Schriften von William Kelly
Die Lehre des Neuen Testamentes über den Heiligen Geist anhand von Johannes 3,4 und 7
Joh 3,5 - Wiedergeburt und ewiges LebenJoh 3,5 - Wiedergeburt und ewiges Leben
Im Verlauf dieser Vorträge werden wir anhand des Wortes Gottes auf die mancherlei Wirkungen des Heiligen Geistes zu sprechen kommen, die vor dem Tod und der Auferstehung des Herrn Jesus unbekannt waren und die allein für die christliche Zeitperiode charakteristisch sind. Ich freue mich aber nun, heute Abend mit dem anfangen zu dürfen, was allen Gnadenwegen Gottes mit den Seinigen zu allen Zeiten gemeinsam ist. Mit anderen Worten, wir werden uns jetzt mit den Grundsätzen beschäftigen, die nicht nur für eine besondere Zeit gelten. Natürlich gibt es in einer verlorenen Welt, in der die Gnade erwählt und errettet, Unterschiede bei den Seelen im Blick auf die Erkenntnis Gottes selbst. Aber die Wahrheiten, von denen wir jetzt reden, zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie unter besonderen Umständen und zu einer besonderen Zeit in Gottes Wegen mit den Menschen offenbart und von ihnen genossen worden sind. Im Gegenteil, es sind ganz allgemeine Grundsätze für alle Kinder Gottes; sie galten schon in den allerfrühesten Tagen, als die Sünde in die Welt kam, und sie sind nie aufgehoben worden und werden es auch nicht, bis die letzte Spur von Sünde für immer verschwunden ist.
Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht; und nun handelt es sich für jeden Menschen, der aus seinem Zustand des Verlorenseins herausgeführt wird, um die eine fundamentale Notwendigkeit der Wiedergeburt. Es war von jeher Gottes Wunsch, sich zu offenbaren. Das mochte nur teilweise geschehen, aber es geschah doch vielfältig und auf mancherlei Weise, wie wir in Hebräer 1 lesen. Wenn also auch das Maß und die Art dieser Offenbarung verschieden waren, so hat Gott in seiner unumschränkten Gnade doch immer in Menschen gewirkt und denen, die hier glauben, von seiner eigenen Natur gegeben; das ist die Bedeutung des Ausdrucks „Wiedergeburt“.
Niemals war es so nötig wie heute, nicht nur darauf zu bestehen, was außergewöhnlich ist, sondern auch an dem festzuhalten, was in dem eben beschriebenen Sinn allgemein ist. Lasst uns also bei dem bleiben, was sich nie ändert, und doch gleichzeitig genügend Raum für alles lassen, was Gott in seiner Weisheit darreicht, um zu erweitern, zu ergänzen, zu vertiefen und zu erleuchten, und zwar in jeder nur möglichen Form. Zweifellos gibt es in den Wegen, wie Gott sich kundtut, Fortschritte, jedenfalls bis Christus erschien und sein Werk vollbracht war. Ich rede nicht von einem Fortschritt seit dieser Zeit, sondern von der zunehmenden Entfaltung des Wortes Gottes von Anfang an, in einer immer weiteren Entfaltung seiner göttlichen Wege bis zu der Zeit, in der Er sich selbst, nicht nur seine Wege, völlig offenbarte.
Dieser große Segen wird also während des ganzen Ablaufs der verschiedenen Haushaltungen Gottes von Menschen genossen. Der Grund dafür ist klar: Da ist auf der einen Seite ein Gott der Güte und Gnade, auf der anderen Seite der verlorene Mensch. „Mein Vater wirkt bis jetzt“ (Joh 5,17), sagt der Sohn, während auch Er selbst in Gnade wirkt. Das menschliche Gewissen mag gewisse Vorstellungen von Gott und seinem gerechten Gericht vermitteln, aber der Mensch kommt niemals über die Folgerung hinaus, dass es einen Gott geben muss. Gott selbst lässt sich auf diesem Weg nie erkennen, denn der menschliche Verstand ist unfähig, Gott zu finden.
Ja, tatsächlich sind gerade der Fall und der Ruin des Menschen die Ursache für diese seine Verstandesbemühungen. Er argumentiert über Gott, weil er Gott verloren hat, und alles, was seine Vernunft mit aller Mühe entdecken kann, ist nicht das, was wirklich ist, sondern das, was sein muss, wenn diese oder jene Vorbedingung erfüllt ist.
Für ein schuldbeladenes Gewissen aber ist ein Gott, der da sein muss, ein Schrecken; denn solch ein Gott muss für den Sünder, ein Richter sein. Und wenn Gott der Richter der Sünde und des Sünders ist, was ist dann das Los des Sünders? „Wenn der Gerechte mit Not errettet wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen?“ (1Pet 4,18). Bei alledem hat Gott nun aber nicht nur eine Offenbarung gegeben, nicht nur Verheißungen geschenkt, nicht nur klare prophetische Linien für das, was Er zu erfüllen beabsichtigt, hinterlassen –, das hat Er von jeher getan. Und gerade heute ist es von großer Bedeutung, zu verstehen, dass nicht nur Seelen durch Glauben zu Gott hingelenkt werden, sondern dass Gott weit mehr als das tut und von jeher getan hat.
Ich gehe davon aus, dass ich niemand von meinen Zuhörern hier sagen muss, was dieser Glaube wirklich ist, der uns mit Gott in Verbindung bringt. Ich spreche jetzt auch nicht von der wohlbekannten Tatsache, dass Gott seinen Heiligen Geist herniedergesandt hat. Was ich meine, ist dies: Es gab immer Glauben, aber es gab auch immer mehr als Glauben. Die Ansicht, dass es nur darum geht, dass Menschen auf Gott blicken, ist unvollkommen, ja sogar irreführend. Es ist wohl wahr, und doch ist es nur ein Teil der Wahrheit. Außer einem Glaubensblick des Menschen, außer dem Erfassen des Wortes Gottes in der Kraft des Heiligen Geistes gibt es kein geistliches Leben.
Und zwar hat es das immer gegeben; denn das ist die unerlässliche Vorbedingung für jeglichen Umgang mit Gott. Sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart wird jedem Glaubenden eine völlig neue Natur geschenkt.
Es handelt sich also nicht nur um den Glauben, sondern um ein neues Leben. Der Glaube ist natürlich das einzige Mittel, wodurch diese neue Natur einem Menschen mitgeteilt werden kann, und der Mensch kann auch nur durch Glauben Gewissheit darüber erlangen, dass er aus Gott geboren ist. Für das Auge und das Herz anderer mag es andere Beweise dafür geben. Gott will aber jedem, der dieses neue Leben besitzt, gerade und ausschließlich durch Glauben die Gewissheit darüber geben, dass er aus Gott geboren ist.
Nun wurde diese Wahrheit und unbedingte Notwendigkeit der Wiedergeburt vor der Zeit Christi offensichtlich doch nur schwach verstanden, obwohl sie für alle Gläubigen zu allen Zeiten galt, ja, genau gesagt, wurde sie in alttestamentlichen Zeiten eher nur angedeutet als ausdrücklich gelehrt. Wir finden sie in Vorbildern, und sie kommt dort auch im Leben der Gläubigen zum Ausdruck. Doch nirgendwo findet sich eine ausdrückliche Erwähnung der Wiedergeburt, außer in der Form eines verheißenen Vorrechts. Daher war Nikodemus, aufmerksam gemacht durch das, was er gesehen hatte und zugleich erfüllt von einem tieferen Verlangen seiner Seele, ganz erstaunt und verwirrt, als er vom Herrn Jesus ganz unmissverständlich darauf hingewiesen wurde: „Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“
Die Juden hatten sich mit der Überzeugung zufriedengegeben, dass ihr Messias alles für sie tun könnte und tun werde, und in gewissem Sinn hatten sie damit recht. Als Er kam, erwarteten sogar die Samariter, dass der Messias ihnen alles zeigen und sie über alles belehren würde; und die Juden wussten, dass es sich nicht allein um Belehrungen handeln würde, sondern dass Er auch alles für sie ausführen würde. Er würde „eine ewige Gerechtigkeit einführen, Gericht und Prophezeiung versiegeln, ein Allerheiligstes salben, die Ungerechtigkeit sühnen“ (Dan 9,24), – kurz, alles für sie tun.
