Erich Sauer
Schriften von Erich Sauer
Das Morgenrot der Welterlösung
Dritter Teil: Die vorlaufende Heilsoffenbarung
A. Das Verheißungsfundament des Evangeliums
2.Kapitel: Die überragende Herrlichkeit des Abrahamsbundes2.Kapitel: Die überragende Herrlichkeit des Abrahamsbundes
Abraham ist der „Vater aller Gläubigen" (Römer 4,11). Als solcher ist er nicht nur der Anfang, sondern auch das Urbild aller Glaubenserfahrung. Heilsgeschichtlich sind es vor allem vier Hauptgrundsätze, die mit ihm neu deutlich in die Offenbarungsgeschichte eingeführt werden:
die Bedingungslosigkeit des Heils - in Rechtfertigung und Verherrlichung,
der Urgrund des Heils - die Auferweckungskraft Gottes,
der Mittler des Heils - der kommende Same,
das Endziel des Heils - die himmlische Stadt.
I. Die Bedingungslosigkeit des Heils
Nicht eigentlich der Auszug aus Ur in Chaldäa (1. Mose 12) war der bedeutsamste Tag in Abrahams Leben, sondern, fast zehn Jahre später, jene Offenbarung in der Sternennacht, in der Gott mit dem Patriarchen den Glaubensbund schloß (1. Mose 15,5; 18). Damals war es, als Abraham das göttliche Rechtfertigungsurteil empfing, und wo überhaupt in der Heilsgeschichte zum allerersten Male deutlich und ausdrücklich von der „Rechtfertigung" eines Sünders die Rede ist (1. Mose 15,6; Röm 4,2-5).
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Die Rechtfertigung. Hier ist aber gerade der Zeitpunkt das Entscheidende. Denn: „Wann ist der Glaube dem Abraham zur Gerechtigkeit angerechnet worden? Vor oder nach seiner Beschneidung?“ (Römer 4,10.)
Die Antwort lautet: Zum mindesten 13 Jahre vor der Beschneidung. Denn der Beschneidungsbund wurde erst eingesetzt, als Abraham schon 99 Jahre alt war (1. Mose 17,1-14); der Glaubensbund aber und die Rechtfertigung fanden schon vor Ismaels Geburt, also vor seinem 86. Lebensjahre, statt (1. Mose 16, bes. V. 16 vgl. Kap. 17,1). Demnach war Abraham schon 13 Jahre lang gerechtfertigt, ehe er beschnitten wurde.
Auf dieser Reihenfolge baut Paulus im Römerbrief seinen ganzen, berühmten Schriftbeweis von der Rechtfertigung allein durch den Glauben auf (Römer 4). Für Abraham selbst hätte es, menschlich gesprochen, ja bedeutungslos sein können, ob er die Beschneidung vor oder nach seiner Rechtfertigung empfing. Gott aber beabsichtigte gerade mit dieser Aufeinanderfolge einen prophetischen Zweck. Denn Abraham sollte gerade durch sie der Vater „auch aller derer werden, die ohne Beschneidung, allein durch den Glauben, gerechtfertigt werden würden". Das aber war nur möglich, wenn er auch selbst schon als Unbeschnittener die Rechtfertigung empfing. Darum ist die Reihenfolge der beiden Bundesschließungen in seinem Leben nicht gleichgültig, sondern heilsgeschichtliche Prophetie. Gerade durch sie wurde offenbar, daß die Beschneidung nicht Voraussetzung, sondern nur „Siegel" für die Glaubensgerechtigkeit sein könne (Röm 4,11). Ein Siegel aber setzt man nur unter ein fertiges Dokument. Also muß die Rechtfertigung Abrahams schon vorher etwas Fertiges und Abgeschlossenes gewesen sein.
Daraus aber folgt, daß, um die Rechtfertigung zu erlangen, nun auch später die unbeschnittenen Heiden nicht etwa erst beschnitten zu werden brauchen, sondern daß umgekehrt gerade die Beschnittenen den Glauben des noch unbeschnittenen Abram haben müssen! Um in den Tempel des Heils zu gelangen, müssen die Heiden nicht etwa erst durch den Vorraum der Juden hindurch - d. h. durch das Gesetz -, sondern die Juden müssen durch das Vorzimmer des Glaubens hindurch, den Abram sozusagen schon als „Heide“ gehabt hatte!
