Die poetischen Bücher sind ein deutlich eigenständiger und sehr interessanter Teil der biblischen Offenbarung. Keines dieser Bücher geht von einer im Sinn des Neuen Testaments vollendeten und bekannten Erlösung aus, obwohl sich jede Segnung darauf stützt. Bei Hiob findet sich allerdings eine besondere Stelle, die sagt: „Ich habe eine Sühnung gefunden“ (Hiob 33,24). Und wir wissen, dass die Psalmen prophetisch von den Leiden Christi sprechen, durch die die Erlösung vollbracht wurde.
Die vollbrachte Erlösung wird jedoch heute durch den Glauben erkannt, sowohl von Juden als auch von Christen. Jesaja sagt voraus, dass Israel sie vollständig erkennen wird (Jes 53). Unter dem Gesetz wird die Erlösung bereits angedeutet, aber die Kenntnis der ewigen Erlösung ist eine christliche Erkenntnis. Auch die Juden kommender Tage werden sie verstehen, wenn sie auf den blicken, den sie durchbohrt haben (Sach 12).
Vor dem Tod Christi war der Vorhang da und das Allerheiligste unzugänglich. Es gab aber eine mehr oder weniger klare Vorstellung von einem kommenden persönlichen Erlöser sowie von der Gunst Gottes für die, die mit Ihm leben. Es gab Vertrauen in Ihn und seine Verheißungen. Erst als Gott sich völlig offenbarte, kam man zur Erkenntnis, dass man durch die Sünde von der Gegenwart Gottes getrennt war. Dann kam aber auch die Erkenntnis, dass für den Gläubigen die Sünde entfernt ist und wir durch Christi Werk vollständig und für immer versöhnt und zu Gott gebracht sind.
Die Bücher, über die wir sprechen, sind keine Prophezeiungen über Gottes Handlungen oder Taten. Nur die Psalmen vermitteln die zukünftige Erlösung durch Gottes Macht und Gericht. Die poetischen Bücher sind vielmehr der göttlich inspirierte Ausdruck menschlicher Gedanken und Gefühle unter Gottes Herrschaft.
Sie sind auch Offenbarungen Gottes, bevor die Erlösung vollständig erkannt wurde. Diese Offenbarungen geschahen hauptsächlich in Israel, daher sind diese Schriften vor allem der vielfältige Ausdruck von Gottes Weg mit Israel. Aber was für Gottes Wege mit Israel gilt, gilt prinzipiell überall. In Israel wurde zudem direkt die Frage nach der positiven Gerechtigkeit des Menschen durch das Gesetz aufgeworfen, das als vollkommene Lebensregel für die Menschen gilt.
Der Umfang des Buches Hiob
Das Buch Hiob bietet uns ein Beispiel der Beziehungen eines gottesfürchtigen Menschen mit Gott und wie Gott in dieser Welt des Bösen mit den Menschen zu ihrem Wohl verfährt. Dies geschah außerhalb von Israel und bevor es das Volk Israel gab. Ich zweifle aber nicht daran, dass die Geschichte Hiobs ein klares Vorbild von Israel ist. Hiob empfindet, dass der Mensch unmöglich vor Gott gerecht sein kann. Er beklagt sich über Furcht sowie darüber, dass er keinen Schiedsmann zwischen sich und Gott hatte. Elihu aber, der an Gottes statt diese Funktion einnimmt, erklärt nicht die Erlösung, sondern Züchtigung und Regierung (Hiob 33,29 etc.).
Das Buch Prediger
Das Buch des Predigers betrachtet diese Welt unter derselben Regierung und in ihrem gegenwärtigen gefallenen Zustand. Es erhebt sich die Frage, ob der Mensch dort auf irgendeine Weise Glück und Ruhe finden kann ohne Erkenntnis der Erlösung. Es findet sich dort auch keine anerkannte Beziehung zu Gott: Es heißt immer Elohim (Gott), niemals der HERR. Die Furcht Gottes und das Halten seiner Gebote war die ganze Pflicht des Menschen.
Das Lied der Lieder und das Buch der Sprüche
Das Lied Salomos gibt die direkte Beziehung zum Sohn Davids, die hingebungsvolle Liebe, die zur Beziehung zu Christus gehört. Das Buch der Sprüche gewährt eine Führung durch den gemischten und verworrenen Schauplatz. Hier steht alles auf dem Boden der Beziehung zu dem HERRN. Gott (Elohim) wird nur ein paar Mal erwähnt, was das Prinzip nicht beeinträchtigt. Keiner stellt sich aber auf den Boden der erkannten Erlösung. Die Menschen erwarten die Erlösung (Befreiung) durch Macht.
