Das Spottlied
Der Rest von Habakuk 2 ist ein satirischer Ausbruch oder ein Spottlied, mit dem das Schicksal der chaldäischen Eindringlinge vorhergesagt wird. Es enthält fünf „Wehe“, die wie folgt zusammengefasst sind:
Ein Wehe gegen die Aggression (2,6‒8)
Ein Wehe gegen die Selbst-Anmaßung (2,9‒11) Ein Wehe gegen die Gewalttaten (2,12‒14)
Ein Wehe gegen die Grausamkeit (2,15‒17) Ein Wehe gegen den Götzendienst (2,18‒20)
Diese fünf Strophen schildern die Wesensmerkmale der Chaldäer und weisen stillschweigend auf das hin, was ihr Verhalten und ihre Handlungen für sie heraufbeschwören. Keil führt aus, dass die Weherufe „miteinander verbunden sind, so dass sie zwei größere Gruppen bilden, und zwar durch einen Refrain, der die erste und die vierte beschließt, genauso wie die sich aus den Drohungen ergebenden Verheißungen, mit denen die dritte und die fünfte Strophe enden.“
Das erste Wehe
Werden nicht diese alle über ihn einen Spruch und eine Spottrede anheben? Rätsel über ihn? Und man wird sagen: Wehe dem, der aufhäuft, was nicht sein ist – bis wann? ‒ und der Pfandlast auf sich lädt! Und werden nicht plötzlich aufstehen, die dich beißen, und aufwachen, die dich fortscheuchen werden? Und du wirst ihnen zur Beute werden. Denn du hast viele Nationen beraubt; und so werden alle übriggebliebenen Völker dich berauben wegen des Blutes der Menschen und der Gewalttat an Land und Stadt und an allen ihren Bewohnern (2,6‒8).
Die chaldäischen Heere waren plündernd und verwüstend durch viele Länder gefegt und hatten die Bevölkerungen auf brutale Weise gequält, indem sie ihnen räuberisch alles entrissen, was ihnen gefiel. Nun erhoben diese Völker, die so vieles erduldet hatten, einen Spottgesang gegen ihre grausamen Unterdrücker. Die gewöhnlich dem Handeln des EWIGEN gegenüber unempfindlichen Heidenvölker, wenn Er in die Angelegenheiten der Menschen eingreift, scheinen plötzlich einen kleinen Einblick in die Absichten Gottes erhalten zu haben. Und eine Inspiration, die nicht von dieser Welt ist, riss sie zu einer Erklärung des göttlichen Willens hin.
Dieses Spottlied ist mehr als ein Gleichnis oder ein Spruch, (wie
einige Übersetzungen es wiedergeben). „Die genaue Definition des Wortes
maschal ist in einigen Anwendungen ziemlich kompliziert“, sagt
Drive: „Es bedeutet genau genommen Gleichnis oder
Darstellung. Neben seinem gewöhnlichen Sinn als Spruch,
bezeichnet es manchmal eine Parabel oder eine Allegorie (wie in Hes 17,2; 24,3), das heißt: Es repräsentiert ein Symbol in indirekter und
bildhafter Sprache und manchmal sonst auch etwas anderes bei gehobener
Sprache oder in erklärender poetischer Rede (wie in 4Mo 24,7;
Das erste „Wehe“ wurde über die Aggressoren ausgesprochen wegen ihrer skrupelund gnadenlosen Raffgier, die sie in allen von ihnen eroberten Ländern offenbarten. Der Reichtum der Nationen, alle ihre Schätze, jeden Wertgegenstand, hatten sie weggeschleppt. Die Weissagung beschreibt die Chaldäer als solche, die alles aufhäuften, um es in ihr eigenes Land zu bringen. Es war reiner Diebstahl; denn die Güter gehörten den Eindringlingen nicht. Weiterhin wurden sie als unermüdliche Steuereintreiber dargestellt, die sich mit auf Tontafeln festgelegten Forderungen belasteten, die sie von ihren Debitoren gegen das Gesetz Moses eingesammelt hatten (5Mo 24,10). Wie lange würden sie in der Lage sein, das auf unrechte Weise gewonnene Plündergut zu behalten? Das bedeutete auch, dass sie am Ende gezwungen würden, alles wieder herausgeben zu müssen, was sie zusammengebracht hatten.
