Schriften von William Kelly
Die Lehre des Neuen Testamentes über den Heiligen Geist anhand von Johannes 3,4 und 7
Joh 4,10 - „Eine Quelle Wassers“Joh 4,10 - „Eine Quelle Wassers“
Das vorige Kapitel zeigte uns in Verbindung mit unserem Thema die Wirkung des Heiligen Geistes auf das Herz des Menschen. Es zeigte uns die neue Geburt, nicht der menschlichen Natur, wie von manchen fälschlich angenommen wird, sondern die neue Geburt aus Gott, die sich im Menschen vollzieht. Ohne diese Geburt aus Wasser und Geist kann man das Reich Gottes weder sehen noch hineingehen. Nur eine aus Gott stammende Natur ist passend für das Reich Gottes. Einzig die göttliche Natur ist fähig, Gott zu erkennen und zu genießen. Keine Seligkeit außerhalb des Menschen, kein noch so kostbares Werk, das seinethalben vollbracht wird, würde für sich allein genügen, ihn für die Gegenwart Gottes passend zu machen. Ein solches Werk würde vielleicht der Gerechtigkeit Gottes bezüglich der Sünde Genüge leisten und Ihn unendlich verherrlichen. Tatsächlich ist dies ja durch das wunderbare Werk des Herrn Jesus Christus am Kreuz geschehen. Aber ich möchte doch betonen, dass nichts außerhalb des Menschen den Sünder befähigen kann, Gott zu erkennen und zu genießen, käme nicht noch etwas anderes hinzu. Dieselbe göttliche Gnade, die Christus zur Ausführung des Erlösungswerkes herniedersandte, offenbart Ihn uns jetzt kraft des Heiligen Geistes durch das Wort, und dadurch wird sie aus Wasser und Geist geboren.
Doch noch mehr: Jetzt, nach vollbrachtem Erlösungswerk, ist der Glaubende auch berechtigt, dieses Werk in seinem vollen Umfang zu kennen und zu verstehen. Der Sohn Gottes selbst benutzt einen wunderbar erhabenen Ausdruck, der wahrlich seiner würdig ist, um uns darüber Verständnis zu schenken. Es handelt sich nicht allein darum, bekehrt oder von neuem geboren zu sein, sondern nun auch darum, ewiges Leben zu besitzen. Ich bestreite durchaus nicht, dass die neue Geburt im Wesentlichen bedeutet, ewiges Leben zu haben. Ich denke nur, dass es gut ist, der Ausdrucksweise, die der Herr Jesus hier benutzt, Rechnung zu tragen. Er begnügt sich nämlich nicht mit ganz allgemeinen Formulierungen oder mit der Feststellung, dass alle von neuem geboren werden müssen. Nein, Er zeigt uns die Segnung, die von Golgatha ausgeht, in dem Charakter, der Ihm selbst entspricht, denn Er ist das ewige Leben, ja, das Leben, das bei dem Vater war und uns offenbart worden ist. So wurde also die Gnade in einer Weise wirksam, die des Sohnes Gottes würdig ist.
Jetzt aber kommen wir zu einer anderen Seite unseres Themas. Hier handelt es sich nicht nur um die Bedürfnisse des Menschen, noch um die Notwendigkeit einer neuen Natur, die er nicht besitzt und die er deshalb nur von Gott empfangen kann. Wenn Gott seinen geliebten Sohn in die Welt sendet, dann beschränkt Er sich nicht darauf, den Menschen für seine Gegenwart passend zu machen. Er handelt als Gott. Er schenkt nicht nur eine neue Natur, sondern auch eine entsprechende Kraft, die in ihr wirkt. Er schenkt das, was dieser neuen Natur Kraft zum Handeln verleiht und was die Quelle aller Freude ist, die zum Wesen der göttlichen Natur gehört. Kurz, es handelt sich hier nicht allein um den Besitz ewigen Lebens, – so gesegnet dies auch ist, denn wir haben gesehen, dass das der höchste Ausdruck für die neue Geburt ist –, sondern Er schenkt uns auch den Heiligen Geist. Die Umstände, unter denen der Herr wirkt, entsprechen wie immer genau dem, was Gott nun offenbaren will.
Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, wie sich ein Mensch (Nikodemus) in tiefem Herzensverlangen an den Herrn wandte, obwohl dies – wenigstens nach seinem eigenen Empfinden – nicht leicht war. Jetzt aber kommen wir zu einer weiteren Stufe der Gnade auf dem Weg des Sohnes Gottes: Im Grunde genommen war Er bereits verworfen. Anstatt dass Menschen seiner Wunder wegen an Ihn glaubten, wurde die Eifersucht der Pharisäer erregt. Deshalb wendet sich der Sohn Gottes betrübt von Judäa ab, wohin Gott Ihn gesandt hatte. Er fühlte es tief, das konnte und durfte nicht anders sein. In seiner Liebe musste Er innerlich leiden. Seine Verwerfung war nur die eine Seite. Es schmerzte Ihn auch für sie, weil sie ihre eigene Gnade verließen; indem sie Ihn, ihren Messias verwarfen, verwarfen sie auch Gott selbst. Aber gerade seine Verwerfung veranlasste Ihn, seine Gnade auf eine Weise zu offenbaren, die alles, was in Judäa geschehen war, weit übertraf. Eine samaritische Frau – man könnte meinen, keine passende Gesellschaft für den Messias –, eine arme Frau aus der Stadt Sichar, allem Anschein nach selbst in den Augen der Menschen verdorben, trifft Ihn, wie Er allein und müde von der Reise am Jakobsbrunnen sitzt.
Er weiß ihr Herz zu erreichen. Er bittet sie um einen Trunk Wasser. Obwohl Er der Messias war, näherte Er sich nicht als der Messias, sondern als der Sohn Gottes der äußerer Herrlichkeit nicht bedurfte, der aber das Bedürfnis hatte, Gnade zu erweisen. Der Mensch war verloren, aber Gott verlangte nach dem verlorenen Menschen. Nur Er selbst konnte dieser Not des Menschen begegnen. So lässt Er sich in seiner Liebe herab und bittet um Wasser. Was würde Er nicht alles tun, um ihr Herz zu erreichen? Die Frau ist erstaunt, denn die Juden wollten doch mit Samaritern nichts zu tun haben, und für sie war Er zunächst nur „ein Jude“ und sie „eine Frau aus Samaria“. Wie weit war beides von der Wahrheit entfernt! Er sagt jedoch: „Wenn du die Gabe Gottes kenntest und wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken, so würdest du ihn gebeten haben, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“ Aber das verstand sie nicht.
Es kann kaum angenommen werden, dass sie das Gesetz Gottes kannte, wenn sie auch davon sprach. Und nun – die Gabe Gottes! Wer hatte denn in dem begünstigten Israel wirklich erfasst, dass Gott ein Geber ist? Die Vorstellungen, an die sie sich klammerte, lieferten ihr ein völlig entgegengesetztes Bild von Gott. Jede menschliche Religion betrachtet Ihn ja als den Fordernden. Sie ist zwar nur eine arme, sündige, verlorene Frau. Trotzdem besitzt sie einen gewissen religiösen Stolz und fühlt sich dadurch anderen überlegen. Für sie jedenfalls wie für viele andere, die es besser wissen sollten, ist Gott immer nur einer, der fordert, niemals einer, der gibt, wie nur Gott geben kann. Zu einem solchen Gedanken kann sich der menschliche Geist nicht aufschwingen, am wenigsten in dem, was er für seine Seele sucht. Er erkennt vielleicht die Wirkungen der Macht und Weisheit Gottes. Gott selbst aber bleibt ihm unbekannt und Er kann auch nie erkannt werden, außer in Christus, seinem Sohn. Das hatte sie noch nicht gelernt. Sie hatte keine Ahnung, wer zu ihr sprach: „Gib mir zu trinken.“ Hätte sie gewusst, wer Er war, dann hätte Gott als Geber groß vor ihrer Seele gestanden.
