Die Gotteserscheinung
Einige Fragen erheben sich in Bezug auf den Zusammenhang des Buches Habakuk. Cheney sagt dazu in seinem Buch The Origins of the Psalms, S. 156, dass „das dritte Kapitel zweifelsfrei dem Buch aus demselben Grund angefügt wurde, wie Jesaja 63,7‒64,11 der großartigen Weissagung von der Wiederherstellung angehängt wurde, weil nämlich die jüdische Gemeinde die früheren nationalen Trübsale als Bilder für die Trübsale nach der Heimkehr betrachtete. … Auch die wunderbaren Schlussverse von Habakuk 3 passen kongenial zu dem späteren Glauben.“ Smith argumentiert, dass die Überschrift selbst, das Vorkommen des musikalischen Zeichens Sela im Text, wie auch der Abschluss für den Text einen nachexilschen liturgischen Ursprung nahelegen. Aber wir sehen trotzdem keinen Grund, die in Kapitel 1 erwähnte Datierung des Buches zu korrigieren.
Die Form des Liedes
Gebet Habakuks, des Propheten, nach Schigjonot (3,1).
Es ist interessant zu sehen, dass sich Habakuk ausgerechnet in diesem Vers als Prophet bezeichnet. Das Lied war offensichtlich für den öffentlichen Gottesdienst bestimmt. Das wird durch die Überschrift und die Unterschrift und die musikalische Angabe deutlich, obwohl es eindeutig ein echter Bestandteil des Buches ist. Es wird „ein Gebet“ genannt, obwohl es vielleicht besser als eine Lobeshymne bezeichnet wäre. Das Wort Schigjinot ist ein Mehrzahlwort, das von einem Verb mit der Bedeutung, sich hin und herdrehen abgeleitet ist und nach J. W. Thirtle benutzt wird, „wo eine Reihe von Lobpreisungen ein Gebet bilden“ (The Titles oft he Psalms, S. 183).
Die Singularform Schiggaion bildet die Überschrift von Psalm 7 (Smith ebd. S. 151) und zeigt, dass das Wort auf ein „Lied in einem wilden Dithyrambus hinweist.“ Und ein anderer Schreiber hat gesagt, dass es sich auf ein Lied bezieht, das in starker Erregung und triumphierend gesungen wird.
Diese Hymne ist symmetrisch geordnet, nämlich sieben Zeilen (2.3 b), (b) vierzehn Zeilen (3c‒7), (c) sieben Zeilen (3‒9 b), (d) vierzehn Zeilen 9c‒13), und (e) sieben Zeilen (14.15), obwohl die meisten Ausleger diese Anordnung nicht wahrnehmen.
Der größte Teil des Kapitels beschreibt eine bemerkenswerte Erscheinung Gottes, beginnt jedoch mit einer kurzen Bitte an den HERRN:
HERR, ich habe deine Kunde vernommen; ich fürchte mich; HERR, belebe dein Werk inmitten der Jahre, inmitten der Jahre mache es kund; im Zorn gedenke des Erbarmens! (3,2).
Habakuk hatte den Offenbarungen Gottes gelauscht, zunächst über die Züchtigungen Judas durch den drohenden Einfall der Chaldäer und das darauf folgende vergeltende Gericht über die Chaldäer. Das alles hatte ihn mit Ehrfurcht erfüllt. Die göttlichen Pläne waren viel weitgehender, als er es begreifen konnte. Gott war großartiger als seine eigene Vorstellung von Ihm, und er war von Furcht erfüllt.
