Wir haben gesehen, wie Gott Bileam ergriff und seine Bosheit herausstellte. Indem Er ihn in seiner Hand hielt, zwang Er ihn, sich mit Gott selbst in Hinsicht auf sein Volk auseinanderzusetzen. Es ist bemerkenswert, dass Israel in der ganzen Szene überhaupt nicht erscheint. Es ging hier um Gott und Bileam. Als Gott auf Israel blickte, erlaubte Er keinen Schaden für es, weil es sein Volk war. Unter dem Gesichtspunkt, dass Gott mit seinem Volk zog, nahm Er von all ihrer Widerspenstigkeit Kenntnis (vgl. 5Mo 9,24). Der zitierte Bibelabschnitt spricht davon, dass die Israeliten gerade zu jener Zeit in den Ebenen Moabs gegen Gott aufsässig waren. Gott richtet auch unsere, der Heiligen, Sünden in unserem Wandel hienieden; und unsere Sünden gegen Ihn, nachdem wir Heilige geworden sind, sollten uns noch mehr betrüben als die, welche wir als Sünder begangen haben. Wenn Gott unter seinem Volk dessen Wandel richtet, nimmt Er von allem Notiz; denn Er „hält keineswegs für schuldlos den Schuldigen“ (2Mo 34,7). Trotz der Reichtümer seiner Gnade erträgt oder erlaubt Er niemals Sünde, wie es die Menschen häufig behaupten. Er kann die Sünde in der Sühne verdecken; Er kann sie durch das Kreuz wegnehmen, um sie nicht mehr zuzurechnen. Er kann sie jedoch niemals ertragen und auf diese Weise irgendeine Forderung seiner Heiligkeit aufgeben.
Jetzt wurde die Frage jedoch zwischen Gott und seinem Feind ausgefochten; und diese Auseinandersetzung fand auf dem Berggipfel statt. Das Volk wusste nichts davon. Was konnte Bileam tun ohne den Willen Gottes gegen sein Volk? Nichts! Und als er erkannte, dass er mit Gott nichts gegen die Israeliten ausrichten konnte, verführte er sie später zur Sünde, so dass Gott sie züchtigen musste (4Mo 25; 31,16).
Aber jetzt, da Bileam es mit Gott in Hinsicht auf sein Volk zu tun hatte, wurde er die Gelegenheit, dass Gott eine neue Offenbarung seiner Gnade machen konnte. Gott konnte sein Volk nicht verfluchen oder Israel entgegentreten. Das musste Bileam Ihm nachsprechen. Gott hatte seine Gedanken über das Volk; und obwohl Er keinen Widerspruch zu seinem Charakter in seinem Volk erlauben konnte, wollte Er doch seine Absichten zur Ausführung bringen. „Und Gott kam dem Bileam entgegen; und dieser sprach zu ihm: Die sieben Altäre habe ich zugerichtet und auf jedem Altar einen Farren und einen Widder geopfert. Und der HERR legte ein Wort in den Mund Bileams und sprach: Kehre zu Balak zurück, und so sollst du reden. Und er kehrte zu ihm zurück; und siehe, er stand neben seinem Brandopfer, er und alle Fürsten von Moab. Da hob er seinen Spruch an und sprach: Aus Aram hat Balak mich hergeführt, der König von Moab von den Bergen des Ostens: Komm, verfluche mir Jakob; ja, komm, verwünsche Israel! Wie soll ich verfluchen, den Gott nicht verflucht, und wie verwünschen, den der HERR nicht verwünscht hat? Denn vom Gipfel der Felsen sehe ich es, und von den Höhen herab schaue ich es: siehe, ein Volk, das abgesondert wohnt und unter die Nationen nicht gerechnet wird. Wer könnte zählen den Staub Jakobs und, der Zahl nach, den vierten Teil Israels? Meine Seele sterbe den Tod der Rechtschaffenen, und mein Ende sei gleich dem ihrigen!“ (4Mo 23,4-10).
Es ist für uns von größter Wichtigkeit, zu erkennen, wie Gottes Urteil unsere Stellung in Christus von unserem Wandel als Heilige in der Welt unterscheidet. Wir beurteilen uns niemals so wie Gott. Der Heilige Geist, der uns zum Selbstgericht führt, nimmt alles Böse wahr, das Gottes Heiligkeit widerspricht. Wenn ich mich selbst richte, sollte ich fähig sein, in mir alles Böse zu erkennen. Dann sollte ich auch bereit sein zu sagen: „Das ist keine Liebe; das ist keine Heiligkeit!“ Ich soll mein Herz entsprechend dem richten, was ich bin. Das Urteil Gottes jedoch entspricht dem, wie Er mich in Christus sieht. Wenn ich nicht wüsste, dass das Urteil Gottes über mich diesen Charakter trägt, hätte ich niemals den Mut, mich selbst zu richten. Wie könnte ich auf das Böse in mir blicken, wenn ich annehmen müsste, dass Gott mir all dieses Böse zurechnet und mich dafür verdammen wird? Hierin besteht der ganze Unterschied zwischen Erfahrung und Glaube. Das Zeugnis des Heiligen Geistes in Hebräer 10,17 in Hinsicht auf das Urteil Gottes über uns – „Ihrer Sünden … werde ich nie mehr gedenken“ – müssen wir im Glauben festhalten.
Bileam besaß keinen Glauben an Gott. Darum ging er auf die Höhen, um zu erfahren, was Gott ihm sagen würde. „Vielleicht wird der HERR mir entgegenkommen“ (4Mo 23,3). Im nächsten Kapitel handelte er nicht mehr so. Hier sehen wir, wie er einen sehr religiösen Charakter annahm. Er betrachtete das Volk zusammen mit Gott von der Höhe herab und nicht mit Israel im Lager. Tatsächlich folgte das Volk weiterhin seiner Torheit bzw. seiner Frömmigkeit, denn unter ihm waren auch Männer wie Josua und Kaleb. Doch darum ging es hier nicht. Gott schöpfte sein ganzes Interesse an demselben aus den Quellen seines eigenen Herzens. Israel war „ein Volk, das abgesondert wohnt und nicht unter die Nationen gerechnet wird“ (4Mo 23,9).
Gott handelt genauso unumschränkt, indem Er das Volk für sich beiseitesetzt, wie indem Er es aus der Welt herausnimmt. So sind auch wir „um einen Preis erkauft worden“ (1Kor 6,20) und nicht mehr unser eigen. Wir sind aus der Verdammnis, der Sünde und dem Elend heraus- und in die Segnung hineingebracht worden. Wir sollen daher anders sein als die Menschen in der Welt. Als aus der Welt Erlöste gehören wir dem Grundsatz nach überhaupt nicht mehr uns selbst. Worin wir noch uns selbst gehören könnten, ist ein Bestandteil des ersten Adams. Gott hat uns jedoch aus dieser Welt herausgenommen, damit wir sein Eigentum sind. Er führte sein Volk Israel aus Ägypten heraus, um es zu seiner Wohnung zu machen (2Mo 15-18). Jetzt wohnt Gott auf der Erde in uns als seiner Wohnung. Bald werden wir im Himmel wohnen. Wir sind ein himmlisches Volk; und man erwartet von uns ein Leben, dass mit dem Wohnen Gottes in uns übereinstimmt.
Satan ist unermüdlich beschäftigt, uns unter einen Fluch zu bringen, und zwar gerade darum, weil wir erlöst sind. So handelte auch der Feind Gottes in der Geschichte seines Volkes. Er wollte, dass es verflucht würde. Wir haben ihm standhaft im Glauben zu widerstehen. Er bringt bei Gott seine Anklagen vor, und Gott antwortet für uns. Der Glaube macht sich die Antwort Gottes zu eigen, wie wir es in Sacharja 3 sahen. Es ist für unseren inneren Frieden und unsere praktische Heiligkeit von größter Wichtigkeit, diese Wahrheit zu verstehen. Was konnte der Hohepriester Josua zu den schmutzigen Kleidern, deren er angeklagt wurde, sagen? Was könnten wir zu unseren schmutzigen Kleidern sagen? Sicherlich nichts! Josua hatte nichts zu sagen, aber Gott antwortete für ihn. „Ist dieser nicht ein Brandscheit, das aus dem Feuer gerettet ist?“ (Sach 3,2); „… und du willst ihn wieder in das Feuer werfen?“ Dann sprach Er zu dem Engel: „Zieht ihm die schmutzigen Kleider aus!“ Danach erklärt Er Josua, was Er für ihn getan hat: „Siehe, ich habe deine Ungerechtigkeit von dir weggenommen.“ So zeigt Er dem armen Sünder die Vollkommenheit seines Werkes und die Liebe seines Herzens, die zu dessen Gunsten gewirkt hat. Gott sagt nicht: „Ich werde handeln“, sondern: „Ich habe getan.“
In 4. Mose 23,19 wird Bileam gezwungen, von dem Charakter Gottes Zeugnis abzulegen. „Nicht ein Mensch ist Gott, dass er lüge, noch ein Menschensohn, dass er bereue.“ Er ist nicht nur ein Gott der Wahrheit, sondern Er verändert diese auch nicht. Er sagt: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken“ (Heb 10,17). Das spricht davon, dass Gott seine Zusagen nie bereuen wird. Die Wahrheit, die Er verkündet, ist eine ewige Wahrheit. Auch der Mund des Feindes muss sie jetzt aussprechen. „Ich kann es nicht wenden“ (4Mo 23,20). Er sagt nicht: „Ich will nicht“, sondern: „Ich kann … nicht.“
Für uns als einzelne Gläubige besteht jetzt in der Wüste die große Notwendigkeit, das Böse in uns praktisch zu erkennen und vollkommen zu richten. Dann werden wir niemals dafür gerichtet. Gott kann in uns keine Sünde zulassen. Sein Werk ihrer Hinwegnahme ist das Gegenteil von einer Duldung derselben. Er rechnet sie jedoch nicht zu.
Sicherlich, „da ist keine Zauberei gegen Jakob … Um diese Zeit wird von Jakob und von Israel gesagt werden, was Gott gewirkt hat“ (4Mo 23,23). Wenn eine Seele ausschließlich auf ihr Werk sieht, bleibt sie fern von Gott. Wenn sie jedoch sieht, was Gott getan hat, dann ist sie in Gemeinschaft mit Ihm glücklich. Ein Mensch weiß niemals so recht, wie er sich selbst verurteilen muss, bevor er in Gottes Gegenwart getreten ist. Solange er nicht weiß, was Gott sagt, ist alles ungewiss. Auf der einen Seite sehen wir Jesus, auf der anderen menschliche Hoffnungen – zur Rechten Licht, zur Linken Wolken. Nur wenn wir unsere Stellung in dem letzten Adam als auferweckt vor Gott kennen, haben wir Frieden, Freude und Zuversicht.