William Kelly
Schriften von William Kelly
Die Lehre des Neuen Testamentes über den Heiligen Geist anhand von Johannes 3,4 und 7
Joh 7,38 - „Ströme lebendigen Wassers“Joh 7,38 - „Ströme lebendigen Wassers“
Unser heutiges Thema lässt sich von dem, was wir in den vorigen Kapiteln hatten, nicht trennen. Wir dürfen es auch nicht aus seinem Zusammenhang hier in Johannes 7 herausnehmen. Vor allem wollen wir die Art und Weise beachten, wie der Herr Jesus uns hier vorgestellt wird. Tatsächlich liegt darin das Geheimnis jeder gründlichen Erkenntnis der Wahrheit Gottes. Sie wird uns nie rein systematisch gegeben, sondern immer so, dass wir seine Liebe dabei spüren. Sie bildet immer einen Teil jener Offenbarungen Gottes, die die Person Christi zum Gegenstand haben. Gott lenkt alles zur Verherrlichung Christi.
Wenn eine Seele durch die Gnade Gottes einfältig ist, wenn man der Wahrheit nicht Gewalt antut und sie aus ihrem Zusammenhang und ihrem besonderen Platz innerhalb der Heilsgedanken Gottes nicht herausreißt, wenn sie nicht von Christus getrennt wird, dann wird sie richtig mit Herz und Sinn erfasst. Manchmal scheint dann das geistliche Wachstum langsamer vor sich zu gehen, in Wirklichkeit aber ist das der einzige Weg, Fortschritte zu machen. Denn wie kann jemand bleibenden Segen empfangen, wenn er nicht die Dinge von Gott selbst lernt? Dann behalten wir auch die Wege, Absichten und Ratschlüsse Gottes vor unseren Blicken, und die Wahrheit wird nicht auf menschliche Weise erworben, sondern von Gott angenommen. Dann wird sie auch unsere Herzen entsprechend seinem Wort bilden.
Betrachten wir das gelesene Kapitel in diesem Sinn, so fällt uns gleich zu Anfang auf, dass die Ausführungen des Herrn über den
Heiligen Geist hier einen ganz anderen Charakter haben als in den Kapiteln 3 und 4 unseres Evangeliums. Wir sehen klar einen Fortschritt, und dieser Fortschritt steht wie immer im Zusammenhang mit der weiteren Enthüllung der Person Christi. In dem Maß, wie Gott mehr und mehr von Ihm offenbart, wächst die Erkenntnis und der vertraute Umgang mit Ihm, und Hand in Hand damit die Kraft, die der Gläubige aus dem Wort empfängt. Als Erstes sahen wir, was notwendig die Fundamentalwahrheit für unser Thema ist, und zwar was allen Heiligen zu allen Zeiten gemeinsam ist, aber auch die besonderen Wahrheiten, die erst mit dem Kommen Christi offenbart werden. Das Gemeinsame betrifft den Kern der Sache, das Besondere hat Bezug auf die Form, die dieser Segen jetzt, nachdem Gott seinen Sohn offenbart hat, annimmt.
Diese Grundlage sahen wir in Kapitel 3. Lasst uns kurz die offensichtliche und wunderschöne Ordnung und Reihenfolge in diesem Evangelium betrachten. Es beginnt mit Christus als dem Wort, und zwar von Ewigkeit her, wo Er mit Gott allein war, bis hin zum Königreich. Darin wird seine persönliche Herrlichkeit auch vor der Welt entfaltet. Im Tausendjährigen Reich wird Er in seiner Macht Freude verbreiten, wo Kummer und Dürre geherrscht haben, aber Er wird auch das Gericht in seine Hand nehmen, um alles aus dem Weg zu räumen, wodurch Gott im Haus seines Vaters, in Jerusalem, entehrt und entstellt worden ist.
Das führt uns ganz naturgemäß zum Reich Gottes, in dem Christus die Ehre Gottes hier auf der Erde wiederherstellen wird. Dabei entsteht die Frage: Wie kann ein Mensch an diesem Reich Gottes teilhaben? Kapitel 3 unseres Evangeliums gibt uns die Antwort und zeigt auch, dass Gott zu allen Zeiten solche hatte, die Er für dieses kommende Reich vorbereitete. Er enthüllt auch die besonders kostbare Form, die die Verleihung dieser neuen Natur nun annimmt, nachdem der Sohn Gottes gekommen ist. Tatsächlich gibt es keine Eigenschaft und keine Gnadenerweisung Gottes, die nicht in einem neuen und helleren Licht erglänzt, nachdem Christus gekommen ist. Er ist das wahrhaftige Licht, und deshalb leuchten alle Segnungen, die Menschen vorher gekostet haben mögen (und ich brauche wohl kaum zu sagen, dass es viele waren) in einem Glanz auf, als seien sie völlig neu. Mit Ihm werden sie so reich, so wertvoll, auch wenn sie ihrem Wesen nach schon vorher bestanden. Alle Heiligen, vom ersten bis zum letzten, waren notwendigerweise im Besitz einer neuen und göttlichen Natur, waren fähig, mit Gott Gemeinschaft zu haben. Jetzt aber wissen sie, dass diese neue Natur ewiges
Leben ist, das hier schon im Sohn ihr Teil ist.
Das ist jedoch längst noch nicht alles: Wir haben nämlich in Kapitel 4 gesehen, dass der erniedrigte Sohn Gottes (in der Stunde, die kommen wird und die jetzt ist) den Heiligen Geist gibt, nicht nur die neue Geburt durch diesen Geist, nein, den Geist selbst, der nun in uns die Kraft für die Gemeinschaft mit dem Vater und mit dem Sohn ist. Christus war der Verheißene, aber sein Volk wollte Ihn nicht. Als Folge davon müssen sogar die allergrößten Verheißungen zurücktreten, um der Offenbarung der Herrlichkeit des Sohnes Gottes Platz zu machen. Obwohl Er also in einer geringeren Herrlichkeit verworfen wurde, hat dies nur zur Folge, dass eine noch größere Herrlichkeit entfaltet wird, man kann sogar sagen, die ganze Herrlichkeit seiner Person, der Person des Sohnes Gottes in vollkommener Gnade und Demut auf der Erde.
So wird Er nicht von einem hochangesehenen jüdischen Schriftgelehrten aufgesucht, nein, Er selbst findet eine arme, unwürdige Frau aus Samaria und enthüllt die wunderbare Gnade und Wahrheit des Heiligen Geistes, den Er selbst mitteilt, damit hier und heute schon jeder Gläubige die Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus genießen kann. Die neue Geburt hatte es durch Gottes Gnade immer gegeben und wird es immer geben, solange Gott Menschen aus der Welt herausruft. Der Mensch ist nämlich ein Sünder, tot und unrein, in seiner alten Natur unfähig, das Reich Gottes zu erben. Jetzt aber haben wir ein Vorrecht, das weit über dieses Reich hinausgeht und worauf wir nicht erst noch zu warten brauchen. Und weshalb? Weil Gott nun, nachdem der Sohn auf der Erde war und von Israel verworfen worden ist, Ihn mit Ehre krönen will. Alles muss sich vor Ihm beugen, nichts ist für Ihn zu gut, als dass Er es nicht schenken könnte. Dass Er, der Sohn, in Gnade und Niedrigkeit hier war, ist nur ein noch stärkerer Grund dafür, dass dies nun so ist. Unser Herz erkennt die Herrlichkeit des Sohnes Gottes und bekommt so durch die Kraft des Heiligen Geistes einen Vorgeschmack der Liebe des Vaters. Es ist der Heilige Geist, den der Herr Jesus gibt und der uns all diese Liebe und Herrlichkeit offenbart.