Doch trotz aller Besorgnis schütte er seine Seele im Gebet vor Gott aus. Der HERR hatte ihm gezeigt, wie mächtig Er sich bei der Rettung seines Volkes in der Vergangenheit erwiesen hatte, bei der Befreiung aus Ägypten und in der Ausrottung ihrer Feinde in Kanaan. Er bat darum, es möge doch eine neue Offenbarung dieser Macht geben, dass Gott sein Werk zugunsten seines Volkes wie in früherer
Zeit erneuern möge. Die Jahre gingen dahin, und Habakuk fürchtete offensichtlich, dass die Rettung bis zum Ablauf einer festgesetzten Zeit hinausgezögert würde. Deshalb bat er ernstlich, Gott möge sein Werk während dieser Jahre beleben und damit indirekt auch, dass Er nicht solange zögern möge, bis diese abgelaufen sind. Er bat darum, dass die Erneuerung der mächtigen Werke der Vorzeit jetzt sichtbar würden und nicht erst in späteren Tagen.
Damit erkannte er offenbar die Berechtigung des göttlichen Zorns über Juda an; möglicherweise war es nichts anderes als gerecht, wenn die Bedrängnisse für Juda anhalten und eine Vermittlung zu ihren Gunsten gehemmt würde. Doch im Hinblick auf die Offenbarung des göttlichen Plans für sie, bat er, Gott möge sich mitten im Ausschütten seines Zorns seiner Barmherzigkeit erinnern. Das konnte nur geschehen, wenn der Überfall der Chaldäer bald geschah. Er bat nicht so sehr darum, das Gericht möge durch Barmherzigkeit abgemildert werden, sondern vielmehr darum, dass der gesamte Prozess beschleunigt einsetzen möge.
Die Septuaginta gibt vor allem den zweiten Teil des Verses auf eigenartige Weise wieder: „Inmitten von zwei Tieren sollst du erkannt werden; wenn die Jahre herannahen, wirst du erkannt werden; wenn die Zeit gekommen ist, wirst du offenbar werden.“ Die frühen Kirchenväter sahen verständlicherweise in diesem Text die Geburt Christi ( „die zwei Tiere“, der Ochse und der Esel, von denen man annahm, sie hätten bei dem Kindlein im Stall gestanden), sein „Erkanntwerden“ bei der Taufe und sein „Offenbarwerden“ bei seiner zweiten Wiederkunft. Aber es gibt nur wenig Rechtfertigung für den Septuaginta-Text.
Der Satzteil „belebe dein Werk inmitten der Jahre“ wurde oft als Grundlage für ermahnende Aufrufe und Appelle zur Erweckung benutzt.
Obwohl der Zusammenhang die Verwendung in dieser Weise nicht wirklich unterstützt, ist es nicht gänzlich unangebracht, diese Worte in diesem Sinn zu verwenden. Das hat gerade in unserer Zeit sicher seine Bedeutung. Es hat wohlmöglich nie eine Zeit gegeben, in der die Notwenigkeit einer Erweckung größer war. Der geistlichen Schläfrigkeit der Gemeinde, der Gier der Mehrheit der Christen nach materiellem Besitz, der völligen Missachtung der göttlichen Maßstäbe beim Volk im Allgemeinen, kann tatsächlich nur durch „Erweckungsluft“ begegnet werden.
Das Kommen Gottes
Gott [Eloah] kommt von Teman her. Der Heilige vom Gebirge Paran.– Sela. Seine Pracht bedeckt die Himmel, und die Erde ist voll seines Ruhmes. Und es entsteht ein Glanz wie das Licht der Sonne; Strahlen sind zu seinen Seiten, und dort ist die Hülle seiner Macht. Vor Ihm her zieht die Pest, und die Seuche geht aus, seinen Fußstapfen nach. Er stand da und machte die Erde schwanken, Er schaute und machte die Nationen aufbeben; und es zerbarsten die Berge der Vorzeit, es senkten sich die ewigen Hügel. Unter Trübsal sah ich die Zelte Kuschans, es zitterten die Zeltbehänge Midians (3,3‒7).
Die Antwort auf das Gebet des Propheten kam in Gestalt eines mächtigen Gewittersturms, der aus der südlichen Wüste, von den Bergen Edoms und Parans herangefegt kam und über die Nachbarvölker hereinbrach und die gesamte Topografie des Landes veränderte.
