Behandelter Abschnitt Joh 7,1-13
Der Herr hatte also seine Erniedrigung und seinen Tod mit seiner Himmelfahrt verkündet und damit die damals vorherrschenden fleischlichen Erwartungen an sein Reich völlig beiseitegeschoben. Er hatte noch mehr getan: Er hatte die absolute Notwendigkeit gelehrt, Ihn selbst, sowohl als Mensch wie auch als Sterbender, für das ewige Leben anzueignen. Er hatte alle Hoffnung auf die Auferstehung am letzten Tag gerichtet, wie unverständlich das für die Juden und abstoßend sogar für viele seiner Jünger auch war. Sie suchten nach gegenwärtiger Ehre und Herrlichkeit durch den Messias; sie konnten den Tod mit Ihm nicht ertragen, der den Weg zum Auferstehungsleben und zur Herrlichkeit eröffnet.
Und danach wandelte Jesus in Galiläa; denn er wollte nicht in Judäa wandeln, weil die Juden ihn zu töten suchten. Es war aber das Fest der Juden nahe, das Laubhüttenfest. Da sprachen seine Brüder zu ihm: Zieh von hier weg und geh nach Judäa, damit auch deine Jünger deine Werke sehen, die du tust; denn niemand tut etwas im Verborgenen und sucht dabei selbst öffentlich bekannt zu sein. Wenn du diese Dinge tust, so zeige dich der Welt; denn auch seine Brüder glaubten nicht an ihn (7,1–5).
So sehen wir den Herrn an dem verachteten Ort als das wahre Licht, nicht in der Stadt der Feierlichkeiten, wo die Finsternis umso mehr herrschte, weil man sie am wenigsten vermutete; und in Galiläa wandelt Er umher auf seinem Weg der Liebe. Er wartet nicht darauf, dass die Menschen Ihn suchen; Er sucht sie, damit sie im Glauben das Leben in Ihm haben. Judäa meidet Er, weil Er weiß, dass die Menschen in diesem Teil des Landes sich mit dem mörderischen Hass ihrer Herrscher identifizieren, die Ihn zu töten suchen. Er war unwillig, nicht (man kann nicht sagen) ängstlich, dort umherzugehen. Er war in dieser Sache dem Willen seines Vaters unterworfen. Er musste das Werk vollenden, das Ihm gegeben worden war, um es zu tun. So sagte Er zu gewissen Pharisäern, die Ihn aufforderten, wegzugehen, indem sie Herodesʼ Wunsch nannten, Ihn zu töten: „Siehe, ich treibe Dämonen aus und vollbringe Heilungen heute und morgen, und am dritten Tag werde ich vollendet [d. h. ich erreiche das Ende meines Weges]. Doch ich muss heute und morgen und am folgenden Tag weiterziehen; denn es geht nicht an, dass ein Prophet außerhalb Jerusalems umkommt“ (Lk 13,32.33). Er kannte genau das Ende von Anfang an. Er fürchtete sich nicht vor den Menschen. Er geht zum festgesetzten Zeitpunkt hinauf, um den ganzen Willen Gottes zu tun und zu leiden, wie auch alles von Menschen und Satan.
Das dann bevorstehende Laubhüttenfest prüft den Menschen von neuem, oder besser gesagt, unser Herr prüft durch dieses Fest. Seine Brüder14, die Ihm durch natürliche Verwandtschaft verbunden waren, waren ungeduldig über seinen Verbleib in Galiläa, über sein Fernhalten vom Zentrum des religiösen Lebens und der Ehre. Wie das Passahfest eng mit der Wahrheit des letzten Kapitels verbunden war, so war das Laubhüttenfest der Anlass für das, was der Herr hier darlegt. Dort weist das Blut des Lammes, des Lammes, das die Juden selbst aßen, auf seinen Tod hin, mögen sie hören oder es unterlassen. Hier war die Versammlung des Volkes, um sich nach der Weizenernte und der Weinlese zu freuen. Die beiden Ernten waren Bilder der verschiedenen Formen des göttlichen Gerichts am Ende des Zeitalters, wenn Israel, in Ruhe im Land, sich an seine früheren Tage der Wüstenreise erinnern wird. Das war vor allem die Zeit des Triumphs, die die erfüllten Verheißungen verkündete.
Aber war es nun wirklich so? Weil Jesus, der Messias, da war und solche Werke wirkte, wie Er es tat, war daher die Zeit für die Erfüllung der Hoffnungen Israels gekommen? So dachten seine Brüder, weil sie es für sich selbst wünschten, obwohl sie seine Jünger und ihr Bedürfnis, seine Werke zu sehen, vorbrachten, und das in Judäa. Sie dachten nicht an Gott und hatten nicht die leiseste Vorstellung davon, dass Jesus in der Finsternis Galiläas den Vater verherrlichte und den Namen des Vaters denen offenbarte, die der Vater Ihm gab. Sie verrieten ihren eigenen Zustand, ihre Unwissenheit über Gott, ihren Mangel an Selbsteinschätzung, ihre Unkenntnis nicht nur ihres eigenen Verderbens, sondern auch der Welt, ihren Unglauben an den, der sich herabließ, aus ihrer Familie geboren zu werden: Wer Er war, und was war Er zu tun gekommen, doch das war in keinem ihrer Gedanken. Sie dachten aus sich selbst heraus, nicht von Gott her, und lagen damit umso hoffnungsloser falsch, als es den Herrn betraf. „Niemand“, sagten sie, „tut etwas im Verborgenen und sucht dabei selbst öffentlich bekannt zu sein. Wenn du diese Dinge tust, so zeige dich der Welt“ (V. 4). Das war es, was sie getan haben wollten. Sie suchten und dachten, dass jeder weise Mensch gegenwärtigen Ruhm suchen muss. Hatten sie nie von dem gehört, der sogar seine Jünger lehrte, Almosen zu geben und im Verborgenen zu beten und zu fasten, damit der Vater es ihnen entsprechend vergelten könne? Wenn ja, dann hatte die Wahrheit und der Wille Gottes sicher keinen Eindruck bei ihnen hinterlassen. Der eigentliche Grund des Wunsches und der Worte lag darin, dass sogar seine eigenen Brüder, wie der Evangelist feierlich hinzufügt, nicht an Ihn glaubten. So ist der Mensch, auch bei naher Verwandtschaft.
14 Seine Brüder waren Söhne der Maria nach seiner eigenen Geburt. Natürlich können wir verstehen, dass die Katholiken bestrebt waren, darzustellen, dass sie Söhne von Joseph und nicht von Maria waren, aber sie waren Söhne von Maria und von Joseph. Sie möchten daraus machen, dass sie Söhne aus einer früheren Ehe Josephs waren. Wir wissen nichts von einer früheren Ehe, und sie auch nicht. Wir wissen, dass die Heilige Schrift ganz klar ist (William Kelly, Vorträge über Judas).↩︎