Die Zerstörer würden zerstört werden. Die Schuldner (oder unterdrückten Völker) würden plötzlich aufstehen und revoltieren. Man kommt zu dem Ergebnis, dass man in den Chaldäern Kreditgeber sah, die versuchten, von den eroberten Menschen hohe Raten und Zinsen zu erzielen. Die Opfer hingeben werden als Zinsenzahler, als auch als solche dargestellt, die ihre Kreditgeber beißen. Das Wort naschak heißt „beißen“; aber übertragen auch „(vom Geldgeber) etwas abbeißen“, ihm also nur zu bezahlen, was ihm zukommt. Die Weissagung erklärt, dass die zu Opfern gemachten Nationen nicht nur aufstehen würden, um ihre Unterdrücker zu beißen, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie genauso zittern und zagen werden, wie sie vorher diese grausam geschüttelt hatten. Es war normal für zahlungsunfähige Schuldner, schrecklich unter den ärgerlichen Kreditgebern zu leiden. Nun aber sollte das Blatt sich wenden, und die Schuldner würden die Geldgeber wütend schütteln, möglicherweise um sie zu zwingen, den gestohlenen Gewinn herauszugeben. Die Chaldäer hatten das bei den Völkern Geraubte weggeschleppt, doch jetzt sollten sie eine Beute der Völker werden. Der Tag der Vergeltung und Erstattung musste kommen.
Die Chaldäer hatten viele Nationen ausgeplündert; aber der Rest der Völker, der der Vernichtung entronnen war, würde eines Tages kommen und sie ausrauben. Sie hatten ohne Unterlass Menschenblut vergossen, hatten das Land ausgeraubt, die Städte verbrannt und die Bewohner dieser Städte versklavt. Ihre Unmenschlichkeit kehrte nun auf ihren eigenen Kopf zurück. Nun mussten sie ernten, was sie gesät hatten; denn immer noch sitzt jemand auf dem Thron des Universums, der von den Handlungen der Völker und ihrer Menschen Notiz nimmt.
Chaldäa erlitt am Ende die Strafe für seine Verbrechen, und das Gericht brach über das stolze Weltreich Babylon herein. Die Ruinen der Stadt Babylon liegen zerstört und verwüstet umher. In The Basis of Christian Faith, Seite 310, schreibt F. E. Hamilton: „Bei den Arabern kursieren verschiedene abergläubische Geschichten, die sie davon abhalten, dort ihre Zelte zu errichten, während der Zustand des Bodens das Aufkommen von Vegetation verhindert, die für die Haltung von Herden nötig wäre. Die ganze Gegend ist eine hoffnungslose Wüste, und die Höhlen und Löcher in den Ruinen sind von wilden Tieren bewohn. Löwen, Schakale und andere Wildtiere tummeln sich zwischen den Ruinen, und das Echo ihrer Schreie erschallt aus den Löchern der einstigen Paläste; doch menschliche Wesen sind ringsum nur selten zu sehen.1
Das zweite Wehe
Wehe dem, der bösen Gewinn macht für sein Haus, um sein Nest hoch zu setzen, um sich zu retten aus der Hand des Unglücks! Du hast Schande für dein Haus geplant, die Vertilgung vieler Völker und hast dein Leben verwirkt. Denn der Stein wird schreien aus der Mauer, und der Sparren aus dem Holzwerk ihm anteworten (2,9‒11).
Das erste Wehe bezog sich auf das Räubern und Plündern und die Aggression der Chaldäer. Das zweite beschäftigt sich mit dem Geltungsanspruch ihrer Vorherrschaft und mit ihrem Versuch, ihre Autorität über die Völker zu festigen.
Kelly sagt: „Das mag beginnen mit Selbstüberschätzung und Verachtung der anderen Völker und endet damit, dass man sich über alle Feinde erhebt“ (ebd., S. 338). Die Chaldäer hatten auf unrechtmäßige Weise Gewinn für ihr Haus erworben. Sie meinten, sich mit Hilfe der erworbenen Güter Sicherheit für sich selbst schaffen zu können. Das Wort Haus mag sich auf die augenblicklich herrschende Dynastie beziehen; denn sie war es, die durch Gewalt und Plünderung stabilisiert wurde. Sie besetzten ein niedrig gelegenes Land; aber um sich selbst Sicherheit zu verschaffen, beschreibt der Prophet sie als Adler, die ihr Nest in der solcher Höhe bauen, die nur von den mutigsten Bergsteigern erreicht werden kann. Keil sagt dazu: „Wie der Adler sein Nest in der Höhe baut, um es vor Unglück zu schützen (Hiob 39,27), so versucht der Chaldäer sich zu erheben und seine Macht durch Räubern und Plündern zu stärken, damit sie seiner Familie niemals entrissen werde“ (ebd. S. 83). Bildlich gesprochen wollte er, dass seine Wohnstätte außerhalb des Bereichs jeglichen Unglücks liegt (siehe Obad 4).
