„Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“ (Philipper 4,13).
Der Philipper-Brief ist ein Brief der Erfahrung. Es heißt daher nicht: „Alles vermag man“, sondern: „Alles vermag ich.“ Christus genügt zu jeder Zeit; dies war die Erfahrung des Apostels. Er hatte sich in allerlei Gefahren begeben müssen, aber Christus genügte allezeit. Jetzt hatte er Überfluss, doch Christus genügte ihm in allen Umständen.
Es ist gut, zu wissen, dass, obgleich wir oft weit hinter dem Ziel zurückbleiben, wir nie in eine Lage kommen können, die Er nicht beherrscht, möge es sich um die Gemeinde oder um die Einzelnen handeln.
Paulus drohte im Fleisch Gefahr, und deshalb wurde ihm ein Dorn für dasselbe gegeben. Der Dorn war etwas, was ihn gewissermaßen bei seinem öffentlichen Dienst verächtlich machte. Die mächtige Wirkung seiner Predigt rührte somit nicht von ihm selbst her, sondern bewies das Vorhandensein der Macht Christi. Deshalb gab er sich damit zufrieden und sagte: „Ich will mich vielmehr meiner Schwachheiten rühmen.“ Der Dorn war nicht die Kraft, aber er gehörte zur Entfaltung derselben. Das Fleisch wird vollständig „vernichtet“, damit Christus alles sei. Hätte es einen vierten Himmel gegeben, so wäre das Fleisch umso mehr aufgeblasen worden. Das, was von Natur schlecht ist, kann nicht verbessert werden. Nicht der Dorn, sondern Christus war die Kraft, die den Paulus „beseitigen“ sollte.
Dieses Kapitel – 2. Korinther 12 – hat zwei Seiten. Es zeigt uns
einen Menschen in Christus, in dem das Fleisch sozusagen vollständig in
den Tod gegeben ist; sodann Christus in einem Menschen – was die andere
Seite des christlichen Lebens bildet –, die Kraft Christi in und mit
uns. Sagen wir nicht, ein Christ vermag alles. Es ist im abstrakten
Sinne wahr, dennoch will es der Apostel nicht sagen. Er sagt: „Ich
vermag alles in dem, der mich kräftigt.“ – „Ich habe gelernt, worin ich
bin, mich zu begnügen.“ Christus genügte ihm vollständig. Zugleich
erfüllten die Erinnerungen an die Philipper sein Herz. „Denn auch in
Thessalonich habt ihr mir einmal und zweimal für meine Bedürfnisse
gesandt.“
Es ist sehr schön, zu sehen, wie der Apostel „immer Mensch bleibt“. Die
wahre Überlegenheit besteht darin, dass man durch all die wechselnden
Umstände hindurchgeht, sie alle fühlt und erwägt und dennoch sie
beherrscht. Beachten wir, wie er von Epaphroditus im zweiten Kapitel
spricht. Paulus wusste, dass, wenn er sterben würde, er in den Himmel
ging, aber er fühlte das Kranksein seines Bruders und Mitarbeiters, und
sein Herz konnte sich nicht gleichgültig über diese Prüfung
hinwegsetzen. Als der Herr die Witwe von Nain sah, wurde Er innerlich
bewegt. Er war nicht unempfindlich. Während Er durch die Umstände ging,
fühlte Er sie alle, und dennoch beherrschte Er sie. Wir sollten uns
nicht von den Umständen bestimmen lassen; wohl sollen wir sie fühlen,
aber wir sollen sie beherrschen. Christus genügt. Werfen wir alle unsere
Sorge auf Ihn!
Paulus legt ihrem Dienst den ganzen Wert der göttlichen Gnade bei (Phil 4,18.19). Welch ein Band sehen wir in der Kirche Gottes, selbst wenn es
sich um die Gaben handelt! Vielleicht haben arme, alte bettlägerige
Frauen für Paulus gebetet. „Mein Gott aber wird alle eure Notdurft
erfüllen.“ Es heißt: „mein Gott“. Er kannte Ihn – der Gott, den ich
kenne, vor dem ich gewandelt habe, Er wird es tun –, als wenn er dafür
einstehen wollte. Wie erhebt sich das Herz des Apostels zu der Quelle
von allem! Und was war der Maßstab? Etwa das Bedürfnis? Ach nein,
sondern „nach seinem Reichtum, in Herrlichkeit in Christus Jesus“.
Hieraus ersehen wir, wie der Geist Gottes ihn über die Umstände
hinwegsetzte, während er alles fühlte. Einerseits fühlt man hier auf der
Erde alles vollkommen, und anderseits hat man die Quelle der Kraft in
Christus. Was ich zu lernen habe, ist meine eigene Schwachheit.
Wir machen einen großen Fehler in Bezug auf die Apostel. Wir stellen sie
uns als solche vor, die gleich den Adlern sich hoch über alles Irdische
erheben. Paulus sagt aber: „Ich war bei euch in Schwachheit und in
Furcht und in vielem Zittern.“ In Korinth waren vornehme Leute. Paulus
war ein Gefäß zum Segen, aber man darf nicht etwas aus dem Gefäß machen.
Wir müssen lernen, nichts zu sein, damit Christus alles werde. Ist man
demütig, so braucht man nicht demütig zu werden. Wenn man es aber nicht
ist, so muss man es werden. Sind wir damit zufrieden, nichts zu sein?
Begnügen wir uns, im Verborgenen mit Gott zu wandeln? Möge der Herr
geben, dass wir einen solchen Wandel durch diese Welt praktisch
kennenlernen! Was auch der Zustand der Gemeinde oder der Einzelnen sein
möge: Christus genügt. Möge der Herr uns unsere Nichtigkeit erkennen
lassen!