Behandelter Abschnitt Jona 1,1-3
Der oberflächlichste Leser kommt kaum umhin zu sehen, dass Jona einen besonderen Platz unter den Propheten einnimmt. Es gibt keinen, der intensiver jüdisch ist; dennoch war seine Prophezeiung an die Heiden gerichtet, an die Männer Ninives zu seiner Zeit. In der Tat erfahren wir hier überhaupt nichts von seinem Dienst in Israel. Er wird durch den Ruf Gottes zu dieser damals höchst außergewöhnlichen Mission und zu diesem Zeugnis bestimmt. So erscheint Jona im Alten Testament unter den Propheten äußerlich so eigenartig, wie Jakobus unter den neutestamentlichen Aposteln für viele Ohren fremd klingt. Vielleicht hat jeder die Schwierigkeit empfunden: Gewiss wissen wir, dass bei einigen bedeutenden Dienern des Herrn die Schwierigkeiten das ehrfürchtige Vertrauen, das einer inspirierten Schrift gebührt, beeinträchtigen durften, wie mir versichert wird, höchst zu Unrecht. Dennoch bleibt dies die allgemein bekannte Tatsache. Sogar ein Mann, der für das wunderbare Werk bekannt ist, das Gott ihm zu tun aufgetragen hat, wie Luther, hat den Jakobusbrief auffällig geringgeachtet. Es bedarf keines Arguments, um zu beweisen, dass er nicht einen einzigen guten Grund hatte, dass sein Unglaube ganz unberechtigt war und dass der Irrtum im Verhältnis zur Bedeutung des Mannes ein übergroßes Unheil anrichtete. Denn der Einfluss der Worte eines Führers, wenn er ernstlich irrt, ist umso gefährlicher. Daher hat die lutherische Partei in Deutschland immer die stärkste Neigung zu dem gezeigt, was einige einen „freien Umgang“ mit dem Wort Gottes genannt haben, aber es ist alles andere als ein passender Geist zu befürchten. Wer kann sich da wundern, dass sich daraus schließlich die verschiedenen Formen eines gewissen Rationalismus in der Gegenwart entwickelt haben, wenn auch mehr oder weniger schon seit der Reformation? Sie mögen noch so wenig darüber nachdenken oder empfinden, was Glaube und göttliche Vortrefflichkeit war; aber sie sind nicht weniger geneigt, sich auf Luther zu berufen, um ihrem eigenen skeptischen Geist dem Wort Gottes gegenüber eine vorwegnehmende Zustimmung zu geben.
Die Wahrheit ist, dass der Wert der Bücher Jakobus und Jona vor allem auf ihre Besonderheit zurückzuführen ist und darin gesehen wird. Gott ist nicht eng, obwohl der Mensch es ist; und unsere Weisheit liegt darin, aus unserer eigenen Kleingeistigkeit herausgehoben zu werden in den weiten Raum des Geistes Gottes. Daher wird man feststellen, dass Jakobus keineswegs jemand war, der die Gnade geringschätzte, sondern dass sein Brief unverständlich ist, wenn ein Mensch die Gnade Gottes nicht wirklich versteht und festhält. Er ist der einzige Apostel, der den bemerkenswerten Ausdruck „das vollkommene Gesetz der Freiheit“ verwendet. Dies setzt nicht das Gesetz, sondern die Gnade voraus. Daher war es wirklich die Schwachheit, mit der die Gnade begriffen wurde, die die Menschen vor dem Schreckgespenst der Gesetzlichkeit im Jakobusbrief zurückweichen ließ. Hätten sie ihn in der Freiheit der Gnade gelesen, hätten sie die wirkliche Kraft des Geistes Gottes gesehen, die dem Christen seine Freiheit zu erkennen gibt.
Genauso scheint es mir, dass Jona in gleicher Weise, obwohl er persönlich in seinem Empfinden überaus jüdisch sein mochte, dennoch von Gott für ein letztes alttestamentliches Zeugnis an die Heiden gebraucht wurde. Ninive, die Hauptstadt des damaligen assyrischen Reiches, war zu jener Zeit die Großmacht der Welt. Es war vor den Tagen, in denen Babylon nach der höchsten Macht strebte und die Erlaubnis erhielt, sie zu erlangen; denn Babylon war an sich eine sehr alte Stadt, wahrscheinlich vor Ninive; aber es wurde ihr nicht gestattet, sich zur Vorherrschaft zu erheben, bis zur vollständigen Erprobung Israels und dem erwiesenen Versagen sogar Judas und des Hauses Davids. Jona war ein früher Prophet. Er lebte in oder vor den Tagen Jerobeams II. Ich glaube, dass moderne Spekulationen ihn vielleicht hundert Jahre zu spät angesetzt haben. Dies ist jedoch eine Kleinigkeit. Der große Punkt ist die Bedeutung seiner Prophezeiung. Es gibt noch einen weiteren bemerkenswerten Unterschied bei Jona: Das Buch unterscheidet sich von anderen der kleineren Propheten dadurch, dass es größtenteils eine Prophezeiung in Tatsachen und nicht so sehr in Worten ist. Die ganze Geschichte Jonas ist ein Zeichen. Es ist nicht einfach das, was er sagte, sondern was er tat, und die Wege Gottes mit ihm; und es wird meine Aufgabe sein, zu versuchen, das zu erklären.