Der Römerbrief, der die Erlösung und die persönliche Rechtfertigung vorstellt, beginnt mit dem Zorn vom Himmel her (Röm 1,18). Es geht dabei nicht um die Regierung, sondern um den ewigen Zorn über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit. Die Sache der Nationen und der Juden wird völlig untersucht und von Gott selbst ans Licht gebracht. Es kann nur Zorn vom Himmel die Folge sein. Das ist der Hintergrund, auf dem sich die vollständige Erlösung durch Blut zeigt und die unumschränkte Gnade, die durch Gerechtigkeit herrscht. Die Gnade gibt uns einen Platz bei dem zweiten Adam, dem Herrn aus dem Himmel. Und später wird Israel durch die Gnade gesegnet (Röm 9-11). Alles wird im Licht geklärt, wie Gott im Licht ist – seine ewige Erlösung und die „himmlischen Örter“. Am Ende wird im Friedensreich die Erde gesegnet. Wir aber sind Pilger und Fremdlinge. Doch kennen wir die Erlösung.
Bei Männern wie Abraham und David war es so, dass sie nichts von dem Verheißenen empfingen, was für sie an sich ein Rätsel sein musste. Aber da sie durch Offenbarung wussten, dass die Gerechten das Land erben und die Bösen gerichtet werden, wurde für sie dieses Rätsel gelöst.
In dem Buch Hiob, den Psalmen und dem Buch des Predigers, die die Empfindungen der Menschen unter dieser Ordnung der Dinge ausdrücken, wird diese Verwirrung, dieses Rätseln ganz offenkundig. Der Glaube mag darüber hinwegkommen und mag ausharren. Propheten mögen die Lösung des Problems bezeugen. Und der persönliche Glaube mag sich über die Schwierigkeit erheben. Doch eine gegenwärtige, feste und ewige Beziehung mit Gott dem Vater auf einem gänzlich neuen Boden, auf den wir durch die Erlösung, durch jenes kostbare Blut, gebracht worden sind – das war unbekannt.
In den poetischen Büchern ist vollbrachte Erlösung unbekannt
Vieles wurde zur Zeit des Alten Testaments gelernt in Bezug auf Gott, und dies war überaus wertvoll. Doch das tatsächliche Ergebnis der Wege Gottes für Hiob waren mehr Kamele und Schafe und hübschere Töchter. Das Ergebnis in den Psalmen war das Gericht über die Feinde und Befreiung durch seine immerwährende Güte sowie eine befreite Erde. Im Buch des Predigers geht es darum, dass man Gottes Regierung im Heute anerkennt. Der Mensch muss Gott fürchten und seine Gebote halten und die Sache dabei beruhen lassen muss. Eine gekannte Erlösung wird nirgends gefunden.
Was für einen gewaltigen Unterschied zu uns macht das aus! Von Christen heißt es: „Wie er ist, sind auch wir in dieser Welt“ (1Joh 4,17). Der, der uns erlöst hat, ist zu seinem Vater und unserem Vater gegangen, zu seinem Gott und unserem Gott.
Wie ich schon gesagt habe, ist den Sprüchen und dem Lied Salomos ein anderer Charakter als Psalmen und Hiob eigen. Die Sprüche reden nicht von den Empfindungen des Menschen, sondern von der Führung Gottes in dieser Welt und den darin gemachten Erfahrungen. Das Lied der Lieder aber trägt das Herz ganz aus der Welt heraus, obwohl man noch darin ist. Aber das geschieht nicht, weil man die Erlösung kennt, sondern durch ergebene Liebe zu dem Messias, dem Bräutigam, die durch seine Liebe (zu Israel) hervorgerufen wird.
Diese innere Auseinandersetzung kennen wir auch, denn wir sind in der Welt – jedoch im Bewusstsein einer vollbrachten Erlösung und der gegenwärtigen Fürsorge eines heiligen Vaters. Und die Vollkommenheit seiner Wege, wie sie in Christus gesehen wird, ist das Muster für unser Verhalten. Wir können freudig den Raub unserer Güter annehmen, weil wir wissen, dass wir im Himmel ein besseres und beständiges Gut besitzen (Heb 10,34). Wir können uns auch der Trübsal rühmen, da sie ihren notwendigen Zweck erfüllt, und die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist (Röm 5). Dies ist ein anderer Fall, und zwar ein gesegneter.
Ich denke, dass uns diese allgemeinen Bemerkungen helfen werden, die Bücher zu verstehen, die uns jetzt beschäftigen werden.
Nach dem, was ich gesagt habe, wird das Buch Hiob keiner langen Betrachtung bedürfen, nicht, weil es nicht von Interesse ist, sondern weil, wenn man den allgemeinen Gedanken erfasst hat, es um Einzelheiten geht. Damit beschäftigen wir uns aber in dieser Auslegung nicht.
Der gerechte Hiob wird geprüft
Im Buch Hiob finden wir keine frohen Erlebnisse, sondern Erprobungen eines Menschen, der durch eine Welt geht, in der sich die Macht des Bösen befindet. Dieser Mensch ist nicht der Sünde gestorben und besitzt nicht die göttliche Erkenntnis, die durch das Evangelium kommt. So jemand kennt Christus in der Auferstehung sowie die vollkommene Liebe Gottes nicht, die die Furcht austreibt. Er kämpft aber mit dem Bösen oder damit, dass er das einzige wahre Gut nicht genießen kann, obwohl er es besitzen möchte. Was wir daraus lernen, ist das, was wir sind – es geht nicht um begangene Sünden. Das war nicht der Fall Hiobs, sondern die Seele selbst wird vor Gott gestellt.