Botschafter des Heils - Jahrgang 1853 - 1913
Botschafter des Heils - Artikel aus verschiedenen späteren Jahrgängen
3Mo 16 1Joh 2,2 - Ein Wort über Versöhnung, Sühnung und Stellvertretung
A Was ist Versöhnung?A Was ist Versöhnung?
Das griechische Wort [katallage], das im Neuen Testament für „Versöhnung“ gebraucht wird, kommt nur vor in Römer 5,11; 11,15 und 2. Korinther 5,18.19; das Zeitwort „versöhnen“ [katallasso] nur in Römer 5,10; 1. Korinther 7,11 und 2. Korinther 5,18-20. Es bedeutet eigentlich „Ausgleichung, Auswechslung“ (beim Geldgeschäft), dann im weiteren Sinn „Vergleich, Aussöhnung“. Es bezeichnet also die Entfernung alles Störenden und Trennenden zwischen zwei Parteien, die Zurückführung zu Einheit, Friede und Gemeinschaft zwischen solchen, die einander entfremdet sind oder sich feindlich gegenüberstehen. Wenn wir das auf das Verhältnis zwischen uns und Gott anwenden, so müssen wir beachten, dass hier die Entfremdung und Feindschaft allein auf unserer Seite lag. [Nur wir waren „entfremdet und Feinde“ (Kol 1,21), Gott war niemals unser Feind.] Auf Gottes Seite gab es auch keine Entfremdung, nur eine gerechte Verurteilung der Sünde in dem Menschen. [Deshalb also musste nicht Gott mit uns, sondern wir mussten mit Gott versöhnt werden.] Und diese Gerechtigkeit musste erfüllt werden, wenn das gefallene und von Gott entfremdete Geschöpf zu Gott zurückgebracht oder gar Anteil an den Vorrechten der Ratschlüsse Gottes in Christus bekommen sollte.
Dass Gott mit uns versöhnt worden wäre, ist ein ganz schriftwidriger Gedanke. Wir sind mit Gott versöhnt. Es bedurfte keiner Handlung oder Anregung irgendwelcher Art, um Gottes Segen zu ändern. Er handelte völlig frei und unbeeinflusst, so wie es seiner Natur und seinen Ratschlüssen entsprach. In seiner Liebe sandte Gott seinen Sohn „als Sühnung für unsere Sünden“ (1Joh 4,10) für den gefallenen Menschen, und zwar nicht, um den Menschen in das frühere Verhältnis zurückzuführen, das ja durch die Sünde völlig zerstört und verwirkt worden war. Nein, sondern Gott sandte seinen Sohn als Sühnung, um ein ganz neues Verhältnis zu schaffen. Diese neue Beziehung gründet sich auf das Erlösungswerk und zeigt Gottes Gnadenratschlüsse. Dennoch ist es eine Zurückführung in die göttliche Gunst, die verloren worden war.
Versöhnung von Dingen und Menschen
Die Versöhnung hat in der Heiligen Schrift einen doppelten Charakter oder, vielleicht richtiger ausgedrückt, sie hat eine zweifache Bedeutung und Wirkung: Sie bezieht sich auf Dinge und Menschen. Dieser Punkt wird oft übersehen, und doch redet die Schrift so einfach und klar darüber. So lesen wir zum Beispiel in Kolosser 1,19.20:
Kol 1,19.20: Es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle [der Gottheit] in ihm [Christus] zu wohnen und durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen – indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes –, durch ihn, es seien die Dinge auf der Erde oder die Dinge in den Himmeln.
Gott wollte, dass die ganze Schöpfung, das ganze All, von der Verunreinigung und von dem Fluch der Sünde befreit und in ihre wahre Ordnung und ihr richtiges Verhältnis Ihm gegenüber gebracht wird. Das Werk dafür ist vollbracht und die gerechte Grundlage ist gelegt worden, indem Christus Frieden gemacht hat durch sein am Kreuz vergossenes Blut [Kol 1,20]. Die Folgen seines Werkes sehen wir heute zwar noch nicht: Noch „seufzt die ganze Schöpfung und liegt in Geburtswehen bis jetzt“ (Röm 8,22). Aber bald werden die „Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge“ anbrechen (Apg 3,21), und schließlich werden ein neuer Himmel und eine neue Erde Zeugnis geben, dass das auf Golgatha geschehene Versöhnungswerk vollkommen ist.
Was uns, die Gläubigen, betrifft, so kann der Apostel hinzufügen:
Kol 1,21.22: Und euch, die ihr einst entfremdet und Feinde wart …, hat er aber nun versöhnt in dem Leib seines Fleisches durch den Tod.
Wir sind versöhnt und genießen [im Gegensatz zur Schöpfung] heute schon [geistlicherweise] die vollen Ergebnisse der Versöhnung. Unser Leib, der noch dieser Schöpfung angehört, wird allerdings erst in der Auferstehung vollendet werden.