Wir sehen, wie diese unermessliche Segnung der Erkenntnis des Sohnes und der Gabe des Heiligen Geistes die Quelle aller wahren christlichen Anbetung ist. Sie tritt jetzt an die Stelle alles dessen, was Gott vorher angeordnet hatte, und natürlich erst recht an die
Stelle der falschen, dem Willen des Menschen entspringenden „Anbetung“.
Wir kommen jetzt zu etwas anderem. Hier in Johannes 7 sehen wir den Herrn Jesus, wie Er nicht mehr inmitten des Judentums wandelt, denn die Juden suchten Ihn zu töten. Nicht nur die Führer waren eifersüchtig auf Ihn, nein, auch das Volk selbst, wenigstens das Volk in Judäa, denn die sind hier gemeint. Ihr Hass war tödlich. Es fehlte ihnen nur noch an einer passenden Gelegenheit. Nichts anderes konnte sie befriedigen, als das Licht Gottes auszulöschen, soweit das in ihrer Macht stand.
Kurz vor dem Laubhüttenfest fordern seine Brüder Ihn auf, nach Jerusalem zu gehen, damit seine Jünger auch die Werke, die Er tat, sehen konnten. Nach und nach war der Herr ja vom Ort der Ehrenbezeugung, des althergebrachten Gottesdienstes vertrieben worden, all dessen, was einen religiösen Namen hatte. Er wirkte jetzt hauptsächlich in Galiläa, und damit waren seine Brüder nicht zufrieden. Gern hätten sie durch den Herrn Jesus Ansehen erlangt. Sie wünschten, durch seine mächtigen Taten in der Welt zu profitieren. Jemand, der solche Taten vollbrachte, wie Er sie tat, musste ihrer Ansicht nach doch danach trachten, dies alles öffentlich zu tun. „Wenn du diese Dinge tust, so zeige dich der Welt.“ So sind die Gedanken des Menschen. Hier war es umso trauriger, als diese Worte aus dem Mund der Brüder des Herrn (dem Fleisch nach) kamen.
Was hatte denn unser Herr gerade im vorhergehenden Kapitel gezeigt? Er hatte die Axt an die Wurzel solcher Erwartungen gelegt; denn die Volksmenge hatte Ihn zum König machen wollen. Er hatte ihren Hunger gestillt. Es ist möglich, dass dieses Wunder sie an
Psalm 132 erinnerte, denn die Juden sprachen oft in diesem Sinn von ihrer Messias-Erwartung. Sie wünschten das Reich herbei, doch der König stand vor ihnen. Der Herr aber lehnt diesen Weg absolut ab. Und als das Volk darauf besteht und sich weiter an Ihn wendet, nimmt Er die Gelegenheit des Wunders wahr, das Er soeben für sie gewirkt hatte, ihnen den wirklichen Zweck seines Kommens zu erklären. Doch in diesem Evangelium geht es niemals um die Hoffnung, als Christus von ihnen angenommen zu werden. Gott wusste es natürlich von Anfang an, dass die Juden den Messias verwerfen würden, und die Propheten hatten klar und verständlich davon gesprochen.
Er aber bietet sich an, und damit wird der Mensch auf die Probe gestellt. Als der Mensch diese Probe nicht bestand, konnte Gott größere Werke tun. Dass Er verworfen wurde, lag nicht daran, dass Er nicht genügend Beweise für seine Sendung als Messias gab. Im Johannesevangelium wird Er jedoch in seiner göttlichen Natur und in seiner ewigen persönlichen Herrlichkeit vorgestellt. So war Er ein Verworfener. Tiefere göttliche Ratschlüsse sollten zur Vollendung kommen, nämlich die Erlösung durch sein Blut.
Der Mensch versteht das nicht, kann und will auch nicht lernen, dass selbst dann noch etwas mangelt, wenn der wahre König auf der Erde ist, und zwar im richtigen Land in der Mitte des richtigen Volkes. Ohne Zweifel waren dies die Voraussetzungen für alles Gute – hätte es sich nur um die Umstände gehandelt: der wirkliche König, das echte Volk, das tatsächliche Land. Und wie kommt das? Weil Gott nicht in ihren Gedanken und die Sünde nicht gerichtet ist. Im Gegensatz dazu suchte der Herr Jesus nur die Ehre Dessen, der Ihn gesandt hatte. Unter solchen Umständen wäre das Reich jetzt für Ihn nur ein Ärgernis gewesen. Ein Reich mit den Menschen noch in ihren Sünden?! Ein Reich, in dem die Ehre Gottes noch nicht wiederhergestellt ist?! Unmöglich konnte der Herr Jesus ein solches Reich antreten.
Der entscheidende Punkt in der Rede des Herrn war: Statt das Reich einzunehmen, war Er gekommen, um den Willen Dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte; und dieser Wille ist, Menschen zu erretten: Jedes sollte aufgenommen, der zu Ihm kommt, ganz gleich, wie abstoßend er auch sein mag. Er war nicht gekommen, seinen eigenen Willen zu suchen oder nur solchen Personen nachzugehen, die Ihm angenehm waren. Es handelte sich um ewiges Leben jetzt und hier, und um die Auferstehung am letzten Tag. Wenn Menschen über diese wunderbaren Wahrheiten in Erstaunen kamen, dann bringt Er ihnen noch eine tiefere Wahrheit, nämlich dass Er gekommen ist, um zu sterben. Er sagt, dass Er gekommen ist, sein Leben für die Welt zu geben. Und noch mehr: Wenn sie nicht sein Fleisch essen und sein Blut trinken, haben sie kein Leben in sich. An die Stelle ihrer Erwartung eines Königs, der ihnen Erleichterung, Reichtum und Genuss für die Gegenwart bringen sollte, tritt der vom Himmel herabgekommene und leidende Sohn des Menschen.
Beachten wir, dass Er in Johannes 5 der Sohn Gottes ist, der in Gemeinschaft mit dem Vater wirkt und Leben spendet. Wer Ihn nicht annimmt, wird von Ihm gerichtet werden. Er ist auch der Sohn des Menschen, in dessen Hand der Vater das ganze Gericht gelegt hat. In Johannes 6 aber sehen wir noch tiefer. Da finden wir nicht den Sohn des Menschen als Richter, sondern den Sohn des Menschen, der gekommen ist, um zu sterben, sein Fleisch zur Speise und sein Blut zum Trank zu geben. Nichts ist so gesegnet, nichts entfaltet so klar, wer Gott ist, wie das, was Christus ist in seiner vollkommenen Selbstentäußerung und in seiner Liebe ist.