Gnade war ihrer Gedankenwelt fremd. Ein „Jude“ bat sie um einen Trunk Wasser, und sie wusste nichts von der Würde dessen, der jetzt als Mensch unter Menschen auf der Erde weilte. Sie wusste nicht, dass Er der Sohn war, der eingeborene Sohn. Sie kannte nicht die Herrlichkeit dessen, der diese seine Herrlichkeit nie offener gezeigt hatte als gerade jetzt, da Er sich so zu Sündern herabneigte. Die Tiefen Gottes und seines Sohnes zeigen nämlich sich nirgends so deutlich wie darin, dass Er aus Liebe den Sündern entgegenkommt – nicht in Herablassung, sondern in wahrer Güte!
In dem Wort Herablassung liegt der Gedanke einer in der Welt üblichen Gönnerschaft; dieses Wort hat für mich etwas Abstoßendes. In Ihm, der wahrhaftig ist und der allein die göttliche Liebe offenbarte, finden wir dergleichen nicht. In Ihm ist Liebe, die keinen Beweggrund außerhalb sich selbst findet, göttliche Liebe in ihrer eigensten Natur. Das war der Herr Jesus, und um das zu zeigen, war Er auf der Erde. Was hätte Er wohl auch Anziehendes an einer solchen Person finden können? Nein, Gott wollte geben, der Sohn Gottes wollte sich erniedrigen. Zunächst sah es zwar so aus, als würde Er um etwas bitten, aber Er tat das nur, um geben zu können. Der Trunk Wasser, um den Er sie bat, gab Ihm die Gelegenheit, ihr lebendiges Wasser schenken zu können. Jeder, der von diesem Wasser trinkt, wird nimmermehr dürsten. In der Tat klang das in ihren Ohren neu und fremd: „lebendiges Wasser“!
Wir wollen diesen Ausdruck etwas näher betrachten. Aus dem Geiste geboren sein unterscheidet sich klar von der Gabe des Heiligen Geistes. Beide haben nichts miteinander zu tun. Das eine ist natürlich ebenso wahr und wirklich wie das andere. Das erste gab es von jeher. Seit die Sünde in die Welt gekommen war, hatte der Geist Gottes unzweifelhaft immer wieder an Menschenleben gewirkt.
Aber niemals, bevor der Sohn offenbart war, war der Geist Gottes gegeben worden, niemals bevor Gott die Stellung eines Gebers und der Sohn in Liebe zu den Sündern den Platz der Erniedrigung eingenommen hatte.
Er bat eine arme Sünderin um einen Trunk Wasser und weckte damit durch seine vollkommene Gnade bei ihr Vertrauen. Diese herrliche Wahrheit strahlt uns überall in diesem Evangelium entgegen. Nur so und erst jetzt konnte lebendiges Wasser gegeben werden. Wir wollen auch nicht übersehen, dass Christus der Geber ist. Es handelt sich hier weder um seine eigene Person noch einfach um ewiges Leben. Das alles haben wir schon vorher deutlich gesehen, und die Schrift wiederholt sich nicht. Wenn auch zwischen allen Teilen der göttlichen Wahrheit voller Einklang herrscht, so betreten wir hier doch ganz neuen Boden, denn wir treffen neue, ganz andere Bedürfnisse – und größere Not bringt größere Gnade. Hier haben wir keinen angesehenen Theologen, sondern eine elende, verachtete Frau, die in den Augen der Welt nichts mehr wert ist. Doch gerade ihr werden die Tiefen der Gnade im Sohn Gottes mehr oder weniger enthüllt.
Die Frau ist für eine solch unschätzbare Gabe offensichtlich völlig unvorbereitet. Das ist nicht weiter verwunderlich. Ich glaube nicht, dass irgendjemand, der Johannes 3 und 4 unvoreingenommen liest und miteinander vergleicht, den gelehrten Nikodemus höher achten kann als die unwissende Frau aus Samaria. Im ersten Fall war die Wahrheit, auf der der Herr bestand, vielleicht noch unentbehrlicher und dringlicher für den Menschen. Wie wenig hatte jener Lehrer Israels verstanden! Im Fall dieser Frau aber war die Gabe lebendigen
Wassers eine Wahrheit, die vorher unmöglich bekannt sein konnte. Sie betraf kein allgemeines menschliches Bedürfnis und kein bekanntes Wissensgut – niemand konnte auch nur etwas davon ahnen!
Wann vorher wurde je eine solche Offenbarung Gottes und seiner Gnade gegeben, wie sie der Herr Jesus hier in Johannes 4,10 der Frau aus Samaria gab? Wo hatte man schon eine solche Entfaltung der Gnade gesehen wie hier, wo wir Gott als den Geber finden, und den Herrn Jesus, den Sohn Gottes, wie Er sich in Liebe mit einem Menschen beschäftigt, der keinerlei eigene Gerechtigkeit besitzt und wo uns der Heilige Geist als jene lebendige Quelle der Erfrischung für das Herz gezeigt wird? Die Frau greift auf das zurück, was in der Welt immer die Zuflucht des Menschen ist – die Tradition, die Überlieferung, „den Brunnen unseres Vaters Jakob“. Es war der Versuch, sich dem zu entziehen, was ihr zu groß, zu tief, zu göttlich war. Der Herr Jesus aber hatte den Platz verlassen, wo sein Volk unter dem Schatten gottgegebener Verordnungen wohnte, weil höhere Ratschlüsse ihrer Erfüllung entgegengingen. Das Johannesevangelium stellt uns Ihn nie als solchen vor, der gekommen ist, dem Land der Verheißung etwas zu bringen.
Was ist denn auch jede irdische Verheißung genau genommen? Beschränkte, abgemessene Gnade. Er aber war in unermesslicher Gnade gekommen. Es gab keinen Platz, wohin die Seele fliehen konnte, alles war verloren. Aber was tut ein Sünder nicht, um irgendwo Zuflucht zu finden? Sie verbirgt ihren Stolz und beruft sich – obwohl sie eine Samariterin war – auf „die Quelle unseres Vaters Jakob“. Sowohl er als auch seine Kinder und sein Vieh hatten aus diesem Brunnen getrunken. Was macht demgegenüber dieser Jesus aus sich selbst! Wie lähmend ist doch der Unglaube, wie schnell verdunkelt er die reiche Gnade Gottes! Trotzdem hört der Herr Jesus ihrer Torheit geduldig zu. Dann antwortet Er: „Jeder, der von diesem Wasser trinkt“ – und sei es aus der Quelle Jakobs –, „wird wiederum dürsten; wer irgend aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde, den wird nicht dürsten in Ewigkeit.“ Ja, noch mehr: „Das Wasser, das ich ihm geben werde, wird ihn ihm eine Quelle Wassers werden, die ins ewige Leben quillt.“
Hier wird ewiges Leben vorausgesetzt, aber hier wird auch eine göttliche Quelle der Freude angedeutet, die ewiges Leben für sich allein nicht ist, noch sein kann. Im Gegenteil, alle Wahrheit über diese neue, göttliche Natur würde zerstört, wenn wir behaupten würden, dass ewiges Leben selbst eine Quelle ist. Darin liegt nicht das Kernstück des ewigen Lebens, denn es ist seinem Wesen nach abhängig. Hier aber finden wir eine Quelle, einen Brunnen, aus dem das Wasser beständig hervorsprudelt. Es handelt sich hier nicht nur um eine neue Natur, die sich schon allein deshalb, weil sie von Gott stammt, auf Ihn stützt und in Ihm, dem anderen, ihre Stärke und Nahrung findet, sondern hier haben wir eine lebendige Quelle der Freude. Nichts zeigt dies klarer als das Bild einer Quelle, besonders, wenn wir bedenken, was in dem Ausdruck „lebendiges Wasser“ liegt, denn hier haben wir durchaus nicht eine absolut notwendige Voraussetzung für eine Beziehung zu Gott. Wenn das so wäre, was wäre dann aus allen denen geworden, die vorher gelebt haben?