Das Neue Testament weist uns auf einige der markantesten Teile dieser Prophezeiung hin und wird uns, so denke ich, den Schlüssel zu ihrer Bedeutung in einer klaren und wesentlichen Weise geben. Unser Herr selbst bezieht sich darauf, besonders auch, das sei hinzugefügt, auf das, was den Unglauben vieler Geistlicher hervorgerufen hat. Nun ist es denen, die mit dem Wirken des Geistes in der religiösen Welt vertraut sind, wohl bekannt, dass sie enorme Schwierigkeiten mit den Tatsachen des Buches Jona haben. Die Wahrheit ist, dass sie, wie anderswo, über die Ansprüche der Prophetie stolpern; hier ist es die Schwierigkeit eines Wunders. Aber meiner Meinung nach ist ein Wunder, obwohl es ohne Zweifel die Ausübung göttlicher Macht ist und völlig außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung des Menschen liegt, das würdige Eingreifen Gottes in einer gefallenen Welt. Es ist ein Siegel, das der Wahrheit in der mitleidsvollen Barmherzigkeit Gottes gegeben wird, der ein gefallenes Menschengeschlecht und eine verlorene Welt nicht ihrem eigenen unheilvollen Verderben überlässt.
So weit also, dass Wunder nicht die geringste wirkliche Schwierigkeit darstellen, kann jeder, der weiß, wer Gott ist, erwarten, dass Er sie in einer solchen Welt wie dieser wirkt. Ich meine nicht willkürlich oder zu einer Zeit wie der unsrigen; denn obwohl es jetzt Gebetserhörungen und das deutlichste Wirken Gottes danach gibt, ist das alles meiner Meinung nach eine einfache Sache. Wir dürfen niemals eine Gebetserhörung, so wertvoll sie auch sein mag, mit einem Wunder verwechseln. Denn eine Gebetserhörung ist nicht unverständlicher, als dass ihre eigene ernste Bitte an den Menschen ein besonderes Eingreifen in ihrem Geist hervorruft. Welche größere Schwierigkeit gibt es für Gott, den Schrei seiner Kinder zu hören? Sind getaufte Männer und Frauen in einen entwürdigenden Epikureismus gesunken? Es ist dann wirklich ungeheuerlich, ein solches gnädiges Eingreifen Gottes jeden Tag auszuschließen, und es kann keinen stärkeren Beweis dafür geben, wohin der Mensch in der Christenheit gelangt ist, als die Vorstellung, dass besondere Gebetserhörungen unvereinbar sind mit den allgemeinen Gesetzen, die Gott aufgestellt hat, um sowohl die Welt als auch die Menschheit zu regieren. Nun gibt es keinen Zweifel, dass es allgemeine Prinzipien gibt, wenn man so will, für alles – für das Universum, für die moralischen Wege Gottes mit den Menschen und auch für seinen Umgang mit seinen eigenen Kindern. Aber dann dürfen wir nie ausschließen, dass Er ein wirklich persönlicher Gott ist, der, auch wenn kein Wunder geschehen mag, seine Fürsorge zu einer lebendigen und bekannten Wirklichkeit für die alle macht, die sich Ihm anvertrauen.
Im vorliegenden Fall haben wir also eine Autorität, die unendlich mehr wiegt als alle Schwierigkeiten, die vom Unglauben vorgebracht wurden. Denn es ist klar, dass unser Herr Jesus den besonderen Punkt der größten Schwierigkeit herausgreift und ihm seinen eigenen, allmächtigen Stempel der Wahrheit aufdrückt. Kannst du nicht die Worte des Herrn Jesus zu allen Menschen, die es jemals gab, annehmen? Welcher Gläubige würde zwischen dem zweiten und dem ersten Menschen zögern? Der Herr Jesus hat sich auf die Tatsache bezogen, dass Jona von dem großen Fisch verschluckt wurde, nenne es, wie du willst: Ich werde mich nicht auf einen Wettstreit mit Naturwissenschaftlern einlassen, ob es ein Hai, ein Pottwal oder ein anderer Fisch war. Das ist eine Sache von sehr geringem Wert. Wir werden es den Männern der Wissenschaft überlassen, die Art zu bestimmen; aber die Tatsache selbst, die für uns von Bedeutung ist, ist, dass es ein großer Fisch war, der den Propheten verschluckte und danach lebendig wieder ausspie. Das ist alles, woran man sich halten muss – die buchstäbliche Wahrheit der behaupteten Tatsache. Es ist nicht nötig, sich vorzustellen, dass ein Fisch für diesen Zweck geschaffen wurde. Es gibt viele Fische, die durchaus in der Lage sind, einen Menschen vollständig zu verschlucken: Jedenfalls hat es solche gegeben. Wenn es also einen gab, so genügt das. Aber die Tatsache wird nicht nur im Alten Testament bestätigt, sondern auch im Neuen Testament von unserem Herrn selbst bekräftigt und angewandt. Jeder Mensch, der das bestreitet, muss vor dem Richterstuhl Christi Rechenschaft über sein Verhalten ablegen, bevor es zu spät ist.
Wenn wir uns nun unserer Prophezeiung zuwenden, lesen wir:
Und das Wort des Herrn erging an Jona, den Sohn Amittais, indem er sprach: Mach dich auf, geh nach Ninive, der großen Stadt, und predige gegen sie; denn ihre Bosheit ist vor mir heraufgestiegen. Aber Jona machte sich auf, um vom Angesicht des Herrn weg nach Tarsis zu fliehen; und er ging nach Japho hinab und fand ein Schiff, das nach Tarsis fuhr; und er gab sein Fahrgeld und stieg in das Schiff hinab, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weg vom Angesicht des Herrn (1,1–3).