Hat Gott bereits alle Menschen mit sich versöhnt?
Wenn wir über diese Dinge reden, werden wir ganz von selbst an eine andere Stelle erinnert, die schon viel Anlass zu verkehrten Schlussfolgerungen gegeben hat. Wir meinen 2. Korinther 5,18-20, vor allem Vers 19 [kursiv]:
2Kor 5,18-20: Alles aber von dem Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat: Nämlich dass Gott in Christus war, die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend, und er hat in uns das Wort der Versöhnung niedergelegt. So sind wir nun Gesandte für Christus, als ob Gott durch uns ermahnte; wir bitten an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.
Was bedeutet diese Stelle? Es heißt nicht: Gott ist in Christus. Nein, Paulus meint Folgendes: Der damalige Dienst des Apostels war an die Stelle des persönlichen Dienstes Christi getreten. Sein Dienst gründete sich auf die Tatsache, dass Gott „den, der Sünde nicht kannte“, am Kreuz für uns zu Sünde gemacht hat, „damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm“ (2Kor 5,21). Mit anderen Worten: Gott erschien einst in Christus in dieser Welt, um die Welt mit sich selbst zu versöhnen. Er bot der Welt gleichsam eine Rückkehr zu Ordnung und Segnung an, indem Er in bedingungsloser Gnade den Menschen ihre Übertretungen nicht zurechnete. Er rief dem Sünder [in Christus] zu: Ich bin nicht gekommen, zu richten und zu strafen; nein, kehre um zu Mir und Ich will vergeben; kehre um und Ich will des Vergangenen nie mehr gedenken!
Die Welt aber hat dieses Angebot schroff von sich gewiesen; sie wollte Jesus nicht und hasste Gott. Ihr Zustand war hoffnungslos böse und konnte nicht wiederhergestellt werden. Ist nun Gottes Absicht unerfüllt geblieben? Nein, auch wenn die Gesamtheit Ihn verwirft, so nimmt Er den Einzelnen aus dem furchtbaren [Gott entfremdeten, feindlichen] Zustand, in dem er ist, heraus und stellt ihn auf eine ganz neue Grundlage: „Wenn jemand in Christus ist, da ist eine neue Schöpfung“ (2Kor 5,17). Für die Welt allerdings gibt es jetzt keine Rettungsmittel mehr, da sie in ihrer gottfeindlichen Gesinnung das beste und einzige Rettungsmittel zurückgewiesen hat. Nun bleibt für sie nur noch Gericht übrig (vgl. Joh 12,31). Gott hatte der Welt den höchsten Beweis seiner Liebe gegeben, [indem Er seinen Sohn gesandt hat] (Joh 3,16), und Er hatte ihr Heil und Leben angeboten (Joh 3,17; 6,33.51). Doch nachdem die Welt sein Angebot mit tödlichem Hass beantwortet hat, beschäftigt Er sich in diesem Sinn nicht mehr mit der Welt; nun nimmt Er nur noch Einzelne aus der Welt heraus, an denen Er sein Erbarmen groß macht. Fortan heißt es: „damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe“ [Joh 3,15.16]; „wenn jemand in Christus ist“; „wer da will, der komme“, usw. Auf der anderen Seite heißt es aber auch: „Wer nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm“ (Joh 3,36).
Die Wiedergeburt aller Dinge
Aber auch in anderer Beziehung wird Gottes Absicht nicht unerfüllt bleiben. Christus kam in diese Welt, „und die Welt wurde durch ihn“ (Joh 1,10). Alle Dinge sind durch den Sohn Gottes und für Ihn geschaffen, und sie werden, wie wir bereits gesehen haben, aufgrund des Versöhnungswerkes einmal in ein geordnetes Verhältnis zu Gott zurückgebracht werden. Sie sind nicht „freiwillig“, so wie der Mensch, „der Nichtigkeit unterworfen“ worden (Röm 8,20), denn die geschaffenen Dinge haben keinen Willen, sondern sie sind durch den bösen Willen des Menschen in die Versklavung der Vergänglichkeit mit hineingezogen worden. Sehnsüchtig wartet die Schöpfung auf die Offenbarung der Herrlichkeit der Kinder Gottes (Röm 8,19-22). Auch die Schöpfung wird dann eine „Wiedergeburt“ erfahren, wie der Herr seinen Jüngern in Matthäus 19,28 sagt: „Ihr … werdet in der Wiedergeburt, wenn der Sohn des Menschen auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzen wird …“ Es ist dasselbe Wort, das der Heilige Geist in Titus 3,5 („Er errettete uns … durch die Waschung der Wiedergeburt“) auf die Gläubigen anwendet. Selbstverständlich kann bei der Schöpfung, die keinen Willen hat, nicht von einer Erneuerung des Willens oder von einer inneren Umwandlung und dergleichen gesprochen werden wie bei uns. Dennoch nennt die Schrift das, was die Schöpfung in Zukunft erfahren wird, „Wiedergeburt“.
