,13; 14; 1Thes 4,16; 17; Röm 11,23-26; Jak 3,9; 5,7; 1Joh 3,12; Off 20,2-7↩︎
4 Nach Dr. Evans↩︎
5 Wer aber insonderheit in bezug auf die ersten Kapitel der Bibel, die danielischen Weissagungen, die Bedeutung des Kreuzes, die leibliche Auferstehung und die persönliche Wiederkunft Christi eine durch Unglauben oder Halbglauben gebrochene Stellung zur Schrift einnimmt, dem wird Anfang, Mitte und Ende des göttlichen Erlösungsplanes unklar sein, und der wundersame Gottestempel der Heilsgeschichte wird ihm ein verschlossener Bau bleiben.↩︎
6 In der evangelischen Kirche betonten dies vor allem Männer wie Coccejus, Bengel, Oetinger, Hahn, Rooss, Collenbusch, Crusius, Hasenkamp, Menken, Blumhardt, Franz Delitzsch, Thomasius, Frank, Krafft, M. Baumgarten und namentlich v. Hofmann, Beck, Auberlen. Besonders das 19. Jahrhundert, das Jahrhundert der Geschichte, wurde auch das Jahrhundert der heilsgeschichtlichen Theologie. Vgl. G. Schrenk, Gottesreich und Bund im älteren Protestantismus, Gütersloh 1923; G. Weth, Die Heilsgeschichte, München 1931.↩︎