Schriften von William Kelly
Apg 2; 8;10; 19 1Kor 12 - Die Gabe des Geistes und die Gaben
Bekehrung und Empfang des Heiligen Geistes sind nicht identischBekehrung und Empfang des Heiligen Geistes sind nicht identisch
Ohne Zweifel gibt es in manchen Fällen Verzögerungen. Man findet Seelen, die wirklich vom Geist Gottes berührt worden sind – ich meine nicht nur in ihren Gefühlen, nein, ich meine ein wirkliches Werk der Gnade Gottes in ihren Herzen und Gewissen –, und doch haben sie noch keinen Frieden, keine feste Ruhe und Freiheit im Heiland. Das ist durchaus nicht ungewöhnlich. Sollen wir deswegen abstreiten, dass Gott an ihnen wirkt? Sollen wir das, was Gott schon gewirkt hat, ignorieren, nur weil das noch nicht alles ist, was wir ihnen wünschen und wünschen müssen? Haben wir ein Recht, zu sagen, es sei gar nichts geschehen, solange nicht eine vollständige Befreiung der Seele vor Gott zu sehen ist? Ich überlasse die Antwort anderen. Ich selbst wage nicht, das zu denken oder zu sagen. Und ich bitte alle meine Brüder, solch einem Unglauben keinen Raum zu geben. Ich hoffe, niemand hier hält es für nötig, die Echtheit eines göttlichen Wirkens in der Seele in Zweifel zu ziehen, weil sie noch nicht ganz versteht, was Christus für sie getan hat. Manchmal handeln wir unvorsichtig mit Seelen und schaden ihnen sehr, wenn wir das Wirken Gottes in ihnen nicht anerkennen.
Es besteht aber noch eine andere Gefahr. Lasst uns nicht damit zufrieden sein, wenn wir sehen, dass eine Seele Buße tut und sich zu Christus wendet. Lasst uns Sorge tragen, dass sie zur wahren Freiheit gelangt, sonst ist auch das Unglaube und zeigt einen Mangel an Vertrautsein mit dem Wort und der Gnade Gottes. Dadurch kommt die Seele nicht in den Genuss der vollen Anwesenheit und Wirksamkeit des Geistes Gottes. Wir müssen alles bei seinem richtigen Namen nennen. Jemand mag sich im Bewusstsein seiner Sünde und Unruhe, die in der Gnade Gottes und dem Erlösungswerk Christi noch keine Antwort gefunden haben, sehr elend fühlen. Wenn wir nun sehen, dass solch ein Herz sich nach dem Herrn Jesus sehnt, müssen wir dies Bekehrung nennen, und es als Gottes Gnadenwerk betrachten, auch wenn der Friede des Gewissens und noch mehr der des Herzens noch fehlt. Es aber bei diesem Zustand zu belassen, wäre verkehrt – zu denken, es wäre genug, wenn eine Seele sich von ihrer Sünde zu Gott bekehrt, wenn sie sich selbst hasst und verurteilt und auf den Herrn Jesus schaut. Es ist in solchen Fällen mehr ein Verlangen nach Ihm als ein positiver Friede in Ihm. Die Seele ist noch längst nicht im vollen Besitz des ganzen Segens, den die Frohe Botschaft bringen will. Wir sollten Nachdruck darauf legen, dass im Herrn Jesus viel mehr zu finden ist als nur eine Erweckung des Herzens und Gewissens, so echt dieses Gefühl der Sünde und dieses Sehnen nach Gott auch sein mag. Ich glaube, wir alle machen uns eines Versäumnisses schuldig, wenn wir nicht darauf bestehen, dass solch eine Seele noch nicht das erreicht hat, was die Schrift uns als den wahren Stand eines Christen vor Gott zeigt. Wenn sein Wort voraussetzt, dass alle seine Kinder völligen Frieden genießen, sollten wir dann mit weniger zufrieden sein? Wir sollten niemals zugeben, dass ein neu erwecktes Herz, das aber noch unter dem Gesetz ist, das volle Ergebnis der Wahrheit, die in Jesus ist, darstellt, obwohl wir verpflichtet sind, diesen Zustand als echt anzuerkennen. Gott hat aber für die Seinen viel mehr im Sinn: nichts Geringeres als einen Platz des Segens, wo alle Zweifel, Ängste und Sorgen dahinschwinden im Bewusstsein der vollkommenen Gnade, die uns zu Ihm selbst geführt, unsere Sünden gesühnt und alle Fragen gelöst hat.
