Erich Sauer
Schriften von Erich Sauer
Das Morgenrot der Welterlösung
Zweiter Teil: Die Uroffenbarung
1.Kapitel: Die paradiesische Berufsbestimmung der Menschheit1.Kapitel: Die paradiesische Berufsbestimmung der Menschheit
Auf die Erde setzt Gott den Menschen. In Eden pflanzte er jenen wundersamen Garten, der seines Besitzers „Wonne" und Lust sein sollte. 71 Das Paradies war der Anfang der Wege Gottes mit der menschlich irdischen Schöpfung. 72 Es war
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die Heimat eines unbeschreiblichen Glücks,
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der Ausgangspunkt einer wundervollen Aufgabe,
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der Schauplatz eines gewaltigen Konflikts,
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die Stätte eines tragischen Zusammenbruchs und ist fortan
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das Sehnsuchtsziel einer wartenden Menschheit.
I. Die Heimat eines unbeschreiblichen Glücks
Majestätisch waltete der Herr der irdischen Schöpfung im Garten, und alles Werk seiner Hände geriet. Die Blumen blühten so schön, wie sie hernach nie wieder ein menschliches Auge gesehen, und die Bäume trugen die herrlichste Frucht. Im Pflanzen- und Tierreich waltete ein wunderbar himmlischer Friedenshauch, und - vor allem - Gott selbst, der Schöpfer des Alls, verkehrte mit den Menschen in ungetrübter Weise und gab ihnen den Genuß seiner beseligenden Gegenwart (1. Mose 3,8). 73 ) Aber nicht nur zum Genießen hatte Gott den Menschen in das Paradies gesetzt; er sollte auch wirken und Frucht bringen; und so wurde der Garten für ihn
II. Der Ausgangspunkt einer wunderbaren Aufgabe
Der Mensch als Persönlichkeit
Gott, Welt und Mensch sind der dreifache Grundinhalt alles Bestehenden. Sie zu erkennen, ist Aufgabe unserer Vernunft. Ein dreifaches Bewußtsein ist darum dem Menschen verliehen: das Gottes-, das Welt- und das Ichbewußtsein, und in entsprechender Weise hat ihm der Schöpfer auch die Organe gegeben, die ihn zu diesem dreieinheitlichen Bewußtseinsinhalt befähigen.
Die Welt erkennt der Mensch durch die Sinne, 74 deren Träger der stoffliche Leib ist. Durch die Leiblichkeit gelangen wir zum Welt- oder Sinnenbewußtsein.
Das Ich erkennen wir durch die Seele. Denn der Mensch ist weit mehr als nur wahrnehmendes Glied der äußeren Natur: er ist wollendes Selbst und eigene Persönlichkeit. Gerade dies aber wird ihm durch sein Inneres gezeigt, und so gelangt er durch die Seele zum Selbst- oder Ichbewußtsein.
Und damit er sich schließlich zum Schöpfer erhebe, gab Gott ihm den Geist. Durch ihn gelangt er zum Gottesbewußtsein.
So ist der Mensch eine Dreiheit in der Einheit, und sein unsichtbares Inneres besteht aus zwei wohl zu unterscheidenden Substanzen; ist doch
das Wort Gottes imstande, durchzudringen „bis zur Scheidung von Seele und Geist” (Heb 4,12) und bezeugt doch der Apostel: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch, und euer Geist ganz, samt Seele und Leib müsse bewahret werden unsträflich auf die Zukunft unseres HErrn Jesu Christi” (1Thes 5,23 vgl. Lk 1,46; 47). 75
Hierbei ist „Geist” derjenige Teil unserer Persönlichkeit, der als das höhere Bewußtsein auf das Göttliche und Übersinnliche gerichtet ist, während „Seele” der niedere Bestandteil unseres Inneren ist, der auf das Irdische und Geschöpfliche Bezug nimmt. 76 Die Seele erreicht - und zwar auch nur mit Hilfe des Geistes - lediglich das Ichbewußtsein, der Geist aber das Gottesbewußtsein. 77
Der Leib aber soll sein, nach der Schrift:
Tempel des Heiligen Geistes (1Kor 6,10),
Schlachtopfer wahren Gottesdienstes (Röm 12,1),
Werkzeug der Gerechtigkeit (Röm 6,13),
Mittel zur Verherrlichung Gottes (1Kor 6,20),
Samenkorn zu verklärter Geistleiblichkeit (1Kor 15,43-47). 78
Von dieser Dreieinheit der menschlichen Persönlichkeit ist die mosaische Stiftshütte ein Gleichnis. „In derselben Figur ist ein Christenmensch abgemalet. Sein Geist ist Sanctum Sanctorum, das Allerheiligste, Gottes Wohnung, im finsteren Glauben ohne Licht; denn er glaubt, das er nicht siehet noch fühlet noch begreift. Seine Seele ist Sanctum, das Heilige; da sind sieben Lichter; das ist allerlei Verstand, Unterschied, Wissen und Erkenntnis der leiblichen, sichtlichen Dinge. Sein Körper ist Atrium, der Vorhof; der ist jedermann offenbar, daß man sehen kann, was er tut und wie er lebt” (Luther).79 So entsprechen sich im Wesen des Menschen
Weltbewußtsein, Ichbewußtsein, Gottesbewußtsein,
Leib, Seele und Geist,
Vorhof, Heiliges und Allerheiligstes.
