Das Gerichtswerkzeug
Wenn der Prophet durch das Schweigen des Himmels angesichts der Sünden des auserwählten Volkes verwirrt war, dann noch mehr wegen des ihm offensichtlich ungereimt erscheinenden Verhaltens des HERRN. Ganz selbstverständlich konnte ein gerechter Gott Böses nicht dulden und musste dem gemäß gezwungen sein, dieses zu bestrafen. „Ihm allein unter den Propheten“, so sagt Scofield, „ging es mehr darum, die Heiligkeit des HERRN zu verteidigen, als dass Israel einer Züchtigung entgehen sollte.“ Aber Gott begeht keine Ungereimtheiten, und so würde das Gericht bald hereinbrechen. Als allerdings das Werkzeug für die Durchführung der Bestrafung enthüllt wurde, verwirrte das den Propheten nur noch mehr. Diese Weise des göttlichen Eingreifens schien völlig unvernünftig zu sein. Doch Gott hat es nicht nötig, erklärende Argumente zu liefern.
Das erwählte Werkzeug
Seht unter den Nationen und schaut und erstaunt, staunt; denn Ich wirke ein Werk in euren Tagen – ihr würdet es nicht glauben, wenn es erzählt würde. Denn siehe, Ich erwecke die Chaldäer, das grimmige und ungestüme Volk, das die Breite der Erde durchzieht, um Wohnungen in Besitz zu nehmen, die ihm nicht gehören (1,5.6).
Falls Habakuk unter dem Eindruck gestanden hatte, dass den HERRN nicht interessierte, was auf der Erde geschah, dann wurde jetzt diese Ansicht zerstört. Er wurde aufgerufen, sich umzuschauen, um zu erkennen, dass der Allmächtige weit davon entfernt war, ein uninteressierter Zuschauer zu sein. Vielmehr war Er unter den Nationen am Werk. Er hatte weder abgedankt noch die geistlichen Zustände in Juda oder bei dessen Nachbarn übersehen. Was Er zu tun vorhatte (oder tatsächlich unter den Nationen bereits tat), konnte den Betrachter erschaudern und ihn daran zweifeln lassen, dass es tatsächlich geschehen würde.
Vers 5 wird von dem Apostel Paulus später in der Synagoge von Antiochien in Pisidien als Warnung für solche zitiert werden, die das Zeugnis Christi ablehnen (Apg 13,41). Die göttliche Absicht in beiden Fällen besteht darin, die Menschen zur Buße aufzurufen.
Was war es nun, was so unglaublich erschien? Es bestand darin, dass Gott ein Volk wie die Chaldäer berufen würde, sein Werkzeug zur Züchtigung der Völker zu sein (siehe Jer 5,15). Sie waren schon dabei, Leiden über andere Völker zu bringen (siehe Jer 25,32). In dem Buch Assyrien, dessen Fürsten, Priester und Leute zeichnet Prof.
A. H. Sayce ein plastisches Bild der von den Assyrern angewandten Methoden, die von den Chaldäern nur allzu eifrig übernommen wurden. Diese hatten großen Anteil an der Zerstörung des großen assyrischen Weltreichs. Er sagt: „Die Grausamkeiten, die der Eroberung einer Stadt folgten, wären beinahe unglaublich, wenn sie nicht den Inhalt der Inschriften bildeten, die sie zu ihrem Ruhm hinterließen. Assurnasirpals Grausamkeiten waren besonders abstoßend. Pyramiden von Menschschädeln begleiteten den Weg der Eroberer; Jungen und Mädchen wurden lebendig verbrannt oder für ein noch schrecklicheres Schicksal aufgespart. Männer wurden gepfählt, ihnen wurde bei lebendigem Leib die Haut abgezogen, sie wurden geblendet oder ihnen wurden Hände und Füße, Nasen und Ohren abgeschnitten, während Frauen und Kinder in die Sklaverei verschleppt wurden. Die eroberten Städte wurden geplündert und in Aschehaufen verwandelt und die Bäume ringsumher fällte man. Wie tief Blutdurst und Rachegedanken einem Feind gegenüber in ihnen steckten, wird an einem Halbrelief deutlich, das Assurbanipal mit seiner Königin beim Festmahl im Garten darstellt, während das
Haupt des besiegten Elamiterkönigs über ihnen von einem Baum herabhängt.“
