Behandelter Abschnitt Joh 7,1-53
Wiederum öffnet sich hier eine neue Szene. Hatte sich die vorangegangene Szene zur Zeit des Passahfestes abgespielt, so war es jetzt die Zeit des Laubhüttenfestes.
Es war die freudenreichste Zeit des jüdischen Jahres, das große jährliche Fest in Jerusalem zur Erinnerung an Israels einstigen Aufenthalt in der Wüste und ihre gegenwärtige Ruhe in Kanaan und auch das Vorbild von der kommenden Herrlichkeit und Freude des Messias als König Israels. Seine Brüder drängen den Herrn, aus dieser Zeit Vorteil für sich zu ziehen, Galiläa zu verlassen und nach Jerusalem hinaufzugehen, um dort Seine Macht kundzutun und sich selbst einen Namen in der Welt zu machen. Aber sie verstanden Ihn nicht. Sie waren von der Welt, aber Er war nicht von der Welt. Der Sohn Gottes war ein Fremdling hier auf der Erde, wo sie zu Hause waren. Sie mochten hinaufgehen und auf dem Fest der Welt begegnen, aber Er zeugte für Gott gegen die Welt. Der, von dem das Fest Zeugnis ablegte, konnte nicht hinaufgehen und Seinen Anspruch geltend machen, weil die Welt dort war, und weil der Gott dieser Welt sich den Schauplatz Seiner Herrlichkeit und Freude widerrechtlich angeeignet und verderbt hatte.
Wie sehr war Israel gefallen, wenn es sich so verhielt! Was bedeutete ihr gerühmtes Fest, wenn der Quell seiner Freude und der Erbe seiner Herrlichkeit fern davon stehen musste!
Das Gold ward verdunkelt; die Wege nach Zion waren noch einsam; niemand kam in Wahrhaftigkeit zu dem feierlichen Fest, und der Prophet weinte noch im Geist (Klgl 1,4). Der Herr geht hinauf, es ist wahr, aber nicht in Seiner Herrlichkeit. Er geht auch nicht so hinauf, wie Seine Brüder es gern gesehen hätten, sondern nur im Gehorsam, um den Platz des Demütigen und nicht den eines Großen dieser Erde einzunehmen. Und als Er in die Stadt des Festes kommt, sehen wir Ihn in demselben Charakter. Er geht in den Tempel und lehrt. Aber sobald dies die Aufmerksamkeit erregt, verbirgt Er sich selbst und sagt: „Meine Lehre ist nicht mein, sondern dessen, der mich gesandt hat.“ Er stellt sich selbst in den Hintergrund, damit nicht Er, sondern der Vater, der Ihn gesandt hat, gesehen werden möchte. Als Der, der sich zu nichts gemacht und Knechtsgestalt angenommen hat, will Er nichts sein. Die, welche auf dem Fest ihren völligen Abfall von dem Grundgedanken des Festes offenbarten, sagten: „Wie besitzt dieser Gelehrsamkeit, da er doch nicht gelernt hat?“ In ihrem Hochmut erkannten sie nicht die Quelle der Erkenntnis und Weisheit über den Menschen. Sie wollten dem Geschöpf die Ehre geben. Aber das Fest wurde dem Herrn gefeiert und sollte denjenigen ehren, der jetzt in Gerechtigkeit Seine Herrlichkeit verbergen und sich selbst von all dem absondern musste. Israel und das Fest, Israel und der Sohn Gottes bildeten äußerste Gegensätze; sie hatten nichts miteinander gemein. Ob wir nun die Juden hören oder die Bewohner Jerusalems oder die Pharisäer, das ganze Kapitel spricht von Seiner Verwerfung durch sie. Er musste ihnen schließlich sagen: „Wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen.“
Jesus weigert sich so, das Fest gutzuheißen. Er teilt Israel mit, dass sie jetzt kein Anrecht auf die Ruhe und Herrlichkeit hatten, die ihnen das Fest verhieß, dass sie nicht wirklich in Kanaan waren, und dass sie bis jetzt noch nicht aus den Quellen des Heils getrunken hatten. Ihr Land, statt durch den Strom Gottes bewässert zu werden, war nur ein unfruchtbarer und durstiger Teil der verfluchten Erde; sie selbst hatten die Quelle lebendigen Wassers verlassen, und alle ihre eigenen Zisternen waren geborsten. Demgemäß gießt der Herr am Schluss des Festes das lebendige Wasser in andere Gefäße und vertrocknet die Wasser, die in Jerusalem waren. Er verwandelt das fruchtbare Land in Unfruchtbarkeit wegen der Bosheit derer, die darin wohnten, und lässt den Strom Gottes an anderen Orten hervorbrechen. „An dem letzten, dem großen Tag des Festes aber stand Jesus und rief und sprach: Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“
In Verbindung damit möchte ich kurz den „Strom Gottes“ durch die Schrift verfolgen. Wir werden ihn entsprechend den verschiedenen Haushaltungen in verschiedenen Kanälen fließen sehen.
