Botschafter des Heils - Jahrgang 1853 - 1913
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Botschafter des Heils - Jahrgang 1853 - 1913
Botschafter des Heils - Artikel aus verschiedenen späteren Jahrgängen
3Mo 16 1Joh 2,2 - Ein Wort über Versöhnung, Sühnung und Stellvertretung
B Was ist Sühnung?B Was ist Sühnung?
Wenn von dem Sühnungswerk Christi die Rede ist, denkt man im Allgemeinen daran, dass unsere Sünden weggetan werden, dass unsere Schuld, die wir vor Gott hatten, bezahlt wird. Man hält das für das Wichtigste, wenn nicht gar für das Einzige. An die Erfüllung der gerechten und heiligen Forderungen Gottes und vor allem an seine Verherrlichung durch dieses Sühnungswerk denkt man selten. Und doch ist gerade die die erhabenste Seite der Sühnung, der wichtigste Teil des Werkes.
Zwei Böcke und zwei Aspekte des Sühnungswerkes
Am großen Versöhnungstag mussten (außer dem besonderen Opfer, das der Priester für sich und sein Haus darzubringen hatte) zwei Böcke vor den Herrn gestellt werden: Der eine Bock wurde durch das Los für den HERRN bestimmt, der andere für das Volk. Und beachten wir: Obwohl die Sünden des Volkes zu der ganzen Opferhandlung Anlass gaben, wurden doch bei dem ersten Bock, der für den HERRN war, diese Sünden gar nicht erwähnt! Sie wurden erst auf den Kopf des zweiten Bockes bekannt und von diesem Bock in ein ödes Land getragen, wo niemand sie mehr sah. Mit dem Blut des ersten Bockes, der im Vorhof geschlachtet wurde, ging der Hohepriester ins Allerheiligste, um einmal auf und siebenmal1 vor (oder an die Vorderseite) des goldenen Sühndeckels zu sprengen. Auf diese Weise tat er Sühnung für das Heiligtum und in weiterem Sinn für das Volk. „Denn das Blut ist es, das Sühnung tut durch die Seele“ (3Mo 17,11).
Warum musste aber das Blut ins Heiligtum gebracht werden? Weil hier der Thron des durch die Sünde verunehrten und beleidigten Gottes aufgerichtet war. Gottes Herrlichkeit erstrahlte über den beiden Cherubim, den symbolischen Wächtern darüber, dass Gottes gerechte Forderungen erfüllt und seine richterlichen Wege ausgeführt wurden. Ihre Angesichter waren stets gegen die Bundeslade gerichtet, in der die beiden Gesetzestafeln lagen. Diese Tafeln waren die feierlichen Zeugen gegen das sündige Volk: Statt dass die Zehn Gebote von Israel beachtet worden wären, befleckten zahllose Übertretungen des Volkes die Wohnung Gottes und bedurften der Sühnung.
Wer aber konnte eine gültige Sühnung vollziehen? Wer konnte das dafür notwendige Opfer bestimmen und bereiten? Gott allein. Und Er tat es. Die beiden Böcke2 bildeten allerdings nur ein schwaches Vorbild von jenem reinen und heiligen Opfer, das Gott schon vor Grundlegung der Welt zuvorerkannt hat [1Pet 1,20] und das allein Ihn wirklich zufriedenstellen konnte. Aber dennoch sind die beiden Böcke ein sehr eindrucksvolles Bild: ein Bock für den HERRN, ein Bock für das Volk; ein Bock, um die heiligen Ansprüche Gottes zufriedenzustellen, ein Bock, um die Sünden des Volkes hinwegzutun; ein Bock, um die Grundlagen für die Verherrlichung Gottes und seiner Gnadenwege zu legen, ein Bock, um die anklagenden Gewissen zum Schweigen zu bringen und den zagenden Herzen Ruhe zu geben.
Die Schatten und der Körper
Ich möchte es noch einmal betonen: Diese Opfer, „die sie [die Israeliten] alljährlich ununterbrochen darbringen“ (Heb 10,1), konnten den, der den Gottesdienst übte, niemals vollkommen machen. Die Opfer konnten keinen festen Frieden und keine bleibende Ruhe geben; das Bewusstsein der Sünde blieb [Heb 10,2]. Doch welchen Blick lassen sie uns in das Wesen dieser Vorbilder tun, wie weisen sie uns auf den Körper dieser Schatten hin: auf Christus! „Der Körper aber ist des Christus“ (Kol 2,17). So wie das Blut des „Bockes für den HERRN“ ins Heiligtum gebracht und vor die Angesichter der Cherubim auf den Gnadenstuhl (oder den Sühndeckel) gesprengt wurde, so dass die Cherubim jetzt zwischen sich und dem gebrochenen Gesetz das Sühnungsblut erblickten, so ist Christus mit seinem Blut in die Gegenwart Gottes eingegangen, in den Himmel selbst, nachdem Er an der Stätte der Sünde durch seinen Tod am Kreuz Gott im Blick auf die Sünde vollkommen verherrlicht hat. Dort ist die Sünde gerichtet worden und eine „ewige Erlösung“ (Heb 9,12) zustande gekommen – in Ihm, der „in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde“ und „für die Sünde“ gekommen war (Röm 8,3).