Aber diese Pläne, seien sie auch noch so gut erdacht, würden den Planern nichts als Schande einbringen. Um sich selbst zu erhöhen, treten sie andere unter ihre Füße: Sie vernichten andere, um sich selbst besser abzusichern. Das Ergebnis würde nur Schande und Verwirrung über sie selbst bringen. Was sie ihren Opfern angetan hatten, diente dazu, dass sie ihr eigenes Leben verwirkten. Die eines Tages stattfindende Rache der Völker wird eine Reaktion darauf sein.
Die Steine und die Balken, aus denen Häuser und Paläste gebaut waren, entstammten Plünderungen und Ungerechtigkeiten. Als Folge davon würde nach dieser Weissagung ein Tag kommen, an dem eben diese Steine und Hölzer schreien werden, indem sie als Zeugen gegen die üble Weise auftreten, wie sie sie erworben hatten. Dieses Bild ist stark, aber angemessen.
F. F. Gaebelein meint in Four Minor Prophets, S. 174, dass ein Haus „die Persönlichkeiten derer wiederspiegelt, die darin wohnen“ und er zitiert Rudyard Kipling, der gesagt hat: „Männer und Frauen können manchmal, wenn sie sich sehr mühen, eine glaubhafte Lüge errichten; aber jenes Haus, das ihr Tempel war, kann nichts anderes als die Wahrheit über die sagen, die darin gewohnt hatten.“
Das dritte Wehe
Wehe dem, der Städte mit Blut baut und Städte mit Ungerechtigkeit gründet. Siehe, es ist nicht von dem HERRN der Heerscharen, dass Völker sich fürs Feuer abmühen und Völkerschaften sich vergebens plagen; denn die Erde wird voll der Erkenntnis der Herrlichkeit des HERRN sein, so wie die Wasser den Meeresgrund bedecken (2,12‒14).
Das dritte Wehe richtet sich gegen die Gewaltanwendung und Bosheit der Erbauer der Städte. Es ist interessant, dass man viele Inschriften Nebukadnezars gefunden hat, und die Mehrheit berichtet von Bauwerken und Bautätigkeit. Die Kosten für die großartigen Bauwerke in Babylon wurden durch die blutigen Kriege aufgebracht, in die die Chaldäer verwickelt gewesen waren. Das Werk wurde durch Sklavenarbeit errichtet – also von Gefangenen, die aus ihren Ländern verschleppt und von dieser grausamen Weltmacht unterjocht waren. Dass man sich über das Leben der Verschleppten keinerlei Gedanken machte, war typisch für die Eroberer. Ihre Städte wurden förmlich mit Blut gebaut und mit Ungerechtigkeit gegründet. Die Hilfsquellen stammten aus dem Besitz anderer.
Dann bestätigt Habakuk, dass der HERR der Heerscharen verfügt hatte, dass die zwangsweise zum Bau der Häuser Babylons herangezogenen Völker nur fürs Feuer arbeiten sollten (für den „Rauch“ nach einer anderen Version).
Die Städte und Befestigungen, mit deren Konstruktion sie beschäftigt waren, würden durch Feuer vernichtet werden. Folglich wäre ihre Mühe vergeblich. Tatsächlich mühten sich die Völker vergebens; denn nicht nur die Gebäude wurden eines Tages zerstört, sondern das große Imperium selbst sollte eines zukünftigen Tages durch die Meder und Perser zerstört werden. Die ganze mühevolle Schufterei war letztendlich vergebens.