In Eden nahm er seinen Anfang auf dieser Erde, um den Garten zu bewässern und sich von dort in verschiedenen Strömen über die Erde zu verteilen, denn es war ein Haushalt irdischer Güter. Der Mensch kannte keine Quellen des Segens oder Ströme der Freude außer denen, die mit der Schöpfung in Verbindung standen. In der Wüste war der geschlagene Fels ihre Quelle, und jeder Weg der Wohnung Gottes war ihr Kanal. Er folgte ihnen, denn zu jener Zeit waren nur sie die Erlösten des Herrn, auf denen Seine Augen in der Welt ruhten. Später in Kanaan waren es dann die still fließenden Wasser von Siloah. Der Herr bewässerte das Land aus Seinen eigenen Quellen und ließ es trinken von dem Regen des Himmels. Für die Seele des Volkes war jedes Fest und jedes Opfer ein Brunnen dieses Wassers, und der Ablauf des jährlichen Dienstes des Heiligtums war sein beständiger Kanal. Der Fluss wird auch erneut unter dem Heiligtum entspringen, um Jerusalem und das ganze Land zu bewässern (Hes 47; Joel 4; Sach 14; Ps 46,5; Ps 65,10). Es wird dann eine Zeit zweifachen Segens sein, die Zeit himmlischer und irdischer Herrlichkeit. Alle Dinge werden von der Gnade und Macht Gottes erfüllt sein, die Er unter sie austeilt; alles wird heimgesucht werden von „dem Bache Gottes, der voll Wasser ist“. Das Laubhüttenfest wird dann in Wahrheit in Jerusalem gefeiert werden, und über jede Nation, die nicht nach Jerusalem hinaufziehen wird, wird das Gnadengeschenk des Regens nicht kommen (Sach 14,17).
Außerdem möchte ich noch auf die Verbindung hinweisen, die zwischen unserem Dürsten und dem Fließen des lebendigen Wassers besteht (Joh 7,37.38). Wenn der Gläubige Durst verspürt, wendet er sich zu Jesus, um das Wasser zu empfangen, das Er zu geben hat, und dann kommt er mit dem Wasser des Lebens, dem Strom des Heiligen Geistes in ihm, zur Erquickung für sich selbst und andere Ermattete. Der Dürstende empfängt die überfließende Gegenwart des Heiligen Geistes, der in ihm einen Kanal für den in dem erhöhten Haupt der Kirche entspringenden Strom des Lebens öffnet, um durch ihn zu anderen zu fließen. O dass wir mehr nach Gott lechzten, wie der „Hirsch lechzt nach Wasserbächen“, und dass wir uns mehr sehnten nach den „Vorhöfen Jehovas!“ Dann würde der Heilige Geist unsere Seelen füllen, und wir würden einander ermuntern und beleben. Dies ist in der Tat die Kraft jedes Dienstes. Dienst ist nur der Ausfluss dieses lebendigen Wassers, der Ausdruck dieser verborgenen, überströmenden Gegenwart des Heiligen Geistes in uns.
Das Haupt hat die Gaben für uns empfangen, und aus dem Haupt wächst der ganze Leib, durch die Gelenke und Bande Darreichung empfangend und wohl zusammengefügt, das Wachstum Gottes. Das ist unser alleiniges Laubhüttenfest, bis wir ein noch glücklicheres um den Thron her feiern. Dieses Fest kann jetzt nicht in Jerusalem gefeiert werden. Die Heiligen erfreuen sich dieses Festes in seiner gegenwärtigen Form, indem sie den Weg zusammen in der Freiheit und Freude des heiligen Geistes gehen.
Dieses Fest, diese „Freude im Heiligen Geist“, ist mehr als das Passah Ägyptens oder das Manna in der Wüste. Jene galten der Erlösung und dem Leben, dieses aber gilt der Freude und dem Vorgeschmack der Herrlichkeit. Jene wurden auf Grund des auf dieser Erde hingegebenen Fleisches und des vergossenen Blutes des Sohnes des Menschen gefeiert, dieses aber, weil der Sohn des Menschen im Himmel erhöht ist. Es hat den Geschmack Kanaans, obwohl es der Erquickung in der Wüste dient, wie das Laubhüttenfest ein Fest Kanaans war, des Landes der Ruhe und der Herrlichkeit nach der Wüste.
Aber Israel wusste bis jetzt nichts von den Dingen, die uns hier gezeigt werden. Im 5. Kapitel war ihnen der Herr in erlösender Gnade und Macht gleichsam in Ägypten begegnet. Zeugnis dafür war der geheilte Krüppel. Wie Mose warf Er den Stab vor Israel auf die Erde zum Beweis Seiner Sendung. Aber die Probe endete nur damit, dass sie in Ägypten bleiben wollten, denn sie weigerten sich, an Mose zu glauben, und glaubten auch Dem nicht, von welchem Mose geschrieben hatte. Gab es für Israel eine Erlösung von Ägypten, wenn sie Mose nicht glaubten?
Im 6. Kapitel begegnete Er ihnen sozusagen in der Wüste mit dem Manna, aber nur um gleicherweise zu beweisen, dass sie sich dort, im Lager Gottes, nicht von dem Brot Gottes nährten. Im 7. Kapitel war Er ihnen sozusagen in Kanaan begegnet, aber alles hatte bewiesen, dass Kanaan noch das Land der Unbeschnittenen, das Land der Dürre und nicht des Stromes Gottes war. Er steht deshalb außerhalb der Stadt der Feste und steigt im Geist zum Himmel hinauf, um als das Haupt Seines Leibes, der Kirche, den Dürstenden von dort aus zu nähren. Er sagt: „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke.“ Die Juden mochten sich untereinander über Ihn unterreden, aber dann ging jeder „nach seinem Haus“. Er jedoch geht entsprechend dem Charakter Seiner Entfremdung von Israel und Seiner Heimatlosigkeit auf dieser Erde nach dem Ölberg.