Während Er als Mensch hier war, erwies sich diese seine Liebe als vollkommen göttlich.
Wer kam außer Ihm, um zu sterben? Alle lang ersehnte königliche Herrlichkeit des Messias verblasst und verschwindet völlig angesichts des Todes, und das deshalb, weil zu allererst Gott verherrlicht werden musste, weil der Mensch gottgemäß gesegnet werden sollte, damit er schon jetzt Gottes Gedanken über das alles verstehen kann und mit Christus selbst in seiner selbstverleugnenden Liebe und Hingabe an Gott Gemeinschaft haben kann. Es liegt mehr darin als nur, dass Er als Opfer für sie stirbt. Das schließt in sich, dass jemand sich mit Ihm in seinem Tod einsmacht. Es bedeutet, dass man durch den Glauben in den Tod eintritt, den sein Opfer auf die gesamte Szene der Welt schreibt, ja, dass selbst die verheißene messianische Herrlichkeit für eine Zeit lang ganz in den Hintergrund tritt. Ich stelle damit absolut nicht in Frage, dass eine Zeit kommen wird, da Er diese Herrlichkeit einnehmen und herrschen wird. Wir wissen alle sehr wohl, dass diese Zeit nur hinausgeschoben ist und dass der Herr Jesus diese Herrschaft in einer sogar noch herrlicheren Weise und auf einer noch unerschütterlicheren Grundlage antreten wird. Es ist aber klar, dass für den gegenwärtigen Augenblick der Tod vor Ihm steht, und zwar mit den Ereignissen, die Er hier seinen Zuhörern erklärt.
Nachdem also sein Tod als der Sohn des Menschen als Grundlage jeder Gemeinschaft mit den Seinigen vorgestellt worden ist – denn wenn sie nicht sein Fleisch essen und sein Blut trinken, so haben sie kein Leben in sich –, zeigt uns Kapitel 7 das Laubhüttenfest als ein Bild der von Gott verheißenen Herrlichkeit.
Die leiblichen Brüder des Herrn Jesus drängten Ihn, sich öffentlich zu zeigen. Sie dachten, dass jetzt die Zeit dafür gekommen war! Der Herr aber sagt die ernsten Worte: „Eure Zeit ist stets bereit!“ Sie waren von der Welt, sie redeten von der Welt, und die Welt hörte sie. Seine Zeit aber war noch nicht gekommen. O liebe Geschwister, wenn wir einen Augenblick darüber nachdenken, wer es war, der diese Worte sprach, wenn wir bedenken, dass es der war, der alles erschaffen hatte, der rechtmäßige Erbe aller Verheißungen, der berechtigt war, alles zu übernehmen und für sich selbst zu genießen, welch eine unendliche Huld und Gnade liegt dann in diesen Worten: „Meine Zeit ist noch nicht da!“ Andererseits liegt in diesen Worten das Urteil über den Sünder: „Eure Zeit ist stets bereit!“ Welch ein Todesurteil über alle Gedanken des Menschen!
Die Zeit des Menschen ist die Gegenwart, sie ist deshalb immer da. Das ist sein Lieblingsgedanke. Er liebt es, sich selbst zu verherrlichen. Das ist das ganze Leben, das er lebt, die Triebfeder für all seine rastlose Tätigkeit. Was aber den Weg des Herrn Jesus so gesegnet macht, ist die Tatsache, dass die Ausübung von Macht (ohne den Willen des Vaters) für Ihn nicht in Frage kam. Von seinen leiblichen Brüdern heißt es, dass sie nicht an Ihn glaubten, und doch waren sie von seiner Macht, Wunder zu wirken, überzeugt.
Nicht an Ihn zu glauben heißt also nicht, an seiner Macht zu zweifeln; und an Ihn glauben heißt nicht nur, anzuerkennen, dass Er tun kann, was Er will. Aber ihr Unglaube zeigte sich darin, dass sie nicht wussten, was zur Ehre Gottes diente, dass sie kein Auge für seine Herrlichkeit hatten, dass sie ihren eigenen Zustand ganz falsch einschätzten, nichts von der Gnade in Christus wahrnahmen und nicht merkten, wie alles um Ihn her im Widerspruch zu Ihm stand. Er selbst aber, der alle erforderliche Macht besaß, um dies alles in einem Augenblick zu ändern, wartete auf die rechte Stunde. Seine Zeit war noch nicht gekommen.
Seine Brüder gehen also auf das Fest, und dort finden wir, wie all die Meinungen der Menschen über den Herrn Jesus zum Vorschein kommen und wie bei den Juden derselbe Unglaube herrschte wie bei seinen leiblichen Brüdern. Sie murren. Sie stellen ihre Überlegungen an. Doch es waren rein menschlich Gedanken, Träume derer, die kein Gewissen Gott gegenüber hatten. Der Verstand des Menschen reicht nie bis zur Höhe der Liebe Gottes. Menschliche Ideen sind eben nur menschliche Ideen, mehr nicht. Sie haben keine wahre Kraft, sie sind ebenso kraftlos wie die, die sie aussprechen. Sie tragen den Stempel der Lieblosigkeit und des Todes.
Bei dem Herrn Jesus war das anders. Er hatte alle Gewalt, aber in Ihm war etwas unvergleichlich Höheres als Gewalt. Er war göttlich in seiner Liebe. Als Er kam, empfand Er die äußerste Erniedrigung, die Ihm bevorstand, und als man Ihn zu töten suchte, fühlte Er schmerzlich, was Er später erleiden musste. Ein einfältiges Auge sieht klar. Gab es irgendetwas, das seinem Auge verborgen blieb? Es kam nicht, ohne dass Er es vorher empfand. Es kam durchaus nicht unerwartet, und doch beschleunigte Er es nicht.
Er wartete ruhig auf Gott. Er stürzte sich nicht auf den Schauplatz der Gefahr, der Sünde und des Ruins des Menschen. Er unterschätzte auch nicht, was die Welt im Begriff stand zu tun. Es war Satans kurzfristiger Erfolg und das eigene Verderben des Menschen, denn er glaubte, damit den loszuwerden, der alle hier gestört hatte. Doch in seinen Gedanken war nichts als Liebe, Gott selbst, der ja Liebe ist.
