Behandelter Abschnitt Joh 18,1-11
Der Herr hatte seine Worte an die Jünger und an seinen Vater abgeschlossen. Sein Werk auf der Erde, das sich nun dem Ende zuneigte, lag vor Ihm, ebenso wie sein Hingehen in die Höhe, und von beidem hing die nahende Sendung des Heiligen Geistes ab, der bei den Seinen bleiben würde, die getrennt von der Welt sind. Die Verwerfung des Erlösers, die unser ganzes Evangelium durchzieht, sollte nun im Kreuz ihren Höhepunkt erreichen; aber sein dunkler Schatten, weit davon entfernt, ihn weiter zu verdunkeln, dient nur dazu, das wahre Licht deutlicher hervorzuheben. Er ist Mensch, aber eine göttliche Person, immer der Sohn, wo Er sich bewegt.
Als Jesus dies gesagt hatte, ging er mit seinen Jüngern hinaus auf die andere Seite des Baches Kidron, wo ein Garten war, in den er hineinging, er und seine Jünger. Aber auch Judas, der ihn überlieferte, wusste den Ort, weil Jesus sich oft dort mit seinen Jüngern versammelte. Als nun Judas die Schar Soldaten und von den Hohenpriestern und Pharisäern Diener erhalten hatte, kommt er dahin mit Leuchten und Fackeln und Waffen. Jesus nun, der alles wusste, was über ihn kommen würde, ging hinaus und sprach zu ihnen: Wen sucht ihr? Sie antworteten ihm: Jesus, den Nazaräer. Jesus spricht zu ihnen: Ich bin es. Aber auch Judas, der ihn überlieferte, stand bei ihnen. Als er nun zu ihnen sagte: Ich bin es, wichen sie zurück und fielen zu Boden. Da fragte er sie wieder: Wen sucht ihr? Sie aber sprachen: Jesus, den Nazaräer. Jesus antwortete: Ich habe euch gesagt, dass ich es bin; wenn ihr nun mich sucht, so lasst diese gehen! – damit das Wort erfüllt würde, das er sprach: Von denen, die du mir gegeben hast, habe ich keinen verloren. Simon Petrus nun, der ein Schwert hatte, zog es und schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab. Der Name des Knechtes aber war Malchus. Da sprach Jesus zu Petrus: Stecke das Schwert in die Scheide! Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken? (18,1–11; vgl. Mt 26,39).
Es war derselbe Obstgarten oder Garten, der in den anderen Evangelien Gethsemane genannt wird (ein Wort, das aus den hebräischen Wörtern Kelter und Öl gebildet ist), aber es gibt keinen wirklichen Grund zu sagen,29 wie einige nach dem patristischen und mittelalterlichen Stil, dass sich hier in besonderer Weise jene dunklen Worte erfüllten: „Ich habe die Kelter allein getreten“, wie Jesaja 63,3 vorausgesagt hat und wie der Name andeutet. Denn das Zertreten der Kelter geschieht, wenn der Herr kommt, um zu richten, nicht um zu leiden, wie der damit verbundene Text deutlich machen sollte (Off 14,20). In der Tat könnte kein Leser, es sei denn, er ist durch theologische Tradition verbogen, den früheren Propheten ebenso wenig verwechseln wie den jüngsten. Denn was in diesen Prophezeiungen beschrieben wird, ist nicht Qual, sondern Rache, nicht sein blutiger Schweiß mit starkem Geschrei und Tränen, sondern sein Zertreten der Völker in seinem Zorn und ihr Blut, das auf seine Kleider gespritzt wird.
Doch ein einsichtiger und nachdenklicher Leser würde das auffallende Fehlen jener wunderbaren Begebenheit bemerken, in der sogar diejenigen, die den Herrn liebten – ja, Petrus, Jakobus und Johannes – nicht eine Stunde mit Ihm wachen konnten. Denn seine Seele war äußerst betrübt, sogar bis zum Tod, und obwohl Er sie bat, zu bleiben und zu wachen, während Er ein wenig weiterging, um zu beten, fand Er sie vor Kummer schlafend, und das wiederholte Male. Es ist berüchtigt, dass einige in ihren Lukasabschriften (Lk 22,43.44) die Verse weggelassen haben, die von dem Engel berichten, der vom Himmel erschien und Ihn stärkte, und von dem Kampf, der so war, dass sein Schweiß wie große Blutstropfen wurde, die auf die Erde fielen, als ob der Herr durch einen solchen Ausdruck wirklicher Menschlichkeit und unaussprechlichen Leids herabgesetzt würde, anstatt zu sehen, wie charakteristisch die Tatsachen für diesen Evangelisten sind, und Ihn zu verehren, der so lieben und leiden konnte, wie es dort geschildert wird. Doch Johannes, der allein von allen vier Schreibern der Evangelien dem Herrn nahe war, näher als Matthäus – Johannes ist der Einzige, der jenen Konflikt überhaupt nicht beschreibt. Das tat er nicht, weil er seinem Geist nicht unendlich kostbar war oder weil die anderen ihn uns gegeben hätten, sondern weil das, was er gab, wie auch sie, durch Eingebung geschah und in keiner Weise eine Frage des menschlichen Urteils oder Empfindens war. Johannes berichtet, nicht weniger als Matthäus, Markus und Lukas, das Wunder der fünf Gerstenbrote; und das, weil es für das ihm aufgetragene Werk ebenso wesentlich war wie für die anderen in ihrem Evangelium. Aus demselben Grund beschreibt er, geleitet vom Heiligen Geist, nicht den Todeskampf im Garten, da er nicht in den ihm zugewiesenen Bereich fällt. Er wusste es natürlich und muss oft darüber nachgedacht haben in seinem Geist, tief bewegt, mehr als alle anderen, und doch schweigt er darüber.