Es handelt sich um ein ganz neues Vorrecht, um eine Fülle der Freude, die zu den Ratschlüssen und Wegen Gottes erst passte, nachdem der Sohn Gottes gekommen war. Es war eigentlich gar nicht anders zu erwarten, als dass Gott das Kommen seines Sohnes, seine eigene Offenbarung in Ihm und die Ausführung des unendlich kostbaren Erlösungswerkes durch etwas ganz Besonderes hervorheben und auszeichnen würde. Dieses Erlösungswerk wird nicht ausdrücklich erwähnt, aber es bildete ja doch die Folge seiner Erniedrigung.
Um es noch einmal zu betonen: Es ist undenkbar, dass Gott dieses Allerhöchste, das Er in seinem Herzen hatte, nicht durch einen neuen Segen, durch eine Vermehrung und Vertiefung der Freude der Glaubenden ausgezeichnet hätte. Wer Gott auch nur etwas kennt, wird darin mit mir übereinstimmen. Der Mensch mag alle Wege Gottes auf die gleiche Stufe stellen. Er mag die Denkmäler seiner Gnade niederreißen wollen – aber sie zeugen doch alle von seiner Weisheit und von seiner Güte. Wenn der Mensch Ihn auch herabzuwürdigen sucht, wenn er sich auch anmaßt, in göttliche Dinge einzudringen, das Wort Gottes ist und bleibt felsenfest. Gottes Ziel ist, alles zur Verherrlichung seines Sohnes ausschlagen zu lassen. Deshalb wurde nicht nur eine neue Natur gegeben, wenn Menschen, die durch Glauben an seinen Namen abgesondert wurden, von neuem geboren und dadurch für seine Gegenwart passend gemacht wurden. Im Hinblick auf das Kreuz hatte Er auf gerechter Grundlage Sünden hingehen lassen. Jetzt aber kommt die neue Geburt für den Gläubigen in ihrer wahren Art und in ihrem ganzen Wert ans Licht: ewiges Leben in dem Sohn.
Aber es geht hier ja noch um mehr: Für jeden, der ewiges Leben empfängt, gibt es eine göttliche Kraft, die hier „eine Quelle Wassers in ihm, die ins ewige Leben quillt“ genannt wird. Damit ist nicht nur das Vorhandensein, sondern auch die Kraft des ewigen Lebens gemeint. Diese Kraft besteht nicht so sehr in der von Gott verliehenen neuen Natur, als in einem ununterbrochen aus der Quelle hervorfließenden Strom. Ich gebe zu, dass hier noch nicht von der Person des Heiligen Geistes die Rede ist – darüber spricht die Schrift zur angemessenen Zeit. Diese Wahrheit wird uns später beschäftigen. Nach göttlicher Weisheit und Genauigkeit befindet sich jede Wahrheit an ihrem richtigen Platz. Hier geht es noch nicht um die Frage, ob der Heilige Geist eine göttliche Person ist. In dem Augenblick aber, in dem der Sohn Gottes die Erde verlässt, tritt der Heilige Geist als Person an seine Stelle. Da sehen wir den gesamten göttlichen Plan schön und klar vor uns. Wir finden hier also nicht so sehr eine Person, sondern eine Kraft, die in jedem wohnt, der ewiges Leben empfangen hat, damit er in den vollen Genuss der Freude an der Gnade Gottes gelangt. Darüber spricht der Herr, wenn Er sagt: „Wer irgend von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde, den wird nicht dürsten in Ewigkeit, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle werden, die ins ewige Leben quillt.“
Wenden wir uns einen Augenblick der Frage zu, was der Mensch seit dem Sündenfall ist, und was dagegen Gott ist, der sich in und durch seinen Sohn einer armen, gefallenen Schöpfung offenbarte. Welche Veränderung bewirkte der Fall des Menschen? Hatte Adam, nachdem er erschaffen war, etwa Durst in der geistlichen Bedeutung dieses Wortes? Sicher nicht.
Für ein sündloses Wesen war das Problem des Dürstens nicht vorhanden. Das würde einen Mangel innerhalb der Schöpfung bedeutet haben, den unser Gott unmöglich hätte zulassen können, da doch alles „sehr gut“ war. Ich glaube sogar, dass auch physischer Durst nicht vorkommen konnte. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass Adam im Sinn der Worte des Herrn kein Verlangen nach einer Speise verspürte, die er nicht besaß. Er war unfähig, Durst zu empfinden, wie er hier verstanden wird, denn das setzt voraus, dass das Herz unbefriedigt ist und dass es nichts findet, um diesen Durst zu stillen. Das würde bedeuten, dass in ihm ständig das Verlangen nach etwas herrscht, was das Herz nicht gefunden hat noch finden kann. Bei einem Adam, den Gott unschuldig erschaffen hatte, gab es dergleichen nicht. Seine Zufriedenheit als Geschöpf zeigte sich zweifellos, sicherlich nicht in geistlicher Anbetung, aber doch in Dankbarkeit gegen Gott, dessen Güte und Weisheit er in zahllosen Segnungen genoss.
Doch er sündigte, fiel, und mit der Kenntnis von Gut und Böse, die er erlangte, begann auch jenes Verlangen nach Dingen, die er niemals befriedigen konnte. In diesem Zustand befindet sich heute noch jedes gefallene Wesen. Die beste Form dieses Verlangens ist Hoffnung. Jeder Mensch hofft, weil er nichts anderes tun kann. Wiederholte und bittere Enttäuschungen seitens der Welt mögen einen Menschen völlig mutlos machen, und doch – wer wüsste nicht, dass Hoffnung, selbst Hoffnung gegen Hoffnung, trotzdem weiterbesteht. Genau das hat der Sündenfall verursacht. Aus dieser Sicht gesehen ist die Hoffnung ein steter Ansporn zu rastloser Tätigkeit.
Die Schrift sagt, dass der Mensch wurde „wie Gott“. Daraus entwickelte sich jenes Verlangen des Menschen, etwas in der Welt darzustellen. Im Grunde wollte er den Platz Gottes selbst einnehmen. Natürlich sind dieser Anmaßung vonseiten Gottes Grenzen gesetzt, und deshalb konnte sie bislang noch nicht völlig zum Ausdruck kommen. Aber sie wohnt im Herzen des Menschen und wird sich dann am besten – nein, am schlimmsten – zeigen, wenn Gott alles wegnimmt, was heute noch zurückhält. Dann hat Satan freie Hand. Diese Zeit kommt, und zwar schnell. Aber vom Tag des Sündenfalls an war dieses Verlangen im Menschen nach Dingen, die er nicht hat. Da sehen wir die Ursache seiner rastlosen Tätigkeit in dieser verlorenen Welt.
Im Gegensatz dazu kommt der Herr Jesus, um nicht nur ewiges Leben, sondern auch „lebendiges Wasser“ zu schenken. Er gibt unseren Herzen Inhalt und Erfüllung, wie wir sie vorher nicht kannten, und eine ganz neue Kraft, um das alles genießen zu können. Seit eh und je besaß alles, wodurch ein Herz ermuntert wurde, nur den Charakter des Hoffens auf etwas, was in Aussicht stand. Die Gläubigen des Alten Testamentes hatten Vertrauen zu Gott und seinen Verheißungen. Jetzt aber trat eine gewaltige Veränderung ein: Christus war gekommen, der sehnlich Erhoffte war gegenwärtig. Gott selbst war gegenwärtig in der Person dieses Menschen, der, müde von der Reise, als der allerniedrigste an der Quelle von Sichar saß, der aber gerade in der Tiefe seiner Erniedrigung seine göttliche Liebe umso wunderbarer zeigte. Denn Gott wollte in seiner Gabe nichts Geringeres als sich selbst geben. Nicht nur eine göttliche Natur, sondern auch eine dem Menschen innewohnende Kraft wollte
Er geben, die nötig ist, um die neue Natur und alles, was zu diesem wunderbaren Verwandtschaftsverhältnis gehört, zu genießen, auch im Blick auf die Anbetung und den Dienst, die dieser neuen Natur entsprechen.