Damit ist die Bedingungslosigkeit des Heils und der Gnadencharakter der Erlösung als eines freien Geschenkes an den reinen Glauben klargestellt und der Beweis erbracht, daß das Evangelium des Gemeindezeitalters im Abrahamsbund vorausgeschattet ist, daß also der „Neue Bund" die Fortsetzung und Verklärung des Abrahamsbundes ist (Gal 3,9; 14; Röm 4) und folglich, seinem Wesen nach, älter als der mit Mose (Heb 8,8; 9) beginnende „Alte" Bund. 196
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Die Verherrlichung. Zugleich aber war mit der Rechtfertigung auch die Zusicherung des Erbbesitzes verbunden. „Ich bin der HErr, der dich aus Ur in Chaldäa hat auswandern lassen, um dir dieses Land zum Besitz zu geben” (1. Mose 15,7). Mit der Gerechterklärung, diesem Anfang des neuen Lebens, empfing der Patriarch also gleichzeitig - genau so bedingungslos - das Erbe, das Ziel des neuen Lebens (vgl. Heb 11,8-10).
Auf diese Tatsache legt Paulus im Römerbrief ebensoviel Wert wie auf die erstere (Röm 4. 13-17). Denn sie bedeutet — heilsgeschichtlich-prophetisch —, daß, ebensowenig wie die Rechtfertigung an irgendein Gesetz gebunden ist, es etwa der Erbbesitz, die Vollendung und Verherrlichung, sei. Darum ist das Gesetz weder Rechtfertigungsmittel (vgl. Römerbrief) noch Heiligungsmittel (vgl. Galaterbrief), und nichts kann bei den Erlösten die Erlangung des herrlichen Erbes in Frage stellen. Das Ziel ist nicht etwa die Belohnung des Glaubens (Röm 4,4-7), sondern der Glaube ist das Erleben und Ergreifen des Zieles. Mit dem Beginn des neuen Lebens ist seine Vollendung gewährleistet. Denn alles beides ist ein freies Geschenk der göttlichen Gnade (Joh 10,28; 29; 1Pet 1,4; 5; Röm 8,30).
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Das Bundeszeichen. So ist es von höchster Bedeutung für das Verständnis der Heilsgeschichte, in Abrahams Leben zwei Bundesschließungen zu unterscheiden: den grundlegenden Glaubensbund von 1. Mose 15 und den hinzugefügten Beschneidungsbund von 1. Mose 17. Beide werden als „Bund" bezeichnet (1. Mose 15,18 — 1. Mose 17,9; 10; 11), und zwischen beiden liegen zum mindesten 13 Jahre. Der erste ist der ewig gültige Gnadenbund, bedingungslos dem „Heiden“ Abram gegeben; der andere ist der vorläufige (Gal 5,2) Bestätigungsbund (1. Mose 17,7), als „Siegel” dem „gerechtfertigten” Abraham verordnet. Der erste aber ist der entscheidende; die Gnade ist der Anfang; und insofern ist 1. Mose 15 das grundlegendste Kapitel des ganzen Alten Testaments.
Der Verheißungsbund enthält zwei Zusagen, die beide in sich doppelt sind, mit je einem Bundeszeichen. Die eine ist die Zusage der Nachkommenschaft und gestaltet sich zur Rechtfertigung; ihr Bundeszeichen ist der Sternenhimmel (Vers 1—6). Die andere ist die Zusicherung des Landes und weist hin auf die Verherrlichung; ihr Zeichen ist das Bundesopfer (Vers 7—21). Majestätisch und erhaben ist das eine, geheimnisvoll und düster das andere.
Die Opfer sind geteilt; die Sonne geht unter; tiefer Schlaf fällt auf Abram. Schrecken, dichte Finsternis und Beängstigung erfüllen seine Seele. Raubvögel stürzen sich auf die Opfer herab; doch Abram verscheucht sie. Zuletzt aber fährt der HErr durch die Opferstücke hindurch, und zwar in rauchendem Ofen und feuriger Fackel, und der Bund ist geschlossen. Dies ist die heilsgeschichtlich bedeutsamste Bundesschließung des Alten Testaments (1. Mose 15,9-18).
Aber warum dies so Düstere beim Gnadenbunde, dieses Dunkel und Grauen bei der Verheißung des Lichts, die Raubvögel, der rauchende Ofen, die Feuerfackel?
Die Opfer sind Israel. Was ihnen geschieht, ist ein Vorbild auf die nationalen Geschicke dieses Volkes. Und diese sind düster, voller Schrecken und Finsternis (5. Mose 28,15-68). Darum findet auch die Bundesschließung selber durch einen rauchenden Ofen und eine feurige Fackel statt.
Die Raubvögel sind die Nationen, besonders die Ägypter (Vers 13 bis 16). Aber Abram verscheucht sie; denn um der „heiligen Wurzel” willen wird Israel Bewahrung und Erhaltung zuteil (Röm 11,16; 24) Ihr könnt uns nicht segnen; denn ein Fluch liegt auf uns. Ihr könnt uns nicht fluchen; denn ein Segen liegt auf uns.”
