Behandelter Abschnitt Joh 18,12-27
Die Schar nun und der Oberste und die Diener der Juden nahmen Jesus fest und banden ihn; und sie führten [ihn] zuerst zu Annas, denn er war Schwiegervater des Kajaphas, der jenes Jahr Hoherpriester war. Kajaphas aber war es, der den Juden geraten hatte, es sei nützlich, dass ein Mensch für das Volk sterbe.
Simon Petrus aber folgte Jesus und der andere Jünger. Dieser Jünger aber war dem Hohenpriester bekannt und ging mit Jesus hinein in den Hof des Hohenpriesters. Petrus aber stand an der Tür draußen. Da ging der andere Jünger, der dem Hohenpriester bekannt war, hinaus und sprach mit der Türhüterin und führte Petrus hinein. Da spricht die Magd, die Türhüterin, zu Petrus: Bist nicht auch du einer von den Jüngern dieses Menschen? Er sagt: Ich bin es nicht. Es standen aber die Knechte und die Diener da, die ein Kohlenfeuer gemacht hatten, weil es kalt war, und wärmten sich; Petrus aber stand auch bei ihnen und wärmte sich.
Der Hohepriester nun fragte Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus antwortete ihm: Ich habe öffentlich zu der Welt geredet, ich habe allezeit in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen, und im Verborgenen habe ich nichts geredet; warum fragst du mich? Frage die, die gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe; siehe, diese wissen, was ich gesagt habe. Als er aber dies gesagt hatte, schlug einer der Diener, der dabeistand, Jesus ins Angesicht und sagte: Antwortest du so dem Hohenpriester? Jesus antwortete ihm: Wenn ich übel geredet habe, so gib Zeugnis von dem Übel; wenn aber recht, warum schlägst du mich? Annas nun sandte ihn gebunden zu Kajaphas, dem Hohenpriester.
Simon Petrus aber stand da und wärmte sich. Da sprachen sie zu ihm: Bist nicht auch du einer von seinen Jüngern? Er leugnete und sprach: Ich bin es nicht. Einer von den Knechten des Hohenpriesters, der ein Verwandter dessen war, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte, spricht: Sah ich dich nicht in dem Garten bei ihm? Da leugnete Petrus wiederum; und sogleich krähte der Hahn (18,12–27).
Unser Evangelist bemerkt die Tatsache, dass die Schar unseren Herrn nicht nur zu Kajaphas, dem Hohepriester, führte, sondern vorher zu Annas, seinem Schwiegervater, der ihm in diesem Amt vorausgegangen war, aber vor seinem Tod von Kajaphas abgelöst wurde. Alles war aus dem Ruder gelaufen, und in nichts war dies deutlicher als in den letzten Begebenheiten des Heilandes. Und so erinnert das Evangelium an das, was schon in Johannes 11 berichtet wurde, wo sich das höchste religiöse Amt mit der niedrigsten Zweckmäßigkeit vermischte und der prophetische Geist in dem bösen Hohepriester wirkte, wie einst in dem prinzipienlosen Propheten von Pethor. In der Regel gebrauchte der Heilige Geist heilige Männer zum Willen und zur Ehre Gottes; aber ausnahmsweise konnte und benutzte Er zu dieser Ehre die, die Satan gebrauchte, um sie so weit wie möglich zu vereiteln. Nichts kann im Fall des Kajaphas auffälliger sein als die Art und Weise, in der sein herzloses Gefühl durch die Gnade in den Ausdruck einer großen Wahrheit verwandelt wird, die ihm völlig fremd war.