Was bedeutet „Versöhnung der Welt“?
Man redet und schreibt heute viel von einer „Allversöhnung“. Wenn man mit dem Wort ausdrücken will, dass auch das All, alle Dinge, einmal die gesegneten Wirkungen der Versöhnung, die Christus vollbracht hat, genießen wird, so ist das gut und schriftgemäß. Schließt man aber die Rettung aller Menschen und schließlich gar auch Satans und seiner Engel darin ein, so ist das schriftwidrig und von Grund auf böse und kann nicht entschieden genug zurückgewiesen werden.
Römer 5,10.11 werden wir nach dem eben Gesagten leicht verstehen: „Denn wenn wir, da wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, so werden wir viel mehr, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet werden. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben.“
Wahrscheinlich bereiten dem einen oder anderen Leser aber eher die Worte des Apostels in Römer 11,15 Schwierigkeiten. Es heißt dort:
Röm 11,15: Wenn ihre [der Juden] Verwerfung die Versöhnung der Welt ist, was wird die Annahme anderes sein als Leben aus den Toten?
Der Sinn der Stelle ist einfach und bestätigt nur das, was wir bisher ausgeführt haben. Die Juden hatten bis zur Verwerfung ihres Messias in einem geordneten Verhältnis zu Gott gestanden, auch wenn sie darin untreu gewesen waren. Die Welt hatte gar keine Beziehungen zu Gott; die Menschen waren „entfremdet dem Bürgerrecht Israels und Fremdlinge betreffs der Bündnisse der Verheißung“; sie waren „ohne jede Hoffnung und ohne Gott in der Welt“ (Eph 2,12). Nach dem Fall Israels wurde das anders. Gott ließ nun alle Menschen überall auffordern, Buße zu tun: Nach den „Zeiten der Unwissenheit“ (Apg 17,30) wurde jetzt das Evangelium Gottes aller Welt angeboten, und „das Wort der Versöhnung“ wurde der ganzen Welt ohne Unterschied verkündigt. Wenn Israels Verwerfung schon eine solche Segenswelle über die Welt gebracht hat, welche Folgen muss dann erst Israels Wiederherstellung haben, wenn Gott sich zuletzt seines Volkes wieder annehmen und ihm alle seine Verheißungen erfüllen wird!
Die gerechten und heiligen Ansprüche Gottes erfüllen
Kehren wir zu 3. Mose 16 zurück und fragen wir uns: Wie wird die bisher behandelte Wahrheit dort dargestellt? Wir werden mit Erstaunen finden, dass die Reinigung des Heiligtums und des Zeltes der Zusammenkunft am Versöhnungstag zuerst in Betracht kam. Erst in zweiter Linie werden Priester und Volk genannt. Zunächst mussten die heiligen Ansprüche Gottes im Hinblick auf sein Wohnen inmitten seines Volkes zufriedengestellt werden: Aaron musste mit dem Blut des Opfertieres „Sühnung tun für das Heiligtum wegen der Unreinheiten der Kinder Israel und wegen ihrer Übertretungen, nach allen ihren Sünden“ (3Mo 16,16).
Die Stiftshütte in der Wüste war in ihren drei Abteilungen ein Bild des Weltalls. Und so wie der Hohepriester mit dem Sühnungsblut durch das ganze Zelt bis ins Allerheiligste ging, so ist auch Christus „durch die Himmel gegangen“ (Heb 4,14) und als Hoherpriester ins Heiligtum eingetreten. Im Alten Bund wurde alles (Hütte und Altar) durch Blut gereinigt, und in gleicher Weise wird Gott einmal alles, was im Himmel und auf Erden ist, durch das Blut seines geliebten Sohnes mit sich versöhnen. Die Grundlage dafür ist im Kreuz Christi gelegt worden, das Sühnungsblut ist geflossen; und das Ergebnis dieses Werkes wird im Tausendjährigen Reich und in der neuen Schöpfung gesehen werden. In gewissem Sinn ist das Weltall das Haus, die Wohnung Gottes. Der Himmel ist sein Thron und die Erde der Schemel seiner Füße. Gott lässt sich herab, um in dem zu wohnen, was Christus erschaffen hat, und diese seine Wohnung muss und wird von der Verunreinigung, die sie durch die Schuld des Menschen erfahren hat, gereinigt werden. Diese Reinigung konnte und kann nur geschehen durch eine vollgültige Sühnung, durch die „Abschaffung der Sünde“, wie es in in Hebräer 9,26 heißt. Das führt uns aber zu der weiteren Frage: