Erich Sauer
Schriften von Erich Sauer
Das Morgenrot der Welterlösung
Dritter Teil: Die vorlaufende Heilsoffenbarung
D. Das Gotteszeugnis der Prophetie
9. Kapitel: Die prophetischeBotschaft9. Kapitel: Die prophetischeBotschaft
Erkenntnis- und Kraftquelle aller Prophetie ist der „Geist Christi“ (1Pet 1,11; 2Pet 1,21). Christus ist nicht nur Inhalt und Ziel, sondern auch Urheber und tragendes Element aller Weissagung. In den Propheten redet Christus als „Logos" (Joh 1,10) über sich selbst. 267 Der Logos spricht von der Person und dem Werk des Messias. Die Propheten redeten „im Namen des zukünftigen Christus” (Luther).
In drei Hauptkreisen vollzieht sich im einzelnen die Ausübung ihres Berufs:
1. Beleuchtung der Vergangenheit, besonders als Geschichtsschreibung,
2. Beurteilung der Gegenwart, besonders als Mahnung und Bußruf,
3. Vorhersagung der Zukunft, besonders als Warnung und Trost, und zwar:
a) Gericht über Israel,
b) Gericht über die Weltvölker,
c) Bekehrung Israels,
d) Bekehrung der Weltvölker,
e) Der Messias und sein Reich.
I. Beleuchtung der Vergangenheit
Als „Sprecher” und „Mund” Gottes schlechthin sind die Propheten nicht nur „Vorher"sager der Zukunft, sondern zugleich auch "Hervor"sager des göttlichen Urteils über Vergangenheit und Gegenwart. Geschichtsschreibung im Lichte Gottes ist darum eine ihrer wesentlichen Hauptaufgaben. So schrieben Samuel, Nathan und Gad eine Chronik des Lebens Davids (1Chr 29,29). Die Fortsetzung schrieben Ahia von Silo und Jeddi der Seher (2Chr 9,29). Semaja war Chronist bei Rehabeam (2Chr 12,15) und Jehu bei Josaphat (2Chr 20,34). So stehen auch die Geschichtsbücher des Alten Testaments in der Hebräischen Bibel nicht als Gruppe für sich da, sondern mit Recht unter den „Propheten".
Aber die israelitische Geschichtsschreibung ist besonderer Art. Sie ist weniger theoretische Geschichtsdarstellung als praktische Geschichtslehre. Die Bilder der Vergangenheit sollen Spiegelbilder für die Gegenwart werden. „Das Wort von damals spricht heute (A. Köberle).Die prophetischen Schreiber sind frei von jeder nationalistischen Geschichtsfärbung. Rücksichtslos werden auch bei den größten Nationalhelden die Fehler und Sünden genannt. 268 Sie bringen weder verhimmelnde Heiligenlegenden noch vergötternde Heldenverehrung. Auch der „Held“ ist für sie nur ein Werkzeug in der Hand Gottes (z. B. Kores der Indogermane: Jes 45,1), und die „Heilande" und Heilbringer der Nation sind „Erweckte" des HErrn (Ri 3,9; 2Kön 13,5; Neh 9,27). Sie sind freimütig genug, bei den Schlechten das Gute zu nennen, 269 und ehrlich genug, bei den Guten das Schlechte nicht zu verschweigen. 270 So sollen die Nachkommen aus der Geschichte der Vorfahren lernen, und der Bericht über das Gestern soll ein Appell an das Heute sein (z. B. 2Kön 17,7-23). Geschichte ist in der Bibel eben lebendige Geschichte, nicht nur ein Geschehen, das abgeschlossen in der Vergangenheit „liegt", sondern ein göttliches Tun, das fortwährend in der Gegenwart zu uns „kommt"; und der prophetische Bericht ist „weniger eine Erzählung als eine Anrede, nicht ein Es, sondern ein Du, nicht ein Einst, sondern ein Jetzt." Er ist wirkendes Wort, das nicht nur gekannt, sondern auch anerkannt werden will. Nur „wo dies geschieht, da geschieht Gottes Wort, da geschieht echte Geschichte" (O. Weber).