Wiederum sehen wir Simon Petrus, der dem Herrn folgt, aber nicht im Geist, noch war der andere Jünger zu seiner eigenen Ehre da, noch weniger zu der des Herrn. Denn er findet Zutritt zum Palast des Hohenpriesters, als ein Bekannter dieses Funktionärs, und keineswegs als ein Nachfolger Jesu. Und wie wird er sich bald geärgert haben über den freundlichen Einfluss, den er ausübte, um Petrus hereinzulassen, der eigentlich draußen bleiben sollte! Er ahnte wohl kaum, dass sein Wort an die Türhüterin Anlass zu dem schrecklichen und wiederholten Fall seines geliebten Mitknechtes geben würde! Aber jedes Wort des Herrn muss sich erfüllen. Es scheint, dass die Magd, die die Tür bewachte, nicht unwissend über die Jüngerschaft des Johannes war, denn sie sagt zu Petrus: „Bist nicht auch du einer von den Jüngern dieses Menschen?“ (V. 17). Aber die untersuchende Frage wurde nicht an Johannes, sondern an Petrus gestellt; und Petrus, der im Garten so kühn war, verliert nun völlig den Mut vor dieser Frau. So ist der Mensch, obwohl er ein Gläubiger ist: was ist von ihm zu halten? Auch ist die fleischliche Kraft in den Augen Christi wirklich nicht besser als die fleischliche Schwäche, die nicht nur gelogen, sondern ihren Meister verleugnet hat, indem sie ihre Beziehung zu ihm als Jünger verleugnete.
Und das war der warmherzige, eifrige, mutige Petrus! Ja, aber es war Petrus, der unter dem Schatten des kommenden Kreuzes versucht wurde. Der Tod ist eine überwältigende Prüfung für den Jünger, bis er weiß, was es heißt, mit Christus der Sünde und dem Gesetz gestorben zu sein, der Welt gekreuzigt, die Ihn gekreuzigt hat, und deshalb fähig, sich des Kreuzes zu rühmen. Bei Petrus war es noch nicht so, und er fiel; auch von Johannes und den anderen können wir nicht mehr sagen, als dass sie nicht so versucht wurden. Dass sie die Prüfung besser bestanden hätten, ist mehr, als jeder annehmen kann, der glaubt, was Gott von ihnen und vom Menschen im Allgemeinen sagt.
Der Hohepriester setzt seine Untersuchung fort; Petrus wiederholt seine Sünde. Und das ist kein Wunder. Denn er hatte geschlafen, als er hätte wachen und beten sollen, und er hatte sich an den Ort der Versuchung gewagt, anstatt die Warnung des Herrn zu beachten. „Es standen aber die Knechte und die Diener da, die ein Kohlenfeuer gemacht hatten, weil es kalt war, und wärmten sich; Petrus aber stand auch bei ihnen und wärmte sich“ (V. 18). Böse Mitteilungen verderben gute Sitten; und das Bekenntnis Jesu vor Freunden ist etwas ganz anderes als das Bekenntnis vor blutrünstigen Feinden; und Petrus muss durch schmerzliche Erfahrung lernen, dass er nicht geistlich war, um es aus den Worten Christi zu erkennen. Es ist gesegnet, unsere Nichtigkeit und Schlimmeres in seiner Gegenwart zu lernen, was uns vor dem Fallen bewahrt; aber jeder Gläubige und besonders jeder Diener muss, wenn nicht dort, so doch in der bitteren Erniedrigung lernen, was wir sind, wenn wir Ihn vergessen. Mögen wir in Ihm bleiben, und mögen seine Worte in uns bleiben, damit wir so bitten, was wir wollen, und es geschieht! Petrus hätte so nicht vor den Menschen versagt, wenn er nicht vorher vor seinem Meister versagt hätte. Zweifellos werden wir durch Gottes Kraft bewahrt, aber dies geschieht durch den Glauben. „Der Hohepriester nun fragte Jesus über seine Jünger und über seine Lehre“ (V. 19). Er begehrte Gründe gegen den Herrn. War dies die Vorgehensweise von – man frage nicht nach der Gnade, die einen Priester auszeichnen sollte, sondern – gewöhnlicher, gewissenhafter Rechtschaffenheit? Der Herr weist auf sein offenes und beständiges Zeugnis hin, nicht um sich selbst zu schützen. Andere mögen im Gegensatz zu Ihm Privatklausuren und private Treffen pflegen, ganz zu schweigen von dunkleren Ratschlägen, die zu Taten anstiften, die jedes Tageslicht meiden. „Jesus antwortete ihm: Ich habe öffentlich zu der Welt geredet, ich habe allezeit in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen, und im Verborgenen habe ich nichts geredet; warum fragst du mich? Frage die, die gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe; siehe, diese wissen, was ich gesagt habe“ (V. 20.21). Es war unanfechtbar wahr und richtig. Die einzige Antwort war eine brutale Beleidigung eines jüdischen Untergebenen, der so, wie er nicht anders konnte, den Hohepriester unterstützen wollte. Aber der Herr antwortete den Niedrigen wie den Hohen mit einer gerechten Würde, die unermesslich über ihnen allen stand: „Wenn ich übel geredet habe, so gib Zeugnis von dem Übel; wenn aber recht, warum schlägst du mich?“ (V. 23).