Der Sturm nahm seinen Anfang in Teman und Paran, das heißt in Edom und Sinai, die durch das tiefe Tal von Ghor oder die Araba getrennt sind, und der Prophet sagt sinngemäß, dass der HERR in einer dichten Gewitterwolke verborgen war. Um die Bedeutung davon noch zu erhöhen, gebietet der Prophet ein plötzliches „Halt“ durch Einführung des Wortes „Sela“ – eine Anweisung für den begleitenden Musiker, bei dem vielleicht ein Trompetenstoß des Priesters erfolgte.
Der flammende Glanz des HERRN bedeckte die Himmel und senkte sich wie ein Feuersee herab, um die Erde mit Licht zu überfluten. Überall benutzt der Prophet die Vergangenheitsform, obwohl die Erscheinung natürlich eine eschatologische Bedeutung hat und sich in erster Linie auf das zweite Kommen Christi in Macht und Herrlichkeit bezieht.
Der Psalmist erklärt, Licht sei das Kleid des Allmächtigen (Ps 104,2), und Habakuk sah, wie die Blitze den Himmel und Erde erleuchteten und nahm die strahlende Herrlichkeit, die unmittelbare Gegenwart Gottes wahr. Blitzstrahlen brachen von seinen Händen aus, und Lichtstrahlen umgaben Ihn und verbargen seine volle Macht und Göttlichkeit.
Der HERR wurde geschildert, als fahre Er auf dem Sturm daher und als mache Er wie ein siegreicher Feldherr seinen Triumphzug durch die Länder seiner Feinde. „Pest und Seuche“, sagt Driver, „sind Personifizierungen seiner Begleiter. Das eine zieht wie sein Waffenträger (1Sam 17,7) oder Kurier (2Sam 15,1) vor Ihm her. Das andere zieht wie sein Diener (1Sam 25,42) hinter Ihm her und führt seine Befehle aus (1Sam 4,13; ebd., S. 88‒89). Krankheiten und Seuchen wurden als Gerichtswerkzeuge betrachtet, und unser Herr sagt ganz eindeutig, dass dieselben Mittel auch in der Zeit des Endes angewendet würden (Mt 24,7).
Der Sturm wurde augenscheinlich von einem Erdbeben von beachtlichen Ausmaßen begleitet. Die Berge der Vorzeit schwankten und zerfielen zu Staub, die Hügel versanken bis sie wie das flache Land waren, und die Wüstenstämme zitterten wegen der schrecklichen Schwankungen vor Angst. Ein Schreiber stellt Gott als einen Riesen dar, der über die Welt schreitet, und von seiner unüberbietbaren
Kraft wird die gesamte Erde erschüttert, und die Berge schwanken hin und her.
All dieses geschah nicht zum ersten Mal. Der Prophet erklärt, dass Gottes Wege und sein Handeln „von alters her“ seien. Was jetzt geschah, war tatsächlich nur die Wiederholung seiner früheren Methoden. Um Keil zu zitieren (ebd. S. 102): „Als er einst im Wolkendunkel mit Donner und Blitzen und Feuer auf den Sinai herniederkam, so dass die Berge erzitterten, um Israel zu seinem Bundesvolk zu erheben (siehe Ri 5,5), so erzittern die Berge und Hügel und schmelzen bei seinem jetzigen Kommen dahin. Und wie er einst vor seinem Volk herging, versetzten seine Wundertaten, wie etwa am Roten Meer, die Nachbarvölker in Angst und Schrecken (2Mo 15,14‒16), so ist es auch hier, wo Gott sich von Teman zum Roten Meer aufmacht, dann geraten die Völker an dessen beiden Seiten in Panik.“ Die Völker, die ans Rote Meer grenzen, werden Kuschan und Midian genannt. Das Erste mag sich auf Kusch oder Äthiopien, möglicherweise auch auf einen arabischen Stamm beziehen, obwohl einige Kommentatoren es auch auf Kuschan-Rischataim anwenden (Ri 3,8.10); oder auch auf Kison (Ri 4,7). Midian wohnte an der Ostseite des Roten Meeres.