Vom Allerheiligsten aber, vom Geist aus, regiert Gott über Seele und Leib. Hier ruht, im Gewissen verwahrt, gleichsam wie in der Lade des Bundes, das unabänderliche, göttliche Gesetz. Hier ist die eigentliche Offenbarungsstätte des Höchsten in uns, so wie Gott in der Stiftshütte über den Cherubim wohnte. Und wie damals die Wolke der Herrlichkeit, die Schechina, über dem Gnadenthron schwebte, also bringt diese Innewohnung des göttlichen Geistes in unserem Geiste auch uns das Bewußtsein von Frieden und Freude (Röm 8,16). Denn der Thron Gottes in uns ist kein Richterstuhl, sondern ein Gnadenthron, und das Zepter seiner Herrschaft ist Heil. So dürfen wir nun, jener Stiftshütte gleich, als Wanderzelt Gottes durch die Weltwüste gehen, bis wir dereinst ans Ziel gelangen, zur Ewigkeit hin, zum himmlischen Kanaan (vgl. 2Kor 5,1-4).
Bei einer solchen Bestimmung des Menschen begreifen wir nun auch, daß das Wort Gottes gerade im Bericht über seine Erschaffung - als der Krone der Schöpfung - sich zum allerersten Male zu dichterischem Jubelgesang erhebt. Die Form der Hebräischen Poesie ist der Gedankenreim, der Gleichlauf der Glieder und Verse. Da feiert denn nun die Heilige Schrift die Erschaffung des dreieinheitlichen Menschen - diese wunderbare Tat des dreieinigen Gottes - in dichterischem Schwung, durch einen dreifachen Reim, ein dreifaches „Gott schuf":
„Da schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde;
nach dem Bilde Gottes schuf er ihn;
als Mann und Weib schuf er sie” (1. Mose 1,27).
Der Mensch als Bild Gottes
Nicht darin aber besteht recht eigentlich die Gottesbildlichkeit des Menschen, daß er, als aus Geist, Seele und Leib bestehend, eine Dreiheit in der Einheit ist und somit das dreieinige Wesen seines Schöpfers widerspiegelt,
auch nicht in erster Linie darin, daß sein Leib schon im voraus nach dem verklärten Auferstehungsleibe des Sohnes Gottes gebildet ist, der, kraft der Überzeitlichkeit Gottes, schon ewig als Urbild im Geiste des Schöpfers gegenwärtig gewesen war (Phil 3,21),
sondern darin, daß er, als ein geistiges und sittliches Wesen, die inneren Eigenschaften Gottes geschöpflich zum Ausdruck bringt. 80
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Die Ausrüstung. Gott selbst ist das Urbild. Geistigkeit, Freiheit und Seligkeit bilden die drei Grundbestimmungen seines heilig liebenden Wesens. Diese nun sollten im Menschen abbildartig verklärt werden. Darum rüstete ihn Gott mit den drei Kräften seines geistigen und seelischen Inneren aus. Er gab ihm Willen, Verstand und Gefühl. Damit er der Freiheit der heiligen Liebe teilhaftig sein könne, verlieh er ihm den Willen; damit er in wahrer Erkenntnis die göttliche Geistigkeit widerspiegele, den Verstand, und damit er der göttlichen Seligkeit sich erfreue, das Gefühl.
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Die Heiligung. In entsprechender Weise wird darum auch im Neuen Testament das Ziel aller Heiligung beschrieben. Hinsichtlich des geistlichen Denkvermögens heißt es, daß wir den neuen Menschen angezogen haben, „der zur vollen Erkenntnis erneuert wird nach dem ,Bilde’ dessen, der ihn erschaffen hat” (Kol 3,10). In bezug auf den sittlichen Zustand des Willens wird gesagt, daß der neue Mensch „nach Gottes ,Bild’ geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Reinheit” (Eph 4,24). Und was schließlich das jubelnde Erleben der Herrlichkeit Gottes betrifft, das, mit der gesamten Persönlichkeit - ihrem Denken und Wollen - zugleich auch die Freude des Gefühls in sich einschließt, so lesen wir: „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des HErrn anschauend, werden verwandelt nach demselben ´Bilde` von Herrlichkeit zu Herrlichkeit als durch den HErrn, den Geist” (2Kor 3,18).