Hier finden wir, was Gott tut, um sowohl dem Sündenfall als auch seinen Folgen zu begegnen und sie zu überwinden, und zwar nicht in einer armseligen Anpassung an das menschliche Elend, nicht durch irgendein Mittel oder eine Reparatur – nein, Er tut es auf eine Weise, die Ihn selbst offenbart, wodurch seine Größe und Herrlichkeit in Erscheinung tritt. Es ist die in der Kraft des Heiligen Geistes offenbarte Gnade des Sohnes, Christentum in einigen seiner schlichtesten, höchsten, bedeutungsvollsten Elemente: Eine göttliche Person ist in vollkommener Liebe zu uns herabgekommen. Wohl Jude, aber außerhalb des Judentums, bittet Er eine schuldbeladene Frau, die vor Ihm steht, nicht um seiner selbst, sondern um ihretwillen, um das Allergeringste, was sie Ihm geben kann, damit sie dadurch aufmerksam wird, und Er ihr seinen allergrößten, unvergänglichen Segen schenken kann, und zwar sofort und für immer. Dieser Segen beschränkt sich nicht auf eine neue Natur, sondern hier geht es um eine ganz neue, innewohnende, gegenwärtige Kraft, eine von Gott stammende und deshalb göttliche Kraft. Wir haben diese Kraft jetzt, damit wir uns daran erfreuen können. Er hat uns den Geist Gottes geschenkt, Er hat sein Wort erfüllt. Gott hat den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der ruft, wie geschrieben steht, „Abba Vater!“ (Gal 4,6). „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist“ (Röm 5,5).
Nicht nur ewiges Leben, sondern darüber hinaus, das heißt, außer der Gabe dieses Lebens, haben wir den Heiligen Geist selbst empfangen: Beachten wir, dass in Verbindung damit gesagt wird, dass den Glaubenden „nicht mehr dürsten wird in Ewigkeit“. Das wird nicht von jemandem gesagt, der nur von neuem geboren ist, und auch da, wo wir nur von ewigem Leben hören, wird dergleichen nicht mitgeteilt. Wenn Seelen nur von neuem geboren waren (und sonst nichts), konnte von dieser Kraft nicht die Rede sein. Denn bis zu dem Augenblick, da Gott in Christus und durch Ihn den Heiligen Geist schenkte, bestand ein starkes Verlangen nach Dingen der Welt. In einem gewissen Sinn verdammte Gott dies auch nicht ganz und gar, sondern Er ließ es möglicherweise der Herzenshärte wegen zu. Es war durchaus denkbar, dass jemand die gegenwärtige und die zukünftige Welt haben wollte – um es einmal so auszudrücken –, ein Zustand, den wir auch heute noch oft bei solchen sehen, die der Wahrheit gegenüber völlig blind und hinsichtlich des wahren Christentums unwissend sind. Gläubige wurden damals der Welt und dem Fleisch gegenüber noch nicht als absolut tot betrachtet. Im Alten Testament finden wir eine solche Sprache nicht bei den Heiligen Gottes, weder bei den Patriarchen noch bei den Kindern Israel.
Im ganzen Judentum sehen wir eher das Gegenteil; immer ein Hoffen auf den Kommenden, jedoch nie gleichzeitig eine gegenwärtige, völlige Befreiung vom Lauf der Welt als einem System, das dem Gericht verfallen ist. Sicherlich gab es Handlungen des Glaubens, die für uns von großem Interesse sind, in denen sich Gläubige über alles, was sie umgab, aufgrund der Gnade Gottes erhoben. Durch das, was wir bei Abel, Henoch, Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Joseph, Moses usw. sehen, unterweist uns Gott. Doch bei alledem ist es nicht zu leugnen, dass bei jenen Männern mit ihrer noch nicht erfüllten Hoffnung, zu einer Zeit, in der sich der Glaube noch nicht auf das vollbrachte Erlösungswerk stützen konnte, bis zu einem gewissen Grad ein Festhalten an irdischen Dingen vorhanden war, weil die Erde noch nicht völlig und in jeder Hinsicht dem Gericht verfallen war.
Was ist heute aber die Ursache dafür, dass ein Herz nicht zufrieden ist mit Christus? Es liegt einfach daran, dass wir den Heiligen Geist noch nicht empfangen haben. Es liegt daran, dass ich Ihn noch nicht habe, der mein Herz bis zum Überfließen mit der Gnade Jesu erfüllen will. Und es liegt daran, dass ich, obwohl ich mich durch Gottes Wirken zu Christus hingezogen fühle, nicht völlig in Ihm zur Ruhe gekommen bin. Ich bin noch mit mir selbst beschäftigt, ich krieche gleichsam noch im Schmutz meiner alten Natur herum, statt mich voll und ganz einsgemacht zu sehen mit Christus, der mein Leben ist, und zwar durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Daran liegt es, wenn ich nicht mit Ihm allein zufrieden bin und nach Dingen trachte, die minderwertig sind, weltlich und fleischlich. Und die Folge davon kann nicht anders als schmerzlich sein: Gott in der ganzen Fülle der Gnade Christi ist uns dann nicht genug! Der Besitz und die Erkenntnis eines Vorrechts bringt neue Verantwortung mit sich. Zunächst aber heißt es, im Glauben persönlich Besitz davon zu ergreifen. Der Herr wird nicht erlauben, dass wir uns mit diesen Dingen nur als mit einer Sache beschäftigen, die unser Zeugnis betrifft, sondern Er will, dass wir uns an ihr in der Kraft erfreuen, die Er uns dazu geschenkt hat.
Was ich deutlich machen möchte, ist dieses: Christentum kommt hier in vollkommener Weise und entsprechend der Weisheit Gottes zum Ausdruck. Einerseits wird uns die göttliche Natur in der Person offenbart, die ihre Fülle und ihr vollständiger Ausdruck ist. Andererseits ist uns dann noch die Kraft gegeben, die uns befähigt, all das zu genießen. Die Wirksamkeit der Hoffnung, die ich vorhin erwähnte, geht dem Herzen nicht verloren, denn es kennt jetzt den, der allein es befriedigen kann, weil Er eine göttliche Person ist, „der Sohn Gottes, der mich geliebt hat“. Gott nimmt uns die Hoffnung nicht, solange wir hier sind. Wir haben in der Welt einen solchen Ansporn nötig. Wenn wir im Geist Christus genießen, dürsten wir nicht länger.
Christus, nach dem ich mich sehne, ist derselbe Christus, den ich tatsächlich jetzt schon besitze, und nie werde ich in Ihm, der überaus zu loben ist, auch nur die Spur einer Veränderung finden. Wohl werde ich Ihn einst besser erkennen und mehr preisen, denn ich werde in einem Zustand sein, in dem meine Schwachheit aufgehört haben und sogar mein Leib unverweslich und verherrlicht sein wird. Nichts wird mich mehr beunruhigen, stören oder mir den Blick verdunkeln. Ich werde sehen, dass Er derselbe Christus ist, der mich schon jetzt vollkommen liebt. Ist es nicht ein Segen, zu wissen, dass unsere Seele Ihn schon hier auf der Erde ebenso sicher besitzt, wie es bald droben der Fall sein wird?