So wartet der Herr Jesus also, bis das Fest angefangen hatte, und erst nachdem es voll im Gang war, geht Er hinauf und tritt dort in die Öffentlichkeit, mochte es kosten, was es wollte. Zunächst verkündigt Er, dass Er sie verlassen würde. Ich betone das, weil es für die Wirksamkeit des Heiligen Geistes, über die ich heute Abend sprechen möchte, von größter Bedeutung ist. Die Gabe, um die es geht, setzt den Tod und das Hinweggehen des Herrn Jesus aus der Welt voraus. Sie setzt voraus, dass Er an einen Ort gehen würde, wo die Juden völlig zurückbleiben mussten. Aus diesem Grund stand Er dort und rief am letzten Tag des Festes, dem großen Tag des Laubhüttenfestes, dem letzten Fest des jüdischen Jahres: „Wenn jemanden dürstet, so komme er zu mir und trinke ...“
Wir wollen uns kurz daran erinnern, was dieses Fest bedeutete: Wie die meisten von uns wissen, war es das Fest, das daran erinnerte, dass das Volk, nachdem es die Wüste durchwandert hatte, nun im gelobten Land wohnte. Dieses Fest wurde nach der Ernte und nach der Weinlese gefeiert. Das waren die beiden wohlbekannten Bilder der prophetischen Schriften von den zweierlei Formen des Gerichtes Gottes. Zunächst kommt ein Gericht, durch das das Gute und das Böse voneinander geschieden werden, die Ernte. Danach kommt ein anderes Gericht, das erbarmungslos auf alles herabfällt, was durch und durch böse und Gott gegenüber feindselig ist: die Weinlese. Auf diese Art wollte Gott seinem Volk immer einen Begriff davon geben, wann oder doch wenigstens wie seine Befreiung stattfinden würde. Es war töricht von ihnen, ihre Erlösung von den Feinden zu erwarten, bevor diese Gerichte stattgefunden hatten. Zunächst muss das Gericht seinen Lauf genommen haben, dann erst kann Herrlichkeit die Szene erfüllen. Das Laubhüttenfest war darin von den anderen Festen des HERRN verschieden, dass es sich nicht auf sieben Tage beschränkte. Es hatte einen „überzeitlichen“ Tag, den achten Tag. Es dauerte nicht eine volle Woche, den gewöhnlichen Kreislauf menschlicher Ereignisse, die dann mit dem Sabbat endigte, dem Inbegriff der Ruhe Gottes für sein Volk und die Erde. Gott gibt in seinen Gedanken niemals diese Ruhe auf, die für sein Volk aufbewahrt bleibt.
Hier aber tritt der Herr Jesus nicht am siebten, sondern am achten Tag auf. Dies war nicht der Tag der Ruhe für die Schöpfung, nein, es war der Tag seiner Auferstehungsherrlichkeit. An diesem Tag also stand der Herr Jesus und rief und sprach: „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke!“
Wie klar, wie kraftvoll ist das alles! Zweifellos handelt es sich hier nicht um den Heiligen Geist in dem Charakter, wie Er von jeher, schon vor dem Kommen des Herrn Jesus auf die Erde, in Menschen gewirkt hatte. Er ist hier auch nicht die Kraft für die Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus, nachdem Er als der Sohn Gottes gekommen ist. Wir haben hier eine Stunde, die bis dahin noch nicht gekommen war, noch da sein konnte, bis der Herr Jesus diese Erde wieder verlassen hatte.
Es handelt sich um einen Segen, der in keiner Weise von einem Menschen genossen werden konnte, bis der Herr Jesus gestorben, ja, bis Er auferstanden und verherrlicht war.
Hier steht eindrucksvoll und wunderbar vor uns, dass die unmittelbare, persönliche Herrlichkeit des Sohnes – nicht das Reich, sondern während Er nun droben ist – den Heiligen Geist als eine alles überwindende und überströmende Segnung auf den Schauplatz hier auf der Erde ruft, eine Segnung, die dem geschenkt wird, der glaubt. Es ist also etwas ganz Neues. Und kein Wunder! Denn was sind Gottes Gefühle und was sein Handeln im Blick auf den Tod des Herrn Jesu?! Gibt es ein Geschenk, eine Gabe, ein Zeichen, das kostbar genug ist, seine Wertschätzung für diese unergründlich tiefe Erniedrigung seines Sohnes zu zeigen?
Der Herr erfreute sich in seiner Gnade daran, dem Glaubenden den Heiligen Geist zu schenken, damit er die Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn genießen konnte (Joh 4). Denn wie hätte sonst jemand die Liebe schmecken und die Würde seiner Person genießen können? Würden wir behaupten, dass wir durch irgendetwas in uns selbst mit Ihm Gemeinschaft haben könnten, so würden wir uns mit Ihm auf die gleiche Stufe stellen. Ja, sogar eine neue Natur allein genügte dazu nicht. Wir haben gesehen, dass der Heilige Geist die einzige dazu hinreichende und angemessene Kraft ist.
Hier aber haben wir den Herrn nicht in seiner Eigenschaft als Sohn Gottes vor uns (Joh 7), sondern deutlich und betont als Sohn des Menschen, der endgültig verworfen ist und der gestorben, auferstanden und im Himmel verherrlicht ist. Und dies alles – wohlgemerkt –, ehe das Gericht ausgeführt worden ist; ehe auch nur ein
Schlag den Menschen getroffen hat, ehe Gott irgendetwas getan hat, um das Gute für sich selbst auszusondern und den Rest für das Gericht aufzubewahren, ehe sein Zorn auf alles, was Ihm auf religiösem Gebiet verhasst ist, ausgegossen worden Ist. Vor dem Anbruch all dieser Gerichte Gottes verlässt der Sohn des Menschen die Welt und lässt sie ungestört ihren Lauf fortsetzen. Er geht in den Himmel und sendet von dort den Heiligen Geist als das göttliche Bindeglied zwischen dem Glaubenden auf der Erde und Ihm selbst, dem verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes.
Der Heilige Geist ist nun die Kraft des Herzens, sich in Ihm, dem erhöhten Heiland, zu erfreuen, in Ihm zu triumphieren und dann nah und fern von Ihm zu zeugen. Er ist es, von dem ich weiß, dass Er mein ist, dass Er mein Leben ist. Er starb, um mich zu erkaufen und zu reinigen. Mit der Welt, wie sie ist, hat Er gebrochen, denn Er wurde gerade von dem Volk, das Ihn hätte aufnehmen sollen, verworfen. Alle irdischen Verheißungen sind für die Gegenwart verfallen, obwohl Er ihr Mittelpunkt, ihr Fundament und ihr Ziel ist. Er wartet nun auf einen anderen Tag, um sie diese Verheißungen herrlich zu erfüllen. Nichts von dem, wozu Gott sich verpflichtet hat, wird unerfüllt bleiben, wenn es auch, soweit es den Menschen betrifft, wegen des Kreuzes für die gegenwärtige Zeit verlorengegangen ist. Gott aber benutzt diese Zwischenzeit, um etwas unaussprechlich Höheres zu geben. Statt dass der Sohn des Menschen sein universales Reich aufrichtet und irgendeine andere Herrlichkeit in Verbindung mit der Erde kommt, führt Er eine ganz andere, neue Ordnung der Dinge ein, auf die der Mensch völlig unvorbereitet ist. Während ich also noch auf der Erde bin, sendet Er aus seiner Herrlichkeit den Heiligen Geist herab, damit ich schon jetzt gleichsam mit jenem Schauplatz, wohin ich gehe, bekannt werde.
So kann ich mich mit jenen himmlischen Reichtümern vertraut machen, während ich noch auf der Erde bin. Dazu habe ich den Heiligen Geist selbst, der diese Dinge so gut kennt, in mir. So bringt Er in mir jedes Interesse hervor an Ihm hervor, bringt jede Zuneigung, jeden Gedanken und jede Hoffnung meines Herzens in Verbindung mit Ihm hervor, der schon dort ist.