Wie das alles geschehen würde, davon verstanden sie wenig. Doch jeder Jude hatte – ausgenommen die Ungläubigen unter ihnen – die unbestimmte, aber feste Überzeugung, dass das Kommen des Messias der große Wendepunkt der Weltgeschichte sein würde und der Anbruch der längst verheißenen Segenszeit für Israel. Deshalb war es für einen Juden wie Nikodemus so überraschend, von Ihm, der nun in ihrer Mitte stand, den Johannes der Täufer als den Messias angekündigt hatte und der doch jedenfalls durch seine Wunder bewiesen hatte, dass Er wirklich ein von Gott gesandter Lehrer war, eine derart ernste und einschneidende Erklärung zu hören.
Er gebietet Nikodemus schon nach seinen allerersten Worten gleichsam Einhalt und stellt ihn ganz scharf vor eine Notwendigkeit, die er vorher nie gesehen hatte und die noch dazu so allumfassend ist, dass sie für Juden ebenso besteht wie für Heiden: „Es sei denn, dass jemand ...“ Eine Ausnahme kommt nicht in Frage, eine Befreiung von dieser Notwendigkeit gibt es auch für die auserwählte Familie Abrahams nicht. Es ist die göttliche Forderung für die Nahen und für die Fernen. „Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“
Was dann folgte, wissen wir: Nikodemus richtete eine sehr törichte Frage an den Herrn: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er etwa zum zweiten Mal in den Leib seiner Mutter eingehen und geboren werden?“ Diese Frage beweist jedenfalls, dass „von oben geboren werden“ durchaus nicht der Sinn des Verses ist. Wenn der Herr Jesus Nikodemus Anlass zu dieser Auffassung gegeben hätte, hätte Nikodemus niemals eine solche Frage stellen können. Nein, er meinte „von neuem“ geboren werden, sozusagen ganz von vorn, von einem völlig neuen Anfang aus. Es handelt sich hier offenbar um einen Ausdruck, wie er stärker gar nicht möglich ist, wenigstens kenne ich in der ganzen Schrift keinen kraftvolleren. Der Herr Jesus sagt dann weiter – und darüber möchte ich heute Abend ein wenig sprechen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand aus Wasser und Geist geboren werde, so kann er nicht in das Reich Gottes eingehen.“ Wer das Reich sieht, geht in das Reich ein. Aber ohne die Wiedergeburt gibt es weder ein Sehen noch ein Eingehen.
Worum geht es nun bei der Wiedergeburt, woher kommt sie und was ist sie eigentlich? Unser Herr erklärt es hier. Wie Er es in diesem Evangelium bei allen seinen Reden an die Juden tut, so benutzt Er auch hier ein Bild. Im vorhergehenden Kapitel, wo es sich um den Tempel handelte, nahm Er den Tempel als ein Bild für seinen eigenen Leib, für sich selbst. Im folgenden Kapitel greift Er die Bedürfnisse der samaritischen Frau auf, und eine Wasserquelle wird zum Bild für diese unermessliche Segnung, auf die wir noch zu sprechen kommen. So könnte ich durch dieses ganze Evangelium hindurch zeigen, wie der Herr an wohlbekannte, alltägliche Dinge anknüpft und durch solche Bilder seine Zuhörer in Erstaunen setzt und ihre Aufmerksamkeit weckt.
Niemals ist es der Zweck eines Bildes, den wahren Sinn zu verdunkeln, weder in der Heiligen Schrift noch in anderen glaubwürdigen Schriften. Nein, der wahre Zweck eines Bildes ist immer, eine Wahrheit, die sonst vieler Worte bedurft hätte, in einem einzigen Wort zusammenzufassen, so dass ein Wort – wenn ich so sagen darf – zum Wortbild einer Wahrheit wird, durch das das Licht Gottes leuchtet. Ohne Zweifel ist das hier so. Schon die alttestamentlichen Propheten benutzten solche bildhaften Ausdrücke, und zwar gerade auch in Verbindung mit der Segnung, von der der Herr hier redet. Das war es auch, was dem Herrn Jesus hier Gelegenheit gab, Nikodemus, der doch ein Lehrer Israels war, eine Zurechtweisung zu erteilen, von der er selbst empfinden musste, dass er sie verdient hatte. Der Ausdruck „der Lehrer Israels“ betont lediglich seine Stellung als Gelehrter im Gegensatz zum Volk.
Der Herr bezieht sich also stillschweigend auf gewisse Stellen im Alten Testament, durch die Nikodemus den Sinn seiner Worte hätte verstehen können. Da ist zum Beispiel Jesaja 44,3. Hatte Gott da nicht versprochen, Wasser „auf das Durstende und Bäche auf das Trockene“ zu gießen? Hatte Er nicht versprochen, seinen Geist auf die Nachkommen Jakobs auszugießen? Hatte Er nicht in Hesekiel 36,25-27 noch deutlicher erklärt, dass Er nach der Rückführung Israels in ihr Land ihr steinernes Herz aus ihrem Fleisch wegnehmen und ihnen ein fleischernes Herz geben würde, dass Er reines Wasser auf sie sprengen und seinen Geist in ihr Inneres geben würde? Das sind genau die beiden Dinge, von denen der Herr hier spricht. Ganz klar bezieht Er sich hier auf diese alttestamentlichen Bilder.
Es handelte sich hier tatsächlich nicht um ein völlig neues Vorrecht, nein, in einer Weise, die seiner Würde und Herrlichkeit entsprach, bestand Er darauf, dass alle von neuem geboren werden müssen. Er zeigt zunächst den ganzen Umfang dieser Wahrheit, wie wir sie in den Schriften des Alten Testamentes finden, bringt sie dann aber auf ihr Vollmaß und bekleidet sie mit einer Kraft, die nur Ihm, dem Sohn Gottes eigen sein konnte, der jetzt als Lehrer auf der Erde war. Wie hätte Er auch, wenn Er lehrte, so wie andere lehren können? „Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch“ (Joh 7,46). Obwohl Er also über etwas sprach, was zumindest als Prophezeiung schon da war und was deshalb längst hätte bekannt sein sollen, so gab Er dem doch durch die Art und Weise, wie Er es Nikodemus vorstellte, eine ganz besondere Bedeutung und Tiefe. Es ging also nun nicht darum, „besprengt“ zu werden, ein „neues Herz“ oder einen „neuen Geist“ zu empfangen, sondern das Entscheidende war jetzt: „Es sei denn, dass jemand aus Wasser und Geist geboren werde“ – eine unvergleichlich wichtige, grundlegende und praktische Wahrheit.