Obwohl wir uns also einerseits nach etwas sehnen dürfen – und das ist gut so für uns –, so ist es andererseits doch ebenso wahr, dass unsere Herzen wirklich zur Ruhe gekommen sind. Wir haben also die Hoffnung als eine Art Antriebsmotor, wie er in dieser ruinierten Welt nötig ist, nicht eingebüßt. Aber die Hoffnung muss enden, denn beide, Glaube und Hoffnung, setzen den unvollkommenen Zustand der Dinge voraus, die uns in einer gefallenen Welt umgeben. Der wunderbare Gegenstand der Hoffnung für unser erneuertes Herz ist der unserem Glauben offenbarte Christus. Wir sind entsprechend der Vollkommenheit seines Werkes gesegnet, und dadurch haben unser Gewissen und unsere Zuneigung völlige Ruhe gefunden. Wenn auch die alte Schöpfung weiterbesteht und wir mit unserem Leib innerhalb dieser alten Schöpfung bleiben, so ist uns nun doch die Hoffnung ein schöner Ansporn zu tätiger Liebe. Ist das alles nicht unseres Gottes würdig? Und handelt Gott nicht entsprechend seiner vollkommenen Liebe mit seinen Kindern, dass Er uns in und mit Christus, seinem eigenen Sohn, derart gesegnet hat?
Ich brauche jetzt wohl nicht auf das einzugehen, was ein Mensch in seinem unbekehrten Zustand nötig hat. Das Zentrum des Menschen ist nur über ein aufgewecktes Gewissen zu erreichen. Und doch ist es schön, wie der Herr dieser Frau zunächst einen Beweis seiner Liebe gibt, bevor Er ihr Gewissen anspricht. Man hat den Eindruck, dass das Gewissen es nicht ertragen kann, erforscht zu werden, wenn nicht ein Zeugnis der Liebe vorausgegangen ist. Natürlich ist solch ein Zeugnis der Liebe in sich selbst noch nicht ausreichend für einen Sünder: In seinem Gewissen muss etwas stattfinden, und das finden wir hier.
Sehr wichtig ist nun der Zusammenhang zwischen jener wunderbaren Kraft des Geistes – der göttlichen Quelle der Freude in der
Seele – und jener Anbetung, worüber diese Frau den Herrn Jesus befragt, ohne sich darüber im klaren zu sein, was für ein Thema sie damit anschneidet. Es war wohl von ihrerseits eine Art Ausweichmanöver. Vielleicht wollte sie damit ihr Gewissen betäuben, das zwar getroffen, aber doch noch nicht bereit war, sich gründlich vor Gott zu beugen. Was auch immer ihr Motiv gewesen sein mag – und es waren zweifellos verschiedene Motive, wie wir alle das bei uns selbst nur zu gut kennen –, so kommen dadurch doch sehr wichtige und gesegnete Seiten der Gabe des Geistes Gottes zum Vorschein, die zu unserer Erbauung dienen. Denn wir sind nicht nur Gegenstände der Liebe Gottes, haben nicht nur das ewige Leben und den Heiligen Geist empfangen, sondern Gott hat in alledem ein hohes Ziel mit uns im Auge, ja, soweit ich das sehe, notwendigerweise das höchste Ziel, nämlich das, was zu Ihm emporsteigt, nicht das, was von Ihm herabkommt: Wir haben einen Platz der Anbetung, und wir haben einen Platz im Dienst für Ihn. Anbetung und Dienst sind genau die beiden Dinge, in die der Heilige Geist uns einführt und in denen Er uns leitet, indem Er als eine Quelle Wassers wirkt, die ins ewige Leben quillt.
An erster Stelle steht die Anbetung Gottes, des Vaters. Sie ist unser höchstes Vorrecht. So muss es sein – wie wäre es auch anders möglich? Wir befinden uns aber auch noch in einer Welt, in der Seelen verlorengehen und in der viele andere, wenn sie auch nicht verlorengehen, doch Not leiden und unseren Dienst nötig haben. Ich meine damit die Kinder Gottes im gegenwärtigen Zustand der Christenheit – und da sind wirklich viele Bedürfnisse. Der Dienst der Gnade hat hier unten ein großes Betätigungsfeld.
Ich möchte jetzt nur noch auf den wichtigen Zusammenhang zwischen dem Heiligen Geist und der Anbetung eingehen, den der Herr Jesus hier erklärt. „Unsere Väter“, sagte die Frau, (und sie vertrat dabei ihre Meinung recht entschieden) „haben auf diesem Berg angebetet, und ihr saget, dass in Jerusalem der Ort sei, wo man anbeten müsse.“ Jesus spricht zu ihr: „Frau, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.“ So verschwinden in der Gegenwart des Sohnes Gottes nicht nur falsche Religionssysteme, sondern auch alles, was als teilweise Offenbarung göttliche Berechtigung hatte, nämlich nicht nur der Berg Samarias, sondern sogar Jerusalem selbst. Wie kommt das? Es konnte nicht anders sein! Wie hätte auch Jerusalem seinen bevorzugten Platz weiterhin behaupten können, nachdem es den Sohn Gottes verworfen hatte? Jerusalem, die Stadt des großen Königs (Ps 48,2; Mt 5,35). Wäre der große König als solcher aufgenommen worden, so hätte Er seinen Platz entsprechend den alten Verheißungen eingenommen. Aber genau das hatten sie nicht gewollt, und deshalb kehrte Er nun Jerusalem den Rücken. Gerade von denen, die den Anspruch erhoben, die Besten und Weisesten des Volkes zu sein, war Er verworfen worden. Dadurch wird uns die Fülle der Gnade Gottes besonders deutlich vor Augen geführt, und darüber hinaus wird uns gezeigt, dass auch hier Gnade und Herrlichkeit eng miteinander verbunden sind. Diese furchtbare Sünde tastete seine Herrlichkeit an, aber sie gab der Gnade Gottes eine Gelegenheit zu wirken. Irren wir uns nicht! Bei Gott finden wir keine Gleichgültigkeit irgendeiner Sünde gegenüber. Trotz aller Liebe Gottes zu seinem schuldbeladenen Volk tritt Er doch jeder Verunehrung seines Sohnes entgegen. Er kann auch die kleinste Verunglimpfung seines Sohnes nicht dulden, selbst wenn es sich nur um die Interessen seiner Gemeinde hier auf der Erde handelt. Außerdem hat der religiöse Mensch die völlige Wertlosigkeit von Satzungen bewiesen: Sie konnten weder seinen eigenen Bedürfnissen noch der Herrlichkeit Gottes entsprechen.
Die Frau hatte davon gehört, was man vom Messias bei seinem Kommen erwartete. Sie ahnte wohl kaum, dass Er es selbst war, der zu ihr sprach. Von äußerer Prachtentfaltung oder göttlichem Strafgericht war bei Ihm nichts zu sehen. Als König hätte Er vielleicht seine Heere ausgesandt und Jerusalem niedergebrannt. Als der Sohn aber braucht Er jetzt nichts anderes zu sagen als diese Worte: „Es kommt aber die Stunde und ist jetzt, da die wahrhaftigen Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden.“ Er, der alle Dinge durch ein Wort geschaffen hatte, löscht nun – wie es Ihm geziemt – mit einem Wort Jerusalem als Zentrum der Anbetung auf der Erde aus. Ich wiederhole: Nicht nur die falschen Religionssysteme fallen unter Gottes Gerichtsurteil, sondern auch das, was auf nur teilweiser Offenbarung beruhte und sich nur mit dem Menschen auf der Erde beschäftigte, oder besser gesagt, nur für den ersten Menschen passte. Es muss verschwinden, damit der Sohn bleibt – der Sohn Gottes. „Ihr betet an“, sagt Er, „und wisst nicht, was; wir beten an und wissen, was, denn das Heil ist aus den Juden.“
In Samaria herrschte Anmaßung und Unwissenheit. Der Herr leugnet durchaus nicht Israels Überlegenheit. Übersehen wir aber nicht, dass der Herr Jesus nur dann so spricht, wenn Er sich außerhalb Israels befindet. Er nimmt die Juden, obwohl sie Ihn verworfen hatten, ihren Feinden gegenüber in Schutz. Welch eine Gnade! Doch jetzt ist die Zeit für größere Dinge angebrochen. Immer wird man dergleichen in den wunderbaren Wegen Gottes finden. Der verworfene Herr leugnet die Ehrenstellung der Juden nicht, als sie sie gegen Ihn benutzen. Er spricht nicht geringschätzig von den Verheißungen und Er vergisst nicht im Geringsten die große und bedeutungsvolle Tatsache, auf der jeder bis dahin erteilte Segen überhaupt beruhte: „Das Heil ist aus den Juden“.