Was zuvor die Assyrer waren, wurden später die Chaldäer. Und das war nun das Volk, das Gott zu seinem Gerichtswerkzeug erkoren hatte. Die Chaldäer werden Habakuk als ein grimmiges und ungestümes Volk vorgestellt, das heißt furchterregend und erbarmungslos grausam, hochmütig und hitzig. Das war die passende Beschreibung ihrer vorherrschenden Eigenschaften. Sie stürmten, wie Laetsch in seinen Minor Prophets, S. 320 sagt: „unentwegt vorwärts stürmend, nicht eher ruhend, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Das Tempo, mit dem das chaldäische oder Neu-Babylonische Reich zur herrschenden Weltmacht wurde, ist fast unglaublich. Nabopolassars Revolte gegen Assyrien im Jahr 626 v. Chr. war mit Erfolg gekrönt. Nur zwölf Jahre (613) später lag das stolze Ninive als Trümmerhaufen zu seinen Füßen. Sieben Jahre später wurde der einzige Rivale für die Weltherrschaft, Ägypten, von dem Kronprinzen Nebukadnezar vernichtend geschlagen, der den Pharao Neko und dessen Heer bis nach Ägypten verfolgte (605). Jerusalem wurde 586 zerstört, und Ägypten im Jahr 568 überrannt und gedemütigt. In ihrem unersättlichen Hunger nach Weltherrschaft, waren sie nicht mit der Besetzung unbewohnter Gebiete zufrieden. Sie durchzogen die Welt der Länge und Breite nach, wobei es ihnen besondere Freude machte, Länder zu erobern, die von anderen Völkern bewohnt waren.“ Ihre Beschreibung in der Bibel ist vollkommen richtig.
Auf einer Inschrift offenbarte Nebukadnezar seinen Charakter mit folgenden Worten: „In hohem Vertrauen auf ihn (seinen Gott Marduk) kam ich in ferne Länder und zu weit entfernten Bergen vom oberen Meer (Mittelmeer) bis zum unteren Meer (Persischer Golf), über steile Pfade, versperrte Straßen, wo die Schritte behindert und der Fuß nicht stehen konnte, wo man schwierig vorankommt auf verlassenen Wegen, da zog ich hin und vernichtete die Ungehorsamen. Ich nahm die Feinde gefangen und schaffte Recht in den Ländern; ich erhob die Völker und trennte die Bösen und Schlechten von ihnen. Die chaldäischen Heere überfluteten das Land, wobei sie unentwegt ihre Feinde ausmerzten, Steuern erhoben und sich bereicherten. In allem zeigten sie das völlige Fehlen von Gnade und Mitempfinden.
Ein schreckliches Volk
Es ist schrecklich und furchtbar; sein Recht und seine Hoheit gehen von ihm aus. Und schneller als Leoparden sind seine Pferde und rascher als Abendwölfe (1,7.8).
Diese schrecklichen Feinde waren in den Augen des Propheten „schrecklich und furchtbar“ und völlig ohne jegliches Erbarmen oder Mitleid. Sie erzeugten Furcht und Schrecken in den Herzen derer, deren Länder sie eroberten. Ihre unmenschliche Brutalität war überall bekannt und konnte die tapfersten Herzen erzittern lassen. Die Septuaginta ersetzt „schrecklich“ durch „erhaben“; aber das Erste passt besser zu dem Zusammenhang. Die Chaldäer waren Leute, die man fürchten musste, und ihr Auftreten musste damals alle Völker ins Unglück stürzen.
Herrschsüchtig und autokratisch forderten sie uneingeschränkten Gehorsam für die von ihnen eingeführten Gesetze. In ihrer Arroganz nahmen sie für sich in Anspruch, das letzte Wort in richterlichen Angelegenheiten zu haben. Ihren Forderungen war bedingungsloser Gehorsam zu leisten. Im selben Maß, wie sie sich selbst für „würdig“ hielten, forderten sie von den durch sie Eroberten bedingungslose Unterwerfung.
5. Mose 28,49 hatte das Schicksal des Volkes Gottes vorausgesagt, wenn es sich von Ihm abwenden würde, und dies angekündigte Gericht sollte jetzt ausgeführt werden. Der Prophet beschreibt das Wesen der chaldäischen Kavallerie, wie sie raubend, plündernd und mordend durchs Land jagt. Ihre Pferde waren schneller als Leoparden, die man für die schnellsten aller Tiere hielt und die ein passendes Bild des Feindes waren, wie er seine Beute überwältigte. Sie waren gefährlicher als Wölfe, die in der Dunkelheit das Land durchstreifen, um ihren Hunger zu stillen (vgl. Zeph 3,3). So wie diese wilden Tiere zu fürchten waren, so auch diese schrecklichen Reiter. Die Schlacht ist für sie dasselbe wie das Reißen der Beute bei den wilden Tieren (vgl. Hiob 39,20ff.).