Das Hindurchschreiten durch die geteilt sich gegenüberliegenden zwei Reihen von Opferstücken aber bedeutet die Ausfüllung der „Lücke“ zwischen den zwei Bundesschließenden, die Verschmelzung und Zusammenschliessung ihrer Zweiheit zur Einheit und also den Bundesvollzug selber. Daß aber der HErr allein hindurchschreitet (Vers 17; 18) und nicht etwa auch Abraham hinterher, bedeutet, daß der Bund ein reines Geschenk der göttlichen Gnade ist, daß der Mensch nicht dabei wirkend oder mitwirkend ist, sondern daß Gott allein alles tut und der Mensch nur der lediglich Empfangende ist (Mt 16,26b; Röm 3,24; Phil 2,13).
II. Der Urgrund des Heils
Aber nicht nur das Opfer, sondern auch der Sieg des Opfers gehört zur Vermittlung der Erlösung. „Ist Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube eitel” (1Kor 15,17). Darum ist die Auferweckungskraft Gottes mit der entscheidende Urgrund des Heils.
Gerade hier aber zeigt sich von neuem die Geistesverbindung zwischen dem jetzigen Zeitalter und dem Abrahamsbund. Denn beide haben ihren Höhepunkt in dem Glauben, daß Gott aus dem Tode Leben zu schaffen vermag. Eine wesenhafte Unterschiedlichkeit besteht allerdings, indem Abrahams Glaube vorwärts auf etwas noch zu Vollbringendes schaute, während unser Glaube rückwärts auf etwas schon Vollbrachtes blickt, und indem Abrahams Glaube dies Gotteswunder in der Schöpfungsordnung erwartete - in bezug auf einen gewöhnlichen, sterblichen Menschen -, während unser Glaube es als in der Erlösungsordnung geschehen bekennt - in bezug auf den Sohn Gottes selber, unsern auferstandenen Heiland und HErrn.
Zweimal, bei der Geburt und der Opferung Isaaks, tritt dies in Abrahams Leben besonders hervor, und zwar so, daß das Zweite die Steigerung und Verklärung des Ersten ist.
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Die Geburt Isaaks. Zielbewusst wurde Abrahams Glaube auf diese Höhepunkte hin erzogen. Hier liegt der eigentliche Grund, warum er so lange — bis zu seinem hundertsten (!) Lebensjahre (1. Mose 17,17) — auf seinen Erben warten mußte. Erst mußte das „Absterben" (Röm 4,19) und „Erstorbensein" (Heb 11,12) eingetreten sein, bevor das neue Leben geboren werden konnte. Nur auf dieser Grundlage konnte Abrahams Glaube Auferstehungsglaube werden. Nur so konnte er lernen, an den zu glauben, „der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, als wäre es schon da“ (Röm 4,17). Dahin aber mußte er gelangen, da er, als der „Vater aller Gläubigen", auch das Urbild aller Gläubigen sein sollte, und da der Heilsglaube aller Zeiten mit der Auferstehung Jesu Christi steht und fällt (1Kor 15,17-19).
So liegt in der Lebensführung des Patriarchen, wie die Bibel sie uns berichtet, geradezu etwas Zwangsläufig-Prophetisches — das Warten auf den Samen war ja die Hauptsache in seinem Leben —; und das mußte so sein „um unsertwillen", „die wir an den glauben, der Jesum, unsern HErrn, aus den Toten auferweckt hat" (Röm 4,17-25, bes. Vers 24).
Noch deutlicher tritt dieser Glaube bei der Opferung seines Sohnes hervor (1. Mose 22).
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Die Opferung Isaaks. Glaube ist Wachstum in Gott hinein. Darum bedarf er einer fortschreitenden Erziehung. Immer mehr muß er vom Irdischen gelöst und ans Himmlische gebunden werden. In diesem Sinne finden sich in Abrahams Leben vier, sich steigernde Proben. Die höchste war die von Morija.
- Zuerst war es der Auszug aus Ur, die Trennung von Vaterhaus und Verwandtschaft; das aber heißt, - da die Familie von Abram götzendienerisch war (Jos 24,2): Trennung von der Welt (1. Mose 12).
- Dann kam die Scheidung von Lot, diesem zwar „Gerechten“ (2Petrr 2,7; 8), aber doch weltlich Gesinnten (1. Mose 13,10-13; 19,1 ff). Das bedeutet: Loslösung von allem Halben und Lauen, also: Trennung von allem Weltförmigen (1. Mose 13).
- Das Dritte war die Fortsendung von Ismael, diesem Sohn seiner menschlich-eigenen Kraft, also: Scheidung von Seele und Geist (Heb 4,12) und Trennung von allen Gedanken und Plänen frommer Selbsthilfe (1. Mose 21).