Doch Er fügt hinzu: „Es kommt die Stunde“ – und indem Er dies betont, bezieht Er es eindeutig auf die Stunde, die bereits gekommen war – „und ist jetzt, da die wahrhaftigen Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden; denn der Vater sucht solche als seine Anbeter.“ Als Gott sein Gesetz gab, tat Er es in Übereinstimmung mit dem Verhältnis, in dem sein Volk zu Ihm stand. Das Gesetz enthielt sittliche Anordnungen für das Fleisch. Nun kam es aber zu dieser gewaltigen Veränderung: Jetzt, wo der Messias gekommen und verworfen ist, beruft und bildet sich der Vater Söhne durch Ihn, den Sohn, und schenkt ihnen seinen Geist, den Geist der Sohnschaft, damit sie als wahrhaftige Anbeter imstande sind, Ihn in Geist und Wahrheit anzubeten; denn der Vater sucht solche, die Ihn anbeten.
Welchen Wert besitzt demgegenüber all das Irdische, was Augen und Ohren vielleicht feierlich beeindruckt und was von solchen, die vorgeben, Ihn anzubeten, Ihm dargebracht wird? Was bedeutet die Anbetung einer Volksmenge, einer ganzen Nation, wo immer sie sei? Nichts anderes als einen offenen Widerspruch ins Angesicht des Sohnes Gottes. Es ist nicht nur einen Widerspruch gegen Ihn, obwohl das genügen würde, jedes Herz, das Ihn liebt, tief zu betrüben.
Das Wort Gottes zeigt, wie ernst es ist, mit Dingen zu spielen, die den Heiligen Geist so unmittelbar betreffen. Der Geist bezeugt heute den Sohn des Menschen, nachdem Er von den Menschen verworfen, von Gott aber erhöht worden ist. Gerade deshalb legt Gott um so mehr Wert und Würde auf seinen Namen, weil Er, der Sohn, seiner Gnade und Demut wegen von ihnen verachtet wird. Und der Geist wird verachtet, weil Er von dem Sohn des Menschen, der von den Menschen verachtet wird, zeugt. Welch eine eindrucksvolle Demonstration dessen, was Gott ist und was der Mensch ist!
Sehen wir in unseren Tagen nicht, wie die Menschheit gleichsam von bösen Geistern getrieben wird und in ihrer Verblendung danach trachtet, den Sohn Gottes erneut zu kreuzigen und den Geist der Gnade zu schmähen? Man folgt gierig den unglaublichsten Auswüchsen des Aberglaubens, und das tun nicht nur die, die man zu den Unwissenden zählt, sondern viele, die sich mit Kenntnissen, Bildung und sogar mit der Bibel brüsten. Trotz eines so klaren Zeugnisses, wie wir es in Johannes 4 haben, wo wir die Worte Jesu selbst hören, maßen diese Verführer sich an, das Volk Gottes zu sein, während sie Gott in einer Weise anbeten, die sie deutlich als weltliche Sekten ausweist. Blind, dreist und völlig unbekümmert, verwerfen sie alles das, wovon der Heiland hier spricht, und ziehen gegen den Geist Gottes zu Felde.
Nur wer ewiges Leben besitzt, ist fähig anzubeten, aber auch er vermag das nur kraft des ihm geschenkten Heiligen Geistes. Wer den Sohn hat, hat das Leben, und der Heilige Geist ist bei einem solchen Gläubigen eine innere Quelle der Freude. Er leitet zur Erkenntnis und Anbetung des Vaters.
Eine andere Anbetung, die Gott wohlgefällig ist, gibt es heute nicht. Der Vater sucht keine andere Anbetung als nur diese. Ich möchte euch allen die Frage stellen: Bist du ein solcher wahrer Anbeter? Freude sucht stets Gemeinschaft. Kummer und Sorge machen einsam und öffnen sich allein dem Ohr dessen, der fähig ist, wahrhaft mitzufühlen, zu helfen und befreien wie niemand sonst. Freude aber wird desto tiefer und überfließender, je mehr sie mit anderen geteilt wird. Das wirst du nicht eher erfahren, als bis dir der Heilige Geist geschenkt wird.
Wir sehen, wie alle Wahrheiten miteinander in Zusammenhang stehen. Solange Menschen nur von neuem geboren waren, mochten die einen sich hier, andere sich vielleicht dort befinden: Das Hoffen ihrer Herzen und das Sehnen nach der Ankunft Christi ließ sie oft in Wehklage vor Gott ausbrechen. Ihr Rufen und Seufzen über das lange Warten stieg zu Gott empor, und oft flehten sie, Er möge doch den Verheißenen bald senden. Jetzt aber ist Er in göttlicher Gnade gekommen, hat unsere Sünden getilgt und uns dadurch ewiges Leben geschenkt. Darüber hinaus besitzen wir eine diesem Geschenk Gottes entsprechende Kraft. Diese Kraft befähigt uns, dem Vater im Heiligen Geist zu nahen, denn durch den Geist haben sowohl Juden als Heiden, die glauben, Zugang zu Ihm.
Gemeinsame Freude und dementsprechend gemeinsame Anbetung sind charakteristisch für diese herrliche Offenbarung Gottes. Es handelt sich hier um ein Sammeln, ein Zusammenbringen von Menschen, nicht nur um Segen für jeden einzelnen an dem Platz, wo er steht. Es geht – zum ersten Mal in der Geschichte der Welt – um eine Auswahl in dieser Welt, um ein Versammeln und – wie hier gesagt wird – um ein Suchen von wahrhaftigen Anbetern, die gemeinsam ihre Herzen in Danksagung, Bewunderung und Huldigung zu Gott erheben.
Und warum? Weil sie alle einen Geist besitzen, der sie vereint zum Preis der Gnade Gottes, abgesondert von allen denen, die keine wahrhaftigen Anbeter sind.
Bis zu jener Zeit war alle Anbetung gemischt. Die Samariter beteten an und wussten nicht, was. Für die Juden war es Jahwe, der Gott Israels, der allmächtige Gott der Heerscharen, den sie anbeteten. Doch noch immer stand der eine hier, der andere dort, und es war bislang kein Versuch unternommen worden, die einzelnen herauszubringen und zusammenzufügen. Das war auch nicht möglich, bevor der Sohn gekommen war, das große Erlösungswerk vollbracht hatte und der Heilige Geist gegeben worden war. Die Zwischenwand bestand noch. Nun aber ist Christus gekommen, und was würde es jetzt bedeuten, zurückzugehen? Was würde es bedeuten, den Geist Gottes zu missachten? Was würde es bedeuten, abzufallen von Gnade und Wahrheit? Wir können sicher sein, dass dieser große Abfall kommen wird. Ich möchte jeden ernstlich warnen, und besonders solche, die für andere Verantwortung tragen: Lasst eure Kinder, auch wenn sie noch nicht bekehrt sind, niemals Verbindung aufnehmen mit den falschen Anbetern der Welt. Ich sage nicht, dass Menschen einfach deshalb, weil sie Menschen sind, fähig sind, anzubeten. Sie sind aber ohne jeden Zweifel verantwortlich, zu empfinden, dass sie noch keine wahrhaftigen Anbeter sind. Es ist verkehrt, Kindern in irgendeiner Weise die Zügel schießenzulassen und ihnen, weil sie noch nicht bekehrt sind, zu gestatten, sich mit der Welt zu vermengen und deren religiösen Weg zu gehen. Ich bitte euch, sehr auf der Hut zu sein und nie einem Argument, sei es aus Neugier oder aus einem anderen Grund, und wenn er noch so vernünftig erscheint, nachzugeben. Keiner ist so geschickt wie der Teufel, wenn es darum geht, gute Gründe für schlechte Dinge anzuführen.
Nein, liebe Freunde, ganz gleich, ob unter dem Vorwand von etwas Gutem oder aus irgendeinem anderen Grund, wenn ihr aufgefordert werdet, etwas gegen den Willen Gottes zu tun, so behandelt es immer als einen Betrug dessen, der einst Eva verführte. „Es kommt die Stunde und ist jetzt, da die wahrhaftigen Anbeter den Vater in Geist und in Wahrheit anbeten werden.“ Ist da noch irgendeine andere Anbetung möglich außer der, die vor Gott gilt und die Er anerkennt?
Ich räume ein, dass seine Gnade auch dorthin reicht, wohin du nicht gehen kannst und auch nicht gehen solltest. Ich gebe zu, dass seine Gnade überall wirken kann, ja, ich wüsste nicht, warum sie nicht auch wirken sollte, wenn man für Lebende und Tote das Messopfer darbringt, denn Gottes Gnade wird auch durch Sünde nicht aufgehalten. Wäre es so, dass Sünde den Sohn hindern könnte, dann müssten wir das gerade hier in unserem Kapitel finden. Gerade weil Sünde da war. Der Sohn Gottes kam, um dem Sünder zu begegnen und ihn zu befreien. Ich zweifle nicht daran, dass der Geist der Gnade noch tätig ist. Lasst uns aber nicht meinen, Gnade bedeute, das Böse zu tolerieren oder leichtfertig damit umzugehen. Im Gegenteil, nichts verurteilt das Böse so streng und kompromisslos wie die Gnade! Und gleichzeitig ist nichts anderes fähig, jemanden vom Bösen zu befreien. Denn während ein anderer das Gericht erduldet, wird der Schuldige in wahrhaft göttlicher Liebe errettet – nicht nur vom Tod, sondern auch in der Kraft seines Lebens, als des aus den Toten Auferstandenen. So gibt der Heilige Geist Kraft zum Guten. Er ist die Kraft des Segens, und Er verleiht auch Freude und Genuss daran. Er ist die einzige wirksame Kraft gegen das Böse in dieser Welt.
Das ist eine Tatsache, die jeden Gläubigen in seinem Gewissen treffen sollte. Hast du je deinen Gott und Vater in Geist und Wahrheit angebetet? Oder hast du dich bis heute damit begnügt, bei der Welt und ihrer Religion mitzumachen und an ihrer Musik, ihrer Architektur und ihrem Ritus Gefallen zu finden? Du weißt sehr wohl, dass sich daran jeder beteiligen kann. Ein von Menschen erfundenes Instrument, das weder Herz noch Gewissen besitzt, spielt eine sehr wichtige Rolle in solch einem „Gottesdienst“. Dementsprechend ist natürlich auch die Welt willkommen und nimmt in der Tat an der Anbetung teil. Dadurch werden unweigerlich die Methoden und Grundsätze des Götzendienstes wieder eingeführt. Bereits bei den Galatern entdeckte der Apostel Paulus diese Neigung, als sie jüdische Formen wieder einführten (Gal 4). Aber was hätte er erst empfunden und gesagt, wenn er die heutigen Zustände gesehen hätte? Was unsere Zeit so besonders ernst macht, ist die Tatsache, dass dieser Zustand von Tag zu Tag schlimmere Formen annimmt. Diese Entwicklung wird nicht zum Stillstand kommen, bevor jenes schreckliche Ende kommt, wenn der Herr Jesus vom Himmel her offenbart werden wird, um in flammendem Feuer Vergeltung zu üben an denen, die Gott nicht kennen und dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen.
Ist nicht der Sinn unserer Errettung der, dass wir schon jetzt in Geist und Wahrheit anbeten?
Wenn wir zur Anbetung versammelt sind, sollten sich unsere Herzen in tiefer Freude auch zu wirklicher Anbetung erheben. Sonst besteht die Gefahr, dass wir bloß über Anbetung reden. Manchmal, wenn wir versammelt sind, um den Herrn zu preisen, scheint mir, wird eher über Anbetung gesprochen und gebetet, als dass Er wirklich angebetet wird. Vielleicht ist in meinem Gebet oder in den Bibelstellen, die ich vorlese, von Anbetung die Rede. Aber Geschwister, anbeten heißt nicht, über Anbetung reden. Wir kommen da nicht zusammen, um über dieses Thema Betrachtungen anzustellen oder um es anderen wichtig zu machen; das mag zu anderer Zeit sehr wohl geschehen. Wenn wir zur Anbetung zusammen sind, dann lasst uns auch voll damit beschäftigt sein, Ihn zu bewundern. Sein Preis und seine Verherrlichung sollte jeder vor Augen haben, der sich an Ihm erfreut. Wahre christliche Anbetung ist das Überfließen der Herzen, die durch die Kraft des Heiligen Geistes in dem Sohn und in dem Vater ihre Freude und ihre Befriedigung erkannt und gefunden haben.
Jedes Herz, das keinen Wunsch hat, der nicht in Ihm erfüllt ist, wird begehren, Ihn zu preisen, und zwar in Gemeinschaft mit allen denen, die ebenso gesegnet sind. Es wird sich weigern, sich zu solchen zu gesellen, die noch unwissend sind in Bezug auf Gnade und Sünde und die deshalb weder mit dem Sohn noch mit dem Vater Gemeinschaft haben können. Sein Verlangen wird sein, dass diese Anbetung nur in der Kraft, die Gott durch seinen Geist dazu gibt, stattfindet. Denn zu diesem Zweck hat Gott den Heiligen Geist vom
Himmel herabgesandt. Wie könnte jemand, der diese Kraft, die Kinder Gottes in ihrer Anbetung recht zu leiten, kennt, mit einer anderen Leitung außer der des Heiligen Geistes zufrieden sein, der in der Versammlung souverän wirkt durch wen Er will? Der Sohn Gottes, der den Vater offenbart, ist der Mittelpunkt jeder christlichen Anbetung. Die notwendige Voraussetzung ist die Gabe des Heiligen Geistes als Kraft in uns, die uns befähigt, uns an Gott zu erfreuen und Ihn gebührend zu preisen. Sie ist nur für wahrhaftige Anbeter, die den Vater kennen. Eine niedrige Art der Anbetung ist es, bloß mit sich selbst und anderen beschäftigt zu sein und ständig nur von unseren eigenen Vorrechten zu singen.
Sogar Auferbauung, so kostbar sie ist, ist nicht Anbetung, denn sie wendet sich an die Gläubigen, nicht an den Vater und den Sohn. Natürlich ist Belehrung an ihrem Platz sehr zu begrüßen, und ich gebe zu, dass unsere Seelen erfrischt und erbaut werden, wenn wir wirklich mit dem Vater unseres Herrn Jesus in Anbetung beschäftigt sind. Doch es bleibt wahr, dass unser gemeinsames Lob, das zu Gott emporsteigt, immer das eigentliche Ziel der Anbetung sein muss, wohingegen beim Dienst die Gnade und die Wahrheit Christi gleichsam herabkommen, damit die Heiligen erbaut werden. Sogart Danksagung, wenngleich ein echter Teil der Anbetung, scheint mir die niedrigste Form christlicher Anbetung zu sein, und zwar deshalb, weil sie der Ausdruck unserer Freude darüber ist, was Gott für uns getan hat und nicht darüber, was Er selbst ist. So wahr es ist und bleiben wird, dass wir die rechten Gefühle dafür haben sollten, was Er für uns getan hat, so sind wir doch als seine Kinder so reich gesegnet, dass wir unsere Herzen den Offenbarungen des Geistes öffnen sollten, um zu erkennen, was unser Gott in sich selbst ist, und um uns vor Ihm darüber zu freuen.