II. Beurteilung der Gegenwart
Weit davon entfernt, ein Produkt des jüdischen Geistes zu sein, kämpft das Alte (!) Testament gerade gegen die jüdische Art! Schonungslos geißeln die Propheten die Sünden des Volkes (Jes 58,1): Habsucht und Raffgier, 271 Übervorteilung und Wuchergeist, 272 Ausbeutung der Armen, 273 Unterdrückung der Witwen und Waisen, 274 Bestechung vor Gericht, 275 Geschäftsbetrügereien mit falschen Gewichten, 276 Hochmut und Modestolz, 277 Abgötterei und Ausländerei, 278 Scheinheiligkeit 279, Selbstgerechtigkeit 280 totes Formenwesen 281.
Das Volk nennen sie „abtrünnig" (Jer 3,8; 11), sein Rauchwerk ein „Greuel" (Jes 1,13), seine Schlachtopfer „Menschenmord" (Jes 66,3), seine Speisopfer „Schweineblut" (Jes 66,3). Sein Herz nennen sie „steinern" (Hes 36,26), seine Hände „voll Blut" (Jes 1,15), seine Zunge voll „Otterngift" (Ps 140).
Jerusalem ist eine „Hure" (Jes 1,21; Hes 16; 23; Hos 1-3); das Volk ist Gomorra (Jes 1,10; Hes 16,46), seine Führer „Verführer" (Jes 9,15). Seine Fürsten sind „Aufrührer und Diebsgenossen" (Jes 1,23) „Mörder" (Jes 1,21; Hes 22,6)und „Sodomsfürsten" (Jes 1,10).
„Der Beste unter ihnen ist wie ein Dornstrauch und der Rechtschaffenste schlimmer als eine Dornhecke“, sagt Micha (7,4 vgl. 2. Mose 3,2), und Jesaja verkündigt dem jüdischen Volk seiner Zeit: „Wehe dem sündigen Geschlecht, dem schuldbeladenen Volk, der Brut von Missetätern, den entarteten Kindern!“ (Jes 1,4.) Zuletzt aber, nach jahrhundertelanger Geduld, sagt Jahwe, der Gott des Alten (!) Testaments, über Jerusalem: „Zu meinem Zorn und zu meinem Grimm ist mir diese Stadt gewesen von dem Tage an, da man sie gebaut hat, bis auf diesen Tag“ (Jer 32,31).
So stehen die Propheten wie „eiserne Säulen“ da, wie „eherne Mauern" (Jer 1,18), wie Menschen mit Stirnen aus „Diamant, härter als Kieselstein“ (Hes 3,8; 9). Sie nähen keine „Schlummerkissen" (Hes 13,18); sie übertünchen keine Mauerrisse (Hes 13,10). Sie rufen nicht: „Friede! Friede!”, wenn doch kein Friede ist (Jer 6,14; Hes 13,10).
Und doch lieben sie brennend ihr Volk und waren in Wahrheit die besten Patrioten (vgl. Römer 9,1-3). Aber gerade darum schwiegen sie nicht zu seinen Sünden, auch wenn es ihnen selber das Herze zerriß (Jer 4,19). Sie waren eben keine Lügenpropheten und weissagten nicht „um Geld" (Micha 3,11; Dan 5,17; Hes 13,19). Ein innerer „Zwang" lag auf ihnen; sie waren „Überredete" des HErrn (Jer 20,7). Nicht Beruf, sondern Berufung, nicht „freiwillig", sondern „unfreiwillig war ihr Dienst. Sie hatten nicht die Botschaft, sondern die Botschaft hatte sie! „Wehe mir, wenn ich nicht verkündige“ (1Kor 9,16).
Sie waren keine „Staats"propheten, sondern „Reichs"propheten, keine Massenpropheten, sondern einsame Berggipfel des Geistes. Und obwohl sie die wahren, eigentlichen Patrioten waren, galten sie der Masse als volksfremd, nicht völkisch, nicht jüdisch genug, als Schwarzseher und Finsterlinge (1Kön 18,17 M.), als Vaterlandsfeinde (1Kön 21,20) und Verräter (Jer 37,13; 14).
Sie wurden gehaßt und verachtet (2Chr 36,16), in den Kerker gesperrt (Jer 38,28), in die Löwengrube geworfen (Daniel). Sie wurden gesteinigt, zersägt oder sonstwie getötet. Sie irrten in Wüsten und Klüften umher und in den Höhlen der Erde, und doch waren sie Menschen, die zu tragen der Erdboden nicht wert war (Heb 11,37; 38)!