Darum geht es also hier an dieser Stelle. „An dem letzten, dem großen Tag des Festes aber stand Jesus und rief und sprach: Wenn jemanden dürstet, so komme er zu mir und trinke.“ Ganz gleich was hierauf folgt, der Herr fängt mit der tatsächlich bestehenden Not des Menschen an. Was ist auch in göttlichen Dingen gefährlicher als bloße Theorie? Für uns alle ist es sehr wichtig, uns vor einem bloßen Plan oder einem System von Wahrheiten zu hüten. Denn wir alle haben ein Herz und eine Seele, nicht nur einen Verstand, obwohl wir zugeben müssen, dass wir uns, nachdem wir von ganzem Herzen zu Gott gekommen sind, mit Herz und Verstand an den Kostbarkeiten Gottes erfreuen dürfen.
Aber es müssen auch wirkliche Bedürfnisse vorhanden sein: „Wenn jemanden dürstet, so komme er zu mir und trinke.“ Das setzt voraus, dass der Mensch beginnt, den Mangel in seiner Seele tief zu empfinden und ihn zu sehen, wie Gott ihn sieht. Gott gibt ihm in Christus Antwort auf das, was er wirklich braucht. Denn wenn Gott in seiner Seele solch ein Empfinden ihrer Not bewirkt, dann tut Er dies nur, um diesen Mangel in seiner eigenen Gnade zu stillen. „... so komme er zu mir und trinke“, sagt Christus. „Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Wer durstig ist, trinkt, und sein Herz wird von dem, was der Heilige Geist ihm mitteilt, befriedigt.
Doch dabei bleibt der Heilige Geist nicht stehen. Und warum nicht? Der Herr war von Herzen demütig. Er starb als der Verworfene, aber sein Tod hat Sühnung getan. Von den Toten auferstanden und im Himmel verherrlicht, ist Er jetzt die Quelle aller Kraft, der alles überwindenden Kraft des Geistes. Wir mögen uns in einer dürren und armseligen Wüste befinden, das macht dieses Wunder nur umso größer. Äußerlich bleibt alles dasselbe. Die Welt, weit davon entfernt, besser geworden zu sein, hat ihren wahren Charakter deutlicher denn je gezeigt und ist klarer denn je verurteilt worden. Das Böse des Menschen auf der Erde bleibt dasselbe, die Feindschaft der Welt gegen Gott ist unverändert. Im Tod Christi war deutlich zum Vorschein gekommen, dass die Welt in keinem einzigen ihrer Gefühle mit Gott in Übereinstimmung war. Und doch, trotz dieses Zustandes wird der Heilige Geist gegeben, und zwar nicht nur als eine Quelle lebendigen Wassers für jeden Gläubigen persönlich, sondern auch als Ströme des Segens für seine ganze Umgebung.
Wie wunderbar sind doch Gottes Wege und Worte! Wie ist doch die Weise, wie Er das Böse der Welt zunichtemacht und den scheinbaren Triumpf Satans auslöscht, seiner selbst würdig! Niemals wurde der Feind so vollständig besiegt wie dort, wo er dachte, sein Ziel erreicht zu haben; aber gerade das war der Weg, auf dem der Herr sein Erlösungswerk vollbrachte, und auf dieser Grundlage trat Er in jene neue Szene ein, aus der Er jedem Glaubenden eine schon jetzt bestehende innige Verbindung mit sich selbst geben konnte, indem
Er den Heiligen Geist vom Himmel herniedersandte. Durch Ihn ergießen sich Ströme der Erfrischung in die Wüste dieser Welt.
Ich möchte jedem, der heute Abend hier ist, einige ernste Fragen vorlegen. Als was steht der Herr jetzt, da Er im Himmel ist, vor deiner Seele? In welchem Verhältnis stehst du zu Ihm? Hast du bloß die Hoffnung, auch einmal dorthin zu gelangen? Das ist die Hoffnung jedes Gläubigen, und sie ist kostbar und sicher zugleich. Ja, mehr als das: Wir werden für immer dort bei Ihm sein! Aber hast du nichts anderes als diese Hoffnung? Hast du nicht jetzt schon etwas für dein Herz? Ist da nicht eine Kraft, die uns schon jetzt mit Ihm droben innig verbindet?
Das ist es, was der Herr den Seinen hier mitteilen will. Er möchte nicht, dass wir nur den Tag der Herrlichkeit herbeisehnen. Er wünscht, dass unsere Herzen diesen Genuss schon jetzt haben. Er wünscht, dass wir uns schon jetzt die damit verbundene Kraft und Freude zu eigen machen. Er möchte uns schon jetzt als solche durch die Welt führen, die nicht nur Empfangende, sondern Gebende sind, und zwar entsprechend der ganzen Barmherzigkeit Gottes. Alle jene Gläubigen, die in ihrer tiefsten Not zu Ihm gekommen sind, die getrunken haben, wo sie vorher nichts als Dürre und Mangel kannten, sie merken, dass Er sie, obwohl Er nicht mehr auf der Erde weilt, doch unendlich viel reicher zurückgelassen hat, als es Menschen ausdenken können, mögen die äußeren Umstände noch so schwierig und traurig sein.
So steht also diese Schriftstelle klar im Gegensatz zu allem, was andere Gläubige und Propheten vorher wussten und für die Erde erwarteten. Wie deutlich ist der Unterschied zu den Zeiten des Alten Testamentes!
Nimm die Sehnsucht der Herzen in den Psalmen, prüfe die Prophezeiungen Jeremias, Hesekiels oder anderer, findet man so etwas bei ihnen? Und warum nicht? Nicht, weil sie nicht reich gesegnet waren, nicht weil Gott ihnen keine Ehre erwiesen hätte. Einige von ihnen waren sogar Werkzeuge der göttlichen Inspiration. Wenn man jedoch bei all dem ihre tatsächlichen Erfahrungen betrachtet, so findet man, dass diese Heiligen trotz der Sicht auf eine gesegnete Zukunft für die Gegenwart keine solche Kraft zur Anbetung und zum Dienst besaßen.
Damit will ich nicht sagen, dass ein Christ heute nicht sogar noch tiefere Schmerzen fühlen kann als sogar Jeremia und Hesekiel. Christus, der große Mann der Schmerzen, versagt uns nicht, darin Gemeinschaft mit Ihm zu haben. Ja, wir wünschen eine solche Gemeinschaft mit Ihm in seinen Versuchungen, soweit unsere schwachen Herzen sie zu tragen vermögen. Jedenfalls ist eines sicher, nämlich dass unsere innigste Freude und Gemeinschaft mit Christus immer Hand in Hand damit geht, dass wir je länger je mehr als Böse aus der Welt hinausgeworfen werden, dass wir sogar noch bitterer als jene Gläubigen des Alten Testamentes von der Welt geschmäht und verachtet werden. Nichts, was einem Juden angetan wurde, kann mit dem verglichen werden, was ein wahrer Christ durchzumachen hat. Es ist sehr schmerzlich, dass zu erleben. Doch je tiefer man in die wahre Stellung eines Christen eindringt: Das ist keine andere als die Stellung des Herrn Jesus selbst. Denn alles Christentum besteht gerade darin, dass der Heilige Geist uns mit Christus verbindet und einsmacht, dass man also, je mehr man von Herzen die Stellung in Christus und mit Christus teilt, um so entschiedener von der
Welt dafür verachtet wird. Doch zugleich: welche Herrlichkeit, welche Freude, welch ein Segen!