Alles hat seinen Platz. Gott trägt dem Zustand unserer Seelen Rechnung, und wir dürfen erfahren, wie Er uns durch seinen Heiligen Geist tatsächlich leitet.
Etwas anderes, Geschwister, möchte ich noch kurz streifen. Der Herr spricht nicht einfach davon, den „Vater“ anzubeten. Er teilt uns mit, dass „Gott ein Geist ist, und die Ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten.“ Ganz sicher ist christliche Anbetung nicht eine Sache von Formen, aber sie ist deshalb nicht weniger real, weil sie geistlich ist. Es gibt Gelegenheiten, bei denen der Geist Gottes die Anbetung der Versammlung besonders auf den Sohn lenkt, und andere Gelegenheiten, was ich kaum erwähnen muss, wo der Vater mehr im Vordergrund steht. Auch kann es vorkommen, dass Christus entweder in seinem Charakter als Herr oder in seiner Gnade besonders hervortritt, oder dass unsere vollkommene Ruhe in Gott der vorherrschende Gedanke bei der Anbetung ist. Ich will damit nicht sagen, dass eine dieser verschiedenen Seiten unter Ausschluss der anderen vorkommt, sondern nur, dass man doch oft empfindet, wie die eine oder andere Seite unserer Segnungen der Anbetung Klang und Charakter verleiht. Eine Liturgie ist natürlich blind für diese Unterschiede und würde sie auswischen. In der Tat können die Menschen dort, wo die Gabe und die Wirksamkeit des Heiligen Geistes nicht eingedrungen sind, diese Unterschiede weder erkennen noch schätzen.
Natürlich ist alles völlige Gnade. Ich wüsste kaum etwas, das besser zeigt, wie reich wir gesegnet sind, als die Tatsache, dass wir nicht nur den Vater kennen und uns in Ihm freuen dürfen, sondern dass wir uns auch, wie es in Römer 5,11 heißt, Gottes rühmen. Da wir mit Ihm versöhnt sind und durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist, seine Liebe kennen, rühmen wir uns seiner als Gott, und zwar einfach deshalb, weil wir wissen, dass die ganze heilige Natur Gottes, seine moralischen Ansprüche so vollkommen aufrechterhalten und befriedigt sind, dass wir in Jesus Christus, unserem Herrn, in alle Ewigkeit gesegnet sind und somit wissen, dass in Gott nichts mehr ist, was sich nicht in Gerechtigkeit für immer zu unseren Gunsten entfaltet. Er, der das Böse hasst und in seiner Natur völlig verabscheut, und der deshalb nichts dulden kann, wovon Er selbst weiß, wie auch wir es wissen, dass es noch in uns steckt, ist nichtsdestoweniger durch Christus in Bezug auf uns so vollkommen verherrlicht worden, dass Er nun in völliger Liebe ruhen kann.
Wir können Ihm nun in nicht endender Freude und Danksagung nahen. Nicht dass jetzt jede Zucht an uns überflüssig wäre. Das wäre sicher ein Verlust und eine Gefahr für uns, solange wir noch im Fleisch und auf der Erde sind, aber die Zucht, die uns begegnet, kommt nun von Ihm als unserem Vater (vgl. Heb 12 und 1Pet 1,17). Zweifellos ist unser Vater Gott, aber es ist wichtig für uns, den Unterschied zwischen der Natur Gottes und unseren Beziehungen zu Ihm zu verstehen, entsprechend den Belehrungen der Schrift. Es ist von größter Bedeutung, dieses innige Verhältnis zum Vater zu kennen, das, wie uns durch Johannes mitgeteilt wird, gerade für die Kindlein der Familie Gottes kennzeichnend ist. Auf der anderen Seite – wie groß, dass der Triumpf der Erlösung darin besteht, dass wir Frieden mit Gott erlangt haben und uns seiner rühmen dürfen, da seine ganze Natur jetzt in Jesus und durch Ihn auch in uns ruhen kann.
So freuen wir uns nun darüber, dass Er unser Vater ist – und das mit Recht. Damit ist jedoch die Gefahr verbunden, dass wir uns damit begnügen und den Blick für unsere tiefe und vollkommene Ruhe in Gott als solchem verlieren (1Pet 1,21). Ich will damit sagen, dass da, wo sich das Herz nicht völlig der Gerechtigkeit Gottes unterworfen hat, die Tiefe der Erlösung nicht ganz verstanden wird, so dass gewöhnlich mehr Vertrauen in das Verhältnis zum Vater gesetzt wird und keine rechte Beziehung zu Gott als Gott zustandekommt. So entsteht ein Mangel an Wertschätzung für das Werk Christi, und dann fehlt es meist auch sehr an Verständnis für seine Herrlichkeit. Wo aber ein Mangel im Glauben und im Herzenszustand auftritt, da verrät sich dies immer durch fehlende Freimütigkeit in der Anbetung, wie natürlich auch durch den praktischen Wandel, denn diese Dinge hängen eng zusammen. „Deshalb, da wir ein unerschütterliches Reich empfangen, lasst uns Gnade haben, durch die wir Gott wohlgefällig dienen mögen mit Frömmigkeit und Furcht. Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (Heb 12,28.29). Denn „... es hat ja auch Jesus, damit Er durch sein eigenes Blut das Volk heiligte, außerhalb des Tores gelitten. Deshalb lasst uns zu Ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Durch ihn nun lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen“ (Heb 13,12-15).
Ich brauche mich wohl nicht wegen dieser allgemeinen Bemerkungen über praktische Fragen des Christentums und der Anbetung zu entschuldigen. Es ist gut, dass wir sehen, wie sehr unsere Segnungen und unsere Verantwortung mit der Gabe des Heiligen Geistes in Verbindung stehen, nicht nur mit der neuen Geburt, die es ja schon vor dem Kommen Christi gab, sondern vielmehr mit der Gabe des Heiligen Geistes als Folge der Offenbarung und Verwerfung des Sohnes. Wir haben gesehen, dass diese Segnungen nur dadurch zustandegekommen sind, dass der Sohn in Demut und Liebe hier auf der Erde war, und dass Er diesen Segen sowohl aufgrund seiner Verherrlichung als auch seiner Erniedrigung schenkt. Im vorhergehenden Kapitel haben wir gesehen, dass die neue Geburt nicht an eine bestimmte Zeit gebunden ist und vom Herrn ausführlich als universale Vorbedingung und Notwendigkeit für das Reich Gottes beschrieben wird, ehe Er auch nur ein Wort über seine Gegenwart hier auf der Erde und sein Erlösungswerk äußert. Kein Gläubiger mit geistlicher Einsicht bezweifelt die Notwendigkeit der neuen Geburt vom Sündenfall an bis heute. Die Gläubigen des Alten Testamentes waren genauso aus Wasser und Geist geboren wie die des Neuen Testamentes. In Johannes 4 wird uns jedoch ein Segen gezeigt, der erst mit dem Kommen des Herrn offenbart werden konnte und den Gott in seiner unumschränkten Gnade geschenkt hat. Denn – und das ist wirklich wahr – unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus! Dieser Segen beruht auf dem Erlösungswerk, wenn auch an dieser Stelle nicht direkt davon die Rede ist. Ich glaube, dass der Grund dafür darin liegt, dass die Gnade Gottes jetzt in ihrer ganzen Fülle vorgestellt werden soll: Die Herrlichkeit des Sohnes (gerade auch in seiner Erniedrigung) und als Folge davon die Gabe des Heiligen Geistes für die Glaubenden.