Das sind die israelitischen Propheten. Nur grundstürzender Irrtum ist imstande, mit der Ablehnung der jüdischen Unart, auch ihr Werk, das Alte Testament, zu verwerfen! Nicht das Alte Testament, sondern der Talmud ist das Produkt des jüdischen Geistes! Das Alte Testament ist das Erzeugnis des Heiligen Geistes (1Pet 1,11; 2Pet 1,21; Heb 3,7)! Zwischen diesen beiden aber besteht eine Kluft wie die zwischen Jesus und den Pharisäern. Wie Jahwe, der Gott des Alten (!) Testamentes, zu Hesekiel spricht: „Nesseln und Dornen sind bei dir, und bei Skorpionen wohnst du; ... denn ein widerspenstiges Haus sind sie" (2,6)
Nicht durch, sondern trotz Israel wird der HErr einst triumphieren. Das Alte Testament aber ist nicht das Buch jüdischer, artgemässer Nationalreligion, sondern das Buch Gottes und seiner Offenbarung im Kampf gegen diese Religion.
Jüdisch-talmudische Pharisäermoral und Altes Testament sind nicht ein und dasselbe! Vielleicht aber hat sich Gott gerade deshalb dieses Volk auserwählt, weil er so auf dem Hintergrund seiner Gottfeindlichkeit (Apg 7,51) 282den Ernst seiner zerbrechenden Gerichte und die Tiefe seiner vergebenden Gnade nun erst recht veranschaulichen konnte.
Denn Anschauungsunterricht ist Israels Werdegang, gegeben auf der offenen Bühne der Weltgeschichte, ein Warnungsbeispiel für alle Nationen, ein Spiegel für jeden einzelnen (1Kor 10,11). „Seien wir doch keine Pharisäer! Hurer und Ehebrecher, Feiglinge und Lügner, Meineidige und Mörder hat es nicht nur im jüdischen Volk gegeben. Es gab sie zu allen Zeiten in allen Völkern, und es wird sie auch in Zukunft noch geben. Das Alte Testament aber will weder das Buch nur der jüdischen Geschichte noch eine Sammlung frommer und moralischer Erzählungen sein, sondern das Zeugnis des Heiligen Geistes von der Sünde der Menschen - aller Menschen! - und von der Gnade Gottes, der dem bußfertigen Sünder vergibt. Es will uns zu unserm eigenen Heil und Segen sagen, wie Feiglinge und Lügner, Meineidige und Mörder und Sünder allzumal auf den Anruf Gottes hin zum Stillestehen kamen und ein neues Leben in den Wegen Gottes anfingen“ (Heitmüller).
Das ist gerade der Sinn auch der „anstößigen Geschichten im Alten Testament; und gerade die prophetische Rücksichtslosigkeit seiner Berichte zeigt die Unbestechlichkeit und Wahrhaftigkeit des Ganzen!
Die Bibel ist eben gerade deshalb das „Buch" der Menschheit, weil sie das „Bild" der Menschheit ist; und dieses Bild der Menschheit ist — weil nach der Wirklichkeit gezeichnet — allerdings sehr „anstößig"! (Ps 14,2; 3.) Darum also bleibt bei aller Verschiedenartigkeit und Ungleichheit, Höher- und Minderwertigkeit der einzelnen Rassen vor dem Richterstuhl Gottes das von keiner Selbstvergötterung umzustoßende Urteil bestehen: „Es ist hier kein Unterschied: sie sind allzumal Sünder" (Röm 3,23; 9). „Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen!" (Röm 3,27). 283
III. Vorhersagung der Zukunft
- Gericht über Israel. Ohne Buße kein Heil! Ohne Zusammenbruch des einzelnen kein Aufbruch der Nation! „Wehe dem sündigen Geschlecht, dem schuldbeladenen Volk der Brut von Missetätern, den entarteten Kindern!" (Jes 1,4). „Stoßt in das Signalhorn zu Gibea, in die Trompete zu Rama: Der Feind hinter dir her, Benjamin!" (Hos 5,8.) „Israel hat das Gute verworfen! Der Feind verfolge es!“ (Hos 8,3.)