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Der Mittler. Aber alle diese drei Strahlen werden zusammengefaßt in dem einen, in dem Bilde Jesu Christi, des Sohnes Gottes, unseres HErrn; „denn die, welche er zuvor erkannt hat, die hat er auch dazu Vorausbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleich zu werden: Dieser sollte der Erstgeborene sein unter vielen Brüdern” (Rom. 8,29). Das Bild des Vaters ist niemand anders als der eingeborene Sohn (Kol 1,15; Heb 1,3) In diesem Bilde schuf Gott den Menschen zu seinem Bilde.
Darum gelangt in uns das Bild des Vaters im Bilde des Sohnes zur Ausgestaltung. Im Sohne sind wir zu Söhnen bestimmt. Darin besteht unsere Gottesbildlichkeit (1Kor 1,9; 1Joh 3,2). Christus, der geschichtliche Heilsmittelpunkt, ist zugleich das „urbildliche Weltziel”.
Aber nicht nur in sittlicher Weise ist Gleichgestaltung mit Christo das Endziel der Erlösung, sondern auch geistleiblich. So ist auch Christus mit einem verklärten Menschenleibe in die Herrlichkeit eingegangen (Joh 20,14-29; Apg 1,11; Phil 3,21), und so erwarten wir ihn auch als Heiland vom Himmel zurück, als den, „der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leibe der Herrlichkeit” (Phil 3,21 Elb.). Denn „der erste Mensch ist von der Erde, von Staub, der zweite Mensch ist vom Himmel. Und wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen. Und wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen” (1Kor 15,47-49 Elb.).
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Das Endziel. Dann aber, wenn diese Geistleiblichkeit kommt (Röm 8,23), wird das Ziel alles Heils in vollendeter Weise erreicht sein. Als Wahrheit, Gerechtigkeit und Friede wird sich das innere Wesen des Reiches Gottes entfalten (Röm 14,17), und Herrlichkeit wird sein in allen denen, die da erwachen im Bilde ihres Gottes. In der Heiligkeit ihres Wollens, der Weisheit ihres Erkennens und der Seligkeit ihres Fühlens offenbart sich dann vollkommen die Freiheit und Geistigkeit und Seligkeit ihres Schöpfers, und ihre drei Seelenkräfte werden auf ewig zu einer geschöpflich-dreieinheitlichen Verklärung der dreieinigen Seinsbestimmtheiten des ewigen Gottes.
Zu diesem allem aber tritt noch etwas Besonderes hinzu. Gott hatte offenbar bei der Menschenschöpfung nicht nur den Gedanken, daß ihn dieser, gleich den Engeln des Himmels, als reines und glückliches Wesen verherrliche, sondern, indem er ihm die Erde als Herrschaftsgebiet übergab, erteilte er ihm auch eine spezielle Aufgabe zu, die sich auf diesen seinen Wohnsitz erstreckte.
Der Mensch als Beherrscher der Erde
„Seid fruchtbar und mehret euch, bevölkert die Erde und macht sie euch Untertan und herrschet” (1. Mose 1,28). In diesen Worten ist deutlich die Königsbestimmung des Menschengeschlechts ausgesprochen. Die Befähigung dazu ist der menschliche Geist, der sich vor allem im Worte bekundet.
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Der Anfang. Was ist ein Wort? — Ein Schall, ein Laut, ein Ton, der aus unserem Munde hervorgeht! Aber noch mehr! Ein Träger einer Regung des Geistes, ein Kundgebungsorgan der Vernunft, ein Zeichen und Lautsymbol einer Tätigkeit der Seele. Nur durch die Gabe des Geistes und Wortes wird der Mensch erst zum Menschen. Erst so empfängt er die Möglichkeit innerer Entwicklung.
Mit dem Wort begann Adam im Paradiese die Vollziehung seiner Königsgewalt. Gott selbst brachte ihm gleich zu Beginn, noch vor der Erschaffung des Weibes, 81 die Tiere der Luft und der Erde, damit er - ihr Wesen durchschauend - sie mit passendem Namen benenne (1. Mose 2,20), und so wird der „König” sofort schon am Anfang vom Schöpfer gekrönt, und die Sprache wird geistig das „Zepter der Menschheit”.