Kann etwas mehr die überragende Weisheit und Macht des inspirierenden Geistes bezeugen? Ja, in jedem Teil und jeder Einzelheit, eine so sehr wie die andere, und fast so selbstverständlich, wenn wir nicht so schwerhörig wären; nicht nur in dem, was ausgelassen wird, sondern in dem, was durch unendliche Gnade eingefügt wird. Beachte, was unser Evangelist uns als Nächstes berichtet. Er führt uns das zweifellos entsetzliche Schauspiel des Judas vor Augen, der seine vertraute Kenntnis der Gewohnheiten und des Aufenthaltsortes des Erlösers nutzte, um die zu führen, die Ihn greifen und töten wollten. Mit der Schar und den Offizieren seiner Feinde führt Judas sie zum Ort des nächtlichen Gebets, mit Leuchten und Fackeln und Waffen, um sich ihrer Beute zu vergewissern, obwohl der Vollmond schien und Er nie einen Schlag in Selbstverteidigung ausgeführt hatte. Aber Judas kannte Ihn wirklich nicht mehr als seine Gefährten. Wie schrecklich der Anblick einer Seele, die für die tödliche Bosheit, die am Werk war, nicht weniger blind war als für die Herrlichkeit des Heilands und seine Liebe! Wie sicher war Satan eingedrungen, wenn wir ihn betrachten, als er bei ihnen stand, um Ihn zu verraten! „Jesus nun, der alles wusste, was über ihn kommen würde, ging hinaus und sprach zu ihnen: Wen sucht ihr?“ (V. 4). Und bei seinem Bekenntnis über sich selbst als Wiederholung auf ihre Antwort Jesu, dem Nazarener,30 wichen sie zurück und fielen zu Boden. Wie offenkundig ist der Beweis seiner eigentlichen göttlichen Herrlichkeit! Ein Mensch, gesandt und gekommen in Liebe, und doch der wahre Gott, das war das ständige und besondere Zeugnis des Johannes, der wahre Schlüssel zu dem, was er nicht sagt, nicht weniger als zu dem, was er sagt. Und doch ist da keine Anstrengung, sondern die erstaunlichste Einfachheit zusammen mit diesem tiefen und göttlichen Einfluss. Nicht all der Verrat des Judas, nicht all der Hass und die Feindschaft der Juden, nicht all die Macht Roms hätte den Herrn greifen können, wenn nicht die Zeit gekommen wäre, sich selbst hinzugeben. Seine Stunde war jetzt gekommen. Er hätte die Schar, die Ihn zu greifen suchte, ebenso leicht vernichten können, wie Er sie vor seinem Namen niederfallen ließ; denn nach und nach wird sich um seines Namens willen jedes Knie beugen, der Himmlischen und der Irdischen und der Unterirdischen, und jede Zunge bekennen wird, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters (Phil 2,10.11).
Als Er sie aber wieder fragte: „Wen sucht ihr?“ und sie sagten: „Jesus, den Nazarener“, leuchtete die Gnade auf, nicht die Macht: Die erstere jetzt, wie die letztere zuvor, den wahren Gott kennzeichnend, der sich jetzt auf der Erde in seiner eigenen Person offenbarte. „Wenn ihr mich nun sucht, so lasst diese gehen! – damit das Wort erfüllt würde, das Er sprach: Von denen, die du mir gegeben hast, habe ich keinen verloren“ (V. 8.9). Wie die Bundeslade im Jordan, so geht Er allein in die Wasser des Todes, und die Seinen gehen trockenen Fußes hindurch. Er gibt sich freiwillig für sie hin. Das große Heil, das nicht versagt ist, schließt jedes geringere mit ein, das zwischenzeitlich der Herrlichkeit Gottes entspricht und dient. Und gesegnet ist es, alle vorübergehenden Gnadenerweisungen, die wir erleben, wo seine Hand uns vor der Bosheit des Feindes schützt, auf dieselbe Quelle der gnädigen Kraft in Christus zurückzuführen. Er stellt sich selbst zur Verfügung, um alles zu ertragen. Sein Volk geht frei aus; sein Wort erfüllt sich in jeder Weise. Wo der Vater gibt, verliert der Sohn nichts. Welch ein Trost und welche Sicherheit im Blick auf eine feindliche Welt!