Woran liegt es jedoch, dass Christen so oft am Boden liegen? Ich denke jetzt nicht in erster Linie an das Ermattetsein durch die Mühen, Sorgen und Kümmernisse des Weges, sondern an den gedrückten und niedrigen Zustand der Herzen vor Gott und die kümmerlichen Gedanken über den Herrn Jesus. Ich denke daran, wie oft Gläubige ihre Verbindung mit dem Himmel vergessen. Woher kommen die Schatten, die Wolken, der Mangel an frischer, voller Freude an Ihm, dem sie doch angehören? Es liegt gerade daran, dass sie nicht in der Kraft des Geistes auf den Herrn droben im Himmel blicken, und dass sie als Folge davon auch nicht die Welt als eine Wüste betrachten, obwohl sie vielleicht etwas von den Strömen lebendigen Wassers sagen können. Sie vergessen das, was der Herr Jesus Ihnen geschenkt hat. Sie schauen auf die Erde als einen begehrenswerten Ort.
Weshalb sollte auch Christus nicht schon hier auf der Erde erhöht sein? Warum sollten wir nicht, Er und wir mit Ihm, schon jetzt und hier einen ehrenvollen Platz einnehmen? Aber nein! Seine Stunde ist noch nicht gekommen, und deshalb auch die unsere nicht, denn wir sind eins mit Ihm. Des Menschen Stunde bedeutete für Ihn Hohn, Verwerfung und Tod. Das war sein Platz. Auch unser Platz ist es, hier nichts zu werden. Das war das Los Christi auf der Erde. Gibt es irgendwo in der Welt etwas Besseres, etwas, was sich mit dem, was Christus selbst auf der Erde hatte, vergleichen lässt? Er wusste, was das war, wie niemand anders es je kosten kann. Doch wir haben durch seine Gnade das Vorrecht, Ihm wenigstens anzuhangen und so die Kostbarkeit dieser Stellung in unserem geringen Maße schätzen zu lernen.
Denn das scheint es ja gerade zu sein, wozu der Heilige Geist geschenkt worden ist. Beachten wir in diesem Zusammenhang den Ausdruck „Ströme lebendigen Wassers“. Die Kraft des Heiligen Geistes erfüllt das Herz mit jener Herrlichkeit, in die Christus eingegangen ist. Und was passt besser zur Wüste, wenn sie sich in ihrer ganzen Dürre zeigt? Wo die Seele nichts findet als totvöllige Unfruchtbarkeit, wo man bei Geschöpfen vergeblich nach einer Quelle Ausschau hält, wo es keinen grünen Platz gibt zur Erfrischung des Auges, keine Palme, unter der man ausruhen kann?
Wenn dieses Empfinden völliger Öde das Herz ergriffen hat, dann bewirkt das eine gottgemäße innere Zubereitung und Kräftigung. Ich frage: Wenn wir in Johannes 4 den Heiligen Geist als die Kraft haben, die die Seele mit dem Vater und dem Sohn in Verbindung bringt und sie so zur Anbetung stimmt, worin besteht dann der neue Segen, der uns hier verheißen wird? Ohne Zweifel steht er mehr in Verbindung mit dem Dienst des Gläubigen als mit seiner Anbetung. „Aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Das ist ein Hinweis auf das, was im Überfluss ausströmt. Sicher setzt es aber voraus, dass der Gläubige durch die Gnade der Wüste, durch die er pilgert, absolut überlegen ist. In unseren Herzen ist dann eine ganz neue Kraft, um anderen etwas mitzuteilen durch den Geist, der uns mit Ihm erfüllt, der selbst in die Ruhe eingegangen ist und so unseren Herzen Ruhe schenkt, indem Er uns den Himmel zu einer ganz nahen Heimat macht, zu der wir durch die Gnade Zutritt haben, weil Christus jetzt schon dort ist.
So verbindet der Heilige Geist schon jetzt den Gläubigen ganz innig mit dem Herrn Jesus. Dadurch wird alles, was die Welt zu bieten hat, zu leerem Tand. Auf der anderen Seite werden wir uns all der Reichtümer bewusst, die das Herz des Menschen nie erdenken könnte. Wenn sie wirklich unser täglicher Besitz sind, wissen wir aber auch, dass sie ausschließlich die Frucht der Gnade des Heilandes sind.
Was wir hier in dieser Schriftstelle haben, ist nicht so sehr der Geist des Sohnes, der uns in den Genuss seiner eigenen Person und Gnade und in den Genuss der Liebe des Vaters einführt, sondern mehr die Kraft des Heiligen Geistes, die durch jenen Menschen mitgeteilt wird, der in Gottes Herrlichkeit erhöht worden ist, und der nun unseren Seelen das lebendige Bewusstsein seiner Herrlichkeit verleiht, die wir jetzt in Ihm auch als unser Teil genießen dürfen, so dass wir bis zum Überfließen damit erfüllt werden und anderen hier schon aus seinem Reichtum weitergeben dürfen.
Das erinnert uns ein wenig an den Unterschied zwischen dem „heiligen Priestertum“ und dem „königlichen Priestertum“ in 1. Petrus 2, wenn dies auch ein etwas anderes Thema ist. Ich möchte es nur kurz erwähnen, um den vor uns liegenden Zusammenhang verständlicher zu machen. Der Apostel Petrus bringt an dieser Stelle zum Ausdruck, dass wir mit diesem doppelten Priestertum bekleidet sind. Ganz gewiss ist dies keine nutzlose Wiederholung. Es ist auch keine leere Anhäufung schönklingender Worte, sondern eine bestimmte und deutliche Aussage über unsere Stellung in der Gegenwart Gottes.
Was ist nun unsere Aufgabe als „heiliges Priestertum“? Sie besteht darin, geistliche Schlachtopfer darzubringen. So geweiht, naht man Gott, und deshalb hören wir hier von Opfern, die Ihm dargebracht werden. Andererseits wird aber auch von uns gesagt, dass wir ein „königliches Priestertum“ sind. Dessen Aufgabe ist nicht mehr die Darbringung von Lob und Dank, sondern das Verkündigen der Tugenden (Vortrefflichkeiten) dessen, der uns berufen hat aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht. Das eine findet also darin seinen Ausdruck, dass wir dem Herrn Lob und Dank bringen, das andere darin, dass wir seinen unermesslichen Wert Menschen vorstellen. Er hat in göttlicher Weise, wie nur Er es kann, mit uns gehandelt. Jeder Christ sollte sich dieser seiner Würde in der Welt immer bewusst sein. Irdische Ehre zu suchen, ist eines Christen unwürdig.