Die berittenen Truppen stürmten vorwärts, unentwegt aus weiter Ferne ihren stolzen Zielen entgegen. Wie die Adler (eig. Geier) aus der Ferne das gefallene Tier erblicken und schnell darauf zufliegen, um es zu verzehren, so jagten diese Reiter hitzig weiter um zu morden und zu rauben – bildlich gesprochen, um ihre Opfer zu verschlingen. Der von Habakuk genannte Adler ist, wie Driver (ebd. S. 69) sagt, „nicht der gewöhnlich Geier, sondern der Große oder Gänsegeier, ein beständig in Israel auftretender majestätischer Vogel, der immer höher in den Himmel seine Kreise zieht und sich dann plötzlich auf seine Beute stürzt. Dieses Symbol passte genau auf jene, die damit gemeint waren.
Der verachtenswerte Eindringling
Sie kommen allesamt zur Gewalttat; das Streben ihrer Angesichter ist vorwärts gerichtet, und Gefangene rafft es zusammen wie Sand. Und es verspottet Könige, und Fürsten sind ihm ein Gelächter. Es lacht jeder Festung, und es schüttet Erde auf und nimmt sie ein (1,9.10).
Schlier erklärt, sie seien „ein unverschämtes Volk, dass es mit dem Erobern eilig hatte“, und das entspricht sicher dem Bild, das der Prophet uns malt. Sie drängten auf Gewalt, denn ein hartes Gericht sollte auf diese Weise ausgeübt wurde. Tatsächlich gab es kein passenderes Werkzeug für diesen Zweck. Ihre Angesichter waren eifrig auf mögliche neue Eroberungen gerichtet, die vor ihnen lagen, und in ihrem gesamten Verhalten zeigte sich das brennende Verlangen, unermüdlich zu neuen Angriffen vorwärtszustürmen. Wie es oft in gewöhnlichen Kriegen vorkommt, wurden die Gefangenen in so großen Mengen zusammengetrieben, dass man deren Zahl mit der der Sandkörner in der Wüste vergleichen konnte.
Im Vertrauen auf die eigene Kraft spottete das chaldäische Heer über Könige und lachte über untergeordnete Führer. Niemand konnte ihren nächsten Angriff vorhersehen, und Fürsten widerstanden ihnen vergeblich. Ihr „Spotten“ über Könige wurde noch befördert durch ihre Sitte, gefangene Fürsten in Wagen zu stecken und sie als öffentliches Spektakel zur Schau zu stellen. Oft wurden Gefangene geblendet (vgl. 2Kön 25,7). Keine Festung konnte erfolgreich Widerstand leisten, und so verhöhnten sie die Burgen, wo doch ihre Opfer diese für vollkommen unüberwindlich gehalten hatten. Bei der Belagerung befestigter Städte errichteten sie Bollwerke aus Erde und griffen von diesen Wällen aus an, so wie es in Hesekiel 26,7‒14 (vgl. 2Sam 20,15) beschrieben wird. Die Zerstörung solcher Festungen war normalerweise kein langanhaltender Prozess; die Kapitulation erfolgte meistens schnell, wenn deren Unausweichlichkeit deutlich wurde. Und dieses unüberwindliche Heer war es, das Juda bedrohte, und deshalb gab es Grund genug für diese verbreitete Furcht.
Der Wind dreht sich
Dann fährt es daher wie der Wind und zieht weiter und macht sich schuldig: Diese seine Kraft ist sein Gott (1,11).
Die göttliche Ankündigung des hereinbrechenden Gerichts über Israel endet mit Vers 11; aber es gibt auch Anzeichen dafür, dass das stürmische Überrennen der Völker ihr Ende erreichen wird.