Aber sogar seine geehrtesten Diener versagen und sind geneigt, dort am meisten zu versagen, wo sie in natürlichem Eifer und ihrer eigenen Weisheit vorwärtsdrängen, zu selbstsicher, um seine Wege zu beobachten und sein Wort zu beachten und so von Ihm zu lernen. So zeigt Simon Petrus seine Eile in völligem Widerspruch zur Gnade Christi. Er hatte nämlich ein Schwert, zog es und schlug Malchus, den Diener des Hohenpriesters, und hieb ihm das rechte Ohr ab. Hätte Petrus gewacht und gebetet, statt zu schlafen, wäre es vielleicht anders gekommen; wenn wir es versäumen zu beten, kommen wir in Versuchung.
Lukas allein, der seinem Zeugnis von Gottes Gnade treu bleibt, berichtet uns die Antwort des Herrn: „Lasst es so weit“ (Lk 22,51), und seine Berührung des Ohres, um den Verwundeten zu heilen. Matthäus allein, in Übereinstimmung mit dem verworfenen Messias, aber wahren König Israels, gibt die Zurechtweisung, die seinen Diener davor warnte, was es für Gläubige bedeutet, fleischlichen Widerstand zu leisten. Markus erwähnt die Tatsache, aber nicht mehr. Johannes, in Übereinstimmung mit der Absicht Gottes in seinem Bereich, stellt den Herrn in unbeugsamem Gehorsam gegenüber seinem Vater dar, wie zuvor in göttlicher Kraft und Gnade. Nichts ist ruhiger als seine Korrektur der Energie des Petrus; nichts ist deutlicher als seine Unterordnung unter den Willen des Vaters, was immer es auch kosten mag. „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ (V. 11).
Es ist derselbe Jesus wie bei Lukas und in den anderen Evangelien, doch was für ein Unterschied! Überall würdig, nie ein Wort oder ein Handeln unter der Würde des Heiligen Gottes, aber hier vor allem der Sohn mit vollkommener Würde und mit völliger Unterordnung des Herzens im Leiden wie im Werk. Dürfen wir denken, dass es jetzt sein Getränk war, seinen Willen zu ertragen, wie vorher seine Speise, ihn zu tun? Sicherlich war die innere Prüfung, ganz zu schweigen von all den äußeren Leiden, viel tiefer; dennoch beugte sich sein Herz vor allem, wo sich im Gehorsam zu beugen unendliche Vollkommenheit war. Wie der lebendige Vater Ihn gesandt hat und Er um des Vaters willen lebte, so legt Er sein Leben nieder, um es wiederzunehmen; aber wenn Er sagt: „Ich habe Gewalt, es zu lassen, und ich habe Gewalt, es wiederzunehmen“, fügt Er hinzu: „Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen“ (10,18). Niemals gab es einen so tiefen und heiligen Konflikt, wie ihn der zweite Mensch im Garten erfuhr; aber nichts davon erscheint bei Johannes. Hier ist es die ganze Kraft und Gnade und Ruhe des Sohnes mit keinem anderen Motiv als die Erfüllung des Willens des Vaters. Niemals kam jemand auch nur in die Nähe solcher Verherrlichung Gottes, des Vaters.
Der Gläubige wird in diesen letzten Begebenheiten die Haltung unseres Herrn feststellen, seine Demut und Würde, seine unendliche Überlegenheit gegenüber allen, die Ihn umgaben, ob Freunde oder Feinde, seine völlige Unterordnung und dabei seine unversehrte Macht. Er ist ein Mensch, der Gesandte, aber durch und durch der Sohn Gottes. Er ist es, der die Jünger beschützt und in Sicherheit bringt; Er ist es, der sich freiwillig aufopfert. Der Verräter und die Schar, die Fackeln und die Waffen, sie alle hätten versagt, wenn es Ihm nicht gefallen hätte, die Seinen gehenzulassen, um sich selbst hinzugeben. Dafür war Er zwar in die Welt gekommen, und seine Stunde war nun gekommen. Aber es war sein eigenes Handeln und nach dem Willen seines Vaters, ungeachtet der Bosheit der Menschen und der bösartigen List des Satans. Es war sicher nicht die Macht seines Namens, die die bewaffnete Schar überwältigte, sondern allein seine Gnade, die seine anschließende Unterordnung unter ihren Willen erklärt.
29 So Mr. Ffoulkes in Smith’s Dictionary of the Bible, i. 684.↩︎
30 Es scheint wünschenswert, darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Nazarener“ in den Versen 5 und 7 und in Johannes 19,19 Ναζωραῖος ist. So ist es in Matthäus 2,23; 26,71; Markus 10,47 und Lukas 18,37 (obwohl beide in Frage gestellt werden); und in Apostelgeschichte 2,22; 3,6; 4,10; 6,14; 9,5 (obwohl die besten auslassen); Apostelgeschichte 22,8; 24,5 und 26,9. Es ist der Name der Schande und des Spottes. Ναζαρηνὸς ist, wie ἐκ Ναζαρὲτ, ein Einwohner von Nazareth, geschmäht oder nicht, und kommt vor in Markus 1,24; 14,67; 16,6; Lukas 4,34; und unseren Herrn haben wir als τὸν ἀπὸ Ν in Johannes 1,46 und in Apostelgeschichte 10,38 charakterisiert.↩︎