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Der Inhalt. Nun aber war die Erde - jedenfalls die außerparadiesische - ein Gebiet, das trotz seiner Erschaffung und Überwaltung durch den Höchsten, noch nicht restlos sein Endziel erreicht hatte. Ja, es scheint, daß der Zustand der Disharmonie, der mit dem Fall Satans über die Erdwelt hereingebrochen war (Röm 8,20; 21) 82 in der außerparadiesischen Erde zur Zeit der Menschenschöpfung durchaus noch weiterbestand. Jedenfalls deutet die biblische Urgeschichte an, daß die Erde an sich, trotz des göttlichen Neuanfangs, der mit der Erschaffung des Menschen einsetzte, dem Wirken dämonischer Mächte noch nicht grundsätzlich entzogen worden war.
Dies beweist das Gebot Gottes an den Menschen, den Paradiesesgarten nicht nur zu bebauen, sondern zu „bewahren", sowie die Tatsache seiner Versuchung durch eine gottfeindliche, auf der Erde auftretende, sich eines Tieres bedienende Gegenmacht.
Außerdem: Wenn die Erde überall eine Stätte des Lebens und höchster Vollkommenheit gewesen wäre, so hätte es ja überhaupt keines Paradieses bedurft! Offenbar aber stand der erstgeschaffene Mensch, seiner Anlage und Bestimmung nach, hoch über der Erde, und darum mußte für ihn auch ein besonderer Bezirk zubereitet werden, damit er eine Wohnstätte habe, die dem Adel seiner Stellung und der Hoheit seiner Berufung entsprach. Die Pflanzung des Paradiesesgartens ist somit, vom biblischen Standpunkt aus betrachtet, ein Zeugnis von dem Unvollkommenheitscharakter der außerparadiesischen Erde. 83
Dann aber bedeutet die Ausbreitung der Erdenherrschaft des Menschen, sofern er Gott untertan blieb, ein stufenweises Hineinziehen alles Irdischen in den Bereich der sittlichen Weltzwecke, ein wachstümliches In-Anspruch-Nehmen der Erde für Gott und damit ein fortschreitendes Weiterführen der Schöpfung zur Erlösung und Vollendung. Das Paradies war somit der feste Punkt, von dem aus die Emporhebung der Natur in den Bereich des Geistes ihren Anfang nehmen sollte. Es war von Gott dazu gesetzt, „damit von da aus die ganze Erde zum Paradiese werde. Der Garten ist das Allerheiligste, Eden das Heilige, die ganze Erde ringsum Vorhalle und Vorhof. Das Ziel ist, daß sie ganz in das verherrlichte Gleiche jenes Allerheiligsten verklärt werde." 84 ) Hierbei galt Adam selbst nicht nur als Einzelperson, sondern zugleich auch als Stammvater und organischer Vertreter seiner gesamten, schon damals grundsätzlich „in" ihm mitgeschauten Nachkommenschaft (1Kor 15,22; Röm 5,12-21). Darum heißt es auch zuerst: „Seid fruchtbar und mehret euch und bevölkert die Erde" und erst hinterher: „Und machet sie euch untertan und herrschet" (1. Mose 1,28). So ist denn der Paradiesesgarten Anfang und Ende, Ausgang und Ziel, Basis, Programm und Muster der Gesamtaufgabe der Menschheit auf Erden.
Dies alles aber konnte nur dadurch erreicht werden, daß der Mensch in eine sittliche Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Bösen gestellt wurde. Nur in einem Kampf konnte er „siegen”; nur so konnte er die Krone des „Überwinders” erlangen. Andererseits aber wollte auch Satan, dieser Widersacher Gottes, das Werk seines Feindes, den rein und gut erschaffenen Menschen, nicht unangetastet sein lassen. Damit aber war sofort schon zu Anfang ein hochbedeutsamer Kampf eröffnet, und das Paradies wird
III. Der Schauplatz eines gewaltigen Konflikts
Es tritt, mit diesem seinem geheimnisvollen Hintergrund, in den kosmischen Rahmen der Weltall-Übergeschichte ein. Hinter dem Paradies steht das Sternenall Gottes und die größte Revolution, die es je gegeben hat: der Kampf zwischen Satan und Gott.