Im Gegensatz dazu würde einmal die ganze Erde mit der Erkenntnis der Herrlichkeit des HERRN erfüllt sein, wie die Wasser den Meeresboden bedecken. Das bedeutet doch, dass die feindseligen Reiche der Welt einschließlich des chaldäischen, gänzlich vernichtet werden, damit die strahlende Majestät des obersten Herrschers in Erscheinung tritt (Jes 11,9). Dann wird es keinen Ort auf der Erde mehr geben, an dem nicht das Wunder dieser Herrlichkeit gesehen wird. Das bezieht sich natürlich auf die Erscheinung des Messias in Macht und Herrlichkeit, um alle Feinde zu Boden zu werfen, Sünde und Bosheit zu richten und sein theokratisches Reich in Recht und Gerechtigkeit zu etablieren. Das ist die einzige Hoffnung für eine todmüde Welt. Außerdem steht es dem verachteten Jesus von Nazareth wirklich zu, eines Tages als der herrliche Sohn Gottes geschaut zu werden.
Das vierte Wehe
Wehe dem, der seinem Nächsten zu trinken gibt, indem du deinen Zorn beimischt und sie auch betrunken machst, um ihre Blöße anzuschauen! Du hast dich mit Schande gesättigt anstatt mit Ehre: Trinke auch du und zeige dein Unbeschnittensein; der Becher der Rechten des HERRN wird sich zu dir wenden und schimpfliche Schande wird über dich kommen. Denn die Gewalttat am Libanon wird dich bedecken, und die Zerstörung der Tiere, die sie in Schrecken versetzte: wegen des Blutes der Menschen und der Gewalttat an Stadt und Land und an allen ihren Bewohnern. – Was nützt ein geschnitztes Bild, dass sein Bildhauer es geschnitzt hat, ein gegossenes Bild und das Lügen lehrt, dass der Bildner seines Bildes darauf vertraut, um stumme Götzen zu machen? (2,15‒17).
Beim vierten Wehe geht es um die Unmenschlichkeit der Eroberer den Völkern gegenüber, die sie ihrer Herrschaft unterworfen hatten. In Vers 5 wurden die Chaldäer als Trunksüchtige geschildert, und Trunkenheit war tatsächlich ihre vorherrschende Sünde; es steht also dazu nicht im Widerspruch, sie als solche zu beschreiben, die anderen zu trinken gaben. In diesem Fall allerdings stammte der ihnen dargereichte berauschende Schluck aus dem Kelch des Zorns; denn die Absicht war, ihre Mitmenschen betrunken zu machen, damit man sie umso leichter in Abhängigkeit bringen konnte. „Trunkenheit ist hier“, so sagt ein Schreiber, „ein Bild der Frustration und Hilflosigkeit eines unterjochten Volkes, das machtlos unter den betäubenden und lähmenden Einwirkungen einer gewaltigen Katastrophe steht“ (siehe Nah 3,11).
Die Weissagung zeigt uns tatsächlich, dass die Leute wegen der wollüstigen Begierde trunken gemacht wurden, um deren Nacktheit (oder Scham) zu betrachten. Dieses boshafte Weiden an ungehöriger Zurschaustellung wird in 1. Mose 9,21‒25 verurteilt. Aber um was es in Habakuk 2,15 eigentlich geht, ist dass die Leute bei der Zurschaustellung ihrer Scham völlig willenlos gemacht waren. Es bestand also für die Eroberer keinerlei Schwierigkeit, sich dadurch selbst zu erhöhen.
Habakuk erklärt allerdings, dass die Schande der Opfer, über sie sich die Chaldäer amüsierten, deren eigenes schamvolles Verhalten demonstrierte. Anstatt mit Ruhm bedeckten sie sich mit Schande. Sie mussten den berauschenden Trunk, den sie anderen aufgezwungen hatten, selbst trinken, und dem zufolge würden sie gleicher Schande preisgegeben werden.
Der Kelch, aus dem die Chaldäer trinken sollten, war der aus der rechten Hand des HERRN. Wenn sie an die Reihe kamen, würde sich das als ein berauschender Trunk erweisen, und sie würden in ihrer Trunkenheit so tief sinken, dass sie an ihrem geheimsten Körperteil zeigen würden, dass sie Unbeschnittene sind, und schimpfliche Schande über sich bringen (ein hebräisches Wort, das nur hier vorkommt und höchste Verachtung ausdrückt) und ihre „Herrlichkeit“ verdecken.