Der Vers ist sehr schwierig zu verstehen, und seine Übersetzungen weichen stark voneinander ab. Die King-James-Bibel gibt zu verstehen, dass die Chaldäer, wenn sie auf der Höhe ihres Siegeszuges stehen, sich ihr Sinn ändern werde (oder dass sie möglicherweise ihren Verstand verlieren werden), so dass sie zu ihrem eigenen Verderben alle vernünftige Zurückhaltung aufgeben würden. Folgt man dieser Ansicht, könnte man geneigt werden, darin eine Ankündigung des Irre-Werdens Nebukadnezars zu erkennen (Dan 4). Das ist allerdings sehr unwahrscheinlich, und Feinbergs Erklärung (ebd., S. 17) scheint befriedigender zu sein. Er sagt: „Alles, was der Prophet hier zu sagen scheint, ist, das die Erfolge der Chaldäer sich häufen werden. Sie werden wie der Sturmwind alles über die Breite des Landes vor sich hertreiben, und indem sie das tun, werden die Chaldäer wegen ihres gottlosen Ehrgeizes eine riesige Menge von Schuld vor Gott aufhäufen, weil sie so viele hilflose Völker unterjochten.“
Der wahre Gott erfuhr in den Siegen der Chaldäer keinerlei Anerkennung. Stattdessen priesen sie ihre eigene Stärke als die Ursache ihrer Erfolge und betrachteten ihre eigene Macht als ihren Gott. Für sie galt nicht nur: „Macht ist gleich Recht“, sondern „Macht ist Gott“. Da verwundert es wohl kaum, wenn der Prophet das als ihre Schuld bezeichnet. Der wahre Gott, der HERR, konnte keinen Rivalen seiner Würde und Autorität dulden.
William Kelly schreibt in seinen Lectures Introductory to the Minor Prophets, S. 320: „Als sie vergaßen, dass Gott sie benutzte, um jene zu bestrafen, die seinen Namen und seine Herrlichkeit beleidigt hatten, schrieben sie im gleichen Augenblick ihre Macht nicht dem souveränen Willen Gottes, sondern dem positiven Einfluss und dem Einwirken ihres Gottes zu, und darum würde der wahre Gott an ihnen handeln.“
Habakuk hatte den ungebremsten Fortbestand der Sünde und Gesetzlosigkeit und die Auflösung des Gesetzes und seiner Durchführung beklagt, und Gott hatte ihm offenbart, dass Ihm der Zustand seines Volkes nicht verborgen sei, und dass nun das Gericht gegen die Übeltäter bevorstand. Er hatte ihm gezeigt, dass die Geißel der chaldäischen Heere das Werkzeug seiner Gerechtigkeit sein würde, aber der Prophet beanstandete das und machte dem HERRN Vorhaltungen darüber, dass Er ein Ihm dermaßen unangemessenes Werkzeug benutzte, um Juda damit zu züchtigen.
Göttliche Reinheit
Bist du nicht von alters her, HERR, mein Gott, mein Heiliger? Wir werden nicht sterben. HERR, zum Gericht hast du es gesetzt, und, o Fels, zur Züchtigung es bestellt. Du bist zu rein von Augen, um Böses zu sehen, und Mühsal vermagst du nicht anzuschauen. Warum schaust du Räubern zu, schweigst, wenn der Gottlose den verschlingt, der gerechter ist als er? (1,12.13).
Die unerwartete Wendung der Ereignisse hatte den Propheten verwirrt und verwundert gemacht. Das drohende Gericht konnte sehr wohl die Auslöschung des Volkes Gottes und dem zufolge den Widerruf ihrer Bundesbeziehung zu ihrem Gott bedeuten. Aber das war undenkbar, und so berief sich Habakuk auf den Gott, der von Ewigkeit her war. Sein Glaube erhob sich triumphierend über die Umstände, und er erklärte voller Zuversicht: „Wir werden nicht sterben.“ Der HERR würde niemals die mit dem Volk geschlossenen
Bündnisse aufheben, und darum war es unvorstellbar, dass Er die Vernichtung des Volkes zulassen würde.
Das Ziel der chaldäischen Invasion war die Ausübung göttlichen Gerichts über Juda, und diese Züchtigung würde die endgültige Segnung Judas zur Folge haben.
Habakuk nennt den HERRN einen Fels. Die Bezeichnung Tsur wird zum ersten Mal in 5. Mose 32,4 auf Gott angewendet und ist ein Hinweis auf die Stabilität und Unveränderlichkeit des Allmächtigen. Der HERR war unendlich rein und konnte Sünde nicht dulden und auf Ungerechtigkeit nicht blicken, doch war Er offensichtlich von dem Zustand der Chaldäer unbeeindruckt. Darum war Er bereit, sie als Züchtigung für sein Volk zu benutzen. Er blickte gelassen auf die niederträchtigen Räuber und schwieg dazu, wenn die Gesetzlosen die (nämlich Juda) verschlangen, die gerechter waren als sie.