Der Gegenstand der Versuchung wird, dem Grundsatz der Entwicklung gemäß, dem noch kindlichen Verständnis der jungen Menschheit angepaßt; daher das Verbot, von der Frucht eines Baumes zu essen. 85 Durch das Nichtessen von seiner Frucht, d. h. durch den Sieg in der Versuchung, sollte Adams sittliches Bewußtsein durch Betätigung seiner Wahlfreiheit zur Machtfreiheit gelangen, und damit sollte sich zugleich sein Herrscherdienst für die Erde auswirken. Jeder Sieg in der Versuchung hätte sein Innenleben ausgereift und vertieft. Immer mehr hätte er das Gute erkannt und das Böse durchschaut und wäre wachstümlich aus dem Stande der Kindesunschuld in den Stand der Mannesreife einer sieghaften Heiligkeit mit einer gottähnlichen Erkenntnis von Gut und Böse gelangt. „Adams Altar und Predigtstuhl ist gewesen dieser Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses, von welchem er Gott pflichtigen Gehorsam leisten, Gottes Wort und Willen erkennen und ihm danken sollte, und so Adam nicht gefallen wäre, so wäre dieser Baum gleich wie ein gemeiner Tempel und Hauptkirche gewesen" (Luther). So war denn der Baum ein Zeichen der Herrschaft Gottes über den Menschen und der Unterwerfung des Menschen unter Gott. Auch im Verbot wollte Gott weit mehr geben als nehmen. In doppelter Weise hatte der Erkenntnisbaum demnach einen göttlichen Zweck; er war das Mittel in der Hand Gottes zur Erziehung des Menschen und dadurch zur Verklärung der Erde.
Dann aber kam die Sünde. In Eden verlor der Mensch sein Eden, und das Paradies, dieser Wohnort von Wonne und Lieblichkeit, wurde
IV. Die Stätte eines tragischen Zusammenbruchs
Die Schlange hatte dem Menschen die Erkenntnis von Gut und Böse verheißen, und in verzerrter Form hat sie auch Wort gehalten. Doch „anstatt das Böse von der freien Höhe des Guten aus zu erkennen, erkannten sie nun das Gute von dem fernen Abgrund des Bösen aus".
Nach Gottes Plan hatte der Mensch durch den Sieg in der Versuchung erkennen sollen, was gut ist und böse wäre; durch die Sünde aber erkannte er hernach, was böse ist und gut gewesen wäre. Und weil er am Erkenntnisbaum frevelnd gesündigt hatte, mußte er nun auch vom Lebensbaum abgeschnitten werden (1. Mose 3,22; 23). Der Tod hielt seinen Einzug in das Menschengeschlecht, und im Paradiese begann die Hölle des Menschen.
Doch nie konnte der Mensch seitdem seine Heimat vergessen. Vom „verlorenen Paradies" haben alle Völker gesungen und hoffend nach seiner Wiederkehr ausgeschaut. Das Paradies ist darum
V. Das Sehnsuchtsziel einer wartenden Menschheit
Und in der Tat, ihr Hoffen wird nicht enttäuscht werden. Die Endgeschichte wird wieder zur Urgeschichte sich wenden, und wie es im Anfang der alten Erde ein irdisches Paradies gab, so wird es dereinst auf der neuen Erde ein himmlisches Paradies geben (Off 22,1-5). Auch nach dem Fall ließ der HErr die hohe Berufung der Menschheit bestehen. Auch jetzt noch bleibt ewig die Verklärung der Erde an die Vollendung des Menschen gebunden. 86 Darum „wartet das sehnsüchtige Harren der Schöpfung auf die Offenbarung der Söhne Gottes” (Röm 8,19), und darum kann sie auch erst dann „zur Teilnahme an der Freiheit" gebracht werden, wenn „die Kinder Gottes im Stande der Verherrlichung" sind (Röm 8,19-22).
In Christo gelangt dann einst die Menschheit an ihr seliges Ziel. Er erschien auf der Erde und vollbrachte sein Werk. Er erniedrigte sich selbst und ging an das Kreuz und trug dort die Sünden der Menschen. Doch dann stieg er auf in den Himmel empor und sitzt nun zur Rechten des Vaters, bis er einst den Tag herbeiführen wird, an dem er die Seinen sich selbst und dem Vater verherrlicht darstellen wird (Eph 5,27; Heb 2,13).
Doch als Menschensohn hat er das Werk, das der Vater ihm gab, hier vollbracht. Als Mensch trug er hier die Krone der Dornen, die der unerlöste, unter dem Fluch stehende Acker ihm bot; und als Mensch wird er darum auch einst, als das Haupt seines Leibes, über denselben - doch dann den erlösten, vom Fluche befreiten - Acker regieren (Eph 1,22). Der göttliche Erlöser ward Mensch und erlöste als solcher den menschlichen Beherrscher der Erde, verband ihn dann mit sich zu ewig untrennbarer Einheit und bewirkte also zugleich die Erlösung der Erde. Das ist der Weg, den die Gnade gefunden. So bleibt denn die alte Bestimmung der Menschheit bestehen, und doch wird sie gänzlich mit neuem Inhalt erfüllt. In Christo als ihrem Haupte gelangt die Menschheit ans Ziel ihrer Bestimmung. Er ist, als der „letzte Adam” (1. Kor.. 15,45; 21; 22; Röm 5,12-21), für sie Mittelpunkt, Krone und Stern. Das ganze Menschheitsgeschlecht ist „ein Kreis, und Jesus Christus ist das im Laufe der Heilsgeschichte immer mehr herausgearbeitete Zentrum dieses Kreises" (Franz Delitzsch).