„Vernichtung“ (Jes 1,28; Hos 4,6), „Zertretung“ (Jes 5,5), „Verwüstung" (Hes 6,4),„Zerschmetterung” durch die Weltvölker (Jes 30,14 vgl. 5,25; Hes 23,22; 23), Verheerung durch Naturkatastrophen (Joel 1,2-12; Am. 4,9; 10), „Wegwerfung“ von Gottes Angesicht (Jer 6,30; 7,15; 32,31) - das ist das unselige Los der abtrünnigen Juden. So sagen es die Propheten des Alten (!) Testaments! Verhundertfachen ließen sich die Beweise. Untergang des Staates (Jer 25; Hes 4), Schande über den einzelnen (Jer 29,18), Verachtung und Hass seitens der Nationen (Jer 24,9; 25,18; 26,6), Zorn Gottes wie loderndes Feuer (Jer 4,8 M.), sein Grimm wie eine Wasserflut (Hos 5,10), sein Anblick — ein Schrecken (Jes 2,21), er selber - wie ein Löwe (Hos 5,14), — und das alles doch erst das V o r spiel des eigentlichen „Tages des Herrn“! (Joel 2.) — So weissagen die Propheten wider das jüdische Volk. „Zum Gesetz und zum Zeugnis! Wenn sie nicht nach diesem Worte sprechen, so gibt es für sie keine Morgenröte!” (Jes 8,20.)
- Gericht über die Weltvölker. Aber auch die Völkerwelt steht unter dem Zorn. Gewalttat (Hab 1,9) und Beutegier (Nah 2,12; 13; Hab 2,8), Blutvergießen (Nah 3,1) und Raubtiernatur (Dan 7,3-7; Jes 27,1), Selbstüberhebung und Vergottung der eigenen Kraft (Jes 10,12-15; 14,13; Jer 50,31; 32; Nah 3,8; Hes 27,3; 28,2-5; 31,1-14; Hab 1,11; Hes 28,9), Haß gegen Israel und Verachtung des HErrn (Am. 1,11; Ob. 11; Jes 10,5-7; 47,6; Jer 48,27; 50,7; Hes 25,3; 6) — das alles macht die Völkerwelt reif zum Gericht. Irrwahn sind ihre Religionen (Jes 44,9-20; Jer 50,38), Nichtigkeiten ihre Götzen (Ps 96,5 wörtl.), von Sünde durchsetzt all ihr Tun (Ps 14,2; 3). Und dennoch behaupten sie kühn, ihr Glaube sei besser als die Verehrung des HErrn. 284 So empören sie sich rebellisch gegen den Herrscher des Sternenalls (Jes 40,26) und sind dabei selber — alle zusammen! — doch nur ein „Tropfen am Eimer", ein „Stäubchen auf der Waagschale"! (Jes 40,15.)
Darum lautet der Ausspruch des HErrn: „Bei der Stadt, die nach meinem Namen genannt ist, fange ich mit dem Strafgericht an; und ihr solltet leer, ausgehen? Nein, das Schwert biete ich auf wider alle Bewohner der Erde” (Jer 25,29).
„Wehe über Assur!“ (Jes 10,5), diesen „feurigen Drachen“! (Jes 14,29; 27,1). Das Schwert über Ägypten (Hes 29,8), dieses Ungeheuer im Nil (Jes 27,1; Hes 29,3). Grube und Strick über Moab (Jer 48,43), diesen Prahler! (Jes 16,6). „Nimm diesen Becher voll Zornweins aus meiner Hand und laß a l l e Völker daraus trinken, zu denen ich dich sende“ (Jer 25,15; 16). Ammon soll zur „Kameltrift" (Hes 25,5) und Tyrus zum „nackten Felsen" werden (Hes 26,4). Elam soll sterben (Hes 32,23; 24) und Edom eine „Totenstille“ („Duma") sein (Jes 21,11; 63,1-6). Und Babel vor allem, dieser „Hammer des HErrn" (Jer 51,20-23) soll auf ewig „wie Sodom und Gomorra" werden (Jes 13,19; 20; Jer 50,40). So sind die Propheten zugleich Völkerpropheten (Jer 1,10), und das Alte Testament ist ein Warnungssignal an die Welt. 285
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Bekehrung Israels. „Doch nicht bleibt Finsternis dem Lande, welches Bedrängnis hat” (Jes 9,1). Durch Gericht soll Zion erlöst werden (Jes 1,27). Der „Überrest" wird „umkehren" (Jes 10,21; Jer 24,7; Hos 3,5) und, durch die Erscheinung des Messias, ein erneuertes Volk werden (Jes 11,9; 4,3; 6,13; Hes 37,26-28).
In überwältigender Fülle und lebendigster Farbenpracht schildern die Propheten dies kommende Heil. An Hunderten von Stellen reden sie davon. Aber stets bezieht sich ihre Heilsweissagung auf das umgewandelte und erneuerte „Israel"; dem unbekehrten, noch im Lande weilenden oder wegen seiner Sünden unter die Völker zerstreuten, ausbeuterischen Fersenhalter „Jakob" gibt das Alte Testament nicht eine einzige Zusage von Herrschaft und Segen.