Andere Schriftstellen zeigen, dass dieser Kelch des HERRN ein Kelch des Zorns und des Gerichtes ist (Jer 25,15.17.28), und damit sollte gesagt werden, dass zu Gottes Stunde die Chaldäer unter der strafenden Hand Gottes zu leiden haben werden.
Die Eroberer hatten in frevelhafter Weise die Wälder des Libanon abgeholzt, um Zedernholz für die Verzierung ihrer Häuser und Paläste zu gewinnen. Sie hatten das Wild in den Wäldern gejagt und vernichtet. Die Gewalt, die sie dem Libanon angetan hatten, würde schwer wie ein zusammengebrochenes Zederndach lasten, und die Tiere, die unter ihnen gelitten hatten, würden ihre Herzen in Schrecken versetzen. Das Blut der Erschlagenen, die Beraubung der Erde, die Ruinen der Städte und die Leiden ihrer Bewohner, alle würden Rache an diesem tyrannischen Geschlecht fordern. Es muss Vergeltung geben. Erst heutzutage beginnen wir die Auswirkungen der Umweltzerstörung zu verstehen, einschließlich und unter anderem das Abholzen der Bergwälder und wie die Natur sich dafür rächen wird.
Das fünfte Wehe
Was nützt ein geschnitztes Bild, das sein Bildner geschnitzt hat, ein gegossenes Bild und das Lügen lehrt, dass der Bildner seines Bildes darauf vertraut, um stumme Götzen zu machen? – Wehe dem, der zum Holz spricht: „Wache auf!“, zum schweigenden Stein: „Erwache!“‒ Er sollte lehren? Siehe, er ist mit Gold und Silber überzogen, und gar kein Odem ist in seinem Innern. Aber der HERR ist in seinem heiligen Palast. Schweige vor Ihm, ganze Erde! (2,18‒20).
Das abschließende Wehe ergeht über den Götzendienst der Chaldäer. Die Absurdität der Verehrung stummer Götzen sollte offensichtlich sein, und logischerweise fragt der Prophet, welchen Wert ein metallenes Bildnis haben könnte, das geformt und bearbeitet wurde? Die Weissagungen, die ein Priester dieser Idole gibt, können naturgemäß nicht stimmen. Es müssen Lügenorakel sein.
Wie völlig irrational ist es doch, ein Stück Holz anzureden! Wie könnte ein solches unbeseeltes Objekt auf eine Bitte reagieren? Selbst wenn das Götzenbild mit Gold und Silber überzogen war, blieb es doch immer noch wirkungslos. Es hatte kein Leben. Wo war sein Odem? (siehe Jes 44,9ff.). In dem Text liegt eine starke Verachtung für diese verblendeten und verführten Götzenanbeter. Im Gegensatz zu den machtlosen Götzen, gibt es einen wahren Gott, der zu fürchten ist. Der HERR war in seinem heiligen Tempel. Die Chaldäer vertrauten wie andere Heiden auf ihre Götzen; aber das Volk Judas, das von ihnen unterdrückt wurde, vertraute auf den Gott des Himmels. Die Wehe-Rufe, mit denen hier gedroht wurde, würden durch das Hineinwirken Gottes in die menschlichen Angelegenheiten wirksam werden, und kein Götze könnte seine Absichten verhindern.
Es möge die ganze Erde vor Ihm schweigen, sagt der Prophet. Das bedeutet, der HERR stand im Begriff zu handeln, und Er würde keine Widerrede dulden. Das Gericht stand vor der Tür, und alle hatten wahrlich Grund, sich vor Gott zu fürchten.
Es ist bezeichnend, dass das Spottlied, dem zufolge das Eingreifen Gottes hätte erwartet werden können, nicht vom Volk Gottes in Juda ausging, sondern vor allem von den Heidenvölkern, die vornehmlich die eisernen Absätze der Chaldäer zu spüren bekommen hatten.
Während die Ohren des Allmächtigen unablässig auf das Schreien seines Volkes gerichtet sind, scheint es, als ob Er das Schreien der Bedürftigen, die ihre Knie nicht vor Ihm gebeugt haben, ebenfalls nicht gänzlich überhört.
1 Der letzte Herrscher des Irak hat sich allerdings in Babylon einen Palast gebaut und empfand sich als der Nachfolger Nebukadnezars (Anm. des Übersetzers).↩︎