Aber gerade dies gehört mit zu den tiefsten Geheimnissen des Gnadenrats Gottes, daß er, zur Erreichung seiner großen, weltumspannenden Ziele, den Menschen auch da nicht beiseitegesetzt hat, wo sich dieser, durch Sünde und Fall, seiner hohen Bestimmung als unwert erwiesen. „Unwiderruflich sind die Gnadengaben und die Berufung Gottes” (Röm 11,29). So klingt es gleichsam, wie bei Israel im Kleinen, so hier im Großen, durch Sünde und Unheil, Verderben und Rettung hindurch. Die Vollendung der Schöpfung soll dennoch mit dem Menschen verknüpft sein.
Mag ihre Entwicklung nun auch andere Wege gehen, als es ohne einen menschlichen Sündenfall gewesen wäre: das Endziel bleibt dennoch bestehen. Und weil dieses der Weg und das Ziel Gottes bleibt - daß der Mensch der Segenskanal für die Schöpfung wird -, kann es ein Werfen des Teufels in den Feuersee und einen neuen Himmel und eine neue Erde auch erst nach dem Großen Weißen Thron, d. h. nach dem Abschluß der geoffenbarten menschlichen Erlösungsgeschichte geben (Off 21 und 22 vgl. Off 20,11-15).
71 „Eden" = Wonneland, Lieblichkeit.↩︎
72 Für die Geschichtlichkeit und Buchstäblichkeit der ersten Kapitel der Bibel bürgt Christus und das Neue Testament. Durchweg behandeln sie der HErr und seine Apostel als Berichte wirklicher Ereignisse, ja ziehen sogar lehrhafte Folgerungen aus ihnen: Mt 19,4-9; Röm 5,12-21; 1Kor 15,21; 22; 1Tim 2,13; 14; Jak 3,9; 1Joh 3,12; Off 20,2, „Ist darum das Neue Testament Wahrheit, so ist 1. Mose 1-3 Geschichte" (Ebrard, Dogmatik 1, S. 251f.). Wer dagegen die Urgeschichte verwirft oder umdeutet, befindet sich damit im Widerspruch zu der absoluten Autorität des HErrn Jesu und seiner Apostel. — Näheres vgl. Anhang: „Die Zuverlässigkeit der biblischen Urgeschichte", S. 270. Ebenso den Abschnitt" Das Alter des Menschengeschlechts" in E. Sauer, Vom Adel des Menschen, S.206↩︎
73 Wo das irdische Paradies gelegen hat, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Man hat auf Armenien oder die Syrisch-arabische Wüste hingewiesen. Jedenfalls ist Phrat (1. Mose 2,14) der Euphrat und Hiddekel der Tigris (vgl. Dan 10,4; aramäisch: Diglat). Daß die Landschaft Eden hoch gelegen haben muß, beweist der Umstand, daß sie die Geburtsstädte großer Ströme war (1. Mose 2,10). Der Garten ist ja nicht Eden selbst, sondern „in" Eden (1. Mose 2,8; 10). Daß dann später der Name der Landschaft auf den Garten selbst überging (z. B. Hes 28,13), ist eine leicht begreifliche, alltägliche Erscheinung. Die Ströme Pison und Gihon sind nicht mit Sicherheit festzustellen. Durch die Sintflut scheinen wesentliche landschaftliche Veränderungen stattgefunden zu haben.
Das Wort „Paradies" kommt vom Persischen her und bedeutet zunächst einfach einen „Park" oder „Forst", der die königliche Burg umgab. So spricht Neh 2,8 von einem gewissen Asaph, dem Hüter des königlichen „Forstes" (hebräisch: pardes). Ebenso gebraucht Salomo in dem Satz „Ich machte mir Gärten und Parkanlagen" (Pred 2,5) für „Parkanlagen" das gleiche Wort „Paradiese". Desgleichen Hld 4,13. — Die Septuaginta setzt überall, wo im Hebräischen „Garten" Eden steht, das Wort „Paradies". Im Neuen Testament kommt das Wort nur dreimal, vor: Lk 23,43; 2Kor 12,4; Off 2,7.↩︎
74 Fühlen, Riechen, Schmecken, Hören, Sehen, deren Träger die Organe des Leibes sind, z. B. Auge, Ohr, Gaumen, Nase, Nerven.↩︎
75 „Geist und Seele sind eins dem Wesen nach (die rechte Dichotomie), aber verschiedene Substanzen (die rechte Trichotomie)" (Franz Delitzsch, Genesis, 1860, S. 142).↩︎
76 Dies erkennt man besonders an dem Gebrauch der Eigenschaftswörter seelisch" und ,geistig", „Psychisch" (seelisch) kommt sechsmal im Neuen Testament vor und ist stets niederer Gegensatz zu „geistig": 1Kor 15,44 (zweimal); 46; 1Kor 2,14; Jud 19; Jak 3,15 (Luther: „natürlich").↩︎
77 Die Seele ist das Bindeglied zwischen Geist und Leib. Nur durch ihre Vermittlung kann der Geist auf den Körper einwirken; denn er ist die ihr „nach innen und oben hin einverwobene Substanz", gleichwie dies der Körper für sie „nach außen und unten hin" ist (vgl. J. T. Beck). Die Seele ist also das Band zwischen beiden; sie ist für den Geist gleichsam dessen „Leib", gleichwie sie selber vom Körper als ihrem Leibe umschlossen wird (vgl. Tertullian).↩︎
78 Ohne Erlösung ist er: Einfallstor des Feindes (1. Mose 3,6; Mt 5,28-30), Leib der Sünde (Röm 6,6), Leib der Niedrigkeit (Phil 3,21), zerfallendes, irdisches Zeltenhaus (2Kor 5,1-4), Samenkorn zu satanischer Leiblichkeit (Dan 12,2 b ; Joh 5,29 b).↩︎
79 In seiner Erklärung zum Magnificat Lk 1,46 ff.↩︎
80 Bei der biblischen Lehre von der Gottesbildlichkeit des Menschen sind zwei Seiten zu beachten: ein verlierbares und ein unverlierbares Gottesbild. Denn einerseits wird in der Schrift die Gottesbildlichkeit des Menschen als etwas durch den Fall Verlorenes und jetzt erst durch die Erlösung zu Gewinnendes bezeichnet (Kol 3,10; Eph 4,24; Röm 8,29; 1Kor 15,49; 2Kor 3,18), und andererseits wird auch in dem gefallenen Menschen noch ein Bild Gottes anerkannt (1. Mose 9,6; 1Kor 11,7; Apg 17,28; Jak 3,9). Zunächst ist der Mensch ein Bild Gottes in weiterem Sinne, sofern er überhaupt eine für die Ewigkeit bestimmte sittliche Persönlichkeit ist mit Unsterblichkeit, Ichbewußtsein, Verstand, Vernunft, sittlichem Urteilsvermögen, Gewissen und Willensfreiheit, wozu noch sein Herr scherberuf kommt, durch den er, als Herrscher der Erde, ein Abbild des HErrn als des Herrschers des Weltalls sein soll (1. Mose 1,26-28). Dies ist das Gottesbild als Anlage, als Grundwesen der Menschennatur an sich, ohne die der Mensch aufhören würde, überhaupt noch Mensch zu sein. Wesenhaftigkeit und Inhalt bekommt dies alles aber erst, wenn der Mensch nun auch tatsächlich durch seinen praktischen Zustand in Heiligkeit und Liebe das geistig sittliche Wesen Gottes wirklich widerspiegelt. Das Gottesbild in engerem Sinne, als Zustand und Besitz. Nach dem Sündenfall ist nun das Gottesbild in ersterem, formalem Sinne nicht untergegangen; doch als Inhalt und materialer Besitz ist es verloren. „Das Räderwerk des Mechanismus ist zwar geblieben; aber sein Lauf ist gestört. Die Blume mit ihrem Blütenkelch ist noch da; aber ihr Farbenschmelz und ihr Duft ist dahin" (Ed. König). Daher die Notwendigkeit der Erlösung.↩︎
81 Die Sprache ist also nicht, wie ungläubige Philosophen wollen, eine Erfindung, die man erst nach und nach innerhalb der menschlichen Gesellschaft zum Zweck des gegenseitigen Verkehrs gemacht habe. Denn Gott „sprach" schon zu Adam, ehe er ihm Eva als Gehilfin beigegeben hatte, und ebenso machte Adam schon vor der Erschaffung des Weibes in der Benennung der Tiere Gebrauch von der Sprache. Die Sprache ist also vielmehr eine „unwillkürliche Emanation des Geistes", die „durch den Mund hindurchgehende, vernehmbare Offenbarung der Vernunft" (Plato), „hörbarer Geist" (Bettei). Als Schöpfungsanlage war die Sprachengabe beim Menschen schon von vornherein da; sie bedurfte aber der Entbindung und Lösung, und diese führte Gott herbei, indem er dem Menschen aufgab, den Tieren Namen zu geben. — Welches die Ursprache im Paradiese gewesen ist, kann heute nicht mehr entschieden werden.↩︎