Ich gebe gern zu, dass es andere Wahrheiten gibt, die geeigneter sind, unsere Zuneigungen zu wecken und sie an die Person des Heilandes zu fesseln und dadurch den inneren Menschen zu voller Freiheit, vollem Frieden, zu voller Freude und Kraft zu führen. Und doch hat keine Wahrheit so sehr den Charakter einer Grundlage, ausgenommen natürlich Christus selbst und sein Werk, in dem Gott selbst verherrlicht wurde, so dass Er nun in Gerechtigkeit segnen und armen Sündern seine eigene Natur mitteilen kann. In seiner eigenen göttlichen Vollkommenheit verwandelt der Herr hier gleichsam alles mit einem einzigen Wort. Wenn auch diese Wahrheit hier aus dem Alten Testament übernommen wird, so wird ihr doch durch Ihn jetzt eine solche Schönheit und eine solche göttliche Kraft verliehen, dass wir begreifen, wie wunderbar die Person dessen sein muss, der sie in solche Worte kleidet. „Es sei denn, dass jemand aus Wasser und Geist geboren werde
...“ Es handelt sich wirklich um eine ganz neue Natur, um etwas, was nicht aus dem Menschen, sondern aus Gott entspringt. Gott hat sein eigenes Reich, Er selbst ist der Mittelpunkt dieses Reiches, und Er erfüllt es mit der Person Christi, seines Sohnes. Niemand anderes als Er vermag diese göttliche Natur mitzuteilen. Was für eine andere Natur könnte je für dieses Reich passend sein? Es muss die göttliche Natur sein, und sie ist es auch. „Es sei denn, dass jemand aus Wasser und Geist geboren werde, so kann er nicht in das Reich Gottes eingehen.“ Damit kommen wir zum Sinn dieser Ausdrücke.
Ich habe bereits auf die Bedeutung der Worte „von neuem geboren“ hingewiesen. In Vers 5 wird dieser kurze Ausdruck aus Vers 3 weiter erläutert. Wenn wir also fragen, wodurch das Wesen dieser neuen Natur ist, so finden wir hier, dass sie „aus Wasser“ ist. Wasser wird in der ganzen Heiligen Schrift als ein Bild für das Wort Gottes benutzt, das in der Kraft des Heiligen Geistes auf Herz und Gewissen angewandt wird. Manchmal ist es auch ein Bild für den Heiligen Geist selbst in seiner eigenen Kraft, doch brauche ich hier wohl kaum auf den engen Zusammenhang dieser beiden Gedanken hinzuweisen.
Jedenfalls haben wir hier den Geist unterschieden vom Wasser, und das zeigt uns auch sogleich den Grund für diese Unterscheidung.
Das Wasser wird erwähnt, weil Gott unsere Aufmerksamkeit auf die Eigenart des Mittels lenken will, das Er benutzt, um auf Herz und Gewissen des Menschen einzuwirken. Im Anfang mag er sich dessen vielleicht nicht bewusst sein, dass es der Geist Gottes ist, der ihn seine Unreinheit fühlen lässt. Und doch, jedes Mal, wenn der Geist Gottes wirkt, muss und wird die Seele sich dessen bewusst werden, dass Gott sich mit ihr beschäftigt. Wo der Geist Gottes wirklich am Werk ist, wird der Betreffende das bestimmt merken, wenn er vielleicht auch überhaupt nicht versteht, dass es der Geist Gottes ist. Er fühlt deutlich, wie das Wort ihn verurteilt, ihn schuldig und als völlig unpassend für die Gegenwart Gottes erklärt. „Wasser“ ist also der Ausdruck für das Wort, wie es in moralischer Hinsicht auf die Seele einwirkt und den Menschen von seiner Unreinheit überführt und nicht nur reinigt. Das ist das Erste: Jemand bekommt eine neue Natur, die er vorher nicht besaß. Wir sehen also einmal die mehr äußere Seite, dann aber auch den inneren Charakter dieses göttlichen Wirkens: „Es sei denn, dass jemand aus Wasser und Geist geboren werde.“
Vielleicht ist es gut, hier einige Schriftstellen anzuführen, die auf verschiedene Art beweisen, dass dies zweifellos der Sinn dieser Stelle ist. Der Apostel Paulus zum Beispiel spricht im Titusbrief, Kapitel 3,5 davon, dass Gott uns errettet hat „durch die Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes“. Weiter will ich hier absichtlich nicht lesen, denn der nächste Vers enthält schon eine höhere Segnung als das, worüber der Herr hier in Johannes 3 spricht.
Jedenfalls sieht man eine sehr deutliche Beziehung zu unserer Stelle, selbst wenn man annimmt, dass die „Waschung der Wiedergeburt“ eine andere Anwendung des Wassers ist und ein anderes Bild. Und doch ist Wiedergeburt ein Ausdruck, der in offenbarem Einklang ist mit dem der Wahrheit, von der der Herr hier spricht und die Er Nikodemus klarmachen will.
Wenn wir in Jakobus 1,18 lesen: „Nach seinem eigenen Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt“, so finden wir auch da den Beginn eines Lebens, das vorher nicht vorhanden war. Gott hat uns nicht nur erleuchtet; Er hat uns nicht nur Gedanken, Anschauungen und Wahrheiten offenbart, nein, es ist eine ganz neue Art von Leben, eine ganz neue Natur, die die Seele vorher nie besaß. „Nach seinem eigenen Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt.“ Wir finden hier nicht nur die Zeugung vonseiten Gottes, sondern auch das „Wort der Wahrheit“ als Werkzeug, dessen sich Gott bedient. Das steht deutlich in Verbindung mit dem „aus Wasser geboren“ unseres Verses in Johannes 3.
In 1. Petrus 1,22 lesen wir: „Da ihr eure Seelen gereinigt habt durch den Gehorsam gegen die Wahrheit zur ungeheuchelten Bruderliebe, so liebt einander mit Inbrunst aus reinem Herzen, die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes.“ Die neue Geburt geschieht durch Gottes Wort.
Es ist wohl nicht nötig, weitere Stellen zu diesem Punkt zu zitieren, von dem ich annehmen darf, dass er den meisten hier gut bekannt ist.
Ich dachte aber doch, dass es richtig sei, genügend Stellen anzuführen, um zu zeigen, wie dieser Faden sich durch die Schriften zieht, die die letzten und vollsten Offenbarungen Gottes enthalten. Deshalb habe ich absichtlich Stellen aus Briefen verschiedener Apostel gewählt. Ganz gleich, ob der Brief an Juden oder Heiden gerichtet ist, ob Paulus, Petrus oder Jakobus ihn schrieben: die Wahrheit ist dieselbe. Auch ist es dieselbe Grund-Notwendigkeit für alle. Im Mund des Herrn Jesus fand diese Wahrheit aber erst ihren reichsten und vollständigsten Ausdruck, ihre bestimmteste und zugleich tiefste Form. Das scheint mir ohne jeden Zweifel die Bedeutung der göttlichen Mitteilung in Johannes 3,3.5 zu sein.
Hiermit steht eine andere sehr wichtige Wahrheit in Verbindung. Die neue Natur wird also durch das Wort Gottes und die Wirkung des Heiligen Geistes mitgeteilt und ist, wie wir gesehen haben, für den Eintritt in das Reich Gottes unerlässlich notwendig. Doch so, wie einerseits die alte Natur des Menschen niemals – wenn wir so sagen wollen – vergeistlicht werden kann, niemals so verändert oder verbessert werden kann, dass sie in der Lage wäre, die göttlichen Dinge zu erfassen, niemals durch irgendeinen geistlichen Prozess in eine göttliche Natur umgewandelt werden kann, so kann andererseits auch die neue Natur nicht schlechter werden. Sie wird niemals zu „Fleisch“ oder zur alten Natur des Menschen. Das sagt der Herr mit den Worten: „Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geist geboren ist, ist Geist.“ Was aus dem Geiste geboren ist, trägt den Charakter seines Ursprungs.