Die Fischer
… und machst die Menschen den Fischen des Meeres gleich, dem Gewürm, das keinen Herrscher ha? Er hebt die alle mit einer Angel heraus, er zieht sie herbei mit einem Netz und sammelt sie in sein Garn; darum freut er sich und frohlockt. Darum opfert er seinem Netz und räuchert seinem Garn, denn durch sie ist sein Teil fett und seine Speise feist. Sollte er deshalb sein Netz ausleeren und beständig darauf ausgehen, Nationen schonungslos hinzumorden? (1,14‒17).
Der Prophet erklärt, Gott habe die Menschen so hilflos wie die Fische und die anderen Tiere im Meer gemacht, die keinen Herrscher haben. Sie sind darum leicht zu erbeutende Opfer für die mächtigen Eroberer, die er jetzt mit Fischern vergleicht. Martin Luther sagt: „Diese Geschöpfe haben keinen Herrscher und wissen sich selbst gegen niemand zu verteidigen. Wer immer es will, greift und fängt sie ..., sie sind nur Speise für andere; denn Menschen, Raubvögel und wilde Tiere brauchen Fische. In gleicher Weise, hast du, HERR, sie den Chaldäern überlassen, damit sie diese fangen, umbringen und verschlingen.“
Die Chaldäer werden als solche dargestellt, die Menschen wie Fische mit der Angel fangen, oder sie in ein Netz treiben, um sie in einem Ringoder Senknetz zu sammeln (das man mit Gewichten beschwert, bis auf den Grund hinabsenkt, während der obere Rand an der Wasseroberfläche treibt). Luther merkt außerdem treffend an, „dass die Angeln und die kleinen und großen Netze die gewaltigen und mächtigen Heere sind, mit deren Hilfe sie die Herrschaft über alle Länder und Völker gewannen, und deren Güter, ihre Kostbarkeiten, ihr Gold und Silber und alles, was aller Welt lieb und wert war, nach Babel brachten.“ Die Menschheitsgeschichte bietet zahllose Beispiele von Herrschern und Nationen, die andere Länder und Völker auf ähnliche Weise behandelt haben, wobei sie genauso wenig Rücksicht auf die Anforderungen der Humanität nahmen, wie auf die niemals protestierenden Fische. Nationen wurden geplündert und zugrundegerichtet, Menschen wurden ausgebeutet und umgebracht, und es scheint so, als ob sich niemand Gedanken darüber machte. Und doch muss es einen Tag der Abrechnung geben.
Die Angeln und Netze hatten den Chaldäern Nahrung und Überfluss gebracht. Bildlich gesprochen wurden ihre Tische durch die von ihnen benutzen Mittel reichlich gedeckt. Sie verdankten ihren Netzen so vieles, dass Habakuk sie als solche beschrieb, die ihren Netzen Opfer und ihrem Garn Weihrauch darbrachten. Mit anderen Worten: Sie vergöttlichten ihre Kriegswaffen, denen sie ihre Siege verdankten. So hat einmal jemand gesagt: „Er verehrte seine kriegerische Kraft, durch die er die Völker unter seine Herrschaft zwang.“ Das ist tatsächlich sein Gott (1,11). Diese Ausdrücke sind natürlich bildlich zu verstehen; denn es gibt keinen Bericht, dass den Waffen
Anbetung dargebracht wurde. Aber dies Bild ist nicht völlig unwichtig für die heutige Zeit. Menschen von hoher Stellung, die über Macht und Reichtum verfügen, nehmen die gleiche Haltung ein und betrachten ihren geschäftlichen Scharfsinn, ihren offiziellen Status und die damit verbundene Autorität, außerdem den angehäuften Reichtum mehr oder weniger als ihren Gott. Sie sind völlig damit ausgefüllt und sie sind diesem Zustand restlos ergeben. Die Prophezeiung erklärt, dass die Chaldäer beständig ihre Netze leerten, wahrscheinlich, um sie zu ihrem Vorteil erneut zu füllen. Das weist auch darauf hin, dass das gleiche Prinzip, nur in weit größerem Ausmaß, auf den Teufel angewendet werden kann. Er schlug die Völker immer wieder und verfolgte in aller Brutalität den Weg restloser Beherrschung und der Unterwerfung aller Besiegten.