- Das Letzte war die Opferung von Isaak, diesem ihm von Gott selbst geschenkten Samen der Verheißung. Auch die Segnungen, die der Höchste ihm gab, gibt der Glaube dem Geber zurück; also: Trennung auch von den göttlichen Gaben (1. Mose 22). Der Anbeter nimmt die Krone, die er von dem König empfangen hat, und legt sie ihm wieder zurück vor seinen Thron (Off 4,10; 11) und spricht: „Dem Lamme die Segnungen“ (vgl. Off 7,12).
Damit aber wird klar, daß der so viel angefeindete Bericht von der Opferung Isaaks nicht etwa nur „irgendein" Kapitel im Alten Testament ist, auf das unter Umständen verzichtet werden könnte — wie etliche meinen— , sondern der Höhepunkt im Leben des Patriarchen selbst und — da dieser die „Wurzel" der Erlösungsoffenbarung ist — der prophetisch-symbolische Höhepunkt in dem Verheißungsfundament des Evangeliums überhaupt.
In der Tat, einzigartig ist der Opferbegriff, der gerade hier gelehrt wird. Weit davon entfernt, auf der Stufe der kanaanitisch-phönizischen, semitischen, indischen, aztekischen oder sonstigen Menschenopfer zu stehen, unterscheidet sich das Opfer von Morija von ihnen allen zum mindesten durch einen dreifachen Gegensatz:
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Die Seele des Opfers. Nicht die Form, sondern das Herz ist die Hauptsache. Abraham hatte Gott Isaak „geopfert" (Heb 11,17) und doch nicht „getötet". Der äußere Vollzug war sogar geradezu von Gott selbst verhindert worden (1. Mose 22,12; 13)! Damit aber war der Grundsatz proklamiert: Nicht die äußere Ausführung macht das Opfer zum Opfer, sondern die Gesinnung des Herzens, nicht die Darbringung der „Gabe“, sondern die „Hingabe“ der Seele. Das aber ist ein ganz verinnerlichter und geistiger Opferbegriff, der hier zum allerersten Male in der Heilsgeschichte hervortritt. Gerade für diesen vergeistigten Opfergedanken haben sich dann später die Propheten des Alten (!) Testaments, im Kampf gegen jüdische Veräußerlichung, immer wieder mit Geistesmacht eingesetzt (Jes 1,10-15; 66,3; Jer 6,20; Hos 6,6; Amos 5,21; 22; Micha 6,6-8; Ps 40,7-9).
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Der Sieg des Opfers. Nicht der Tod, sondern das Leben ist das Endziel des wahren Opfers. Wohl mußte der Befehl, den einzigen Träger der Verheißung zu opfern, dem Patriarchen zunächst widerspruchsvoll erscheinen. Denn wie sollten nun die Verheißungen Gottes erfüllt werden können, die doch an keinen andern als nur eben diesen Isaak geknüpft worden waren ? (1. Mose 17,21; 21,12) 197Hier schien eine Spannung zwischen Befehl Gottes und Treue Gottes vorzuliegen, die geradezu unerträglich war. Dennoch aber blieb - da Gott nimmermehr lügen kann - dem sinnenden Glauben auch hier eine Lösung: Entweder Gott wird sich an Stelle des zu opfernden Isaak ein Tieropfer ersehen (1. Mose 22,7; 8), oder aber er wird, falls er es wirklich bis zur Tötung des Eingeborenen kommen lassen sollte, ihn, den Träger der Verheißung, wieder zum Leben erwecken! (Heb 11,19 !). Er fordert ein Brandopfer (1. Mose 22,2; 3; 6; 7; 8); er verlangt unter Umständen, daß der mit dem Messer8Vers 10) geschlachtete Isaak durch das Feuer (Vers 6; 7) zu Asche verbrannt wird! Aber um seiner Treue und Verheißungen willen muß er dann diesen selben, zu Asche verbrannten Isaak wieder aus dem Tode zum Leben erwecken! Und gerade bis zu diesem letzten Höhepunkt schien es auf Morija kommen zu sollen (1. Mose 22,9; 10)!
Das ist die Glaubenskühnheit Abrahams. So bezeugt es die Schrift. Er urteilte, gerade bei der Opferung seines Sohnes, „daß Gott auch aus den Toten zu erwecken vermöge“ (Heb 11,19)! Darum sagte er auch beim Hinaufgang zu seinen Knechten: „Wenn wir angebetet haben, so wollen wir (nicht ich) wieder zu euch kommen“ (1. Mose 22,5).