In diesem Wort wird uns der große, lebendige Handelnde vorgestellt, nicht nur das Werkzeug, dessen Er sich bedient. Ich halte das für sehr wichtig. Denn wenn hier nur das Wasser beziehungsweise das Wort erwähnt wäre, so hätte das die Tür für den Geist des Menschen offengelassen, der ja letzten Endes in dem Ausdruck „Fleisch“ inbegriffen ist, und menschliche Anmaßung hätte schließlich zu einem spitzfindigen Rationalismus geführt. Doch nichts davon: „Was aus dem Geist geboren ist, ist Geist.“ Ohne Zweifel benutzt Er das Wort Gottes; und doch wird der Mensch, wenn wir es ganz genau nehmen, nicht aus dem Wort geboren, ja, wohl durch das Wort, aber nicht daraus allein. Wenn wir die wirkliche, aktive Person suchen, den Urheber, so finden wir, dass es der Heilige Geist ist: „aus dem Geist geboren“, sagt der Herr. „Verwundere dich nicht“, sagt Er dann, „dass ich dir sagte: Ihr müsset von neuem geboren werden.“ Hier legt der Herr starken Nachdruck darauf, dass die Wiedergeburt nicht nur allgemein für alle Menschen, sondern für jeden einzelnen unbedingt notwendig ist: „Ihr müsset von neuem geboren werden“. Das veranlasst Nikodemus offenbar zu seiner nächsten Frage: „Wie kann dies geschehen?“ – „Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du bist der Lehrer Israels und weißt das nicht? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben, und unser Zeugnis nehmt ihr nicht an.“
Das ist unverkennbar ein Wort von außerordentlicher Bedeutung, weil es uns zeigt, welchen Platz der Herr Jesus in diesem Kapitel einnimmt. Er spricht als jemand, der mit Gott wohl vertraut ist, nicht nur jemand, der für Gott einsteht, nein, Er redet mit göttlicher Autorität. Er ist bei Gott absolut und vollkommen zu Hause. „Wir reden was wir wissen“, sagt Er, und der Sinn dieses Wortes ist vertrautes, wesentliches, persönliches Wissen, nicht ein Wissen, das ein Prophet dadurch erlangt, dass ihm etwas offenbart wird.
Es ist vielmehr das Wissen von jemand, der sich Gottes und seiner Herrlichkeit zutiefst bewusst ist.
Das scheint der Grund dafür zu sein, warum Er in diesem Vers sagt: „Wir reden was wir wissen“. Gott allein, Er, der Gott war, konnte mit vollem Recht so sprechen, niemand anderes. Und das tut der Herr, Er redet im vollen Bewusstsein seines göttlichen Wissens. Zu gleicher Zeit legt Er aber auch Zeugnis davon, was Er gesehen hatte. Er war nicht nur jemand, der von Gott kam und der zu Gott ging, sondern auch jemand, der, während Er Gott war, von den Szenen der Herrlichkeit sprach, wo Er gewesen war. Er war sowohl bei Gott als auch Gott selbst. Er hatte alles, was für die Gegenwart Gottes geziemend ist, gewissermaßen betrachtet und angeschaut. Er war nicht nur mit allem völlig vertraut, was Gott wohlgefällt, sondern auch mit der Sphäre, in der Gott wohnt.
Der Herr spricht also aus dieser vollkommenen Kenntnis Gottes heraus, aus dieser Vertrautheit mit dem Himmel: „Wir reden was wir wissen und bezeugen, was wir gesehen haben.“ Und gerade deshalb hatte der Mensch kein Gefallen daran, und zwar nicht nur der Mensch im Allgemeinen, auch die Juden nicht. Ihr Platz war die Erde, und ihre Vorstellung, die auf dem beruhte, was Gott ihnen als Juden bezeugt hatte, ging immer dahin, dass Gott sich hier offenbaren werde und dass Gott hier segnen werde und dass Gott hier das Böse richten werde, dass Gott hier sein Volk durch Gerichte befreien werde. Jetzt aber war jemand in ihrer Mitte, der ganz anders war als alle, die je auf der Erde waren, der wirklich und ausschließlich der Sohn Gottes war.
Er nimmt jetzt aber, wenn man so sagen darf, eine Stellung ein, die – soweit das überhaupt möglich ist – noch näher ist als die, einfach vom Vater auf der Erde als ein Sohn anerkannt und geliebt zu werden. Denn man könnte sich so etwas vorstellen, ohne dass Er dabei im vollsten Sinn absolut Gott wäre. In seiner Person finden wir beides vereinigt: Er war nicht nur der Gegenstand der Wonne des Vaters, Er war Gott selbst. Infolgedessen gab es in der Gottheit keinen einzigen Gedanken ohne Ihn, wenn wir überhaupt von Gedanken bei Gott reden können, denn genau genommen, denkt Gott nicht, das tut der Mensch. Gott denkt nicht, Er weiß. So besaß Jesus, der Sohn Gottes, diese absolute Kenntnis, ganz abgesehen von irgendeiner Offenbarung. Er besaß diese absolute Kenntnis Gottes, die Kenntnis dessen, was sich für die Gegenwart, die Natur und das Reich Gottes geziemte und machte es hier auf der Erde bekannt. Welch ein Platz für uns! Welch ein Segen, geliebte Geschwister, in eine solche Gemeinschaft gebracht worden zu sein, Ihn vor uns zu sehen, den die Menschen gern als Gott leugnen möchten und leugnen, und dies inmitten eines Ozeans von Sünde und Ungerechtigkeit, unter Menschen, die sich voll Stolz über ihre eigenen armseligen Gedanken gegen Ihn auflehnen und eben dadurch immer wieder neu beweisen, dass sie gefallen sind und weit von Gott entfernt sind.
Wo ich gerade bei diesem Punkt bin – und er ist wirklich von großer Bedeutung, dass nämlich Er allein, der Mensch war, in der Lage war, Gott dem Menschen bekanntzumachen –, ich bin aber
überzeugt, dass es nicht einfach im Wesen der Gottheit an und für sich liegt, sich dem Menschen zu offenbaren. Der gesegnete Heilsplan Gottes, sein Weg zu unserer Errettung, ist für uns ebenso nötig, um Ihn zu erkennen, wie um errettet zu werden. Es liegt uns immer nahe, die Fleischwerdung des Wortes, den Herrn Jesus hier auf der Erde nur als ein Mittel zu unserem Heil zu betrachten und auf die Frucht seines Erlösungswerkes zu blicken. Wir laufen Gefahr, das unendliche Vorrecht, Gott zu kennen, weniger zu schätzen.
Doch dies ist das ewige Leben: den allein wahren Gott und den Er gesandt hat, Jesus Christus, zu erkennen (Joh 17,3). Deshalb wird Gott auch nirgendwo in der Schrift die „Wahrheit“ oder so ähnlich genannt. Unter Rationalisten und Ungläubigen ist dies eine beliebte Redensart, und zwar deshalb, weil sich bei ihnen der Mensch anmaßt, von sich selbst aus Gott zu erkennen, was einfach unmöglich ist. Der Verstand erkennt Gott gerade deshalb niemals, weil er es aus eigener Kraft tun will. Gott wird nur in Christus erkannt, und gerade weil ich nicht Gott bin, kenne ich auch Gott nicht. Wenn ich nicht Teilhaber seiner eigenen göttlichen Natur werde, kann ich Ihn nicht erkennen. Das ist der Grund, weshalb ich diese Wahrheit von der Wiedergeburt so betone. Es handelt sich nicht nur um Glauben, obwohl der Glaube natürlich der einzige Weg zur Erlangung der neuen Natur ist.