Die Beschreibung wird plötzlich durch eine rhetorische Frage des Propheten unterbrochen, auf die der Prophet offensichtlich keine Antwort erwartete: Was war die Absicht in Gottes Handeln?
Gab es einen Grund?
Ist der HERR gegen die Ströme entbrannt? Richtet sich etwa dein Zorn gegen die Ströme, dein Grimm gegen das Meer, dass du einherziehst auf deinen Rossen, deinen Wagen der Rettung? (3,8).
Worin bestand das Motiv für diese Erscheinung Gottes? Das bewegt den Propheten. War der HERR zornig auf die Ströme und Flüsse und auf das Meer, dass Er deshalb auf Sturmwolken einherfuhr, die auch an anderen Stellen als Rosse und Wagen geschildert wurden? (Ps 118,10; Jes 19,1). Die möglicherweise vom Propheten nicht erwartete Antwort wird ihm in den Versen 13‒15 gegeben. Die göttlichen Wagen dienten der Rettung, und die Absicht seiner Ankunft war die Rettung seines Volkes.
Gericht und Handeln
Entblößt, entblößt ist dein Bogen – Zuchtrute geschwungen durch dein Wort! (oder nach Schlachter: Deine Eide sind die Pfeile gemäß deinem Wort) – Sela. Zu Strömen spaltest du die Erde. Es sahen dich, es zitterten die Berge; eine Wasserflut fuhr daher, die Tiefe ließ ihre Stimme erschallen, zur Höhe erhob sie ihre Hände. Sonne und Mond traten in ihre Wohnung beim Licht deiner Pfeile, die daherschossen, beim Glanz deines blitzenden Speeres. Im Grimm durchschreitest du die Erde, Im Zorn stampfst du die Nationen. Du zogst aus zum Heil deines Volkes; zum Heil deines Gesalbten; du zerschmetterst das Haupt vom Haus des Gottlosen; entblößest den Grund bis zum Hals. – Sela (3,9‒13).
Der HERR war im Gericht erschienen; daher war sein Bogen von seiner gewöhnlichen Bedeckung durch Barmherzigkeit entblößt. Als der mächtige Krieger war Er dabei den Feind zu vernichten. Der zweite Satzteil wird unterschiedliche übersetzt. Die King James gibt ihn so wieder: „gemäß den Eiden der Stämme, eben nach deinem Wort.“ Doch das folgt nicht logisch auf den ersten Satz, und die Revidierte King James übersetzt deshalb: „lege den Pfeil auf die Sehne.“ Das kommt möglicherweise der Absicht des Schreibers näher (siehe auch die Unterschiede zwischen der Elberfelder und Schlachter im vorgelegten Text). Das Bild des ewigen Gottes als Kriegsmann mit gespanntem Bogen und auf die Sehne gelegtem Pfeil ist höchst bemerkenswert; aber es passt äußerst gut zu den Umständen. Der Prophet wird die die Erde treffenden Blitze als die Pfeile des Allmächtigen wahrgenommen haben, wie Er sie auf die Objekte seiner Rache abschoss.
Doch dann erschallt wieder der Ruf an die Musikanten, für das schmetternde Trompetensignal einzuhalten: Sela!
In lebendiger Sprache fährt er fort zu beschreiben, wie sich die Wogen aus den Flanken der Berge Höhlen auswaschen. Gaebelein sagt (ebd., S. 186): „Die Berge, über die sich Wolkenbrüche in die Tiefen des Abgrunds ergossen, sind als eine Personifizierung von Flehenden zu betrachten, die demütig die Hände ringen.“ Die mächtigen in der Tiefe eingesperrten Wasser verschafften sich mit ihrem Brüllen Gehör (Hiob 28,14), und ihre Wogen brachen wie hoch erhobene Hände durch die Spalten, um sich mit dem sich von oben ergießenden Regen zu vereinigen. Dieses Bild könnte sehr wohl Angst und Schrecken hervorgerufen haben.