„Der Glaube versöhnt die Gegensätze" 198, und Abrahams Glaube wurde durch diese Prüfung zum Vorbild auf den neutestamentlichen Auferstehungsglauben geadelt. Bei der Geburt Isaaks war es erst ein „Auferstehungsglaube" im Sinne von Neubelebung kraftlos „erstorbener" Naturkräfte gewesen (Röm 4,17-20); bei der Opferung Isaaks aber war es ein Auferstehungsglaube im Sinne einer unter Umständen buchstäblichen Auferweckung eines buchstäblich Toten. So gewann der Patriarch „durch die vorauseilende Tätigkeit seines Glaubens die Idee der Auferstehung und in dem wirklichen Ausgang der Opfergeschichte — in der Opferung des Widders an Isaaks Statt — die Idee des wahren Opfers." 199
Darin aber ist er von neuem ein Vorbild auf unsern Glauben; denn im Opfer des HErrn gehört die Auferstehung unzertrennbar zum Kreuz und das Leben triumphiert über den Tod ( Röm 8,34; 5,10; 1Kor 15,17-19).
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Das Ziel aber von Morija ist Golgatha. Nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft gab diesem Opfer seinen allerhöchsten Wert. Deshalb fand es auch gerade auf „Morija", dem Berge „Gottesschau", statt (1. Mose 22,14),alos genau ebenda, wo später der Tempel stand (2Chr 3,1), wo auf dem Brandopferaltar alle auf Christum hinweisenden Opfer dargebracht wurden und wo in der Todesstunde von Golgatha der Vorhang zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten zerriß (Mk 15,38). Damit aber wird Isaak zum Vorbild auf Christum und Abraham zum Vorbild auf Gott den Vater, und der Höhepunkt im Heilsfundament des Alten Testaments wird zur symbolischen Prophetie auf den Mittelpunkt aller Testamente und Bundesschließungen Gottes, das Kreuz von Golgatha.
So kündet das Opfer von Morija drei große Heilswahrheiten der biblischen Opferidee:
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Die Geistigkeit des Opfers.
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Die Auferstehung des Opfers.
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Die personhafte Erfüllung des Opfers in Christo.
Die letzte aber ist die größte von ihnen allen.
III. Der Mittler des Heils
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Abraham und Christus. Von Abrahams langem, 175- jährigem Leben (1. Mose 25,7) wissen wir außerordentlich wenig. Fast alles handelt von dem erwarteten Samen. Aber gerade dies ist hochbedeutsam. Zwar war von dem kommenden Erlöser schon vor Abraham die Rede gewesen: vom Schlangenzertreter (1. Mose 3,15), vom Ruhebringer (1. Mose 5,29) und von dem HErrn, dem Gott Sems (1. Mose 9,26). Aber dies alles geschah in sehr verhüllter Form und außerordentlich selten - nach der biblischen Zeitrechnung nur diese dreimal in einem Verlauf von last 2500 Jahren!
Jetzt aber, bei Abraham, wird die Erwartung des „Samens" zum alles beherrschenden Hauptgedanken (Gal 3,16) und steht nun zum allerersten Male im Vordergrund des gesamten heilsgeschichtlichen Geschehens. So sehr ist der „Same" der Mittelpunkt im Leben des Patriarchen, daß sich seine in der Bibel niedergelegte Geschichte fast gar nicht mit seiner Person selbst, sondern fast ausschließlich - fast in jedem Kapitel - mit seiner Erwartung des verheißenen Erben beschäftigt! 200
Der Lebenszweck des Patriarchen lag eben nicht in ihm selber, sondern in dem kommenden Heilsvermittler. Abraham ist um Christi willen da.
Christus lebte vor ihm (Joh 8,58),
Christus lebte in ihm (1Petrr 1,11 vgl. 1. Mose 20,7),
Christus lebte nach ihm und schwebte ihm vor (Joh 8,56).
Darum war auch das Schauen des Tages des Messias der Höhepunkt seines Lebens. Nie lesen wir im Alten Testament, daß Abraham frohlockt habe. 201 Aber im Neuen Testament spricht der HErr Jesus davon. Und was war der Grund dieses jauchzenden Jubelrufs des Patriarchen? Der HErr sagt: „Abraham, euer Vater, jubelte darüber, daß er meinen Tag sehen sollte; und er hat ihn auch gesehen und sich darüber gefreut” (Joh 8,56). So ist Abrahams Glaube im Blick auf den kommenden Erlöser zum Frohlocken gelangt; und der gleiche Jubel wird auch allen wahren Abrahamssöhnen zuteil (1Petrr 1,8).
Für Abraham selbst aber ist der Erlöser ein Vielfaches:
der Urgrund seines Wesens (Joh 8,58),
der Zweck seines Lebens (Gal 3,16),
der Inhalt seines Strebens (1. Mose 15,3),
die Kraft seines Dienens (1Petrr 1,11 vgl. 1. Mose 20,7),
der Kanal seines Segens (Gal 3,14),
das Ziel seines Hoffens (Joh 8,56),
der Gegenstand seines Frohlockens (Joh 8,56).
- Der „Engel des Herrn“. Diese Heilsbedeutung des Abrahamsbundes ist auch der Grund, warum gerade jetzt zum allerersten Male in der Erlösungsgeschichte der „Engel des HErrn" auftritt. 202 Dieser ist, wie schon die Kirchenväter erkannten, 203 kein Geringerer als der Sohn Gottes selbst, das „Wort" (Joh 1,1; Off 19,13; Spr 8,22-31), das dann später in Christo erschien (Joh 1,14). 204 Daß er aber gerade jetzt, in der Patriarchenzeit, zum ersten Male unter diesem Namen und in dieser Offenbarungsform auftrat, hat seinen Grund darin, daß eben diese Patriarchenzeit die Grundlage der Heilsoffenbarung ist, der eigentliche Anfang einer bestimmteren Vermittlung seiner eigenen Menschwerdung.
Da kann es nichts Passenderes geben, als daß gerade jetzt das Ziel dieser Menschwerdung, der Sohn Gottes selbst, in erstmalig angedeuteter Selbstunterscheidung von Gott, in der Heilsgeschichte auftritt. Dem Vater des „Samens“ (Gal 3,16) erscheint der Same selbst als „Bote" 205 und „Engel des Herrn" (1. Mose 22,11; 15); und von nun an durchzieht das ganze Alte Testament eine organische Weiterentwicklung dieser verhüllten Selbstoffenbarung des Sohnes:
vom „Engel des HErrn" (1. Mose 16,7)
bis zum „Engel des Angesichts" (Jes 63,9; 2. Mose 33,14; 2. Mose 23,20),
bis zum „Engel des Bundes" (Mal 3,1),
ja, bis zum „HErrn" selbst, der da plötzlich zu seinem Tempel kommt (Mal 3,1).
IV. Das Ziel des Heils
In Christo gelangt endlich der Glaube an sein Ziel, den Himmel und die himmlische Stadt. So auch Abraham. Er lebte als Fremdling in dem verheißenen Lande und „wohnte in Zelten samt Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung; denn er wartete auf die Stadt, die die festen Grundmauern hat, deren Bildner und Baumeister Gott ist“ (Heb 11,9).
„Jerusalem droben, von Golde erbaut“ (Off 21,21) ist fortan das Ziel aller Sehnsucht des Glaubens. Das himmlische Zion ist unser aller „Mutter“ (Gal 4,26; Heb 12,22), die zukünftige und bleibende Wohnstadt aller Zeltbewohner des Glaubens (Heb 13,14).
Hienieden ein Fremdling — dort oben ein Bürger;
hier unten ein Zelt (1. Mose 12,8; 13,18) — dort oben die Stadt;
hier unten der Altar (1, Mose 12,8; 21,33) — dort oben das Angesicht Gottes, das Essen und
Trinken in seinem Reiche (Mt 8,11).
Das ist die himmlische Berufung des Abrahamsbundes.
V. Der Zeitabschnitt der Patriarchen
In wunderbarer Weise hat sich der Abrahamsbund entfaltet, zunächst im Leben des Patriarchen selbst, dann aber auch in seinen leiblichen und geistlichen Nachkommen.
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Die Entwicklungsstufen im Leben Abrahams. Im Glaubensleben Abrahams sind deutlich fünf Stufen zu unterscheiden, deren Anfänge stets durch göttliche Offenbarungen von epochemachender Bedeutung gekennzeichnet sind.
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Das erste Stadium (1. Mose 12-14) beginnt mit dem Auszug aus Ur in Chaldäa und der Einwanderung in das Land der Verheißung. Es steht in besonderem Maße unter dem Gesichtspunkt der Berufung.
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Das zweite (1. Mose 15 u. 16) beginnt mit dem Glaubensbund und der Gerechterklärung und der Besiegelung des Glaubens durch das Bundesopfer. Es steht unter dem besonderen Zeichen der Rechtfertigung.
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Dann kommt, nach 13jährigem Warten (1. Mose 16,16 vergl. 17,1) - als der göttlichen Antwort auf Abrahams Übereilung mit Hagar und Ismael - das dritte Stadium (1. Mose 17-21). Dieses beginnt mit der Namensumnennung aus Abram („Hoher Vater") in Abraham („Vater der Menge"), sowie mit der Einsetzung des Beschneidungsbundes (1. Mose 17) und der Weihe des Patriarchen zu Hingabe und Heiligung. 206
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Hieran schließt sich das vierte Stadium an, die Hauptprüfung und Bewährung (1. Mose 22) in der Dahingabe seines Sohnes auf Morija, und zuletzt konnte so, nach dieser höchsten Erprobung seines Glaubens,
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das fünfte Stadium eintreten: die Ruhe und Feier, der Lebensabend und die Vollendung (1. Mose 23-25,10).
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Die Bundesübertragungen. Der Bund Gottes mit Abraham blieb die Grundlage auch für die folgenden zwei Patriarchen. Denn wenn bei Isaak und Jak.ob wiederum von einem „Bunde" geredet wird, so ist dies nicht etwa ein anderer, neuer Bund, sondern einfach die Bestätigung, Aufrechterhaltung und Übertragung desselben abrahamitischen Bundes auf neue Träger (1. Mose 26,3; 28,13-15; 35,12). Darum sagt Gott auch zu Isaak: „Ich werde den Eid aufrechterhalten (bestätigen, erfüllen), den ich deinem Vater Abraham geschworen habe“ (1. Mose 26,3), und dem Jakob offenbart er sich in Bethel durchaus als der „Gott Abrahams" und der „Gott Isaaks "(1. Mose 28,13). Auch fügt er den Verheissungen keine wesentlichen, neuen Bundesbestimmungen hinzu (1. Mose 35,12).
Solche Bundesübertragungen waren nötig, weil Isaak ja noch den Ismael und die Kinder der Ketura (1. Mose 25,1-4) zu Geschwistern hatte, wie auch Jakob noch den Esau zum Bruder hatte. Darum mußte immer erst noch durch besondere göttliche Zusage festgestellt werden, wer von diesen allen der Träger des abrahamitischen Bundes werden sollte. Von Jakob ab war dies jedoch nicht mehr nötig, weil von seinen Kindern niemand mehr vom Segen ausgeschlossen war. Darum hören von dann an auch die Bundesübertragungen folgerichtig auf.
Im ganzen hat Abraham drei Arten von Nachkommen:
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rein leibliche: Ismael, die Kinder der Ketura (bes. Midian, 1. Mose 25,1-4) und Esau (Edom);
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leibliche und geistliche: Isaak, Jakob und Israel und
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rein geistliche: Die Gläubigen aus allen Nationen (Röm 4,11; 12; Gal 3,14).
So erfüllt sich dreifach die ihm gegebene Verheißung, daß seine Nachkommen sein sollen wie „der Staub der Erde" (1. Mose 13,6), wie „der Sand am Meere" (Heb 11,12) und wie „die Sterne des Himmels“ (1. Mose 15,5; Heb 11,12), und Abraham wurde beides:
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sowohl Stammvater einer Menge von Völkern (1. Mose 17,5),
- dies geschah durch seine leibliche und leiblich-geistliche Nachkommenschaft,
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als auch Segenskanal für „alle Geschlechter der Erde" (1. Mose 12,3)
- dies erfüllt sich in Christo und dem geistlichen Segen der Erlösung (Gal 3,14).
3. Die Bundesträger. Abraham, Isaak, Jakob und Joseph. sind die führenden Persönlichkeiten im Zeitabschnitt der patriarchalischen Glaubensverheißung. Ihnen allen ist gemeinsam der Glaube und, als seine Grundlage, der Verheißungsbund. Dennoch erstrahlt dies Gemeinsame bei einem jeden von ihnen in verschiedenem Glanze. 207
- Abraham ist der suchende und findende Glaube. Er sucht erst das Land, dann den Erben und schließlich die himmlische Stadt (1. Mose 12,1; 15,3; Heb 11,10).
- Isaak ist der duldende und ruhende Glaube. Er duldet auf Morija (1. Mose 22), verzichtet auf seine Brunnen, um Streit mit seinen Feinden zu vermeiden (1. Mose 26,15-17; 20-22) und macht keine so großen Reisen wie Abraham, Jakob und Joseph.
- Jakob ist der dienende und fruchtbringende Glaube. Obwohl menschlich viel „unsympathischer” als sein Bruder Esau, wird er doch, um seines Verheißungsglaubens willen, seinem ungläubigen Bruder vorangestellt (Mal 1,2; Röm 9,12; 13) und gelangt endlich, nach jahrelangem Dienen zu großer Vermehrung und Fruchtbarkeit (1. Mose 29 u. 30).
- Joseph. schließlich ist der leidende und triumphierende Glaube - in seiner Erniedrigung wie auch in seiner Erhöhung ein prophetisches Vorbild auf Christum.
Alle vier zusammen aber zeigen, gerade in dieser Reihenfolge, das Gesetz des Wachstums des Glaubens. Der Glaube beginnt mit dem Suchen und Finden. Er soll zum Triumphieren verklärt werden. Aber dazwischen liegt das Dulden und Dienen und, im Dienen, das Fruchtbringen.
So ist die Aufeinanderfolge der vier Patriarchen von tiefster Bedeutung. Wir müssen mit Abraham beginnen, um dann, durch Isaaks und Jakobs Erfahrung hindurch, zum Leiden und Siegen des Joseph. zu gelangen. Damit aber wird die Geschichte der Glaubenspatriarchen zur Geschichte aller Glaubenserfahrung überhaupt, und so wie jene mit Joseph. als dem Vorbild auf Christus zum Abschluß gelangte, so hat diese in Christo, dem Lebendigen, selber ihr Ziel.
Zu Christus die Heilsgeschichte unmittelbar hinzuführen, ist die Aufgabe des nun folgenden Zeitabschnitts des Gesetzes.
196 „Die patriarchalische Zeit ist evangelischer; sie ist als Zeit vor dem Gesetze ein Vorbild der Zeit nach dem Gesetze" (Franz Delitzsch).↩︎
197 Der noch dazu zur Zeit seiner Opferung noch ohne Nachkommen war.↩︎
198 „Fides conciliat contraria" (Luther, der 1. Mose 22 ebenso deutet, wie oben dargelegt).↩︎
199 J. P. Lange, Genesis, Bielefeld 1877, S. 289 f.↩︎
200 Man denke nur an die erste Verheißung des Samens (1. Mose 12), die Bundesschließung (1. Mose 15), die Geburt Ismaels, des falschen Samens (1. Mose 16), den Beschneidungsbund und die Verheißung an den Neunundneunzigjährigen (1. Mose 17), den Besuch der drei Männer (1. Mose 18), die Austreibung Ismaels (1. Mose 21), die Opferung Isaaks (1. Mose 22) und die Brautwerbung Rebekkas (1. Mose 24).↩︎
201 1. Mose 17,17 gehört nicht hierher.↩︎
202 Zum ersten Male in 1. Mose 16,7.↩︎
203 Unter den Neueren nennen wir Calvin, Hengstenberg, Nitzsch, Beck, Auberlen, Keil, Ebrard, Lange, Hävernick, Stier.↩︎
204 Darum nennt er sich selbst schlechthin „Gott" (2. Mose 3,2 vgl. 6) und wird auch von den biblischen Erzählern so genannt (1. Mose 22,11 vgl. 1; 2. Mose 3,2 vgl. 4; 7; 13; Ri 13,22 vgl. 15).
Darum werden ihm göttliche Eigenschaften (Ri 13,18 vgl. Jes 9,6 [Joh 12,41 vgl. Jes 6,1-4]) und Handlungen zugeschrieben (1. Mose 16,10; 18, vgl. Vers 13; 14; 48,15; 16; 2. Mose 23,20; 21; 14,19 vgl. 13; 21; Richt, 2, 1 ; 1Kor 10,4).
Darum wird ihm auch göttliche Verehrung erwiesen (1. Mose 16,13 vgl. 7: Ri 6,22-24), die er auch annimmt (Jos 5,14 vgl. dagegen Off 19,10; 22,8; 9).
Wenn aber dieser „Engel des HErrn" vor Abraham, zuerst der Hagar erschien (1. Mose 16,7), so ist dies derselbe Grundsatz, nach dem auch später der Auferstandene sich zuerst nicht seiner Mutter Maria oder Johannes, dem Jünger, sondern Maria Magdalena offenbarte (Joh 20,1-18; Mk 16,9). Denn gerade den Bedrängtesten und Niedergedrücktesten zeigt er sich zuerst. Er ist der Heiland der Armen (Mt 5,3; 11.5).↩︎
205 Auch im Neuen Testament wird Christus einmal der „Gesandte" („Apostel") unseres Bekenntnisses genannt (Heb 3,1).↩︎
206 Die Beschneidung ist zwar kein Mittel zur Rechtfertigung (Röm 4,9-12) oder Heiligung (Gal 5,2-12), wohl aber ein Sinnbild bzw. Vorbild der Heiligung, und zwar insonderheit des Grundsatzes der Dahingabe des eigenen, sündlichen Wesens in den Tod, des „Abgeschnittenwerdens" des gottfernen Lebens und all seiner Triebe. Darum ist die „nicht mit Händen geschehene Beschneidung" das „Ausziehen des Leibes des Fleisches", d. h. das Mitgekreuzigtsein und Mitgestorbensein mit Christo (Kol 2,11 vgl. Röm 6,2-4),.↩︎
207 Diese Seite nach Jakob Kroeker, Das Wachstum des Glaubens, Gießen 1937↩︎