Es ist auch nicht allein das Wort. Der Heilige Geist wendet das Wort auf uns an und überführt uns, so dass wir sehen: Wir sind völlig verloren, soweit es auf uns ankommt. Wir kommen also nur dadurch zu einer Erkenntnis Gottes, dass wir einer neuen Natur teilhaftig werden. Wir hätten niemals an seiner eigenen Natur teilhaben können, solange Gott einfach nur als Gott tätig war, denn ein Wesen, das nur Gott ist, konnte dem Menschen nicht so einfach etwas von seiner eigenen Natur geben.
Es musste sich zuvor im Menschen offenbart haben. Nur dann, wenn eine Seele vorwärts auf Christus blickte und Ihn vor sich stellte, konnte sie jemals der göttlichen Natur teilhaftig und aus Gott geboren werden.
Selbstverständlich waren die alttestamentlichen Gläubigen auf diese Art aus Gott geboren. Deshalb spricht der Herr hier nicht vorausblickend, sondern absolut, wie immer im Johannesevangelium, außer da, wo Ausnahmen ausdrücklich erwähnt werden. Mit anderen Worten: Er überschaut sowohl vorausblickend wie rückblickend den gesamten Zeitlauf bis hinein in das Reich Gottes. Und was ist der Pass zum Eintritt in das Reich Gottes? Ein Mensch muss aus Gott geboren werden, oder wie es hier erklärt wird, er muss aus Wasser und Geist geboren werden.
Und wie tut Gott dies nun? Nach seinem Wohlgefallen, in seiner unumschränkten Liebe und Weisheit, indem Er sich selbst sozusagen in die Natur des Menschen hineinbringt, indem Er sich im Menschen und dem Menschen offenbart. Er selbst bleibt in seinem eigenen, anderen Zustand, und der Mensch ist völlig unfähig, in diesen Zustand hineinzukommen, ausgenommen auf diesem gesegneten Weg; doch jetzt kann ich, ein Mensch, Gott erkennen, weil Er sich in einem Menschen offenbart hat. Durch das Wirken des Heiligen Geistes kann ich gemäß seinem eigenen Worte in lebendige Verbindung mit jenem hochgelobten Menschen Jesus Christus kommen, der Gott ist. Und so kommt es, dass allertiefste göttliche Wahrheiten die scheinbar keinen Zusammenhang mit unserem Thema haben, sich doch als wesentlich erweisen, denn in dem Glauben der Kinder Gottes hängen sie alle fest miteinander zusammen.
Während wir über die wunderbare Weise staunen, in der es Gott gefallen hat, seinen Sohn, von einer Frau geboren, in die Welt zu senden – und wie leicht denken wir dabei dann nur daran, dass die Frage der Sünde gelost werden musste –, so wollen wir doch auch lernen, dass das alles für eine wirkliche Erkenntnis Gottes und für die Gemeinschaft mit Ihm ebenso notwendig war. Wenn es Ihm nicht gefallen hätte, sich so durch den Menschen Christus Jesus zu offenbaren, dann könnte ich nichts von Gott erkennen und genießen, wie ich es jetzt als Christ kann. Oder, wie man heute sagt: So lange Er einfach der „Absolute“ bleibt, kann ich Ihn nicht erkennen. Wird Er sich dazu herablassen, in ein bestimmtes Verhältnis („relativ“) zu mir zu treten? Wird Er in den Zustand herabkommen, in dem ich mich befinde? Denn das ist ganz einfach die Bedeutung dieser abwegigen Sprechweise.
Gerade das scheint der Herr hier im Sinn zu haben. Aufs bestimmteste betont Er das, was Ihm als Gott zukommt: „Wir reden was wir wissen und bezeugen, was wir gesehen haben.“ Er war jetzt herabgekommen, um zu den Menschen zu reden, und so ging es nun um sein Zeugnis. Er legt Zeugnis von der Wahrheit ab, dass dies der einzige Weg zur Erlangung der gesegneten Stellung ist, in der wir uns jetzt befinden: der Mensch muss aus Wasser und Geist geboren werden.
Doch wie wurde dieses Zeugnis von den Menschen aufgenommen? Der Mensch nahm seine eigenen Dinge wahr, die Dinge in seiner nächsten Umgebung, wo er geboren und auferzogen worden war. Um die Dinge Gottes kümmerte er sich nicht, er war sogar ein Feind Gottes. Er war Gott entfremdet und hörte deshalb nicht gern von göttlichen Dingen. Von der Sphäre, in der alles nur dem Wesen Gottes entspricht, wollte er nichts wissen. Das ist die Neigung des natürlichen Menschen: „Unser Zeugnis nehmet ihr nicht an“. Es ist bemerkenswert, dass sich dies unmittelbar nach dem vorhergehenden Kapitel zeigt, in dem wir eine scheinbar willige Aufnahme des Herrn finden: Sie glaubten, weil sie seine Zeichen sahen. Doch das war nicht das Annehmen seines Zeugnisses. Sie beugten sich vor Tatsachen, vor dem, was sie sehen und beurteilen konnten. Und jeder Mensch denkt, wenn er das tut, ein wenig höher von sich selbst, denn aufgrund von sichtbaren Beweisen etwas aufnehmen, versetzt jeden Menschen in die Stellung eines Richters: Er macht sich seine Gedanken, er folgert, er entscheidet, und indem er das tut, fühlt er sich groß. Sich so auf den Richterstuhl zu setzen, selbst wenn es sich um Wunder der Macht Gottes handelt, das schmeichelt dem Stolz des Menschen. Hier aber, in unserem Fall, handelt es sich um das Zeugnis, das Gott selbst ablegt.
Und wer sieht dies nicht täglich vor seinen eigenen Augen? Solange Menschen sorglos sind, kümmern sie sich kaum um das, was sie hören. Sobald sie aber ernster werden, fangen sie an zu fragen, zu untersuchen und abzuwägen. Entweder widersetzen sie sich hartnäckig dem göttlichen Zeugnis oder sie nehmen es als etwas Belangloses an. Beide Haltungen beweisen, dass das Gewissen nicht getroffen ist. Der Grund dafür ist leicht zu verstehen: Wenn das Wort als das ins Herz gesunken ist, wonach dieses Herz sich wirklich gesehnt hat, dann beginnt es dort sofort zu wirken.
Vielleicht erscheint die Botschaft zu schön, um schon voll erfasst zu werden; in diesem Fall wird das Herz aber doch aufgerüttelt, und diese Unruhe treibt den Betreffenden zu weiteren Fragen. Ein Mensch, der Gott willkommen heißt, hat dann der Wunsch, dass es vielleicht doch wahr sein möchte, und was passt besser zueinander als solch eine innere Verfassung und das wunderbare Evangelium? Wenn jemand völlig tot in Sünden und Übertretungen ist, übt das Zeugnis Gottes keine Wirkung aus. In einem solchen Zustand ist es ebenso leicht, das Evangelium abzuweisen, wie es lediglich mit den Lippen zu bekennen. Gleichgültigkeit äußert sich entweder in einem nichtssagenden, oberflächlichen Bekenntnis oder in offener Ablehnung und Feindschaft. Beides sind nur verschiedene Erscheinungsformen desselben Herzenszustandes, nämlich des Unglaubens. Wenn dagegen die Seele sich der Bedeutung des Wortes, das sie gehört hat, bewusst wird – und das muss sie doch, denn ein bequemes, unverbindliches Hinnehmen dessen, was Jesus uns bezeugt, ist einfach unmöglich –, dann wird die im wirklichen Glauben erfasste Wahrheit Herz und Gewissen tief bewegen. Wenn ich weiß, dass ich mit Recht verdammt bin und dass die Hölle mein Teil ist, dass ich aber durch die Gnade Gottes in Christus davon errettet bin und dass ich stattdessen ganz sicher mit dem Herrn Jesus in den Himmel eingehen werde, dann kann ich dabei unmöglich kühl und gleichgültig bleiben.