Solange noch innerer Kampf und Unruhe besteht, entspricht der Seelenzustand noch dem der Gläubigen des Alten Testamentes. Der einzige Unterschied ist der, dass es für sie unmöglich war, weiterzukommen, denn die Zeit dafür war noch nicht da, weil der Befreier noch nicht da war. Die Befreiung war noch nicht vollbracht. Die gesegnete Grundlage, durch die es zu einer Sache des Glaubens gemacht worden ist, Frieden durch die Gnade Gottes zu erlangen, war noch nicht vorhanden, und die Wege Gottes können nicht vorweggenommen werden. Wir können Ihm nicht vorauslaufen. Wir dürfen Ihm folgen und sollten uns freuen, seine Güte an uns vorüberziehen zu sehen; aber wir können nicht vor Gott herlaufen. Heute ist diese Erlösung da. Christus war hier, ist gestorben und auferstanden; selbst erweckte Seelen begreifen die gewaltigen Ergebnisse seines Werkes nicht immer an einem Tag. Wohl ist dies möglich, und ich zweifle nicht, dass es auch heute noch solche Fälle gibt wie den Kerkermeister zu Philippi. In der gleichen Stunde, in der das Gewissen dieses Mannes erreicht wurde, fand ein weiteres Werk der Gnade Gottes bei ihm statt, durch das er und sein ganzes Haus mit Freude erfüllt wurde. So elend wie er vorher gewesen war, so vollkommen glücklich wurde er durch die Gnade Gottes in der gleichen Stunde. Auch heute noch kann das im Verlaufe einer Stunde vor sich gehen, aber ich glaube nicht, dass dies die Regel ist wie oft angenommen wird.
Nehmen wir zum Beispiel den Apostel Paulus. Wenn jemals ein Mann gründlich bekehrt wurde, dann doch gewiss er auf dem Weg nach Damaskus, und zwar durch eine ganz außergewöhnliche Krafterweisung. Und doch führt Gott ihn offensichtlich nicht sofort zur vollen Freiheit. Tage- und nächtelang war er so tief erschüttert, dass er weder aß noch trank, ja sogar blind war. All das kennzeichnete seinen geistlichen Zustand. Er hatte wirklich Christus in seiner Herrlichkeit gesehen, er ganz persönlich. Aber war er damit schon in den friedevollen Genuss all dieser Herrlichkeit gelangt? Ich zweifle nicht, dass in ihm ein weiteres unmittelbares Werk vor sich ging, die Frucht der Wirkung der Wahrheit am inneren Menschen. Und doch, bis Ananias zu ihm kam und er getauft wurde, war er von völliger Ruhe und Freiheit weit entfernt. Dann erfüllt ihn, wie wir wissen, der Heilige Geist, und damit kommt er – und das ist immer so – bewusst in den Genuss des vollen Segens. Dies beeinträchtigt in keiner Weise weder die Fülle noch die Freiheit der Frohen Botschaft; im Gegenteil, es lässt Raum dafür, den Tatsachen, wie sie nun einmal vorhanden sind, gerecht zu werden. Man kann den Zustand vieler Seelen nicht in eine Theorie hineinzwängen. Wenn wir ernstlich um Seelen besorgt sind, können wir jeden Tag, ohne dass wir danach suchen, Tatbestände antreffen, die sich nicht einfach einer Theorie unterordnen. Beobachten wir sie, ganz gleich, wo, und wir werden feststellen, dass da ein echtes Werk Gottes in der Seele vorgeht. Dieser Zustand kann Tage, Wochen, Monate, ja Jahre anhalten. Sehr oft wird eine Seele erst nach dieser längeren Zeit zur vollen Freiheit vor Gott gebracht. Aber wenn und wo jemand zu dieser Freiheit gelangt, da ist dies nicht nur Leben, sondern meines Erachtens der Empfang des Heiligen Geistes.