Gottes Verherrlichung
Zugleich ist in jener Stunde wie nie vorher und nachher ans Licht getreten, wer Jesus und wer Gott ist. Auf dem Weg zum Kreuz konnte Er sagen: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in ihm“ (Joh 13,31). Wer außer Christus hätte die Verherrlichung Gottes mit der Ordnung der Frage der Sünde verbinden können? Indem Er sich „zur Abschaffung der Sünde“ (Heb 9,26) als Opfer dahingab, ist alles, was in Gott ist – seine Majestät, Gerechtigkeit, Liebe, Gnade, Wahrheit –, in herrlicher Weise gezeigt worden, und das Blut gibt jetzt im Heiligtum droben für immer Zeugnis davon.
Die Sünde als feindliche Macht musste weggetan werden
Man vergisst immer wieder, dass neben den persönlichen Verschuldungen der Menschen die Sünde [Einzahl] als solche in der Welt ist und wie eine feindliche Macht zwischen Gott und der Welt steht. Weil sie durch den Fall des ersten Adam in die Welt gekommen ist, musste der letzte Adam zuerst die Sünde als feindliche Macht aus der Schöpfung entfernen. Wenn wir uns diese Tatsache vergegenwärtigen, so verstehen wir, warum Johannes der Täufer jubelnd ausruft:
Joh 1,29: Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt!
Und dann verstehen wir auch die Bedeutung der Worte in Hebräer 9,26:
Heb 9,26: Jetzt aber ist er [Christus] einmal in der Vollendung der Zeitalter offenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer.
Was der erste Mensch in die Welt gebracht hat, musste durch den zweiten Menschen wieder aus ihr entfernt werden. Ich wiederhole: Es handelt sich hier nicht um Sünden (Mehrzahl), nicht um Schuld, sondern um die Sünde (Einzahl) als solche, um die Sünde als Grundsatz oder Element. Nirgendwo heißt es in der Schrift, Christus hätte die Sünden aller Menschen getragen; sie vermeidet diesen Ausdruck sorgfältig. Es kann auch nicht anders sein. Wie würde Gott sonst irgendeinen Menschen zur Rechenschaft ziehen und richten können? Wäre die Schuld aller bezahlt, so könnte Gott an niemand mehr eine Forderung stellen.
Nachdem die Sünde in die Welt gekommen war, hätte Gott sich in seiner Gerechtigkeit natürlich des Sünders entledigen können, indem Er ihn das Gericht für seine Schuld treffen ließ. Aber was wäre dann aus seiner Liebe und aus seinen Gnadenratschlüssen geworden? Wie hätte Er seine Herrlichkeit als der Gott, der Licht und Liebe ist, aufrechterhalten, und wie hätte Er die Sünde wieder aus seiner Schöpfung entfernen können? Alles das konnte nur dadurch geschehen, dass das heilige Lamm Gottes in die Welt kam, „die Sünde der Welt“ auf sich nahm und sich „zur Sünde“ machen ließ (Joh 1,29; 2Kor 5,21). Und indem Christus das tat, entsprach Er allem, was die Majestät des Thrones Gottes forderte. Nach seinem Werk am Kreuz hat sich der Thron des Gerichts in einen Gnadenstuhl verwandelt. Nun kann sich die Gnade frei und ungehindert entfalten, und der Anbeter darf mit Freimütigkeit ins Heiligtum eintreten [Heb 10,19]. Aufgrund des vollbrachten Sühnungswerkes kann nun auch aller Welt Gnade und Vergebung angeboten und jeder Sünder eingeladen werden, von der ganzen Fülle der Gnade Gebrauch zu machen. Das Blut ist vor Gottes Auge, und Er sagt: „Sehe ich das Blut, so werde ich vorübergehen“ (2Mo 12,13).
Die Sünde ist gesühnt
Im Hinblick auf die kommende Sühnung konnte ein heiliger Gott vor dem Kreuz eine schuldige Menschheit in Nachsicht tragen, und im Rückblick auf das geschehene Werk kann Er heute in Langmut und Gnade handeln, kann Er seine Sonne aufgehen lassen über Gut und Böse und den feindlichen Menschen den ganzen Schatz seiner Gnadenreichtümer aufschließen. Allen Forderungen seines Thrones ist entsprochen; was ihm gebührte, „das Teil des HERRN“, ist ihm geworden; die Taufe, von der Jesus in Lukas 12,50 redet („Ich habe aber eine Taufe, womit ich getauft werden muss, und wie bin ich beengt, bis sie vollbracht ist!“), ist vollbracht, und nun ist alle „Beengung“ aufgehoben: Der Strom der göttlichen Liebe kann seine Schleusen öffnen und sich ungehindert nach allen Seiten hin ergießen. Die Sünde ist gesühnt, Gott ist im Sohn verherrlicht, „der durch Gottes Gnade für alles den Tod schmeckte“ (Heb 2,9), und nun kann Gott Ihn wiederum verherrlichen und in Ihm und durch Ihn seinen wunderbaren Heilsplan im Blick auf die ganze Schöpfung darstellen und ausführen. Heißt das, dass nun auch alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, wie das nach 1. Timotheus 2,4 Gottes Wunsch und Wille ist? Damit kommen wir zum letzten Teil unseres Themas, zur Frage:
1 „Sieben“ ist die Zahl der Vollkommenheit in geistlichen Dingen, so wie „Zwölf“ eine Vollkommenheit in einer dem Menschen anvertrauten Regierung oder Verwaltung andeutet.↩︎
2 Es braucht kaum gesagt zu werden, dass die beiden Opfertiere einen Christus vorstellen, aber in der doppelten Bedeutung seines Opfers: einmal auf Gott gerichtet [der erste Bock] und dann auf den Menschen gerichtet [der zweite Bock]↩︎
Erstellt: 22.05.2025 14:43, bearbeitet: 16.07.2025 15:27
Quelle: www.bibelkommentare.de