Dann aber, wenn der Messias erscheint, wird Israel in Palästina (Jer 16,15) seine große, nationale Buße (Sach 12,10-14; Off 1,7) und geistliche Wiedergeburt erleben — nicht aus den Kräften seines eigenen Volkstums heraus, sondern von Jesus von Nazareth her ! Und dann wird das jüdische Wunder geschehen; und das jetzt noch so unreine und unheilige Volk wird so heilig, so rein, so umgewandelt sein, daß alles, selbst das Kleinste, dem HErrn geweiht ist. „An jenem Tage wird auf den Schellen der Rosse stehen: „Heilig dem Herrn“, und jeder Kochtopf in Jerusalem und in Juda wird dem HErrn der Heerscharen heilig sein“ (Sach 14,20; 21). So verbindet sich dann mit der geistlich-nationalen „Auferstehung" Israels aus den Toten (Hes 37,1-14) seine kommende Heiligkeit, und mit der Heiligkeit Segen (Jes 60,18; 61,10) und mit dem Segen Gottes Herrlichkeit (Jes 40,5; 46,13). „Solches wird tun der Eifer des HErrn Zebaoth!" (Jes 9,6)
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Bekehrung der Weltvölker. Aber auch die Völker sollen gesegnet werden. Denn Gott ist nicht nur der Juden Gott, sondern auch der Gott der Nationen (vgl. Röm 3,29). Die israelitische Prophetie sieht in der Völkerwelt eine Familie, und alle Nationen sind Mitteilhaber des messianischen Heils. Darum wird der HErr einst „den Schleier vernichten, der alle Völker verschleiert, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist“ (Jes 25,7). Dann werden die Völker als Völker sich bekehren (Jer 3,17; Sach 8,20-22; Jes 2,3; Micha 4,2; Jes 42,4), und zum ersten Male in der Geschichte wird es christliche Nationen und Rassen im Sinne der Heiligen Schrift geben. 286 „An jenem Tage wird für den HErrn ein Altar mitten im Lande Ägypten stehen und eine Denksäule nahe an seiner Grenze für den HErrn; und die Ägypter werden dem HErrn im Verein mit den Assyrern dienen. Und der HErr Zebaoth wird sie segnen und sprechen: „Gesegnet bist du Ägypten, mein Volk, und du Assur, meiner Hände Werk, und du Israel, mein Erbteil!“ (Jes 19,19; 23; 25).
In der Tat, hier bietet die israelitische Prophetie ihr Äußerstes; denn es ist nicht Einverleibung der sich bekehrenden Heiden in das erneuerte, israelitische Gottesvolk, was hier erhofft wird, sondern „ein Bruderbund Israels und der Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung". 287
Und in Maleachi spricht Gott: „Vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang soll mein Name herrlich werden unter den Heiden; und an allen Orten soll meinem Namen geräuchert und reines Speisopfer geopfert werden; denn mein Name soll herrlich werden unter den Heiden“ (Mal 1,11). Damit aber weissagt der alttestamentliche Prophet - nur mit alttestamentlichen Farben - die neutestamentliche Wahrheit, die Jesus der Samariterin sagt: daß der Vater nicht nur an dieser oder jener Stätte, sondern an allen Orten der Welt Anbetung empfangen soll in Geist und Wahrheit (Joh 4,21-24). So werden denn Israel in seinem Lande (Sach 10,10) und die Völker in ihren Ländern eine geistliche, göttliche Wiedergeburt erleben (Ps 87,4-6), und der HErr wird als Gottkönig über die ganze Erde herrschen (Sach 14,9), und Gerechtigkeit und Friede wird die Gesamtmenschheit regieren.
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Der Messias und sein Reich. Die Bekehrung Israels und der Weltvölker wird aber bewirkt durch das Erscheinen des Messias. Er ist die Krone und der Glanzstern aller Prophetie. „Die Propheten sind die Sterne und der Mond; aber Christus ist die Sonne“ (Luther). Von ihm „zeugen alle Propheten, daß durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen“ (Apg 10,43). Christus ist das Thema des Alten Testaments. So hat er es selber gesagt (Joh 5,39; Lk 24,25-27; 46). So bezeugt es sein größter Apostel (1. Kor.. 15,3; 4; Apg 26,22; 23). Erst von dem König der Schrift aus kann das Zeugnis seiner vorausgesandten Herolde verstanden werden. Erst von dem Neuen Testament aus löst sich die Frage nach dem Alten Testament.