Wo man deshalb solch einen leblosen, billigen, traditionellen Glauben antrifft, diesen Glauben, der alles sehr schnell und leicht, aber ohne Wirkung auf Herz und Gewissen aufnimmt, da ist es offensichtlich, dass dies nicht das Werk Gottes ist. Es handelt sich dann nur um eine rein menschliche Überzeugung oder Gefühlsaufwallung, die wertlos ist. In seiner Ihm eigenen, göttlichen Kenntnis des Zeugnisses spricht der Herr hier von dem Widerstand und der Gleichgültigkeit, auf die sein Zeugnis bei dem Menschen stößt.
Doch Er weist dabei auch auf höhere Dinge hin: „Wenn ich euch das Irdische gesagt habe, und ihr glaubet nicht, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch das Himmlische sage?“ (V. 12). Das führt uns zu einem wichtigen Punkt, durch den das Vorhergesagte erweitert wird. Sollte jemand hier sein, für den dies neu und außerhalb seiner gewohnten Gedanken ist, dann hoffe ich, dass er die Worte des Herrn ernstlich überdenken wird, denn es geht um die Wahrheit Gottes, nicht um menschliche Spekulation.
Unser Herr Jesus hatte aufs deutlichste von der unbedingten Notwendigkeit der Wiedergeburt für jeden, der in das Reich Gottes eingehen will, gesprochen. Wir müssen verstehen, dass dies für alle Weg Gottes mit dem Menschen gilt, in der Vergangenheit ebenso wie in der Zukunft.
Jetzt aber hören wir eine neue Sprache. Von dem Augenblick an, in dem sich der Herr als der vorstellt, der dieses volle, göttliche Zeugnis bringt, das der Mensch nicht annimmt, spricht Er ausführlicher und genauer von dieser Segnung. Alle, die in das Reich Gottes eingehen wollen, sei es in seinem irdischen oder in seinem himmlischen Charakter, sei es hier auf der Erde oder droben, wenn dieses Reich in diesen beiden Sphären aufgerichtet und entfaltet wird, alle innerhalb dieses Reiches müssen von neuem geboren werden. Ein Mensch, der heute das Evangelium annimmt, ist aus Gott geboren. Dabei einfach nur von Wiedergeburt zu reden, drückt bei weitem nicht die ganze Wahrheit aus. In diesem Abschnitt, in dem der Herr so sehr darauf besteht, „aus Geist geboren“ zu sein, spricht Er jedenfalls nicht bloß von einer neuen Geburt. „Wenn ich euch das Irdische gesagt habe, und ihr glaubet nicht“, (auch dazu war es notwendig, aus Gott geboren zu sein), „wie werdet Ihr glauben, wenn ich euch das Himmlische sage?“ Mit Bezug auf Letzteres sagt Er: „Und niemand ist hinaufgestiegen in den Himmel als nur der, der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist.“ Damit bekräftigt Er das, was Er vorher gesagt hatte, nämlich dass Er vor ihnen als wahrhaftiger Mensch steht, als der verworfene Christus, der Sohn des Menschen, und doch ganz unzweifelhaft Gott. Er gehörte dem Himmel an, oder besser: der Himmel Ihm. Das war für Menschen ein vollständig neuer Bereich, ja alles dort war völlig neu. Als jemand, der von einer Frau und unter Gesetz geboren war, wurde Er auf der Erde und in der Zeit gesehen und erkannt, obwohl der Mensch Ihn trotz seiner Gnade, Macht und Herrlichkeit ablehnte. Und doch war Er, der hier im Fleisch offenbart war, tatsächlich der eingeborene Sohn im Schoß des Vaters. Sogar als der Verworfene erhebt Er den Anspruch, „der Sohn des Menschen, der im Himmel ist“ zu sein.
Lasst uns die Ausdrucksweise sorgfältig beachten. Er sagt nicht nur, Er sei im Himmel gewesen – das wäre nicht die volle Wahrheit –
, Er ist dort. Ganz gleich, wann oder wie man Ihn betrachtet: Er ist immer „der Sohn des Menschen, der im Himmel ist“. Seine Stellung als demütiger Mensch war nur eine Gelegenheit zur Offenbarung einer neuen Herrlichkeit für Gott und den Menschen, wie es andererseits der Wendepunkt für den Menschen war, der Anfang einer ganz neuen und vollkommeneren Erkenntnis Gottes. Vor ihnen steht jemand, der in begrenzte Verhältnisse eintrat, obwohl Er selbst der Unendliche war, damit Menschen, wie sie es waren, durch Ihn zur Erkenntnis Gottes gelangen und in Ihm den Vater sehen konnten. Dazu muss das Wort sie treffen, dazu müssen sie Ihn hören, der Mensch ist, wie Er auch Gott ist. Das war Gnade, aber auch Wahrheit. Es war der einzige Weg, auf dem die Wahrheit offenbart werden konnte. Bis dahin gab es nur eine teilweise Offenbarung.
Das Wunderbare ist jedoch, dass die volle Offenbarung der Wahrheit in einem Menschen gefunden wird, in jemandem, der Gott ist, aber doch auch Mensch. Deshalb ist der Gedanke, dass die Wahrheit nicht voll offenbart werden konnte, weil Christus im Fleisch gekommen und nur in einer begrenzten Sphäre erschienen ist, völlig abwegig. Im Gegenteil, solange das Wort nicht Fleisch geworden war, konnte die Wahrheit nicht völlig offenbart werden. Gerade in der Verbindung scheinbar unvereinbarer Elemente in der Person des Herrn Jesus kommt die Wahrheit zum Vorschein. Denn „das Gesetz wurde durch Moses gegeben; die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden“ (Joh 1,14).
Er ist es, der allein Gott befriedigt hat und es Ihm ermöglicht hat, in Gerechtigkeit aus Gnade Sünder zu retten, Er, der sich gleichzeitig so tief erniedrigte und Gott dadurch so überaus verherrlichte. Er ist dieser hochgelobte Mensch, das unübertreffliche Vorbild aller Demut, der nichtsdestoweniger jeglichen Ruhm des Menschen mit diesem einen Wort auslöscht: „Niemand ist hinaufgestiegen in den Himmel, als nur der, der aus dem Himmel herabgestiegen ist.“ Er kam nicht nur herab. Es gab andere, die, wie wir wissen, durch Gottes Handeln in Macht aufgenommen wurden. Ihm allein stand es zu, als die Stunde da war, mit der größten Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit in den Himmel einzugehen. Und noch mehr – wir haben es schon gesehen –: Er ist im Himmel. Es handelte sich nicht nur darum, in den Himmel einzugehen, nein, Er war „der Sohn des Menschen, der im Himmel ist“. Das ist Ihm als einer der göttlichen Person eigen, und niemandem anders. Es ist nur dieser einen göttlichen Person eigen, keiner anderen. Als Mensch kann ich mich nicht über menschliche Grenzen erheben: Der menschliche Geist erreicht Gott und göttliche Dinge nicht. Gott muss sich selbst offenbaren, und Er tut es in seinem Wort, in seinem Sohn, aber nur durch das Wirken seines Heiligen Geistes. Das ist der Grund, warum sowohl der Geist Gottes als auch Christus als „die Wahrheit“ bezeichnet werden, Ersterer als innere Kraft, Letzterer in objektivem Sinn.