82 Vgl. Seite 38. — Ferner E. Sauer, Vom Adel des Menschen. Gütersloh 1940. 1 S. 73-80.↩︎
83 Damit stimmt auch das Zeugnis der Geologie überein. Denn es ist naturwissenschaftlich klar zu erkennen, daß viele jetzige Lebeformen der Pflanzen- und Tierwelt eine außerordentliche Ähnlichkeit, ja teilweise fast Gleichheit mit den entsprechenden Lebeformen der Tertiärzeit, ja zum Teil sogar Kreide- und Jurazeit haben, also mit ihnen offenbar in organischem Zusammenhang stehen. Wollte man aber nun lehren, daß zur Zeit der ersten Menschen auch die außerparadiesische Erde von allem Tod und aller Disharmonie befreit gewesen sei — was die Bibel nicht ausdrücklich lehrt! —, so müßte man den unvermeidlichen, aber doch höchst un- wahrscheinlichen Schluß ziehen, daß die mit den heutigen Arten wesensg1eichen (I) Tierarten der Tertiärzeit — wir denken hier besonders an die fleischfressenden Tiere — erst vernichtet oder hinsichtlich ihrer Instinkte, ihrer Ernährungsweise und folglich ihres ganzen Körperbaus anatomisch-physiologisch umgebildet worden seien, dann aber, nach dem Fall des Menschen, wieder neu erschaffen beziehungsweise in einen Zustand zurückverwandelt worden seien, der im wesentlichen ihrem Tertiärzustand entspricht. Dies anzunehmen ist aber eine noch größere Schwierigkeit, als den Zusammenhang des gegenwärtigen Tier-und Pflanzenlebens mit dem versteinerten für das Richtige zu halten. Vielmehr empfiehlt sich die Annahme, daß die Tierarten während der Paradieseszeit auf der außerparadiesischen Erde in ihrem bisherigen, zum Teil wilden Zustand verblieben sind, daß es aber dann, wenn der Mensch in wachstümlicher Ausbreitung seinen Herrscherdienst gottgemäß ausgeführt hätte, zu einer schließlichen, endgültigen Befreiung der Tierwelt aus den Banden der Wildheit und des Todes gekommen wäre. — Genaueres vgl. E. Sauer, „Vom Adel des Menschen", S. 76 ff. Dort ist auch eine Besprechung gewisser Einwände gegeben.↩︎
84 Franz Delitzsch, a. a. O. S. 152.↩︎
85 Töricht ist der Einwand, das Essen einer verbotenen Frucht sei doch nur eine Näscherei, also eine kleine Sünde gewesen; denn den ersten Menschen war es ja gar nicht um den Geschmack der Frucht zu tun, sondern sie wollten sich, hinter dem Rücken des Schöpfers, auf verbotenem Wege, zu gleicher Erhabenheit emporschwingen wie er (1. Mose 3,5). Das Verbot, vom Baume zu essen, war also, seinem Wesen nach, geistiger Art, indem es die absolute Herrschaft Gottes über den Menschen und diese als das wahrhaft Gute feststellte.↩︎
86 Darum zeigt die Schrift immer wieder einen tiefen, heilsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen der Erde und der Menschheit. „So entsprach dem Menschen im Unschuldstande das Paradies, so dem Gefallenen der Acker mit seinem Fluch, so Israel, dem vorbildlichen Gottesvolk, das Gelobte Land als Vorbild des zukünftigen Paradieses, so jedem religiös-sittlichen Verfall des Volkes eine Verdunkelung und Verödung seines Landes (5. Mose 28,15 ff.; Joel 2; Zeph 1,14 ff.) sowie jeder geistigen Heilszeit eine Erhebung der Natur (5. Mose 28,8 ff.; Ps 72,16; 17; Jes 35; Hos 2,23). So verdunkelte sich beim Tode Christi die Sonne und kündigte sich in dem Erdbeben bei seinem Tode die Erneuerung der Erde an." So kommen in der Steigerung der Sünde in der antichristlichen Zeit gesteigerte Nöte über die Natur (Off 16,1 ff.); im Tausendjährigen Reich aber wird, mit der gesamten Menschheit, auch die Natur gesegnet (Jes 11 u. a.). Zuletzt jedoch geht mit dem Ende der Menschheitsgeschichte auch die alte Weltgestalt unter (2Pet 3,10; Off 20), um, mit der Verklärung der erlösten Menschheit, auch eine verklärte „neue Erde" zu werden (Off 21,1). Vgl. J. P. Lange, Bibelwerk, Römerbrief, 1880, S. 225.↩︎