Ohne Zweifel sind die meisten von uns dazu berufen, auf ihrem Weg durch die Welt für sich selbst und ihre Familie ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und es ist gut, dass das so ist, denn die wenigsten von uns könnten es ertragen, wenn sie nicht in dieser Weise beschäftigt wären. Es ist ja auch kein Grund vorhanden, weshalb wir nicht auf diesem Weg dem Herrn von Herzen dienen könnten. Aber der Gläubige übt seinen irdischen Beruf nur aus, um sein tägliches Brot zu verdienen, für nichts weiter. Sobald er dieser Tätigkeit die Würde einer Berufung gibt und sie als ein Mittel betrachtet, in dieser Welt Ehre zu erwerben, verliert sein Zeugnis für den erhöhten Christus seine wahre Kraft.
Ich gebe zu, dass Gott in seiner Gnade jemanden zu etwas berufen kann, das unter Menschen hoch angesehen wird. Man hat Männer gekannt, die Gott so berufen hat, während sie noch in einer Arbeit standen, die allgemeine Achtung genießt. Man hat gesehen, wie Männer in solcher Stellung große Einfachheit an den Tag legten.
Ich sage also nicht, dass es verkehrt ist, einen Beruf zu haben. Ich möchte nur, dass wir die himmlische Herrlichkeit des Herrn Jesus dazu benutzen, alles, was in der Welt getan wird, an seinen rechten Platz zu stellen. Wir können nicht genug vor der Eitelkeit des Menschen in diesen Dingen warnen, vor dem Verlangen und Begehren nach irdischen Auszeichnungen. Wir sind in Gefahr die Dinge danach einzuschätzen, was sie für uns selbst und für unsere Familie bedeuten, und in unserem Denken und Fühlen fortgerissen zu werden von der Art, wie die Welt darüber denkt.
Die Stunde des Herrn ist noch nicht gekommen, und damit auch die unsere nicht. Wenn wir Ihm angehören, was haben wir dann mit dem geringsten Fetzen weltlicher Herrlichkeit zu tun? Du kannst sicher sein, dass das jetzt für ein Kind Gottes nichts als eine Unehre und ein Flecken ist. Es kommt wenig darauf an, wie die Welt es einschätzt. Warum sollten wir etwas von ihr begehren? Alles ist doch unser! Werden wir nicht die Welt, ja, sogar Engel richten? Wie oft tragen diese weltlichen Ziele den Stempel ihrer Nichtigkeit und Wertlosigkeit an sich! Die Welt selbst sagt: Das Beste ist die Jagd, nicht das Wildbret. Wer wüsste nicht, dass manchen Leuten ein kleiner Orden die Mühe eines ganzen Lebens wert ist? Was tut nicht sogar ein reicher und adeliger Mann für einen „Hosenbandorden“!
Es sei mir gestattet, darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es für einen Christen ist, vor dem Geist der Welt auf der Hut zu sein und auf den Herrn Jesus droben zu blicken, wenn er für sich und seine Familie zu arbeiten hat. Natürlich versetzt wahres Christentum nicht alle Gläubigen auf ein gleiches, einförmiges Beschäftigungsniveau. Es wäre auch kein Glaube, alle Umstände, in die man berufen Ist, außer Acht zu lassen, vorausgesetzt, dass man Gott dabei auf seiner Seite haben kann. Es wäre auch verfehlt, eine Arbeit anzunehmen, für die man sich gar nicht eignet. Das wäre nicht Glaube, sondern Torheit. Alle diese Gesichtspunkte sind zu beachten. Doch ich dringe darauf, dass wir bei unserer täglichen Arbeit – ob wir nun Schuhmacher sind oder Büroangestellter – nur einen Beweggrund gelten lassen, nämlich dass wir alle Arbeit für den Herrn tun. Wenn wir uns völlig klar ist, dass wir seinen Willen tun, dann können wir das eine oder das andere von ganzem Herzen und mit gutem Gewissen tun. Für einen Christen ist es verderblich zu vergessen, dass wir hier sind, um den Willen des Herrn zu tun und Zeugen für den verworfenen und droben verherrlichten Christus zu sein.
Was ist dagegen der größte Wunsch der Welt? Vorwärts zu kommen, etwas Großes zu tun! Was wir heute fertigbringen, ist die Schwelle zu etwas noch Größerem morgen. Das alles ist eine völlige Verleugnung der wahren Stellung eines Christen und beweist, dass sein Herz ihn zum Treiben der Welt hinzieht. Es mag für einen Menschen ganz natürlich sein, danach zu trachten, in der Welt vorwärts zu kommen. Aber, liebe Geschwister, wo bleibt unsere Treue Christus gegenüber? Ist es so, dass man zu guter Letzt doch den ersten Adam dem Herrn Jesus vorzieht? Alles läuft auf die Frage hinaus: Schätze ich den ersten oder den zweiten Adam höher? Wenn mein Herz dem zweiten Menschen gehört, sollte sich das dann nicht in allem, was ich täglich tue, zeigen? Ist die Ehre Christi bloß für den Sonntag? Das wäre gewiss keine Treue Ihm gegenüber.
Hat Gott durch Gnade seinen Sohn in dir offenbart, während du eine Stellung bekleidest, die in der Welt nicht viel gilt und dir keine Ehre einbringt, so bleibe dabei. Welch eine herrliche Gelegenheit, um deinen Glauben zu beweisen, indem du den verherrlichten Christus zum Prüfstein dafür machst, ob du auf diesem Weg Gott auf deiner Seite haben kannst! Ich möchte dir nicht nahelegen, dass du diesem oder jenem Menschen folgst, sondern dass du das Wort Gottes erforschst, um zu sehen, inwieweit du an deinem Platz Christus als den, der Er ist, verherrlichen kannst. Sollten wir nicht sein Brief gekannt und gelesen von allen Menschen?
Das ist der Weg, wie Ströme lebendigen Wassers aus unserem Leib fließen. Und glaube mir: Es ist nichts von Christus zu sehen, wenn wir an dem Unseren festhalten, wenn wir unsere Rechte und unsere Würde behaupten wollen, auch wenn wir noch so sehr in den Augen der Welt dazu berechtigt wären, die ja heute jede Autorität von sich weist und sich empört, wenn ihre Freiheiten angetastet werden. Natürlich ist aber auch in einem sozial niedrig gestellten Menschen nichts von Christus zu sehen, wenn er jede Gelegenheit wahrnimmt, um in dem, was er in dieser Welt begehrenswert findet, vorwärtszukommen. Ob du hochgestellt oder niedrig bist (wie Menschen es nennen), du hast immer Gelegenheit, zu beweisen, was du von Christus denkst. Mag die Prüfung sein, wie sie will, es kostet nur ein kleines Opfer, in dem es sich zeigt, was Christus uns wert ist.