Nachdem der Herr Jesus seine eigene Person auf diese Weise vor uns gebracht hat, enthüllt Er nun, dass ein Werk notwendig ist, wenn Gott, ohne gegen seine Heiligkeit und Gerechtigkeit zu verstoßen, den Segen seiner eigenen Natur sündhaften Menschen verleihen will. Er tut dies mit den Worten: „Und wie Moses in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern“ [was? von neuem geboren werde? Nein!] „ewiges Leben habe.“ Offenbar ist das ein sehr wichtiger und vielsagender Unterschied! Es bedarf hier keiner starken Worte, denn dieser Unterschied kann kaum stärker ausgedrückt werden. Ich möchte noch einmal sagen, dass jemand, der in den Zeiten des Alten Testamentes aus Gott oder von neuem geboren war, ganz unzweifelhaft göttliches Leben hatte und dass dieses Leben ewig war. Alle wahren Gläubigen vom Anbeginn bis zum Ende haben ewigwährendes Leben. Und doch gewinnt man die Überzeugung, dass der Herr hier in seiner Weisheit einen besonderen Grund dafür hatte, einen so deutlichen Unterschied zu machen. Denn jetzt, zum ersten Mal nachdem Er vorher die allgemeine Notwendigkeit der Wiedergeburt betont hatte, gründet Er diese Wahrheit auf sein Erlösungswerk, auf seinen Tod als der Sohn des Menschen, der am Kreuz erhöht wurde, und Er nennt sie nicht einfach „Wiedergeburt“, sondern Er gibt ihr durch seine Ausdrucksweise einen ganz neuen Sinn und Wert.
Selbstverständlich ist es der Sohn, der allen Glaubenden Leben gibt. Deshalb ist es für mich überhaupt keine Frage, ob die alttestamentlichen Gläubigen ebenso lebendiggemacht worden sind wie wir – ganz gewiss mussten sie es sein und waren sie es. Es hat von jeher nur einen Erretter gegeben, und deshalb ist die Wiedergeburt, die alle nötig haben, um in das Reich Gottes eingehen zu können, das Mitteilen des Lebens, das im Sohn Gottes ist, und zwar durch den Heiligen Geist.
Und doch möchte ich mit derselben Bestimmtheit aufgrund der Worte meines Heilands betonen, dass Er, wenn Er unsere Stellung vor Ihm beschreibt, es absichtlich vermeidet, diese unsere Segensstellung mit dem zu vermengen, was das Teil aller Gläubigen zu allen Zeiten war. So verleiht Er sogar dieser allgemein gültigen und bekannten Wahrheit, wenn Er sie aufgrund seines Erlösungswerkes auf uns anwendet, einen ganz ungewöhnlichen Ausdruck. Auf welch eine wunderbare und doch einfache Weise zeigt der Heilige Geist dadurch seine Wertschätzung der Person und des Erlösungswerkes Christi, dass Er dieses vor Gott so überaus wertvolle Werk, diese größte Selbstoffenbarung Gottes sogar dann vor unsere Augen malt, wenn Er von dieser allgemeinen Segnung spricht – allgemein in dem Sinn, dass sie für all die Seinen in allen Zeiten und göttlichen Haushaltungen gilt. So gibt der Herr ihr hier diese neue Bezeichnung mit dieser außerordentlich vertieften Bedeutung.
Im Alten Testament wird ewiges Leben oder was ihm entspricht, mehrere Male erwähnt. Von sprachwissenschaftlichen Nebensächlichkeiten will ich jetzt absehen und diese Dinge vom praktischen Gesichtspunkt aus betrachten. Ich spreche von einer Wirklichkeit, die unser Herr zum Ausdruck bringt und die in der von Gott inspirierten Schrift als sehr beachtenswert für uns alle aufbewahrt ist. Der Herr ändert seine Ausdrucksweise nicht ohne besonderen Grund: Er wählt diese anderen Worte mit der Absicht, dass wir dem Unterschied Beachtung schenken. Ist es ein Zeichen von Demut und Weisheit, wenn wir es nicht tun?
Der Hauptinhalt dessen, was im Alten Testament über ewiges Leben gesagt wird, scheint mir Folgendes zu sein: In Daniel 12 zum Beispiel wird von „ewigem Leben“ gesprochen, und „Leben bis in Ewigkeit“ kommt am Schluss von Psalm 133 vor. In diesen beiden Stellen steht „ewiges Leben“ und „Leben bis in Ewigkeit“ mit der Hoffnung auf das Kommen und die Herrschaft des Messias in Verbindung, mit der Zeit, in der Er das Reich Gottes sichtbar auf der Erde errichtet. Johannes 3 aber offenbart uns die wunderbare Wahrheit, dass die Herrlichkeit der Person des Sohnes erschienen ist und uns schon jetzt in den Besitz der Segnungen bringt, ganz unabhängig von der zukünftigen Machtund Segensentfaltung. Weil wir Ihn haben, erwarten wir nicht noch irgendetwas anderes. Obwohl also das Reich in diesem sichtbaren Sinn noch nicht errichtet und die weltweite Segenszeit noch nicht angebrochen ist, obwohl die Juden – statt unter diesem Segen – noch unter dem Fluch leben, den sie selbst dadurch auf sich geladen haben, dass sie riefen: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ (Mt 27,25), und dadurch ist „der Zorn völlig über sie gekommen“ (1Thes 2,16). Das bedeutet den völligen Verlust aller Segnungen für die Gegenwart und den Aufschub des Reiches. Obwohl das alles so ist, sind wir jetzt schon in den Bereich grenzenloser, reicher, göttlicher Segnungen versetzt worden, und zwar deshalb, weil wir Christus jetzt schon und in dieser wunderbaren Weise besitzen.
Was dies für uns so anziehend und dabei doch so lehrreich macht, ist die Tatsache, dass wir schon jetzt den Trost und die Freude der persönlichen Vereinigung mit Ihm haben. Würde das bedeuten, dass wir bloß von neuem geboren sind, so wäre das gewiss eine große Gnade, doch einen solchen Trost und eine solche Freude würde das nicht notwendigerweise in sich schließen. Ohne Zweifel finden wir diese unerlässliche Vorbedingung zum Eintritt in das Reich Gottes nur in und durch Christus. Aber in dieser Ausdrucksweise liegt nichts von einem Verbundensein mit Christus. Niemand kann das Wort „wiedergeboren“ auf Christus anwenden. Das wäre Lästerung und hieße, seine Person verleugnen.
Wenn man also nur von „wiedergeboren“ hört oder spricht, dann legt uns dieser Ausdruck nicht nahe, dass wir mit Christus einsgemacht sind. Das erinnert uns vielmehr an den großen Unterschied zwischen dem, was in Christus ist und dem, was wir aus Gnade geworden sind.
Sobald Er aber von „ewigem Leben“ redet, darf ich wissen: Da bin ich eins mit Ihm. Ewiges Leben ist mein Teil in Ihm, denn Er ist dieses ewige Leben, „das bei dem Vater war“ (1Joh 1,2). So wird nun dieses Teilhaben an der neuen Natur durch die Art und Weise, in der der Herr davon spricht, nicht mehr etwas, worin die große Kluft zwischen Ihm und uns deutlich wird, sondern etwas, was von Ihm und von uns wahr ist. Es handelt sich hier nicht nur darum, in eine Art gemeinschaftlicher Stellung – wie die von Haupt und Gliedern – gebracht worden zu sein (denn im Johannesevangelium hören wir, genau genommen, niemals von der Versammlung), sondern bei Johannes geht es um tiefere Dinge, um Wesensund Lebensgemeinschaft, nicht so sehr um die Einheit des Leibes.