So erging es dem Herrn mit dem Hohepriester: Wie schmerzlich war der Gegensatz des Jüngers, der sich an den Feuern wärmte! Mehr als einer bestürmte ihn mit der entscheidenden Frage: „Bist nicht auch du einer von seinen Jüngern?“ (V. 25). Wieder siegte die Menschenfurcht, und der, der wirklich an Ihn glaubte, bekannte sich nicht, sondern leugnete und sagte: „Ich bin es nicht.“ Aber das war noch nicht alles. Denn einer „von den Knechten des Hohenpriesters, der ein Verwandter dessen war, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte, spricht: Sah ich dich nicht in dem Garten bei ihm? Da leugnete Petrus wiederum; und sogleich krähte der Hahn“ (V. 26.27). Oh, welche Menschenfurcht, die einen Fallstrick legt! Welche blendende Macht des Feindes, einen Gläubigen auf diese Weise in direkte und gewagte Falschheit zu verwickeln, und dies, um Ihn zu beschämen, der sein Leben und seine Erlösung war! Aber wozu ist das Herz nicht fähig, wenn der Herr nicht vor ihm steht, als zu Furcht oder Begierde oder etwas anderem, womit der Satan betört? Gott aber sorgte dafür, dass die Furcht der Menschen vor seiner Entehrung den schuldigen Jünger mit Selbstvorwürfen und Verachtung und äußerster Demütigung beladen sollte, wenn ein Augenzeuge ihn vor allen mit seiner wiederholten Lüge in Verleugnung seines Meisters brandmarken konnte.
Es fällt auf, dass wir in diesem Evangelium weder das vorangehende Gebet des Herrn für Petrus und die Zusicherung der Wiederherstellung haben, noch seine Hinwendung und seinen Blick zu Petrus nach seiner letzten Verleugnung, als dieser, sich an das Wort des Herrn erinnernd, hinausging und bitterlich weinte. Diese werden ausdrücklich in dem einzigen Evangelium gegeben, dessen Charakter sie entsprechen und unterstützen (siehe Lk 22,31.32.61.62). Hier dreht sich alles nicht um die Entdeckung, was das Herz des Menschen ist, und die Gnade des Herrn, sondern um die Person Christi als den einen zentralen Gegenstand, nicht so sehr um den zweiten Menschen, der von den Menschen verachtet wird, und um die Macht seiner Liebe, die auf einen Jünger einwirkt, trotz des völligen Versagens in ihm selbst, sondern um den Sohn Gottes, der den Vater inmitten des völligen und allgemeinen Verderbens verherrlicht, bei Freunden oder Feinden.
Der Herr stand vor der religiösen Autorität; jetzt soll Er vor der zivilen Macht erscheinen. Es war überall ein Spott; und so muss es gegen seine Person offenbar werden, der eines Tages den ausrotten wird, der seinen Nächsten heimlich verleumdet, und der den Mann, der einen hochmütigen Blick und ein stolzes Herz hat, ebenso wenig dulden wird wie den Lügner und Betrüger, der alle Bösen im Land und besonders in der Stadt des Herrn früh vernichtet. Doch seine Herrlichkeit erkannten sie nicht, und folglich auch nicht seine Gnade; und doch hätten sie nicht blind sein sollen für seine heiligen und gerechten Wege; aber der Mensch, ob fromm oder gottlos, füllte den Kelch seiner Missetat, und das umso mehr, als Gott langmütig war.