Es gibt für unseren Weg keine andere Richtschnur als das Wort Gottes. Unsere eigene Weisheit ist in solchen Dingen unnütz und töricht; es geht ausschließlich um den Willen Gottes. Darauf kommt alles an. Für unser Gewissen als Christen läuft alles darauf hinaus, dass jeder von uns, ganz gleich, was unsere gesellschaftliche Stellung ist, Gelegenheit hat, seinen Willen zu tun, sein Diener zu sein und darin zu zeigen, dass er Ihn unendlich viel höher schätzt als die Welt. Meine Segnung besteht darin, dass ich, ganz gleich, was der Herr mir zu tun gibt, damit zufrieden bin. Er allein kann recht beurteilen, ob meine Umstände zu seiner Ehre und zu meinem Besten sind. Mein Teil ist es, sie einfach als eine Gelegenheit zu betrachten, worin ich seine Tugenden zeigen kann, indem ich gerade das am meisten schätze, was die Welt hasst.
Was meine Tätigkeit angeht, so wiederhole ich: Sie sei in den Augen der Welt hochangesehen oder niedrig, sie sollte in meinen Augen nichts anderes als ein Broterwerb sein. Zweifellos hört die Welt so etwas nicht gern. Was, einen ehrenvollen Beruf nur als Broterwerb ausüben? Ja, so ist es. Ein gekreuzigter Heiland macht mit der Welt und allem, was in ihr ist, kurzen Prozess. Ein Beispiel: Ich arbeite als Schuhmacher. Ist es nun mein Ziel, der erste und größte Schuhmacher im Land zu sein? Oder angenommen, ich bin Arzt, trachte ich danach, die größte Praxis in der Stadt zu haben?
Kommt in solchen Wünschen irgendetwas von Christus zum Ausdruck? Heißt das praktisch den verherrlichten Herrn anerkennen? Nehme ich wirklich meine Arbeit aus seiner Hand? Tu ich sie für Ihn? Etwas, was tatsächlich der Herr uns aufgetragen hat, wollen wir doch aus Liebe zu Ihm so gut wie möglich tun. Der Gedanke liegt mir völlig fern, dass Christen es als eine Tugend ansehen sollten, ihre Arbeit nachlässig und mangelhaft zu tun. Sicher geziemt es sich für niemanden, ganz besonders aber nicht für einen Christen, schlampig zu sein. Für den Glauben kommt es darauf an, dass wir alles, was wir tun, sei es groß oder klein, für Ihn tun.
So beweisen wir also selbst bei unserer täglichen Arbeit, dass wir nicht für uns selbst oder für die Welt leben, sondern für Ihn, der gestorben und auferstanden ist. Und in alledem wird ganz gewiss die Kraft des Heiligen Geistes mit uns sein. Welch ein kostbares Zeugnis ist das inmitten dieser verweslichen Dinge, durch die die Welt gekennzeichnet wird. Dieses Zeugnis wird nicht vergeblich sein. Wir durchwandern ein fremdes Land, unsere Heimat ist bei Christus. Wir stehen da, wohin der Herr uns für die Gegenwart berufen und gestellt hat. Hier bleiben wir, solange Er uns bittet, für Ihn tätig zu sein. Auf sein Geheiß pilgern wir weiter, auf sein Geheiß bleiben wir, wo wir sind.
So stehen wir Ihm zur Verfügung. Wir sind in einer Wüste, aber anstatt nur aus einem Felsen außerhalb von uns zu trinken, haben wir eine Quelle in uns, aus der Ströme lebendigen Wassers fließen. Es ist die Freude des Herrn Jesus selbst, die sich hier unten durch uns und in uns vervielfältigt – die Kraft des Heiligen Geistes, die uns schon jetzt unsere Wonne in Ihm, der droben ist, finden lässt. Wir haben das überwältigende Bewusstsein, dass wir jetzt Ihm, der droben ist, angehören. All die Herrlichkeit der Welt empfinden wir als minderwertig, als einen irreführenden Rausch, mit dem der Teufel eine dem Gericht verfallene Welt unterhalten will.
Liebe Geschwister, ich möchte Euch fragen, ob und inwieweit ihr das und nur das sucht. Ich stelle diese Frage auch mir selbst. Ich erflehe die Gnade Gottes, dass kein Teil der Wahrheit, die Er uns vorstellt, in Worte unfruchtbarer Erkenntnis ausartet. Verzeiht mir, wenn ich fühle, dass niemand sich so vor dieser Gefahr hüten muss wie gerade wir. Die Barmherzigkeit Gottes hat seine Kinder aufgerüttelt, hat sie zur Wahrheit gerufen, oder besser, zurückgerufen, ja noch mehr, zu dem einst den Vätern überlieferten Glauben. Das ist ein unermesslicher Segen, aber Hand in Hand damit geht auch die Verantwortung und die Gefahr. Wer ist am meisten der Gefahr ausgesetzt, die Wahrheit wieder zu verlieren und zu erbitterten Feinden zu werden? Gerade die, die solche Wahrheiten erkannt haben und dann aufhören, darin zu leben, außer wenn Christus und nicht das eigene Ich vor der Seele steht? Ersetze Ihn durch irgendeinen Gedanken an unsere eigene Ehre oder Bequemlichkeit, und alles wird befleckt, in seiner Quelle verunreinigt. Nur der Herr weiß, was das Ende solcher Torheit ist.
Gott sei Dank für seine Gnade, die sich unser angenommen hat, als in uns kein einziges Verlangen nach Ihm vorhanden war, und die uns trotz all unserer Armseligkeit erhalten hat. Er allein kann eingreifen und uns vor dem Endresultat unserer Herzenshärte bewahren. Dieser hochgelobte Gott, der Christus vor sich hat und der in uns nichts anderes als seine Verherrlichung sucht, lässt unserer sittlichen Verantwortung gleichzeitig genügend Spielraum zum Beweis dafür, was der Unglaube sogar bei einem Gläubigen anrichten kann. Aber Er kann und wird wiederherstellen. Möchten wir uns auf seine Gnade stützen, die uns zu erhalten als auch wiederherzustellen vermag. Möchten wir aber auch Dinge und Personen so beurteilen, wie Er sie beurteilt, und alles, was sein Wort missachtet, schonungslos verurteilen, alles, was die Gnade dazu missbraucht, um die Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus zu verleugnen!
Möge der Herr uns demütig machen und erhalten! Er schenke uns, dass wir Ihn so in seiner Herrlichkeit sehen, dass wir sehen, wie alles, was in der Welt ist, dem Gericht der Ernte und der Weinlese verfallen ist! In der Zwischenzeit ist – vor jener Stunde des Gerichts – seine Verherrlichung und die Gabe des Heiligen Geistes die Grundlage unserer Freude. Wir wissen den Herrn Jesus schon jetzt in der Herrlichkeit des Himmels. Er hat uns den Heiligen Geist herabgesandt, damit auch wir schon jetzt in den praktischen Genuss und die Kraft dieser Herrlichkeit kommen. Möchten wir Gefäße für sein Zeugnis ein! Vielleicht müssen die Gefäße zerbrochen werden, damit diese Ströme besser fließen können. Wie groß ist all das! Wir dürfen Kanäle für die Ströme lebendigen Wassers zum Preis seiner Gnade und seiner Herrlichkeit sein.