Das ist es, was wir hier finden: Christus spricht hier von seinem eigenen Offenbarwerden, von seinem eigenen göttlichen Zeugnis, und dies nicht nur im Sinn eines Werkzeuges entsprechend den Gedanken Gottes, sondern des Zeugnisses einer göttlichen Person Da ist nämlich die Bedeutung von Vers 11: „Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben.“ In alledem sehen wir die Fülle der Segnungen, die unser Teil sind. Es genügt Ihm nicht, zu sagen: „Ihr müsst von neuem geboren werden“. Das galt schon immer und war von jeher notwendig. Obwohl dieser Segen dem Grundsatze nach derselbe ist wie vorher, so ist jetzt doch schon allein die Art und Weise, wie Er den Segen in Worte kleidet und mir nahebringt, ein Zeugnis für die herrliche Tatsache, dass ich durch Gnade empfange, was Er hat und was Er ist. Er, der Sohn, ist sowohl das ewige Leben als auch der wahrhaftige Gott. Worin lag für uns der Nutzen, dass Gott sich so in Ihm hier offenbarte? Bis dahin war Er allein. Der Mensch war getrennt von Ihm, in undurchdringlicher Finsternis. Dann aber ist Er, der Erretter, gestorben und auferstanden. Ich erfasse Ihn im Glauben und weiß: „Wer den Sohn hat, hat das Leben“ (1Joh 5,12), und dieses Leben ist das ewige Leben.
Wenn ich das Kreuz des Herrn Jesus nur als die unentbehrliche Grundlage für die Gerechtigkeit Gottes betrachte, so würde das allein meiner Seele niemals vollen Frieden mit Gott verleihen, noch weniger eine wirkliche Erkenntnis Gottes, obwohl es doch die vollkommenste Darstellung des göttlichen Erbarmens mir armem, schuldigen Sünder gegenüber ist. Der Herr wiederholt deshalb das Resultat der Verse 13 und 14, aber von einem höheren Gesichtspunkt aus: „Denn so hat Gott die Welt geliebt“, sagt der Sohn, „dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“
In diesem Gespräch war bis jetzt nicht die Rede von der Liebe Gottes und der Welt. Es handelte sich allein um das Eingreifen des Sohnes des Menschen, das natürlich unbedingt erforderlich war. Gerade so, wie ein Mensch von neuem geboren werden muss, um in das Reich eingehen zu können, so musste Er am Kreuz erhöht werden, wenn überhaupt von einem wirksamen Werk der Gerechtigkeit für den Sünder die Rede sein sollte. Jetzt geht es sich aber um weit mehr, denn damit allein konnte Gott in seiner Liebe niemals zufrieden sein. Wenn es nicht mehr als nur ein „muss“ gäbe, so würde Er doch nur höchst kümmerlich erkannt werden. Nein, ich möchte vielmehr sehen, was Er ist, möchte wissen, wie Er fühlt. Ich möchte das Zeugnis seiner Gnade in Christus hören!
Musste dieser Segen etwa Gott abgerungen werden? Nein, im Gegenteil! Liebt Er nicht selbst, ja, ist Er nicht die Liebe? O ich möchte mehr auf das hören, was Jesus uns zu sagen hat, denn wer kennt all das so gut wie Er? Ja, Er, der Sohn, kennt den Vater vollkommen und will Ihn uns kundmachen, wie Er wirklich ist und wie Er sogar der Welt gegenüber empfindet. Diese wunderbare Offenbarung der Gnade und der Wahrheit, die Gott in Ihm gegeben hat, in seinem Werk, aber auch gerade in seiner Person, diese Offenbarung krönt Er jetzt mit diesem wahrhaft göttlichen Ausspruch: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“
Wie herrlich ist es doch, geliebte Geschwister, dieses ewige Leben zu besitzen und bestimmt zu wissen, dass wir es besitzen! Und noch mehr, nämlich dass wir es nicht nur als das schwer erworbene Ergebnis des Erlösungswerkes besitzen, sondern auch als die ungezwungene, freie und volle Frucht seiner Liebe, die uns durch Ihn, der selbst der Gegenstand der innigsten Liebe des Vaters ist, zugefallen ist. So offenbart Gott sich also denen, die nichts als Zorn verdient hatten, in der höchsten Gabe, die selbst Er als Gott geben konnte. Und dies tut Er nicht nur deshalb, weil ich auf andere Weise nicht gesegnet werden konnte, sondern weil Er mich entsprechend seinem eigenen Herzen mit der höchsten Segensfülle beschenken wollte. Er hat mir dieses ewige Leben in seinem Sohn gegeben. Von diesem ewigen Leben es heißt, dass es in keinem anderen als im Sohn ist. In Ihm erblicke ich es in Vollkommenheit, und weil ich es in Ihm habe, bin ich schon hier fähig, mit Ihm Gemeinschaft zu haben.
Es ist gewiss sehr gesegnet, unsere Sünden und unser Elend beseitigt zu wissen; aber es ist unvergleichlich kostbarer, die positive Seite dieses Segens zu kennen, nämlich das, woran sich Gott selbst erfreuen kann und erfreute, als Er Jesus auf seinem Wandel hier auf der Erde in Gehorsam und Abhängigkeit, in Licht und Liebe betrachtete, und das war gerade deshalb so kostbar für Ihn, weil es ein Mensch auf der Erde war. Dieses göttliche Leben ist es, was im Herzen Gottes solchen Widerhall findet und was seine eigene Liebe erwidert, das an allen seinen Freuden teilhaben darf, all den tiefen Schmerz mitempfindet, den Er fühlt, wenn Er die Halsstarrigkeit des Menschen und das Verderben der Welt – und wir müssen hinzufügen: der schuldigen Christenheit – sieht. „In ihm war Leben.“ Wie gesegnet ist es, geliebte Geschwister, dass wir, die wir in Christus ewiges Leben besitzen, das sich bereits inmitten solcher Umstände zur Freude Gottes erwiesen hat. Wir dürfen teilhaben an einem Leben, das in allem erprobt worden ist, was je auf das Herz eines Menschen eindringen kann. Denn das Leben, das wir jetzt im Fleisch leben, leben wir durch den Glauben an den Sohn Gottes. Wir gründen uns auf sein Erlösungswerk, auf seine Liebe. Ich bin Christ, und deshalb ist es nicht länger das alte eigene Ich, sondern Christus, der in mir lebt. Er ist sowohl der Ursprung als das Wesen, die Eigenart dieses neuen Lebens. Und Christus ist auch der Inhalt, das Ziel dieses Lebens: Er ist das ewige Leben.
Möge der Herr sein Wort segnen und uns schenken, jede erkannte Wahrheit festzuhalten, aber dabei auch zu erfahren, dass Gott in seiner Liebe immer noch bemüht ist, uns dadurch zu größerer Freudigkeit und Fülle zu führen, damit wir unsere innige Verbindung mit
Christus immer besser verstehen lernen. Darin liegt das ganze Geheimnis. Denn wenn wir irgendwie geistliche Fortschritte machen, dann nur in dieser Richtung. Darin liegen unsere besten Segnungen. Ich bin davon überzeugt, dass die Ewigkeit wird es beweisen wird.
Mögen wir in der Zwischenzeit mit Kraft durch seinen Geist gestärkt werden am inneren Menschen, dass der Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohne, indem wir in Liebe gewurzelt und gegründet sind, damit wir mit allen Heiligen völlig die vor uns liegende Herrlichkeit zu erfassen vermögen und die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus erkennen können und so zu der ganzen Fülle Gottes erfüllt werden (Eph 3,16-18)!