267 Logos = „Wort" (Joh 1,1; 14).↩︎
268 So sagt auch Luther, ein echter Geschichtsschreiber müsse sein ein „trefflicher Man, der ein Lewen hertz habe, unerschrocken die warheit zu schreiben".↩︎
269 Z. B. Ahabs Buße (1Kön 21,27; 28).↩︎
270 Z. B. Abrahams Halblüge, Moses Ungeduld, Davids Ehebruch, Salomos Götzendienst, Elias' Verzagtheit.↩︎
271 Jes 5,8; Amos 6,4-6; Micha 2,2.↩︎
272 Hes 22,12; 13.↩︎
273 Micha 3,2; 3; Je. 1, 17; Amos 2,7; 4,1; 5,11; 8,4-6.↩︎
275 Jes 1,23; 59,4.↩︎
276 Micha 6,11; Hes 45,10-12; Jer 3,23.↩︎
278 Hes 8; Hos 7,11; 5,13; 12,2; Jes 2,6.↩︎
279 Jes 58,2-5; Jer 7,4; Hos 7,14; Micha 3,11.↩︎
281 Jes 1,11-17; Mal 1,10; Amos 5,21-23; Hos 6,6; Micha 6,6; 7.↩︎
282 Lk 4,25-27; Mt 8,10; 11,21; 23; 12,42; Röm 2,24. (vgl. 3.Teil A, Kp. 1; II, 2.)↩︎
283 Was die an der alttestamentlichen Geschichte vielfach beanstandete Blutrache, Vielweiberei, Sklaverei und besonders Kriegshärte betrifft, so ist in der Tat zu bemerken, daß das Alte Testament, als erzieherische Vorstufe des Neuen, noch nicht das volle Licht neutestamentlicher Sittenlehre offenbart und darum, nach dem Zeugnis des HErrn selbst, noch Zugeständnisse „um der Herzenshärtigkeit der Menschen willen" enthält (Mt 19,8), die Christus mit majestätischem „Ich aber sage euch" außer Kraft setzt (Mt 5,22; 28; 32; 39). Wenn ferner die Kanaaniter durch die Israeliten ausgerottet werden sollten, so darf erstens nicht übersehen werden, daß Völker Organismen sind und durch Generationen hindurch ein einheitliches, ihrer Rassenseele entsprechendes Leben führen und darum auch als Einheit von Gott zur Verantwortung gezogen werden (vgl. 2. Teil Kp. 7; IV) und zweitens, daß es sich hier bei den Kanaanitern um gerichtsreife Völker gehandelt hat, die erst dann vertilgt wurden, als das Maß ihrer Sünden voll war. Darum wird auch die vier Jahrhunderte hindurch währende Wartezeit zwischen der Landverheißung an Abraham (1. Mose 15,18-21; Gal 3,17) und der Landeroberung durch Mose und Josua dem Patriarchen gegenüber geradezu damit begründet, daß das Alte Testament sagt: „Denn (!!) das Maß der Sündenschuld der Amoriter ist bis jetzt noch nicht voll" (1. Mose 15,16). „Gott kann eben nicht gnädig sein gegen seine Freunde, ohne zugleich gerecht zu sein gegen seine Feinde. Darum muß er oft mit der Erfüllung seiner Verheißung warten" (Dächsel). Israels Erwerbung von Kanaan aber ist bedingt durch das Gericht über die Kanaaniter, und das Gericht über die Kanaaniter ist bedingt durch die göttliche Gerechtigkeit, die die Sünde sich erst ausreifen läßt.↩︎
284 Jes 36,18-20; 10,10; Dan 5,3; 4.↩︎
285 Darum haben die größten Propheten lange, zusammenhängende „Völkerreden": Jes 13-23; Jer 46-51; Hes 25-32; Dan 2; 4; 7; 8; 11; Amos 1; 2↩︎
286 Das gegenwärtige Zeitalter (von Pfingsten bis zur Wiederkunft Christi) hat nicht die Christianisierung der Rassen zum Ziel, sondern die Herausrufung einzelner „aus allen Völkern" und dadurch die Bildung der Gemeinde aus Juden und Heiden (Apg 15,14).↩︎
287 Franz Delitzsch, Messianische Weissagungen. Berlin 1899, S. 126.↩︎