Von Sonne und Mond wird gesagt, sie hätten sich in ihre Wohnungen zurückgezogen. Nach früh-hebräischer Vorstellung verbrachte die Sonne die Nacht in ihrer eigenen Unterkunft, und der Mond verzog sich während des Tages auf ähnliche Weise. Dass beide verschwinden, weist auf einige furchtbare Erschütterung hin. Die Pfeile, die bereitstanden, den Feind zu durchbohren, und der blinkende Speer, der dessen Vernichtung ankündigte, waren solche Gegenstände des Schreckens, dass die Himmelslichter in der poetischen Sprache des Propheten ihren Glanz und ihre Gegenwart vor dieser Szene verbargen.
Der HERR wurde als der gesehen, der im Zorn über die Erde dahinfuhr. In rächendem Zorn zerschmetterte Er die Heiden. Wie der Ochse auf der Tenne die Körner aus den Ähren tritt, so trampelte der Allmächtige auf den Nationen herum (Mich 4,13). Es ist unmöglich, die eschatologische Bedeutung zu übersehen. Habakuk blickte weit über seine eigne Zeit hinaus, hin bis aufs Ende, wenn der Herr
Jesus Christus erscheinen wird, um mit dem eisernen Stab die Nationen zu schlagen und sie wie ein Töpfergefäß zu zerschmettern (Ps 2,9). Das wird im nächsten Vers noch deutlicher.
In Vers 13 enthüllt Habakuk die Absicht bei dieser Kraftund Machtdemonstration. Der HERR kam aus den Himmeln herab und demonstrierte sein Missfallen, damit für sein Volk die Errettung kommen kann. Wenn auch die Chaldäer als Werkzeuge benutzt werden mussten, um Juda zu züchtigen, so würde Er doch am Ende seinen Zorn über die schuldigen Unterdrücker ausgießen und die Strafe für deren Grausamkeit und Niedertracht vollziehen. Aber diese Worte dürfen nicht auf eine vorübergehende Zeit beschränkt bleiben. Israel wird noch in beispielloser Weise leiden müssen. Von Norden, Süden, Osten und Westen, und alle Nationen werden gegen Jerusalem zum Krieg versammelt werden (Sach 12). Die Leiden dieser Generation werden schwerer sein als alles Vorherige (Sach 14,2), und Christus selbst sagte, dass wenn jene Tage nicht verkürzt würden, niemand errettet würde (Mt 24,21,22). Aber in der kritischen Stunde der äußersten Not Israels wird der HERR in der Person des Messias selbst noch einmal erscheinen, um seinen Zorn über die Nationen auszugießen und sein Volk von seinen Schmerzen zu erlösen (Zeph 14,3; Mt 24,31). Habakuk blickte weit über die direkte Gegenwart bis in weite Ferne hinaus. Israel ist Gottes auserwählte Nation, sein auserkorenes Volk, und Er wird sich für seinen Gesalbten einsetzen.
Der Prophet erklärte außerdem, Gott werde das Haupt des Hauses der Gottlosen zerschmettern und den Grund bis zum Hals entblößen. Der Hauptfeind Judas wird als ein Haus angesehen, das in einer solchen Weise dem Gericht verfällt, dass das gesamte Gebäude vom Fundament bis zum Dach zerschmettert wird. Kein Ziegelstein wird auf dem anderen bleiben. Doch das bezieht sich auch auf eine Person, und es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Habakuks Finger auf dieselbe Person zeigt wie die des Paulus zu einem späteren Zeitpunkt, als dieser den großen Mann des Abfalls der Zukunft als „den Gesetzlosen“ oder „den Menschen der Sünde“ beschrieb und erklärte, der Herr werde ihn verzehren durch den Hauch seines Mundes und durch die Erscheinung bei seiner Ankunft (2Thes 2,3‒10).
Dieser wird – um Habakuks Worte zu benutzen – vom Grund bis zum Hals entblößt werden. So wird mit dem Hauptfeind umgegangen, bevor unser Herr sein irdisches Reich aufrichtet.
Der Feind wird vernichtet
Du durchbohrtest mit deinen [oder seinen] eigenen Spießen die Häupter seiner Scharen, die heranstürmten, um mich zu zerstreuen, deren Frohlocken war, den Elenden im Verborgenen zu verschlingen. Du betratest das Meer mit deinen Rossen, den Schwall großer Wasser (3,14.15).
Die Beschreibung der Erscheinung Gottes endet in kürzeren Rhythmen, wird aber immer noch von vitaler Kraft durchpulst. Die Nationen werden als mächtige Fürsten dargestellt, die wahrscheinlich in Rüstungen gehüllt für den Kampf bereitstehen. Aber es gab keine Möglichkeit für sie, in den Krieg einzugreifen, denn der Allmächtige durchbohrte sie mit seinen Speeren. Feinberg meint, die Fürsten hätten sich gegenseitig umgebracht, und es müsse „seinen“ Spießen heißen. Das würde aber dem gesamten Bild zuwiderlaufen. Denn hier wurde die überragende Macht des EWIGEN demonstriert, und es erscheint nicht sinnvoll, die letzte Strophe anders auszulegen.
Die Völker werden dargestellt, als eilten sie heran, um ihren Feind wie Spreu im Wind zu zerstreuen; aber sie hatten nicht mit dem gerechnet, mit dem sie es zu tun hatten. So kam die Vernichtung über sie selbst und nicht über die, die sie in ihrer Torheit angegriffen hatten. Wie eine Bande umherstreunender Räuber meinten sie, ihr
Gegner sei ebenso wenig verteidigungsbereit wie friedliche Wanderer, die man an einem verschwiegenen Ort in aller Ruhe ausplündern und wie wilde Tiere verschlingen, das heißt ermorden konnte. Das war charakteristisch für ihr Verhalten Israel gegenüber gewesen (und das wird natürlich auch an dem zukünftigen Tag so sein, auf den diese Weissagung hinweist). Und sie stellten sich offensichtlich vor, dass jeder, der Israel zur Hilfe kommen wollte, ebenso schwach und kraftlos sein müsse. Aber das Blatt wendet sich, und die Vorfreude bei dem Gedanken an die zu gewinnende Beute erweist sich (und wird sich erweisen) als völlig unangebracht.
Der Sturm hat natürlich das Meer erregt, und der Prophet stellt sich den HERRN vor, als reite Er mit seinen Rossen durch die brandenden Wogen, die rings um Ihn her schäumen. Delitzsch nimmt an, dass hier an die Durchquerung des Roten Meeres erinnert wird, und
C. Elliotts Auslegung stimmt tatsächlich damit überein: „Genauso wie du einst dein Volk durch das Rote Meer führtest und vor ihnen hergingst, um die Wellen zu beseitigen, so wirst du jetzt hindurchmarschieren und dein Werk erneuern (V. 2), so wirst du jetzt die heranbrandenden Massen des feindlichen Heeres niedertreten“ (Langeʼs Commentary, S. 37).
Vielleicht können auch die heutigen Gläubigen Kraft aus diesem Bild gewinnen. Wenn die feindlichen Mächte der Bosheit stärker und brutaler als je zuvor zu werden scheinen, bleibt doch der EWIGE unverändert, und der letztendliche Sieg liegt in seinen Händen. In der Vergangenheit trat Er auf, um sein irdisches Volk Israel zu befreien, wie Er es in der Zukunft wieder tun wird am Ende der Leiden während der großen Drangsal. Denn Er ändert sich nicht. Darum darf auch sein heutiges Volk genauso vertrauensvoll auf Ihn und seine befreiende Kraft bauen, wie sein irdisches damals schon. Die
Sturmwolken mögen sich zusammenballen; aber in diesen Wolken ist der allmächtige Gott.